Urteil vom Landgericht Aachen - 7 S 38/10
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23.03.2010 verkündete Urteil des Amtsgerichts Eschweiler (27 C 64/09) abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 119,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.03.2009 zu zahlen; im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können eine Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gegen sie aufgrund des Urteils insgesamt beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei ihrerseits Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
1
G r ü n d e
2I.
3Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung in Anspruch, weil die Wurzeln eines in deren Eigentum stehenden Straßenbaumes in ihren Hausanschlusskanal eingewachsen waren und diesen zerstört hatten. Neben Kosten eines Bauunternehmens von ursprünglich 2.764,87 € verlangt die Klägerin Ersatz für eigene Arbeitsleistungen in Höhe von 1.400 € sowie von Containerkosten in Höhe von insgesamt 226,10 €. Die hinter der Beklagten stehende Versicherung zahlte bereits außergerichtlich 1.336,30 €, von denen 700,00 € auf die eigenen Arbeitsleistungen der Klägerin und ihres Ehegatten entfielen.
4Diesen Betrag leitete die Klägerin an das von ihr mit den Kanalbauarbeiten beauftragte Unternehmen weiter. Nachdem sie noch im Laufe der ersten Instanz dessen Rechnung in voller Höhe aus eigenen Mitteln ausglich, ist sie vom ursprünglich gestellten Feststellungs- auf einen Zahlungsantrag umgestiegen.
5Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung macht die Klägerin ihre bereits in erster Instanz gestellten Anträge mit Ausnahme der Position 01.005 der Rechnung der Firma E GmbH vom 24.04.2008 über insgesamt 69,60 € netto weiter geltend. Die Kammer hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, Anhörung des Sachverständingen sowie die Vernehmung eines Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen T vom 24.01.2011 (Bl. 167 ff. d.A.) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2011 (Bl. 19 ff d.A.) verwiesen.
6Im übrigen wird wegen des Tatbestandes auf die Feststellungen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO verwiesen.
7II.
8Die Berufung der Klägerin hat nur zu einem geringen Umfang Erfolg. Das Rechtsmittel ist zulässig auch insoweit, als die Klägerin mit der Berufungsbegründung erstmalig Zinsen auch für den Betrag verlangt, den sie ursprünglich im Wege der Freistellung verfolgte. Die Kammer erachtet diese Klageänderung gemäß § 533 Nr. 1 ZPO als sachdienlich. Die der Klageänderung zugrunde liegenden Tatsachen sind unstreitig und daher ohnehin von der Kammer zu berücksichtigen.
9Die Klägerin kann von der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 670, 683 BGB in Verbindung mit § 1004 BGB die Zahlung weiterer 119,52 € verlangen.
10Soweit das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung Ansprüche aus § 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Grundgesetz annimmt, übersieht es zum einen, dass es für eine Entscheidung über solche Ansprüche gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG nicht zuständig ist. Außerdem erörtert das Amtsgericht nicht, warum der Wurzeleinwuchs auf einem Verschulden eines Amtsträgers beruhen sollte.
11Ansprüche stehen der Klägerin aber dem Grunde nach unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag zu. Der Wurzeleinwuchs in dem Kanal der Klägerin stellt eine Störung durch die Beklagte dar, so dass diese ursprünglich aus § 1004 BGB verpflichtet war, diese Störung zu unterlassen und die Wurzeln aus dem Kanal zu beseitigen. Beseitigt der Störer die Beeinträchtigungen nicht selbst, sondern macht der Gestörte Aufwendungen, um die Beeinträchtigungen selbst zu beseitigen, so kann er den Ersatz seiner Aufwendungen unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag vom Störer ersetzt verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 04.02.2005, V ZR 142/04, NJW 2005, 1366 ff.). Ist die Beseitigung der Störung nur mit einer weitergehenden Zerstörung eines Teils des Grundstücks verbunden, schuldet der Störer nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht nur die eigentliche Beseitigung der Störung, sondern sogar die Wiederherstellung des früheren Zustandes.
12Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte stand der Klägerin ein Ersatz des an die Firma E GmbH auf die Rechnung vom 24.04.2008 gezahlten Werklohns nur in Höhe von 215,13 € zu.
13Die Rechnung ist bereits dem Grunde nach nicht in voller Höhe ersatzfähig. Während die Klägerin bereits die Position 01.005 nicht mehr im Berufungsrechtszug geltend macht, steht ihr von vornherein auch kein Anspruch auf Ersatz des für die "zusätzlichen Arbeiten" nach Position 2 der Rechnung geleisteten Werklohns zu. Der in Position 02.001 abgerechnete Kellerablauf zum Preis von 149,04 € netto ist entgegen der Erörterungen der Parteien in erster Instanz kein "Revisionsschacht", sondern ein Bodeneinlauf, der ursprünglich nicht im Keller des Hauses der Klägerin vorhanden war. Gleiches gilt für den in Position 02.002 zum Preis von 363,83 € netto abgerechneten Estrich. Nach dem Vortrag der Klägerin lag ursprünglich kein Estrich auf der Bodenplatte des Hauses, so dass auch die Kosten für die Einbringung eines Estrichs nicht der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes nach Beseitigung der Störung dienen.
14Damit verblieb ursprünglich ein erstattungsfähiger Rechnungsbetrag in Höhe von 2.071,67 € brutto (1.740,90 € netto).
15Unter dem Gesichtspunkt eines Abzuges "Neu für Alt" kann die Klägerin den Ersatz der aufgewendeten Kosten aber nur in Höhe von 215,13 € verlangen. Der Abzug "Neu für alt" fußt zwar grundsätzlich im Schadensrecht. Ob ein solcher Abzug auch gegenüber einem Anspruch auf Aufwendungsersatz vorzunehmen ist, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Gegen einen solchen Abzug spricht die Erwägung, dass der Störer ursprünglich aus § 1004 BGB die Beseitigung der Störung in Natur schuldete. Gegenüber einem solchen Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch kann ein anteiliger Abzug schwerlich vorgenommen werden. Da aber in Fällen der hier zu entscheidenden Art die Störung nicht regelmäßig in Natur beseitigt werden kann, weil üblicherweise weitere Beschädigungen zumindest repariert werden müssen, wenn nicht gar eine Neuherstellung die einzige Möglichkeit der Beseitigung der Störung darstellt, erschiene es unbillig, dem Störer die Berufung auf einen Vorteilsausgleich zu verwehren. Jedenfalls dann, wenn der Störer keine Beseitigung in Natur mehr verlangt, sondern ähnlich wie im Schadensersatzrecht den Ersatz seiner Aufwendungen in Geld verlangt, besteht auch aus praktischen Erwägungen kein Grund, keinen Vorteilsausgleich durchzuführen. Wie im Schadensrecht der Geschädigte nicht durch eine Überkompensation am Schadensersatz verdienen soll, soll der Geschäftsherr im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag einen Ersatz für sein Aufwendungen im Zusammenhang mit der Beseitigung der Störung erhalten, ohne sich daran unbillig zu bereichern.
16Im hier zur Beurteilung stehenden Fall legt die Notwendigkeit eines Vorteilsausgleiches auf der Hand. Der 1965 installierte Kanal war bei Durchführung der Arbeiten der Firma E im April 2008 bereits etwa 34 Jahre alt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten überzeugend ausgeführt, dass der Kanal die nach § 61 a Wassergesetz Nordrhein-Westfalen vorgeschriebene Dichtigkeitsprüfung, die nach dem Ortsrecht der beklagten Stadt bereits zum 31.12.2004 für das Grundstück der Klägerin durchgeführt werden muss, mit Sicherheit auch aus solchen Gründen nicht bestanden hätte, die vom Wurzeleinwuchs unabhängig waren. Der Sachverständige hat nämlich überzeugend ausgeführt, dass der bei einer Kamerafahrt festgestellte Versatz, nicht fachgerecht ausgeführte seitliche Anschlüsse, Materialwechsel sowie eine vorgefundene Scherbe auch ohne den Wurzeleinwachs zu erheblichen Undichtigkeiten geführt hatten. Die Klägerin hätte damit spätestens zum 31.12.2014 auf eigene Kosten einen neuen Kanal herstellen lassen müssen.
17Die Klägerin kann daher nur den Anteil der Kosten für die Errichtung eines neuen Kanals ersetzt verlangen, der der Zeit entspricht, um die sie nun früher gehalten war, den Kanal erneuern zu lassen. Der Sachverständige hat die Lebensdauer eines neuwertigen Kanals nach seinen mündlichen Erläuterungen im Termin auf 50 bis 80 Jahre geschätzt. Die Kammer legt ihrer Schätzung gemäß § 287 ZPO daher den Mittelwert dieses Zeitraums, also 65 Jahre zu Grunde. Da die Klägerin den Kanal nun im April 2008 und nicht erst 6 Jahre und 9 Monate später, also am 31.12.2004 erneuern lassen musste, ist die Lebensdauer des eigentlich erst später zu erneuernden Kanals um eben diese 6 Jahre und 9 Monate verkürzt worden. Dies entspricht einem Anteil von etwa 10,38 % der durchschnittlichen Lebenserwartung. Der Anteil macht bezogen auf den ersatzfähigen Betrag der Rechnung E 215,13 € aus (2.071,67 € X 6,75 Jahre durch 65 Jahre).
18Für den Ersatz eigener Aufwendungen steht der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung von 1.014,59 € brutto zu.
19Die eigene Arbeitsleistung ist jedenfalls dann ein ersatzfähiger Aufwand, wenn ihr ein "Marktwert" zukommt, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Klägerin selbst oder gemeinschaftlich mit ihrem nicht ersatzberechtigten Ehemann arbeitete (vgl. BGH, Urteil vom 24.11.1995, V ZR 88/95, NJW 1996, 921, 922 f.). Zwar wird verbreitet vertreten, dass die eigene Arbeitsleistung keine zu vergütende Aufwendung darstelle bzw. nur dann zu erstatten sei, wenn die Arbeitsleistung zum Beruf oder dem Gewerbe des Beauftragten zähle (vgl. Palandt/Stprau BGB, 70. Aufl. 2011, § 670 Rn. 3 und 683 Rn. 8). Diese Auffassung mag für das Auftragsrecht zutreffen, weil hier regelmäßig eine unentgeltliche Tätigkeit des Geschäftsherrn vereinbart ist. Bei der Geschäftsführung ohne Auftrag gibt es eine solche Vereinbarung hingegen nicht. Jedenfalls im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag macht es keinen Unterschied, ob der Geschäftsführer selbst tätig wird oder er den Umständen nach die Beauftragung eines Unternehmens für erforderlich halten darf.
20Den Umfang der eigenen Aufwendungen der Klägerin und ihres Ehemannes schätzt die Kammer gemäß § 287 ZPO gestützt auf das Angebot der Firma E vom 23.07.2007 auf 1.014,59 €. Zu diesem Preis hatte die Firma E der Klägerin nämlich genau die Arbeiten angeboten, die die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann in 140 Arbeitsstunden durchgeführt haben will. In Position 01.001 des Angebots vom 23.07.2007 hatte die Firma E nämlich angeboten, den Boden im Keller von Hand zu lösen und den Schutt mit Eimern zum Container zu tragen.
21Den von ihr behaupteten Aufwand hat die Klägerin im Rahmen der Zeugenvernehmung nicht bewiesen. Es erscheint unglaubhaft, dass der Ehemann der Klägerin und diese neben ihrer Berufstätigkeit über eine Vielzahl von aufeinanderfolgenden Tagen jeweils mindestens acht Stunden gearbeitet haben. Es erscheint außerdem nicht glaubhaft, dass entsprechend der an die Versicherung geleiteten Aufstellung zusätzlich weitere 30 Stunden angefallen sein sollen, um Aushub und Schutt durch den Flur mit Eimern zu entsorgen. Wann diese Arbeiten durchgeführt wurden, lässt sich der Aufstellung nicht entnehmen. Es fällt auch auf, dass die Aufstellung auch an anderer Stelle darauf hinweist, dass immer wieder Aushub entsorgt werden musste. Schließlich datiert die Aufstellung auf einen Zeitpunkt, der knapp ein Jahr nach Durchführung der Arbeiten liegt.
22Ein Abzug Neu für Alt ist auf die Arbeitsaufwendungen nicht vorzunehmen. Bei den Arbeiten handelt es sich nämlich um solche Maßnahmen, die erforderlich waren, um die Verantwortlichkeit der Beklagten nachzuweisen. Durch die Arbeiten ist der Klägerin damit kein Vermögenszuwachs entstanden, den sie ohnehin in naher Zukunft erzielt hätte.
23Schließlich steht der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz für die aufgewendeten Containerkosten in Höhe von 226,10 € zu, von denen aus den genannten Gründen ebenfalls kein Abzug "Neu für Alt" vorzunehmen ist.
24Zinsen auf die Klageforderung waren der Klägerin antragsgemäß gemäß § 291 BGB zuzusprechen. Da die hinter der Beklagten stehende Versicherung aufgrund ihres Abrechnungsschreibens vom 26.05.2008 auf die Kosten der Firma Dederichs jedenfalls deutlich mehr als 125 € zahlte, ist diese Position der Klageforderung bereits ausgeglichen, so dass hierauf Zinsen, die erstmalig im Berufungsrechtszug geltend gemacht wurden, nicht zuzusprechen waren. Für die verbleibende Klageforderung kam es daher auf die Rechtshängigkeit der ursprünglichen Klageschrift an, die mit Zustellung am 16.03.2009 eintrat.
25Außergerichtliche Anwaltskosten waren der Klägerin nicht, auch nicht zumindest anteilig zuzusprechen, da weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass sich die Klägerin anwaltlicher Hilfe bedient hätte oder hätte bedienen müssen, wenn sie die Beklagte lediglich im berechtigten Umfang außergerichtlich in Anspruch genommen hätte.
26III.
27Die Kostenentscheidung erfolgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
28Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
29Da die Frage des Vorteilsausgleichs im Bereich des Aufwendungsersatzes bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist, war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Revision zuzulassen.
30Wert der Berufung: 2.971,49 €
31
Dr. L | U | Dr. G |
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.