Beschluss vom Landgericht Aachen - 3 T 416/10
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
1
G r ü n d e:
2I.
3Der Beteiligte zu 1) erwarb das o.g. Grundstück im Wege der Zwangsversteigerung durch Zuschlagsbeschluss vom 20.6.2008. Als er im Verteilungstermin am 16.7.2008 die fällige Zahlung nicht erbrachte, wurde der Beteiligten zu 2) eine Forderung in Höhe von 120.340,98 € übertragen und am 17.10.2008 gemäß § 128 ZVG eine Sicherungshypothek in gleicher Höhe unter der laufenden Nummer 8 in das Grundbuch eingetragen. Unter der laufenden Nummer 9 wurde am 15.3.2010 für die Beteiligte zu 3) eine Zwangssicherungshypothek in Höhe von 2.127,90 € nebst Zinsen eingetragen; unter der laufenden Nummer 10 wurde für das Land O eine Sicherungshypothek in Höhe von 2.563,49 € eingetragen.
4Auf Antrag der Beteiligten zu 2) wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Schleiden vom 26.8.2008 (Bl. 4 d.A.) die Wiederversteigerung gemäß § 133 ZVG angeordnet. Zugleich wurde die Zwangsverwaltung angeordnet und im Grundbuch eingetragen. Durch Beschluss vom 28.10.2008 wurde der Verkehrswert auf 275.000 € festgesetzt (Bl. 21 d.A.).
5Die Beteiligte zu 4) meldete eine kommunalabgabenrechtliche Forderung (Grundabgaben) in Höhe von 2.397,97 € an (Bl. 236 d.A.).
6Mit Einverständnis der Beteiligten zu 2) wurde das Verfahren zur Zwangsversteigerung durch Beschluss vom 20.5.2009 einstweilen gemäß § 30 ZVG eingestellt (Bl. 64 d.A.) und durch Beschluss vom 12.8.2009 auf Antrag der Beteiligten zu 2) fortgesetzt (Bl. 72 d.A.), nachdem der Beteiligte zu 1) die getroffene Zahlungsvereinbarung nicht einhalten konnte.
7Unter dem 5.12.2009 beantragte der Beteiligte zu 1) erstmals die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765 a ZPO, dies mit der Begründung, dass die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens für ihn "eine soziale und existentielle Härte aber auch eine unkalkulierbare lebensbedrohliche Situation" bedeute und er sich in einer "emotional und psychisch schwierigen Gesamtsituation" befinde; die Fortsetzung des Verfahrens sowie die Erteilung eines Zuschlages könne für ihn "eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben" bedeuten (Bl. 105ff d.A.).
8Im ersten Versteigerungstermin am 7.12.2009 wurden keine Gebote abgegeben (Bl. 119 d.A.), woraufhin das Verfahren gemäß § 77 Abs. 1 ZVG einstweilen eingestellt wurde (Bl. 131 d.A.). Daraufhin nahm der Beteiligte zu 1) seinen Schuldnerschutzantrag vom 5.12.2009 zurück (Bl. 137 d.A.).
9Mit Beschluss vom 4.1.2010 wurde das Verfahren zur Zwangsversteigerung fortgesetzt (Bl. 138 d.A.). In einem zweiten Versteigerungstermin am 7.6.2010 wurde ein Meistgebot von 80.000 € abgegeben (Bl. 181 d.A.), woraufhin der Zuschlag versagt wurde (Bl. 194 d.A.).
10Durch Beschluss des Amtsgerichts Schleiden vom 16.6.2010 wurde der Betritt des Landes O zu der angeordneten Zwangsversteigerung zugelassen (Bl. 199 d.A.). Nachdem der Beteiligte zu 1) die dem Beitritt zugrunde liegenden Steuerrückstände vollständig beglichen hatte, zog das Land O den Antrag auf Zwangsversteigerung am 11.10.2010 zurück (Bl. 228 d.A.) und schied damit aus dem Verfahren aus (Bl. 229 d.A.).
11In einem dritten Versteigerungstermin am 25.10.2010 gab der Beteiligte zu 5) das Meistgebot in Höhe von 92.000 € ab (Bl. 248 d.A.).
12Mit Schriftsatz vom 1.11.2010 beantragte der Beteiligte zu 1) erneut das Verfahren gemäß § 765 a ZPO einstweilen einzustellen und begründete dies damit, dass mit der Beteiligten zu 2) ein Vergleich über 100.000 € kurzfristig realisiert werden könne; außerdem leide er, der Beteiligte zu 1), unter akuten Panikattacken und einer enormen psychischen Belastung (Bl. 270 d.A.). Laut dem beigefügten Attest des Facharztes für Psychosomatik und Psychotherapie, Dr. I, litt der Beteiligte zu 1) unter "großer innerer Anspannung und Depressivität" (Bl. 272 d.A.).
13Unter gleichzeitiger Zurückweisung des Schuldnerschutzantrages nach § 765 a ZPO hat das Amtsgericht Schleiden dem Beteiligte zu 5) durch Beschluss vom 2.11.2010 den Zuschlag erteilt (Bl. 274 d.A.). Gegen diesen Zuschlagsbeschluss hat der Beteiligte zu 1) unter dem 12.11.2010 sofortige Beschwerde eingelegt (Bl. 321 d.A.), welche im Schriftsatz vom 26.11.2010 damit begründet wurde, der Vollstreckungsschutzantrag sei zu Unrecht zurückgewiesen worden (Bl. 325 d.A.). Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 331 d.A.). Das Landgericht hat den Beteiligten zu 1) darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen der Schutzvorschrift des § 765 a ZPO und hier insbesondere die konkrete Gesundheits- bzw. Lebensgefahr nicht hinreichend substantiiert dargelegt wurden (Bl. 333 d.A.). Die Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
14Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
15II.
16Die nach gemäß §§ 96 ZVG, 11 Abs. 1 RPflG, 793, 567 ff ZPO statthafte und auch im Übrigen in formeller Hinsicht unbedenkliche sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schleiden vom 2.11.2010 hat in der Sache keinen Erfolg.
17Nach § 100 Abs. 1 ZVG kann die sofortige Beschwerde gegen einen Zuschlagsbeschluss nur darauf gestützt werden, dass eine der Vorschriften der §§ 81, 83 bis 85a ZVG verletzt oder dass der Zuschlag unter anderen als den der Versteigerung zugrunde gelegten Bedingungen erteilt worden ist. Diese Aufzählung der Beschwerdegründe ist erschöpfend (vgl. statt vieler Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 19. Auflage, § 1000, Rdnr. 1), so dass nur diese Beschwerdegründe vom Beschwerdegericht nachgeprüft werden dürfen. Zusätzlich ist zu beachten, dass eine Verletzung der §§ 81, 83 Nr. 1 bis 5, 84 bis 85a ZVG nach einem Umkehrschluss zu § 100 Abs. 3 ZVG durch das Beschwerdegericht nur dann zu berücksichtigen ist, wenn eine entsprechende Rechtsverletzung von dem Beschwerdeführer ausdrücklich gerügt worden ist. Lediglich die in § 83 Nr. 6 und Nr. 7 ZVG bezeichneten Versagungsgründe hat das Beschwerdegericht nach § 100 Abs. 3 ZVG von Amts wegen zu prüfen.
18Eine den genannten Grundsätzen entsprechende Überprüfung des angefochtenen Beschlusses lässt jedoch keine Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers erkennen. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass die Zurückweisung des Schuldnerschutzantrages (§ 765 a ZPO) zu Unrecht erfolgte und die Zwangsversteigerung bzw. die Fortsetzung des Verfahrens deswegen unzulässig gewesen ist, § 83 Nr. 6 ZVG.
19Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung setzt nach § 765 a ZPO voraus, dass die Fortsetzung des Verfahrens unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeuten würde, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Mit Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, muss sich ein Schuldner hingegen abfinden. Für die Anwendung des § 765a ZPO genügen daher weder allgemeine wirtschaftliche Erwägungen noch soziale Gesichtspunkte. Allerdings kann eine sittenwidrige Härte im Sinne von § 765a ZPO gegeben sein, wenn und soweit einem Schuldner oder einer ihm nahestehenden Person durch die Vollstreckung Gefahr für Leib oder Leben drohen. Ebenso wenig wie bei der Zwangsräumung schließt aber selbst eine aufgrund psychischer Erkrankung bestehende Suizidgefahr oder aus sonstigem Grund erwachsende Lebensgefahr für den Schuldner oder einen ihm nahestehenden Verwandten die Zuschlagserteilung im Rahmen der Zwangsversteigerung von vornherein vollständig aus. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der auch in der Zwangsvollstreckung geschützten Grundrechte sowohl der Gläubiger als auch des Schuldner eine umfassende Würdigung aller Umstände vorzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2005 – V ZB 99/05, NJW 2006, 505 [506] m.w.N., und Beschluss vom 4. Mai 2005 - I ZB 10/05, NJW 2005, 1859 [1860])).
20Für das Vorliegen solcher "ganz besonderer Umstände" im Sinne von § 765 a ZPO ist der Schuldner nach den allgemeinen Grundsätzen der ZPO darlegungs- und beweisbelastet. Eine Einstellung des Versteigerungsverfahrens kommt demnach auch in den Fällen, in denen sich ein Schuldner unter Hinweis auf durch psychische Erkrankung verursachte Suizid- oder sonstige Gesundheitsgefahren seiner selbst oder eines Angehörigen beruft, nach der Schutzvorschrift des § 765a ZPO nur dann in Betracht, wenn der Eintritt einer ganz konkreten Gefahr an Hand objektiv feststellbarer Umstände durch den Schuldner mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen oder wenigstens in der Weise glaubhaft gemacht ist, dass eine nicht auf reine Amtsermittlung hinauslaufende Sachverhaltserforschung und gegebenenfalls Beweiserhebung durch das Gericht und die wie vorstehend beschrieben erforderliche Interessenabwägung ermöglicht werden. Das Beschwerdegericht geht dabei davon aus, dass den Schuldner hinsichtlich der Anforderungen an den Vortrag der ihm selbst oder ihm nahestehenden Personen drohenden Gefahren in gleicher Weise eine umfassende Mitwirkungsobliegenheit schon an der Aufklärung des Sachverhalts trifft, wie auch sonst jeder Schuldner nach gefestigter Rechtsprechung gehalten ist, das ihm Zumutbare zu tun, um Risiken für sich selbst zu verringern (BGH NJW 2006, 505 [506] m.w.N.).
21Den vorgenannten Maßstäben ist der Beschwerdeführer jedoch trotz des gerichtlichen Hinweises nicht gerecht geworden. Gänzlich pauschal und sogar ohne greifbare Behauptung einer konkreten Gefahr für das eigene Leben oder die eigene Gesundheit führt der Beteiligte zu 1) an, dass die Fortsetzung der Zwangsversteigerung und die Zuschlagserteilung eine enorme psychische Belastung für ihn bedeute. Eine konkrete Erkrankung wird nicht dargelegt. Auch aus dem beigefügten ärztlichen Attest ergibt sich keine konkrete Gefahr für die Gesundheit des Beteiligten zu 1), die das Vorliegen "ganz besonderer Umstände" begründen würde. In dem Attest ist vielmehr lediglich pauschal von einer großen inneren Anspannung und Depressivität des Beteiligten zu 1) die Rede. Beides ist jedoch bei einem Schuldner, gegen den die Zwangsversteigerung betrieben wird, nicht ungewöhnlich, wie bereits das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 2.11.2010 ausgeführt hat, und daher von dem Schuldner grundsätzlich hinzunehmen. Eine akute oder latente Suizidalität ist weder vorgetragen worden noch ergibt sich eine solche aus dem ärztlichen Attest. Auch aus dem früheren Schuldnerschutzantrag vom 5.12.2009 ergeben sich keine konkreten Hinweise auf eine besondere Gesundheitsgefährdung des Beteiligten zu 1). Auch im Rahmen dieses Antrags führt er lediglich völlig vage und unsubstantiiert aus, die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens bedeute für ihn "eine soziale und existentielle Härte aber auch eine unkalkulierbare lebensbedrohliche Situation" und er befinde sich in einer "emotional und psychisch schwierigen Gesamtsituation"; die Fortsetzung des Verfahrens sowie die Erteilung eines Zuschlages könne für ihn "eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben" bedeuten (Bl. 105ff d.A.).
22Das Beschwerdegericht verkennt nicht, dass ein jegliches Versteigerungsverfahren psychisch (und mitunter auch hierdurch induziert physisch) belastend für die hiervon wirtschaftlich Betroffenen sein kann. Um den Anforderungen der Ausnahmevorschrift des § 765a ZPO gerecht zu werden, die im Falle der Zuschlagsversagung im Ergebnis auf ein Hintanstellen der Rechte der Gläubiger und der Ersteher hinter denen der betroffenen Schuldner bedeutet, bedarf es allerdings gewichtigerer Gründe als lediglich des pauschalen Hinweises auf allgemeine Gesundheitsprobleme für den Betroffenen. Hierfür fehlt es vorliegend an jeglichen Anhaltspunkten, zumal sich der Beteiligte zu 1) mangels sachlicher Angaben auch nicht mit der Frage auseinandersetzt, ob die angeblich drohenden Gesundheitsgefahren nicht ohnehin lediglich für den Fall der Räumung, nicht aber für den Fall der Zuschlagserteilung bestehen. Das Beschwerdegericht entscheidet hier aber nicht darüber, ob eine etwaige Räumung durchgeführt wird, sondern über die Zuschlagserteilung, also den Akt des Eigentumsverlustes. Mag auch der Zuschlagsbeschluss einen Räumungstitel darstellen, entscheidet das Beschwerdegericht im Rahmen der Zuschlagserteilung doch nicht darüber, inwieweit eine Räumung letztlich stattfinden kann oder nicht.
23Schlussendlich sind vom Amtsgericht auch die von Amts wegen zu beachtenden Vorschriften der §§ 83 Nr. 7, 43 Abs. 1, 73 Abs. 1 ZVG beachtet worden: Der Versteigerungstermin wurde rechtszeitig im Sinne von § 43 Abs. 1 ZVG bekannt gemacht. Ebenso ist die Vorschrift des § 73 Abs. 1 ZVG beachtet worden, da zwischen der Aufforderung zur Abgabe von Geboten und dem Schluss der Versteigerung 30 Minuten lagen und die Versteigerung solange fortgesetzt wurde, bis keine Gebote mehr abgegeben wurden.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
25Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, da die Frage, inwiefern es dem Schuldner obliegt, Umstände, die einen Schuldnerschutzantrag nach § 765 a ZPO begründen können, substantiiert und konkret darzulegen, von allgemeiner Bedeutung ist und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist, § 70 Abs. 2 FamFG.
26Beschwerdewert: 92.000,00 € (Wert des Zuschlagsbeschlusses entsprechend dem Meistgebot, § 3 ZPO)
27Rechtsmittelbelehrung
28Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zulässig, die binnen einer Frist von einem Monat beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe einzulegen und zu begründen ist; die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Beschluss dem Beschwerdeführer zugestellt worden ist. Die Rechtsbeschwerde kann nur schriftlich durch einen von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt und begründet werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie angehören, vertreten lassen.
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Referenzen
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