Urteil vom Landgericht Aachen - 1 O 573/10
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Rechenschaft abzulegen über die Verteilung von mindestens 90% der insgesamt 222.000 Zeitschriften "O H" am 30.04.2010 und 03.05.2010 in der T B mit Ausnahme von B1.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,- € vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Der Kreisverband T B des Klägers und die Beklagte schlossen am 17./18.03.2010 anlässlich der am 09.05.2010 stattfindenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen einen Vertrag über die Verteilung der Wahlkampfzeitschrift des Klägers „O H“. Insgesamt wurden der Beklagten für die Verteilung 222.000 Exemplare der Zeitschrift zur Verfügung gestellt, die von ihr bzw. durch von ihr beauftragte Subunternehmer in der T B - mit Ausnahme der Stadt B1 - verteilt werden sollten.
3In der Auftragsbestätigung der Beklagten, die von dem Kreisverband der Klägerin unterschrieben wurde, heißt es unter „Sonstiges“:
4„Bitte beachten Sie bei Punkt II. Beanstandungen/Reklamationen
5Bei evtl. Reklamationen müssen diese in schriftlicher Form (Name, Adresse, etc.) bis spätestens Dienstag, 8.00 Uhr nach der Verteilung an uns erfolgen.“
6In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten ist unter
7„II. Beanstandungen/Reklamationen“ Folgendes geregelt:
8„A) Eventuelle Beanstandungen oder Reklamationen über nicht vertragsgerechte Ausführung einer Verteilung können nur innerhalb von drei Tagen nach ihrer Entstehung berücksichtigt werden. Reklamationen werden nur anerkannt, wenn sie Tag, Ort, Straße und Haus-Nr. der Verteilung sowie den Namen des Raklamanten und eine genaue Beschreibung der Umstände enthalten. Reklamationen haben grundsätzlich schriftlich zu erfolgen.“
9Die Verteilung sollte am Freitag, den 30.04.2010, und am Montag, den 03.05.2010, stattfinden. Am 30.04.2010 überwies der Kreisverband des Klägers an die Beklagte das vereinbarte Verteilungshonorar in Höhe von 8.461,07 €.
10Am 04.05.2010 und 05.05.2010 rügte der Kreisverband des Klägers bei der Beklagten die seiner Ansicht nach nicht ordnungsgemäße Verteilung seiner Zeitschriften unter Nennung der ihm bis dahin bekannten nicht bedienten Adressen. Daraufhin verteilte die Beklagte die Zeitungen an diese Adressen nach, nicht aber auch in der Nachbarschaft dieser Adressen. Weiter bot die Beklagte am 05.05.2010 an, die ordnungsgemäße Verteilung über ihr hauseigenes Call-Center zu überprüfen und den Kreisverband des Klägers über die Ergebnisse der Nachforschungen zu unterrichten. Eine weitergehende Auskunft über das Ergebnis erhielt der Kläger jedoch nicht.
11Parallel erkundigte sich der Kreisverband des Klägers bei seinen Mitgliedern, ob ihnen die Zeitschrift zugegangen sei. Am 06.05.2010 fand außerdem eine Begehung durch die Geschäftsführerin des Kreisverbandes des Klägers gemeinsam mit einem Beauftragten der Beklagten im B-er Stadtteil L sowie in der N-Allee statt.
12Aufgrund der seiner Ansicht nach unzureichenden Verteilung der Zeitschriften erklärte der Kreisverband des Klägers am 06.05.2010 den Rücktritt vom Vertrag und verlangte die Rückzahlung des Verteilerhonorars. Das darauf folgende Angebot eines Subunternehmers der Beklagten, im Stadtgebiet B kostenfrei weitere 90.000 Exemplare der Zeitschrift zu verteilen, lehnte der Kreisverband ab.
13Am 20.05.2010 listete der Kreisverband des Klägers der Beklagten die Gebiete auf, die nach seinen Nachforschungen nicht beliefert worden waren.
14Der Kläger behauptet, in ganzen – näher genannten - Straßenzügen und Stadtteilen der T B sei seine Zeitschrift nicht verteilt worden. Diesbezüglich seien bereits am 03.05.2010 unmittelbar nach der Verteilung der Zeitschriften zahlreiche Beschwerden durch Bewohner nicht beschickter Haushalte bei seinem Kreisverband eingegangen. Unverzüglich habe dieser der Beklagten daraufhin 36 betroffene Adressen genannt. Eine erste umfangreiche Umfrage per Email unter den 340 Mitgliedern des Kreisverbandes des Klägers am 05.05.2010, deren Email-Adressen ihm bekannt gewesen seien, habe weitere 82 Rückmeldungen erbracht, von denen 70 den Erhalt der Zeitschrift verneinten.
15Die Begehung durch die Geschäftsführerin des Kreisverbandes des Klägers gemeinsam mit einem Beauftragten der Beklagten im B-ner Stadtteil L sowie der N-Allee am 06.05.2010 habe darüber hinaus ergeben, dass dort lediglich in 35-40 % der Haushalte die Zeitschrift zugegangen sei.
16Eine weitere Fragebogenaktion zum Erhalt der Zeitschrift unter den 450 betroffenen Mitgliedern des Kreisverbandes des Klägers am 12.05.2010 habe zu dem Ergebnis geführt, das die Zeitschrift bei 95 Mitgliedern nicht eingegangen sein. Diese seien nicht identisch mit denjenigen, die auf die Email-Umfrage reagiert hätten. Vielmehr seien es weitere nicht belieferte Haushalte gewesen. Dagegen habe man keine positive Bestätigung erhalten.
17Es sei insgesamt zu vermuten, dass mehr als die Hälfte der Zeitschriften die Haushalte nicht erreicht habe. Darüber hinaus liege – so die Ansicht des Klägers - sogar der Verdacht nahe, dass eine ordnungsgemäße Verteilung habe vorgetäuscht werden sollen, weil in einzelnen Straßen namhafte Mitglieder der Partei „H1“ eine Zeitschrift erhalten hätten, ihre Nachbarn dagegen nicht.
18Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagten sei der ihm obliegende Nachweis einer ordnungsgemäßen Verteilung der Zeitschrift bislang nicht gelungen. Der Kläger habe daher einen Anspruch auf Rechenschaftslegung, um sodann entscheiden zu können, ob ihm ein (teilweiser) Rückerstattungsanspruch hinsichtlich der Verteilerkosten bzw. (teilweiser) Ersatz der Produktionskosten zustehe.
19Der Kläger beantragt im Wege der Stufenklage auf der 1. Stufe,
201. der Beklagten aufzuerlegen, Rechenschaft abzulegen über die Verteilung von mindestens 90 % der Zeitschrift „O H“ am 30.04.2010 bzw. 03.05.2010 in dem vertraglich vereinbarten Gebiet;
212. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger an Eides statt zu versichern, dass sie nach bestem Wissen den Rechenschaftsbericht so vollständig abgegeben habe, als sie dazu imstande ist;
223. die Beklagte 4.005,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 21.07.2010 zu zahlen;
234. die Beklagte zum Ersatz aller weiteren sich aus der nicht ordnungsgemäßen Verteilung der Zeitschriften ergebenden Schäden zu verurteilen.
245. die Beklagte zu verurteilen, außergerichtliche Prozesskosten in Höhe von 899,40 € zuzüglich Zinsen seit dem 16.08.2010 zu zahlen.
25Die Beklagte und der Streitverkündete beantragen,
26die Klage abzuweisen.
27Die Beklagte rügt die Aktivlegitimation des Klägers und die Unstatthaftigkeit einer Stufenklage.
28Sie vertritt zudem die Auffassung, der Kläger habe seine Ansprüche verwirkt, da seine Reklamationen und Beanstandungen in Bezug auf die nicht vertragsgemäße Leistung entsprechend der vertraglichen Regelungen verspätet erfolgt seien: Vertraglich festgelegter Ablauf der Rügefrist sei Dienstag, 04.05.2010, 8.00 h gewesen. Die Rügen seien aber erst am 04.05.2010 im Laufe des Tages bzw. am 05.05.2010 erfolgt.
29Darüber hinaus seien von den 36 zuerst am 04.05.2010 vom Kläger benannten und angeblich nicht belieferten Adressen 16 falsch, weil dort die Zeitschrift entweder eingegangen sei, oder ein Werbeverbot bestanden habe.
30Die Beklagte und der Streitverkündete – als Subunternehmer der Beklagten - behaupten, die 222.000 Exemplare der Zeitschrift des Klägers vertragsgemäß zur Verteilung gebracht zu haben.
31Wegen der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die gewechseten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
32Entscheidungsgründe
33I.
34Die Klage ist zulässig.
351.
36Das Landgericht Aachen ist sachlich und örtlich gem. § 29 ZPO für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Die anders lautende Gerichtsstandsvereinbarung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten ist unwirksam gem. § 29 II ZPO, weil es sich bei dem Kreisverband des Klägers nicht um eine juristische Person, sondern um einen nicht rechtsfähigen Verein handelt (LG München, Urteil vom 12.04.2006 – Az: 9 O 4751/06, juris, Tz 28).
37Der sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts steht auch nicht ein zu geringer Streitwert entgegen. Der Streitwert der Stufenklage bemisst sich an den Beträgen, die der Kläger bei Klageeinreichung für den Leistungsantrag ins Auge fasst. Gemäß § 5 ZPO werden die Anträge zusammengefasst, da dort, wo das Landgericht für den späteren Leistungsantrag zuständig ist, für die Auskunftsstufe nicht ein Amtsgericht zuständig sein soll.
382.
39Der Landesverband der „C #/H1“ ist auch klagebefugt. Aufgrund § 3 S. 2 PartG liegt ein Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft vor (LG München aaO, Tz 25 f.). Bei dem Landesverband der Partei Nordrhein-Westfalen handelt es sich um einen Gebietsverband auf der höchsten Stufe (vgl. OLG Köln, NJW 1978, 227; OLG Frankfurt, MDR 1984, 1030 f.). Die Satzung der Partei hat § 3 Abs. 2 PartG nicht ausgeschlossen, so dass auch nicht allein die Bundespartei aktiv legitimiert ist.
403.
41Die Klage ist auch als Stufenklage gemäß § 254 ZPO zulässig. Der Kläger trägt nämlich vor, dass die Leistung der Beklagten nur dann für ihn gar keinen Wert gehabt hätte, wenn weniger als 50 % der Zeitschriften verteilt worden wären. Läge die Verteilquote zwischen 50 % und 90 % habe die Leistung für ihn jedoch anteiligen Wert, so dass nur anteilige Druck- und Verteilkosten eingefordert werden könnten.
42Wenn einer klagenden Partei ohne die entsprechende Auskunft der Gegenseite eine höhenmäßige Bezifferung ihres Schadens nicht bzw. nicht ohne anteiliges Prozessrisiko möglich ist, weil nur der Höchstwert des Schadens sicher bestimmbar ist, besteht ein Auskunftsanspruch. Dieser kann – zur Minimierung des Prozessrisikos – im Wege der Stufenklage geltend gemacht werden.
43II.
44Die Klage ist – auf der ersten Stufe – auch begründet.
451.
46Der Kläger hat gegen die Beklagte als Nebenanspruch aus §§ 631, 259 BGB einen Anspruch auf Rechenschaft über die Verteilung von mindestens 90 % der Zeitschrift „O H“ am 30.04.2010 bzw. 03.05.2010 in dem vertraglich vereinbarten Gebiet.
47a)
48Bei dem zwischen den Parteien über die Verteilung der Zeitschriften geschlossenen Vertrag handelt es sich um einen Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB, bei dem ein „Erfolg“, nämlich die Verteilung von rund 222.000 Exemplaren der Zeitschrift „O H“ in den Haushalten der T B mit Ausnahme von B1 am 30.04.2010 bzw. 03.05.2010, geschuldet war.
49b) Es besteht der begründete Verdacht, dass die Verteilung der Zeitschriften durch die Beklagte nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erfolgt ist.
50Beruft sich ein Kunde eines Zustellunternehmens auf mangelnde Erfüllung, muss er angesichts der Besonderheiten des Massengeschäfts bei der Verteilung von Werbung/Flyern zunächst Anhaltspunkte dafür substantiieren, dass die Wurfsendungen tatsächlich nicht oder nur lückenhaft verteilt worden sind (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26.09.2006, 3 U 34/06, juris). An die Darlegungs- und Beweismodalitäten sind aus Praktikabilitätsgründen keine allzu strengen Anforderungen zu stellen (OLG Schleswig-Holstein, a. a. O. m. w. N.). Dies bedeutet in der Konsequenz insbesondere, dass der klagende Kunde verpflichtet ist, zunächst Anhaltspunkte dafür zu liefern, dass die Verteilung tatsächlich nicht ordnungsgemäß erfolgt ist (OLG Schleswig-Holstein, a. a. O.).
51Vorliegend hat die Klägerin ausreichend Verdachtsmomente vorgelegt, die die Besorgnis einer nicht ordnungsgemäßen Ausführung des Vertrags begründen.
52Entsprechend ihrer – zwischen den Parteien nicht streitigen – ersten „Hochrechnung“ aufgrund einer Email-Umfrage unter 340 Mitgliedern des Klägers am 06.05.2010 und mithin nur wenige Tage nach der Verteilung ergab, dass mindestens 70 der Angeschriebenen die Zeitschrift nicht erhalten haben. Dies entspricht einem Anteil von gut 20% der Befragten und übersteigt damit deutlich die vorliegend vertraglich zugelassene Streubreite von 10 %. Eine weitere Fragebogenaktion unter den 450 im Städtegebiet B lebenden Mitgliedern des Klägers führte zu einer vergleichbaren Quote. Demnach hatten 95 der Befragten keine Zeitschrift erhalten (ebenfalls gut 20 %). Eine kurze Begehung des Gebiets B-L sowie der N-Allee in B durch die Geschäftsführerin des Klägers gemeinsam mit einem Beauftragten der Beklagten deckte ebenfalls diverse nicht belieferte Haushalte auf.
53In Ansehung dieser Maßnahmen hat sich der Kläger ausführlich darum bemüht, die Verteilung der Zeitschrift im Rahmen seiner Möglichkeiten zu überprüfen. Insbesondere stand dem Kläger bzw. seinem Kreisverband lediglich der Weg offen, Anhaltspunkte aus den Auskünften seiner Mitglieder zu gewinnen.
54Es ist nicht ersichtlich, welche Möglichkeiten darüber hinaus dem Kläger zur Verfügung gestanden hätten, noch weitere Indizien darzubringen. Insbesondere kann es, anders als der Vortrag des Streitverkündeten vermuten lässt, dem Kläger zum Beleg eines Mangels der Leistung nicht zugemutet werden nachzuweisen, dass die Anzahl der nicht verteilten Exemplare die Menge eines Streuverlusts von 10% übersteigt.
552)
56Der Beklagten und der Streitverkündeten ist es nicht gelungen, die vom Kläger substantiiert dargelegten Indizien für eine lückenhafte Verteilung zu entkräften. Die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Verteilung der Zeitschriften liegt nunmehr nämlich bei der Beklagten (LG Karlsruhe, Urteil vom 19.06.1989 – Az: O 156/88 KfH III, juris, Tz 21; OLG Schleswig-Holstein, a. a. O.).
57Soweit die Streitverkündete die Echtheit der von dem Kläger vorgelegten Emails und Unterschriftslisten bestreitet, erfolgt dieses Bestreiten ins Blaue hinein und ist damit unbeachtlich. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Rückläufer aus den Reihen der Mitglieder des Klägers bewusst falsche Auskünfte geben oder gar seitens des Klägers selbst manipuliert worden sein könnten. Sämtliche Reklamanten sind dem Beklagten und der Streitverkündeten mit Namen und Adressen sowie ihren Emails oder Einträgen in den Listen zugänglich gemacht worden. Die Streitverkündete hat für keinen einzigen Fall den Tatbestand einer Fälschung dargelegt.
58Unerheblich ist insoweit, ob die Angaben der Parteimitglieder in dem Bewusstsein getätigt wurden, dass diese später einmal in einem Rechtsstreit Relevanz haben würden. Der Kläger war bereits aufgrund der vertraglichen Vereinbarung mit der Beklagten nicht gehalten, die Reklamanten vorab darüber zu belehren, in welchem Kontext ihre Angaben möglicherweise einmal Bedeutung gewinnen konnten.
59Soweit die Streitverkündete außerdem einwendet, von den vom Kreisverband des Klägers genannten angeblich nicht belieferten Adressen seien eine nicht unbedeutende Zahl Falschmeldungen gewesen, so schwächt das den Wert der vorliegenden Indizien für eine lückenhafte Verteilung nicht entscheidend ab. Denn zum Einen dienten die Reklamationen und Beanstandungen gerade der Überprüfung der Vorwürfe, dass die Adressen tatsächlich nicht beschickt worden sind, wie auch im Wortlaut der diesbezüglichen Emails zum Ausdruck kommt. Eine Widerlegung der Vorwürfe lag damit durchaus im Bereich dessen, was der Kläger erwartete.
60Dass sich außerdem bei 25 durch den Streitverkündeten überprüften Adressen „auf den ersten Blick“ 11 als Falschmeldungen herausstellten, entschuldigt nicht, dass bereits in dieser kleinen Stichprobe über 50% nicht belieferter Haushalte registriert werden können. Diesem Eindruck steht auch nicht entgegen, dass nach Angaben des Streitverkündeten bei diesen Adressen keine persönliche Befragung stattgefunden hat. Für deren Nichtdurchführung liefert er keine Begründung.
61Auch der Einwand, die Umfragen unter den Mitgliedern des Kreisverbandes des Klägers seien deshalb nicht glaubwürdig, weil aufgrund des Zeitraums zwischen Verteilung und Umfrage teilweise mehr als eine Woche vergangen sei, kann nicht überzeugen. Hier gilt nicht ohne weiteres, dass das Erinnerungsvermögen an Werbeprospekte in der Regel eher gering ist. Denn die Umfragen beschränkten sich gerade auf die Mitglieder des Kreisverbandes des Klägers. Zumindest für einen Teil dieser Personen dürfte es sich bei der Zeitung nicht nur um nebensächliches Prospekt, sondern um ein Schreiben von gewissem Interesse gehandelt haben, dem man im Zuge der anstehenden Landtagswahl Aufmerksamkeit schenkt.
62Die Rückmeldungsquote der Umfragen liegt bei gut 20%. 70 – 80 % der Befragten antworteten nicht. Dies legt nahe, dass es sich bei den 20% um eine – nicht unerhebliche – Anzahl von Mitgliedern handelt, die sich tatsächlich wegen eines besonderen Interesses an der Zeitschrift an deren Verteilung erinnern konnten.
633)
64Die Verpflichtung zur Rechnungslegung entfällt auch nicht, weil der Beklagten eine solche unmöglich wäre. Einer Rechnungslegungspflicht steht nicht entgegen, dass die Beklagte die Werkleistung nicht höchstpersönlich erbracht hat und auch nicht selbst erbringen musste. Denn der Einsatz von Subunternehmern, der vorliegend nach den vertraglichen Regelungen II. 10) möglich war, entbindet die Beklagte nicht von der Verpflichtung, ihren Subunternehmer zu überwachen und durch entsprechende Nachkontrollen sicherzustellen, dass sie ihre – durch den Nachunternehmer ausgeführte – eigene Verpflichtung aus dem Werkvertrag gegenüber dem Kläger tatsächlich ordnungsgemäß erfüllt hat. Diese Verpflichtung war der Beklagten auch bewusst. Denn sie hat in ihrem Werbeprospekt „Direktverteilung bundesweit“ unter „Qualitätsstandards“ selbst ausgeführt: „Dabei bleiben wir für Sie immer der direkte Ansprechpartner, der den Überblick über die Verteilung ihrer Werbemittel behält.“ Ein solcher Überblick besteht jedoch nur dann, wenn die Beklagte auch die Zustellung der Wurfsendungen an die Endabnehmer durch Kontrollen überprüft und sicherstellt.
654)
66Die Verpflichtung zur Rechnungslegung ist auch nicht bereits durch die Angaben im Prozess und die von der Streithelferin übergebenen Kontrollbögen erfüllt.
67Zum Einen weisen die Ausführungen der Beklagten bzw. der Streithelferin im Verfahren Widersprüche auf und genügen nicht den Anforderungen an eine Rechnungslegung. Zu Recht weißt der Kläger etwa darauf hin, dass in einem Fall (bezogen auf F) ein Kontrollgang unmöglich, wie von der Beklagten angegeben, am 30.04.2010 erfolgt sein kann, wenn die Verteilung dort erst am 03.05.2010 durchgeführt worden ist. Darüber hinaus widersprechen sich die Angaben der Beklagten und ihrer Subunternehmerin hinsichtlich der Zahl der Unterauftragnehmer. So ist im Schriftsatz der Beklagten vom 09.02.2011 von sieben Verteilerfirmen zu lesen, im Schriftsatz des Streitverkündeten vom 04.05.2011 dagegen nur noch von dreien.
68Auch die überreichten Kontrollbögen genügen dem Rechenschaftserfordernis nicht. Zum einen stellt es keine aussagekräftige Kontrolle dar, wenn die Verteiler der Zeitschriften sich – wie hier geschehen - selbst kontrollieren. Zum Anderen umfassen die Bögen eine so geringe Anzahl von Haushalten, dass hier ein ausreichender Kontrollumfang nicht angenommen werden kann. Legt man eine Pflichtverteilung von nur 70 % der Zeitschriften zugrunde, hätte es für eine statistisch sichere Bestätigung dieser Aussage einer Kontrollstichprobe von ca. 8.000 Haushalten (5 %) bedurft. Angesichts eines Gesamtumfangs des Auftrags von gut 222.000 Zeitungsexemplaren und dem Ausmaß des Städtegebiets B erscheint schon eine Überprüfung dieser 8.000 Haushalte (= 3,6 %) als nicht unangemessen. Dies gilt umso mehr, als dass die Beklagte nach ihrer eigenen Werbung über ein eigenes Call-Center verfügt, das Reklamationen und Beanstandungen umgehend nachgehen kann. Ist man aber auch hier großzügig und verlangt aus Gründen der Praktikabilität zugunsten der Verteilungsunternehmen lediglich eine Kontrolle der Hälfte der statistisch angemessenen Kontrollstichprobe (= 4.000 Haushalte), so bleiben die von der Beklagten genannten 910 „Sichtkontrollen“ dahinter immer noch weit zurück. Auch 25 Kontrollen „auf den ersten Blick“ durch den Streitverkündeten erscheinen in Ansehung des Gesamtauftrags als eine sehr deutlich darunter liegende Zahl.
695)
70Der Kläger ist mit seinem Verlangen nach Rechenschaft auch nicht dadurch präkludiert, dass die Auftragsbestätigung, datiert auf den 17.03.2010, unter im Abschnitt „Sonstiges“ und dort unter expliziter Bezugnahme auf die entsprechende AGB-Klausel „Punkt II. Beanstandungen/Reklamationen“ festlegt, dass evtl. Reklamationen bis spätestens Dienstag, 8.00 h, nach der Verteilung an die Beklagte erfolgen müssen.
71a)
72Zum Einen ist diese Vertragsklausel widersprüchlich, da sie einerseits ausdrücklich auf Ziffer II. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten Bezug nimmt - in der eine Reklamationsfrist von 3 Tagen ab Verteilung normiert wird -, andererseits jedoch hinsichtlich der konkreten Verteilung der Zeitschrift „O H“ am 03.05.2010 die Reklamationsfrist auf nicht einmal einen (ganzen) Tag abkürzt. Theoretisch war eine Verteilung der Wurfsendung bis zum 03.05.2010, 24.00 Uhr, geschuldet. Damit verkürzte sich die Frist zur Geltendmachung von Mängeln auf 8 Stunden.
73Wird in einem Vertragswerk vom Verwender eine widersprüchliche Klausel verwandt (einerseits Reklamationsfrist 3 Tage, andererseits Frist von 8 – 24 Stunden), so geht diese Widersprüchlichkeit zu Lasten des Verwenders.
74b)
75Zum Anderen ist die Vertragsklausel aber auch gemäß § 307 BGB unwirksam, weil sie den Kläger unangemessen benachteiligt.
76Bei der Klausel handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung. Dem Einwand der Beklagten, dabei handele es sich dabei um eine Individualabrede, die nicht der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliege, kann nicht gefolgt werden.
77Die gesonderte Aufführung auf der Auftragsbestätigung ist unschädlich. Gem. § 305 I 2 BGB kommt es auf das äußere Erscheinungsbild einer Klausel – Integration in die Vertragsurkunde, Schriftart und dergleichen – nicht an. Auch Ergänzungen der Vertragsurkunde sind AGB und unterfallen der entsprechenden Inhaltskontrolle, wenn auch sie Ausdruck der einseitigen Gestaltungsmacht des Verwenders sind (BGH, Urteil vom 30.10.1991 – Az: VIII ZR 51/91). Die hier gewählte Formulierung der Klausel ist unter Zugrundelegung dieser Überlegungen nur so zu verstehen, dass es sich hierbei um keine gesonderte Individualabrede zwischen den Parteien handelt, sondern um eine Ergänzung zu einer AGB-Klausel, die von der Beklagten einseitig festgesetzt wurde. Sie soll – wie sich aus der Bezugnahme auf Ziffer II. der AGB ergibt - eine Ergänzung oder Änderung zu der AGB-Klausel darstellen. Auch wurde sie nicht zwischen den Parteien ausgehandelt, sondern auf der Auftragsbestätigung einseitig durch die Beklagte gesetzt. Daran ändert auch nichts, dass die Beklagte mit Übersendung der Auftragsbestätigung nochmal auf eine Reklamationsfrist bis Dienstag, 8.00 Uhr, hingewiesen hat. Ein Verhandeln der Parteien über diese Klausel kann darin nicht gesehen werden.
78Die Klausel benachteiligt den Kläger – der keine Kaufmannseigenschaft besitzt - unangemessen.
79Die Verteilung der Werbezeitschrift erfolgte am 30.04.2010, einem Samstag, bzw. am 03.05.2010, einem Montag. Ungeachtet der Tatsache, dass schon eine Beanstandungsfrist von drei Tagen als zu kurz angesehen werden kann (vgl. LG Karlsruhe aaO, Tz 34), ist es als geradezu unmöglich anzusehen, gleichsam über Nacht von Montag auf Dienstagmorgen, 8.00 h festzustellen, ob die Durchführung der vereinbarten Leistung vertragsgemäß erfolgt ist. Dies gilt vorliegend umso mehr, als vertraglich nicht vereinbart war, welche konkreten Gebiete an welchem konkreten Tag beliefert werden sollten und der Kläger daher gar nicht eruieren konnte, hinsichtlich welcher Gebiete die Reklamationsfrist bereits am Freitag Abend begann.
80.
81III.
82Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO. Die Höhe der Sicherheitsleistung bemisst sich nach den geschätzten Kosten der Rechnungslegung.
83H2
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