Urteil vom Landgericht Aachen - 11 O 490/07
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.03.2008 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit diese auf der zahnärztlichen Behandlung seit dem 23.11.2003 beruhen und nicht auf öffentlich-rechtliche Versorgungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 30 % und der Beklagte zu 70 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung seitens des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand
2Die am 17.12.1965 geborene Klägerin begab sich im August 2003 in die zahnärztliche Behandlung des Beklagten. Vorgesehen war eine Behandlung mit Brückenkonstruktionen in allen 4 Quadranten. Nach Erstellung entsprechender Heil- und Kostenpläne erfolgte am 15.02.2004 die Eingliederung der beiden Brücken im Ober- und Unterkiefer rechts (Quadranten I und IV). Wegen starker Schmerzen am Zahn 36 wurde dieser am 26.02.2004 gezogen. Wegen verschiedener Beschwerden, unter anderem beklagten Kiefergelenksbeschwerden und starken Schmerzen im Bereich des Zahnes 47, kam es in der Folgezeit zu wiederholten Terminen bei dem Beklagten. Der schließlich auf Veranlassung der Klägerin von der B T mit der Begutachtung des eingegliederten Zahnersatzes beauftragte Dr. G kam mit Gutachten vom 19.10.2004 (Bl. 12f d.A.) zu dem Ergebnis, dass im Bereich der Zähne 17/46 bzw. 47 ein Hyperbalance-Kontakt, eine positive Stufe an den Zähne 17/47 und eine mesiale Transluszenz am Zahn 47 bestehe. Eine Behebung der Stufe und der Undichtigkeit sei nicht möglich, weswegen insgesamt keine Nachbesserung, sondern nur eine Erneuerung des Zahnersatzes in Betracht komme. In Entsprechung dieses Gutachtens gliederte der Beklagte im November 2004 zunächst eine neue provisorische Brücke rechts ein, die endgültige Eingliederung der erneuerten Brücke unten rechts erfolgte am 26.01.2005. Bei einem weiteren Termin im Juni 2005 beklagte die Klägerin erneut erhebliche Schmerzen insbesondere im Kiefergelenk, woraufhin ihr der Beklagte unter im einzelnen streitigen Umständen eine Aufbissschiene empfahl und auch aushändigte. Nach einem Kontrolltermin im August 2005 und einem letzten Termin im Dezember 2005 brach die Klägerin die Behandlung bei dem Beklagten ab und begab sich Anfang 2006 zur Weiterbehandlung in die Prothetische Abteilung des Universitätsklinikums Aachen. In einem weiteren Gutachten im Auftrag der B T vom 24.01.2006 beurteilte der beauftragte Gutachter Dr. G die prothetische Versorgung nach der erfolgten Neuanfertigung als lege artis. Es bestehe allerdings ein deutlicher Störkontakt an 37/27, ferner Kiefergelenksknacken links und Druckdolenz der Kiefergelenke auf beiden Seiten. Wegen der weiteren Ausführungen in dem Gutachten wird auf dessen vorgelegte Kopie Bl. 23ff d.A. Bezug genommen. Wegen erheblicher Nacken- und Rückenschmerzen begab sich die Klägerin zudem in orthopädische Behandlung. Bei einer MRT der Halswirbelsäule im Februar 2008 wurden bei ihr dorsomediane Bandscheibenprotrusionen C4/C5 bis C6/C7 mit Hauptbefund in C6/C7 diagnostiziert. Die ursprünglich geplante zahnprothetische Versorgung auch in den linken Quadranten II und III ist bis heute nicht erfolgt.
3Die Klägerin behauptet, dass die Anfertigung der ursprünglichen Brücken rechts entsprechend den Feststellungen des von der B beauftragten Gutachters Dr. G stark mangelbehaftet gewesen sei und zu Dauerschmerzen insbesondere am Zahn 47 geführt habe. Diese Schmerzen seien nach der zweiten Eingliederung Anfang 2005 zwar zunächst beseitigt gewesen, kurz danach aber wieder aufgetreten. Es sei überdies zu Folgebeschwerden im Bereich insbesondere des linken Kiefergelenks, der Halswirbelsäule und im Rücken gekommen. Zunächst hat sie insoweit geltend gemacht, jedenfalls zwischen der Ersteingliederung der Brücken rechts im Februar 2004 und der Verordnung der Aufbissschiene im Juni 2005 an massiven Schmerzen infolge der fehlerhaften Ersteinbringung sowie dem erneuten Beschleifen der Zähne, der erneuten Einbringung der Prothetik und den diversen Anpassungsversuchen gelitten zu haben. Im weiteren Verlauf des Rechtsstreits hat sie überdies vorgetragen, die Aufbissschiene von dem Beklagten ohne jede Anpassung einfach nur in die Hand gedrückt bekommen zu haben, weswegen sie auch zu keinem Zeitpunkt gepasst habe und zu einer Verbesserung ihres Zustandes hätte beitragen können. Auch die mittlerweile festgestellten Wirbelsäulenbeschädigungen seien letztlich auf die fehlerhafte Zahnbehandlung des Beklagten zurückzuführen. Zudem habe der Beklagte bei dem Entfernen des Zahnes 36 eine mesiale Wurzel im Kieferknochen belassen, die bis heute dort vorhanden sei. Da sich hier jederzeit eine Entzündung einstellen könne, habe der Beklagte sie zumindest hierüber unterrichten müssen. Mit der nach entsprechender PKH-Bewilligung am 05.03.2008 zugestellten Klage hat die Klägerin das ihr zum Ausgleich der ihr durch die Fehlbehandlungen des Beklagten entstandenen Beeinträchtigungen und Beschwerden insgesamt zuzuerkennende Schmerzensgeld mit mindestens 3.000,00 € beziffert. Nach der erfolgten Beweisaufnahme hält sie im Hinblick auf eine von dem gerichtlichen Sachverständigen festgestellte unwiederbringlichen Zerstörung ihres Kiefergelenkes sowie die nach ihrer Ansicht in weiterer Folge hierdurch mit verursachten Wirbelsäulenbeschädigungen zumindest für eine abschließende Zahlung einen fünfstelligen Betrag für erforderlich, ohne allerdings eine Erhöhung der Klage vorgenommen zu haben.
4Die Klägerin beantragt,
51. den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 3.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
62. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche auf der Behandlung seit dem 23.11.2003 beruhen und nicht auf öffentlich-rechtliche Versorgungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
7Der Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Er bestreitet jegliche Behandlungsfehler seinerseits. Jedenfalls nach der erfolgten Neueingliederung des Zahnersatzes Anfang 2005 seien Mängel an seiner Leistung insgesamt nicht ersichtlich und auch für die Zeit davor seien keine Fehlleistungen gegeben, die zugunsten der Klägerin Schmerzensgeld- oder sonstige Zahlungsansprüche auslösen könnten. Überdies stünden die von der Klägerin beklagten Beschwerden auch in keinem kausalen Zusammenhang mit seiner zahnärztlichen Behandlung, was vor allem für die orthopädischen Beschwerden gelte, die bereits vor seiner Behandlung, jedenfalls aber unabhängig hiervon bestanden bzw. sich in den letzten Jahren ggf. verstärkt hätten. Die Verordnung der Aufbissschiene im Sommer 2005 habe dem Therapievorschlag des Gutachters Dr. G entsprochen und die Schiene sei von ihm auch ordnungsgemäß hergestellt und angepasst worden. Dass die Klägerin sie in der Folgezeit nicht getragen und später auch die Behandlung ganz abgebrochen habe, sei ihm nicht zuzurechnen. Ebenso sei ihm eine ggf. anzunehmende Behandlungsbedürftigkeit der Klägerin auf der linken Gebissseite nicht anzulasten, da deren prothetische Versorgung ja erst noch habe vorgenommen werden sollen, von der Klägerin durch den Behandlungsabbruch aber – im übrigen ja bis heute – verweigert worden sei. Bezüglich der im Kiefer belassenen Wurzel bei der Extraktion des Zahnes 36 im Februar 2004 hat er zunächst bestritten, dass eine solche dort verblieben sei. Nach den diesbezüglichen Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen hat er sodann vorgetragen, eine Röntgenaufnahme zur Überprüfung der vollständigen Extraktion beabsichtigt und der Klägerin empfohlen gehabt zu haben, eine solche sei von ihr aber kategorisch abgelehnt worden.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die persönliche Anhörung der Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2009 (Bl. 145ff d.A.) Bezug genommen.
11Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen G1 vom 06.02.2009 (Bl. 103ff d.A.) sowie die mündliche Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2009 (Bl. 151ff d.A.) Bezug genommen.
12Entscheidungsgründe
13Die Klage ist in dem zuerkannten Umfang begründet. Im übrigen ist sie nicht begründet.
14Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von insgesamt 2.500 € aus § 253 BGB i.V.m. dem Behandlungsvertrag sowie § 823 BGB zu. Denn dem Beklagten sind im Zusammenhang mit der zahnärztlichen Behandlung der Klägerin Behandlungsfehler unterlaufen, in deren Folge die Klägerin in nicht unerheblichem Umfang gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten hat und die daher einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin in dieser Höhe begründen.
15Die von dem Beklagten im Februar 2004 zunächst eingegliederten Brücken rechts wiesen Mängel auf, aufgrund derer im November 2004 ja auch eine Erneuerung der prothetischen Versorgung eingeleitet worden ist. Die diesbezüglichen Feststellungen des von der B T beauftragten Dr. G in dessen Gutachten vom 19.10.2004 (positive Stufe an den Zähnen 17 und 47 sowie mesiale Transluszenz am Zahn 47) hat der Beklagte auf S. 6 seines Schriftsatzes vom 25.03.2009 (Bl. 131 d.A.) ausdrücklich als zutreffend bezeichnet. Soweit er im Anschluss daran ausgeführt hat, dass die von ihm durchgeführte Behandlungsmaßnahme dennoch dem damaligen Stand der Technik entsprochen habe, hat sich durch die Beweisaufnahme ergeben, dass bei Zugrundelegung der Befunde des Dr. G von einem Vorhandensein der darin bezeichneten Mängel von Anfang an auszugehen ist und jedenfalls im Zuge der gebotenen zeitnahen Kontrolle im Anschluss an die vorgenommene Eingliederung diese Mängel auch hätten auffallen und Anlass zu abändernden Maßnahmen geben müssen. Dies hat der Sachverständige G1 insbesondere im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vom 30.09.2009 auch unter Auseinandersetzung mit Vorhalten des Beklagten persönlich nachvollziehbar, in sich widerspruchsfrei und überzeugend dargelegt. Die Kammer ist daher nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt, dass dem Beklagten zumindest im Nachgang zu der erfolgten Ersteingliederung der Brücken in den Quadranten I und IV Behandlungsfehler vorzuwerfen sind. Als Folge dieser fehlerhaft eingegliederten und über mehrere Monate so belassenen Brücken rechts bauten sich nach den ebenfalls überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen G1 insbesondere auch in seinem schriftlichen Gutachten vom 06.02.2009 zwischen der Eingliederung am 15.02.2004 bis zur Erneuerung der Brücke Mitte November 2004 Schmerzen insbesondere am Zahn 47 auf, die mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Klägerin einhergingen. Die Kammer geht dabei zugunsten der Klägerin trotz ihrer abweichenden Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass die Ersteingliederung der Brücken erst im April bzw. Mai 2004 erfolgt sei (Bl. 145 d.A.), von einem tatsächlichen Erfolgen der Ersteingliederung bereits am 15.02.2004 aus. Denn dieser Termin ist nicht nur in den Behandlungsunterlagen des Beklagten entsprechend dokumentiert, sondern er war nach dem übereinstimmenden schriftsätzlichen Vortrag beider Parteien bis dahin auch unstreitig und haben überdies auch die weiteren Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erkennen lassen, dass ihre subjektive Erinnerung und Bewertung der Vorgänge im Zusammenhang mit den mittlerweile extrem belastenden und von ihr insgesamt auf die Zahnbehandlung des Beklagten zurückgeführten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in – von ihr durchaus als wichtig bewerteten und vermeintlich genau erinnerten - Einzelheiten gegenüber dem dokumentierten bzw. nach den Sachverständigenfeststellungen anzunehmenden Behandlungsverlauf abweichen. Für den damit anzunehmenden Zeitraum von rund 9 Monaten zwischen der Ersteingliederung der Brücken im Februar 2004 und der Veranlassung ihrer Erneuerung im November 2004, innerhalb dessen die Klägerin aufgrund der behandlungsfehlerhaften Anpasssung bzw. mangelnden zeitnahen Kontrolle und Korrektur trotz der wiederholten Beanstandungen und Beschwerdeäußerungen ihrerseits unter erheblichen, sich steigernden und von dem Sachverständigen als unmittelbar nachvollziehbar bewerteten Schmerzen insbesondere im Bereich des Zahnes 47 mit einhergehenden Kau- und Essbeeinträchtigungen gelitten hat, erscheint der Kammer die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes von 2.000 € angemessen und geboten.
16Desweiteren ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einem behandlungsfehlerhaften Belassen einer Wurzel bei der im Februar 2004 erfolgten Extraktion des Zahnes 36 durch den Beklagten auszugehen. Das Zurückbleiben dieses Wurzelteils ist nach dem schriftlichen Sachverständigengutachten von dem Beklagten nicht mehr bestritten worden. Soweit er sich nunmehr darauf beruft, dass die Klägerin eine ausdrücklich von ihm empfohlene Röntgenaufnahme zur Überprüfung der vollständigen Entfernung aller Zahnbestandteile kategorisch verweigert habe, vermag ihn dies auch bei Unterstellung seines diesbezüglichen Sachvortrages nicht zu entlasten. Denn zum einen hat er schon nicht hinreichend dargetan, die Klägerin auch auf das Risiko eines bei Unterlassen der Röntgenaufnahme möglicherweise unentdeckt im Kiefer zurückbleibenden Wurzel- oder sonstigen Zahnfragmentes hingewiesen zu haben. Zum anderen hat er selbst betont, dass die Klägerin gerade an diesem Tag einen besonders schlechten Tag gehabt habe und sehr labil gewesen sei, weswegen er nicht aufgrund einer an diesem Tag ggf. geäußerten Ablehnung einer Röntgenaufnahme ohne weiteres dauerhaft hierauf verzichten konnte. Spätestens im zeitlichen Zusammenhang mit der nach den Ausführungen des Sachverständigen G1 gebotenen Kontrolle der Wunde zwei Tage nach der Extraktion wäre eine erneute Empfehlung der Überprüfung durch Röntgenaufnahme und ggf. Aufklärung über das Risiko ihres Unterlassens geboten gewesen. Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen, denen die Kammer sich auch insoweit uneingeschränkt anschließt, besteht trotz der bislang mehrjährigen Folgenlosigkeit des Verbleibens der Wurzel im Kiefer der Klägerin weiterhin die Gefahr einer jederzeitigen Entzündung und ist daher auch jetzt noch ihre Entfernung indiziert. Im Hinblick darauf erscheint – unter Berücksichtigung der üblicherweise für eine erforderlich werdende Zahnextraktion zuzuerkennende Schmerzensgeldgrößenordnung von 1.000 €, die in gleicher Weise einen einmaligen Eingriff erfordert, jedoch mit einer deutlich größeren Wunde mit entsprechend höheren nachoperativen Beeinträchtigungen einhergeht – die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes von 500,00 € geboten, aber andererseits auch ausreichend.
17Die weiteren, sich aus der Beweisaufnahme ergebenden bzw. zum Teil auch unstreitigen Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin sind dagegen dem Beklagten nicht zurechenbar.
18Der Sachverständige G1 hat festgestellt, dass bei der Klägerin unabhängig von der zahnärztlichen Behandlung und prothetischen Versorgung durch den Beklagten ein massiver Hyperbalance-Kontakt auf der linken Seite im Bereich der Zähne 27/37 besteht. An beiden Kiefergelenken hat er zudem erhebliche Bewegungseinschränkungen sowie auch bereits Schädigungen der Gelenksubstanz sowie des umliegenden Gewebes festgestellt. Unter Ausschluss in Betracht kommender Alternativursachen für die Verursachung der Hyperbalance sowie Würdigung des Gesamtbildes der Befunde an den Kiefergelenken hat er in nachvollziehbarer Weise sowohl bereits in seinem schriftlichen Gutachten als auch ergänzend und erläuternd im Rahmen seiner mündlichen Anhörung dargelegt, dass aller Wahrscheinlichkeit nach davon auszugehen sei, dass diese Hyperbalance bereits seit Ausbildung des Gebisses und Durchbrechen der bleibenden Zähne bei der Klägerin vorhanden gewesen sei und durch ihre permanente Nutzung über die Jahre hinweg zu den vorgefundenen Kiefergelenkschäden in Form zunächst einer Schädigung der Kiefergelenkskapsel und dann zu einem Schaden am Diskus des Kiefergelenkes mit den zum Zeitpunkt seiner Untersuchung am 03.02.2009 festgestellten extremen Bewegungseinschränkungen des Unterkiefers und damit einhergehenden Schmerzen geführt habe. Einen Zusammenhang dieser Kiefergelenkschädigung mit der - zunächst fehlerhaften - prothetischen Versorgung in der rechten Kieferhälfte durch den Beklagten hat er dabei ausdrücklich verneint. Eine Verursachung letztlich auch der Beschwerden der Klägerin im Halswirbelbereich durch die Hyperbalance im Bereich der Zähne 27/37 hat er angesichts der Betroffenheit der unteren Halswirbel ab C4 abwärts zwar für eher unwahrscheinlich, aber keineswegs für ausgeschlossen gehalten. Für sämtliche diesbezügliche Schäden der Klägerin fehlt es nach den Gesamtumständen vorliegend jedoch an einer Zurechenbarkeit gegenüber dem Beklagten. Nach den Ausführungen des Sachverständigen G1 ist dem Beklagten in Bezug auf den Hyperbalance-Kontakt auf der linken Gebissseite der Vorwurf zu machen, diesen nicht im Rahmen seiner Behandlung festgestellt zu haben. Eine diesbezügliche Feststellung sei durch einfache Prüfung mittels eines Okklusionspapieres möglich. Während er im Rahmen seiner mündlichen Anhörung zunächst eine solche Prüfung als aus seiner Sicht zum Standard einer allgemeinen Eingangsuntersuchung bei Behandlungsbeginn eines neuen Patienten gehörend bewertet hat, hat er dies später dahingehend relativiert, dass eine solche Überprüfung zwar aus seiner Sicht im Rahmen der Eingangsuntersuchung erfolgen sollte, dies aber nicht zahnärztlicher Standard sei. In dem diesbezüglichen Unterlassen des Beklagten ist daher zur Überzeugung der Kammer noch kein Behandlungsfehler zu sehen. Ein konkreter Anlass für die Okklusionsüberprüfung hat nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen aber in dem Moment bestanden, als die Klägerin anhaltende Gelenkbeschwerden - etwa in Form des von ihr beschriebenen und in den Behandlungsunterlagen des Beklagten auch dokumentierten Knackens - beklagt hat. Allerdings ist entsprechend den Darlegungen des Sachverständigen bei den diesbezüglichen Beanstandungen der Klägerin im zeitlichen Zusammenhang mit der Eingliederung der Brücken rechts im Jahr 2004 nicht davon auszugehen, dass für den Beklagten Veranlassung zur Okklusionsprüfung auch auf der linken Seite bestanden hätte, zumal es überdies als durchaus möglich und in Anbetracht der beiden Gutachten Dr. G auch naheliegend zu bewerten ist, dass bei einer solchen Überprüfung während der Dauer des Vorhandenseins der ursprünglichen und ihrerseits einen Vorkontakt im Bereich der Zähne 17/47 verursachenden Brücken rechts die Hyperbalance links gar nicht feststellbar war. Dem entsprechend hat der Sachverständige auch ausgeführt, dass erst bei der weiterhin erfolgenden Beanstandung der Gelenkbeschwerden auch noch nach der Erneuerung der prothetischen Versorgung rechts konkrete Veranlassung zur Überprüfung der Okklusion auch links bestanden habe. Eine diesbezügliche Beanstandung von Beschwerden ergibt sich aus den Behandlungsunterlagen des Beklagten allerdings erst für Juni 2005 und wird auch von der Klägerin für keinen früheren Zeitpunkt konkret vorgetragen. Dass der Beklagte zu diesem Zeitpunkt und in Zusammenhang mit der Anpassung der Aufbissschiene die Okklusion nicht überprüft und den Hyperbalance-Kontakt nicht festgestellt habe, bewertet der Sachverständige allerdings als sogar groben Behandlungsfehler. Ob er juristisch auch als solcher zu werten ist, kann vorliegend insofern letztlich dahingestellt bleiben, als das Unterlassen der Überprüfung hier als ein Befunderhebungsfehler zu werten ist, welcher in gleicher Weise zu der Beweislastumkehr einer zu vermutenden Ursächlichkeit des Fehlers zumindest für den Primärschaden wie bei Annahme eines groben Behandlungsfehlers führt. Denn da nach den Sachverständigenausführungen davon auszugehen ist, dass sich bei Vornahme der Okklusionsprüfung die Hyperbalance ohne weiteres ergeben hätte und dieser Befund sodann zwingend zu einer Reaktion in Form ihrer Beseitigung durch Einschleifen hätte führen müssen, steht der Befunderhebungsfehler hier unabhängig davon, ob die Befundunterlassung selbst bereits als grob fehlerhaft zu bewerten ist, jedenfalls im Ergebnis einem groben Behandlungsfehler gleich. Dennoch sind zur Überzeugung der Kammer die Schäden und Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin im Zusammenhang mit der von dem Beklagten verkannten Hyperbalance links ihm letztlich insgesamt nicht zuzurechnen. Denn insoweit ist zum einen zu berücksichtigen, dass diese Hyperbalance nach den Ausführungen des Sachverständigen ja aller Wahrscheinlichkeit nach schon seit mehreren Jahrzehnten vor Behandlungsbeginn des Beklagten bestand und mithin auch bereits grundlegende Schädigungseintritte im Kiefergelenkbereich bereits vor diesem Zeitpunkt nahe liegend erscheinen. Zum anderen ist jedenfalls von einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch die weiteren Abläufe nach Abbruch der Behandlung des Beklagten durch die Klägerin jedenfalls im Dezember 2005 (wenn nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt in der zweiten Jahreshälfte 2005) auszugehen. Denn bereits im Januar 2006 hat sich die Klägerin zur Weiterbehandlung in die prothetische Abteilung des Klinikums Aachen begeben. Dort wurde nach den von keiner Seite angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen im Februar 2006 ein Modell des Gebisses der Klägerin gefertigt, das die massive Hyperbalance bei den Zähnen 27/36 erkennen lässt. Überdies datiert das zweite Gutachten Dr. G für die B T, in dem die deutlichen Störkontakte im Bereich 37/27 aufgeführt sind und ihre Beseitigung empfohlen wird, vom 24.01.2006. Im Rahmen ihrer mündlichen Anhörung hat die Klägerin hierzu auch selbst angegeben, dass der Gutachter Dr. G sie darauf hingewiesen habe, dass die prothetische Behandlung auf der linken Gebissseite dringend geboten sei. Dass dennoch bis heute die prothetische Versorgung links einschließlich der Beseitigung der Hyperbalance nicht erfolgt ist mit der Folge, dass sich die Schädigung über weitere nunmehr bald 4 Jahre ausgeprägt und verschlimmert hat, ist insgesamt als zurechnungsunterbrechend gegenüber dem Beklagten zu bewerten. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass grundsätzlich weder die Entscheidung des Patienten, einen anderen Arzt für eine anstehende Weiterbehandlung zu wählen, noch von diesem Nachbehandler seinerseits begangene Behandlungsfehler den Kausal- und Zurechnungszusammenhang unterbrechen, die Einstandspflicht des Arztes für einen Behandlungsfehler vielmehr regelmäßig auch die Folgen eines Fehlers des von dem Patienten aufgesuchten nachbehandelnden Arztes mit umfasst (vgl. etwa BGH NJW 2003, 2311ff). Allerdings erscheint es bei der hier vorliegenden Gesamtsituation, in der die Gesundheitsbeeinträchtigung der Klägerin sich über einen jahre-, vermutlich sogar jahrzehntelangen Zeitraum aufgebaut hat und auch nach einem lediglich dem Beklagten anzulastenden Verzögerungszeitraum von maximal rund einem halben Jahr auch weiterhin über mehrere Jahre nicht in angemessener Weise behandelt worden ist, obwohl die Nachbehandlung im unmittelbaren Anschluss an den Behandlungsabbruch beim Beklagten in der Universitätsklinik, mithin unter gegenüber dem Beklagten höher anzusetzenden Standards, erfolgt ist und ein weiterer Arzt im Rahmen einer Begutachtung den maßgeblichen Hyperbalance-Kontakt festgestellt und der Klägerin dringend dessen zeitnahe Beseitigung im Rahmen der anstehenden Versorgung der linken Gebissseite angeraten hat, insgesamt nicht mehr gerechtfertigt, dem Beklagten irgendwelche Folgen im Zusammenhang mit dieser Hyperbalance zuzurechnen. Eine weitere Beweiserhebung dazu, in wie weit durch diese Hyperbalance und die durch sie bedingte Kiefergelenkschädigung auch die zwischenzeitlich bei der Klägerin aufgetretenen Wirbelsäulenschäden verursacht worden sind oder diese eine hiervon unabhängige orthopädische Ursache haben, war daher nicht veranlasst.
19Der Zinsanspruch aus dem zuerkannten Schmerzengeldbetrag von 2.500,00 € ist aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB begründet.
20Der Feststellungsantrag der Klägerin ist zulässig und begründet. Für das Rechtsschutzbedürfnis eines solchen Antrages genügt, dass der Eintritt zukünftiger weiterer Schäden zumindest nicht völlig auszuschließen ist, woraus sich dann zugleich auch die Begründetheit des Antrags ergibt. Vorliegend ist insbesondere hinsichtlich des verbliebenen Wurzelrestes des extrahierten Zahnes 36 das Auftreten weiterer Schäden, etwa in Form jederzeit möglicher Entzündungen mit sich hieraus ergebenden Folgeproblemen, durchaus zu erwarten und kann ein solches auch hinsichtlich der fehlerhaften Ersteingliederung der Brücken rechts zumindest nicht völlig ausgeschlossen werden. Dass die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster Linie zu erwartenden gewichtigeren eventuellen weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen im Kiefergelenk- und Wirbelsäulenbereich nach dem Vorstehenden nicht auf die Behandlung des Beklagten zurückgeführt werden können und daher nicht von der Verpflichtungsfeststellung umfasst sind, veranlasst eine Einschränkung in der Formulierung dieser Feststellung nicht, sondern hat sich lediglich im Rahmen der Kostenentscheidung auszuwirken.
21Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 709 S. 1 u. 2, 708 Nr. 11, 711 S. 1 u. 2 ZPO. Bei der Kostenverteilung hat die Kammer dem Umstand, dass die entscheidenden, bisher bereits eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen, die auch eine weitere nachteilige Entwicklung in erster Linie konkret erwarten lassen, dem Beklagten eben nicht zuzurechnen sind, unter gleichzeitiger Würdigung, dass diese andererseits jedoch – aufgrund der unterbliebenen Klageerweiterung insgesamt – auch bezüglich des Feststellungsbegehrens nur in sehr eingeschränktem Umfang Eingang in die Streitwertbemessung gefunden haben, durch eine hälftige Kostenteilung hinsichtlich des Feststellungsantrags Rechnung getragen, woraus sich unter Mitberücksichtigung des Verhältnisses des beiderseitigen Obsiegens und Unterliegens der Parteien hinsichtlich des Klageantrags zu 1. die zuerkannte Kostenquotierung ergibt.
22Streitwert: 5.001 € (Klageantrag zu 1.: 3.000 €Klageantrag zu 2.: 2.001 €)
23H | H Richterin am Landgericht T1 ist urlaubsbedingt an der Unterschriftsleistung verhindert | H1 |
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