Urteil vom Landgericht Aachen - 9 O 164/11
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar
1
Tatbestand
2Die Klägerin begehrt von der Beklagten Erstattung von Versicherungsprämien.
3Die Parteien waren durch zwei fondsgebundene Rentenversicherungen mit den Versicherungsschein-Nummern ### <im Folgenden: Vertrag Nr. 57> und ### <im Folgenden: Vertrag Nr. 17>) miteinander verbunden.
4*
5Den Vertrag Nr. 57 (sog. Start-Ziel-Renten-Police) schlossen die Parteien aufgrund des Antrags der Klägerin vom 28.06.2000 mit Wirkung zum 01.09.2000. Das Ende der Beitragszahlung war vereinbart auf den 31.08.2045. Die monatliche Prämie betrug 160,00 DM (entspricht: 81,81 €). Auf der letzten Seite des Antragsformulars findet sich unter der Überschrift „Empfangsbestätigung des Antragstellers zur Start-Ziel-Renten-Police“ folgender Text:
6Hiermit bestätige ich, dass mir die maßgeblichen Versicherungsbedingungen (vgl. „Tarife und maßgebliche Versicherungsbedingungen“ ...) und die „Verbraucherinformationen“ zu meiner Start-Ziel-Renten-Police ... vor der Unterzeichnung des Antrags ausgehändigt worden sind.
7Darunter heißt es unter der Überschrift „Wichtige Hinweise“:
8„... Bei der Start-Ziel-Renten-Police können Sie innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins vom Versicherungsvertrag zurücktreten oder ihm widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung beziehungsweise des Widerspruchs (§ 8 AVB). ...“
9Beide Textteile hatte die Klägerin auf unmittelbar darunter befindlichen Zeilen eigenhändig unterschrieben.
10Weitere Belehrungen über Rücktritts- und Widerspruchsrechte des Versicherungsnehmers enthält § 8 der „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die fondsgebundene Lebensversicherung“
11"§ 8 Können Sie vom Versicherungsvertrag zurücktreten oder ihm widersprechen?
12(1) Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach dem Empfang des Versicherungsscheins uns gegenüber von diesem Vertrag schriftlich zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung. In jedem Fall erlischt Ihr Rücktrittsrecht einen Monat nach Zahlung des ersten Beitrags. Sofern Sie allerdings bei der Antragstellung die im folgenden Absatz genannten Versicherungsunterlagen nicht vollständig erhalten haben, steht Ihnen anstelle des Rücktrittsrechts das nachfolgende Widerspruchsrecht zu.
13(2) Haben wir Ihnen bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) unterlassen, so können Sie dem Vertrag uns gegenüber schriftlich widersprechen. Die Frist zur Ausübung Ihres Widerspruchs beträgt 14 Tage und beginnt erst mit dem Zeitpunkt, zu dem Sie von uns Ihren Versicherungsschein und die genannten Unterlagen vollständig erhalten haben. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs. In jedem Fall erlischt das Recht zum Widerspruch ein Jahr nach Zahlung des ersten Beitrags. Wenn Sie nicht widersprechen, gilt der Vertrag mit dem Zugang des Versicherungsscheins auf der Grundlage des Inhalts des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und den für Sie maßgeblichen Verbraucherinformationen als geschlossen.“
14Ziffer 8 der Verbraucherinformationen lautet
15Können Sie nach Abschluss des Versicherungsvertrages noch vom Vertrag zurücktreten oder ihm widersprechen?
16Dem Versicherungsvertragsgesetz zufolge haben Sie das Recht, innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins vom Vertrag entweder zurückzutreten oder ihm zu widersprechen. Das Rücktrittsrecht steht Ihnen dann zu, wenn wir bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen übergeben haben (wie geschehen) und Sie vor Vertragsabschluss die vollständige Verbraucherinformation nach § 10a Versicherungsaufsichtsgesetz einschließlich der garantierten Rückkaufswerte und beitragsfreien Verrentungsnummern zu Ihrem Vertrag (vgl. Nr. 14) erhalten haben. Sofern wir Ihnen diese Informationen erst bei Aushändigung des Versicherungsscheins übermitteln, haben sie anstelle des Rücktrittsrechts ein Widerspruchsrecht. Im Einzelnen verweisen wir auf § 8 AVB; insbesondere finden Sie dort genaue Angaben über Beginn und Ablauf der jeweiligen Frist.“
17Wegen des weiteren Inhalts des Versicherungsantrags, der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen wird auf die der Klageerwiderung beigefügten Anlage B 2 bis B 4 Bezug genommen.
18Nach Eingang des Antrags bei der Beklagten übersandte diese der Klägerin den am 10.07.2000 ausgestellten Versicherungsschein. Darin heißt es auf Seite 12 unter der Überschrift „VERSICHERUNGSBEDINGUNGEN“
19„ Für das Versicherungsverhältnis gelten folgende Bedingungen:
20Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Fondsgebundene Rentenversicherung“
21Wegen des weiteren Inhalts des Versicherungsscheins wird auf die der Klageerwiderung beigefügte separate Anlagen B 1 verwiesen.
22*
23Den Vertrag Nr. 17 schloss aufgrund Antrags vom 09.02.1998 zunächst der Vater der Beklagten ab. Ausweislich des Versicherungsscheins vom 31.03.1998 war Versicherungsbeginn der 01.03.1998. Die Versicherung sollte enden am 28.02.2023. Die monatliche Prämie betrug 60 DM (entspricht: 30,68 €). Zum 07.12.2004 wurde der Versicherungsvertrag auf die Klägerin übertragen.
24Das Antragsformular zum Vertrag Nr. 17 enthält am Ende ein „Empfangsbekenntnis des Antragstellers“. Darin heißt es
25„Hiermit bestätige ich, dass mir die maßgeblichen Versicherungsbedingungen (vergleiche "Tarife und maßgebliche Versicherungsbedingungen“ Seite 4) vor der Unterzeichnung des Antrags ausgehändigt worden sind.
26Sodann heißt es unter der Überschrift „wichtige Hinweise“
27...
28„Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins vom Versicherungsvertrag zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung ...“
29Unter beiden Textteilen finden sich die eigenhändigen Unterschriften des Antragstellers.
30Des Weiteren heißt es in § 4 AVB
31„Können Sie vom Versicherungsvertrag zurücktreten?
32„Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Empfang des Versicherungsscheins uns gegenüber von diesem Vertrag zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung. In jedem Fall erlischt Ihr Rücktrittsrecht einen Monat nach Zahlung des ersten Beitrags.“
33Wegen des weiteren Inhalts der maßgeblichen Vertragsunterlagen wird auf die Anlagen zur Klageerwiderung Bezug genommen.
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35Ungeachtet der in beiden Verträgen angegebenen Empfangsbekenntnisse der Antragsteller hinsichtlich des Erhalts der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen ist zwischen den Parteien ist streitig, ob mit dem Antrag noch vor dessen Unterzeichnung die von der Beklagten verwendeten allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen übergeben worden sind.
36*
37Mit Schreiben 23.07.2009 kündigte die Klägerin die beiden streitgegenständlichen Versicherungsverträge, woraufhin die Beklagte jeweils Abrechnung erteilte und an die Klägerin auf den Vertrag Nr. 57 einen Rückkaufwert in Höhe von 2.178,92 und für den Vertrag Nr. 17 unter Berücksichtigung eines der Klägerin zwischenzeitlich zur Verfügung gestellten Policendarlehens einen Betrag von 318,94 € auskehrte.
38Mit Schreiben vom 12.05.2010 wandten sich die (jetzigen) Bevollmächtigten der Klägerin unter der Nummer des Vertrags Nr. 57 an die Beklagte und erklärte u.a. Folgendes:
39"…
40Nachdem unsere Mandantschaft über ihr Widerspruchsrecht bei Vertragsschluss nicht ordnungsgemäß aufgeklärt wurde, steht ihr ein solches unbefristet zu. Namens und im Auftrag unserer Mandantschaft erklären wir deshalb den
41Widerspruch
42bezüglich des o.g. Vertrages.
43...“
44Wegen des weiteren Inhalts des Schreibens vom 12.05.2010 wird auf die Anlage K 1 zur Klageschrift Bezug genommen.
45*
46Die Klägerin verlangt hinsichtlich beider Verträge jeweils die Differenz zwischen dem Rückkaufswert und den geleisteten Prämien zuzüglich Zinsen in Höhe von 7 % auf alle eingezahlten Prämien. Ihre diesbezüglichen Forderungen berechnet sie wie folgt:
47Vertrag Nr. 17
48Summe aller eingezahlten Prämien 2.485,08 €abzgl. Rückkaufswert 1.917,07 €Differenz 568,01 €zzgl. Zinsen auf alle Prämien 1.926,93 €Klageforderung 2.494,94 €
49Vertrag Nr. 57
50Summe aller eingezahlten Prämien 7.304,73 €abzgl. Rückkaufswert 2.178,92 €Differenz 5.125,81 €zzgl. Zinsen auf alle Prämien 3.981,66 €Klageforderung 9.107,47 €
51Die Klägerin ist der Ansicht, die Beiträge (Prämien) seien insgesamt zurückzufordern, weil der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag (von Anfang an) nicht wirksam zustande gekommen sei. Dies folge aus der Unvereinbarkeit des nach Maßgabe von § 5 a VVG a.F. auf der Grundlage des so genannten „Policen-Modells“ durchgeführten Vertragsschlusses mit gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften. Soweit die Beklagte geltend mache, die Verträge seien nach dem sogenannten Antragsmodell geschlossen worden, stehe dem entgegen, dass den Antragstellern die maßgeblichen Vertragsunterlagen gerade nicht vor der Antragstellung und auch zu keinem späteren Zeitpunkt ausgehändigt worden seien. § 5 a VVG a.F. gestatte, dass allgemeine Versicherungsbedingungen und sonstige Vertragsinformationen erst mit der Annahme eines Angebots des Versicherungsnehmers durch den Versicherer übermittelt und zum Gegenstand des Versicherungsvertrages gemacht werden. Wolle sich der Versicherungsnehmer auf die ihm jetzt erst bekannt gemachten Inhalte nicht einlassen, sei er gezwungen, den Versicherungsvertrag innerhalb der von § 5 a VVG a.F. bestimmten Fristen zu widerrufen. Dies verstoße gegen Artt. 35, 36 der sogenannten "Lebensversicherungsrichtlinie" vom 05.11.2002 in Verbindung mit deren Anhang III, die vorschrieben, dass dem Versicherungsnehmer vor Abschluss des Versicherungsvertrages u.a. die Modalitäten der Ausübung des Widerrufs- und Rücktrittsrechts mitzuteilen seien. Durch § 5 a Abs. 1 VVG werde bewirkt, dass der Versicherungsnehmer dem Abschluss des Lebensversicherungsvertrages binnen einer Frist von 14 Tagen widersprechen müsse, nachdem er erfahren habe, dass der Vertrag abgeschlossen worden sei. Schon der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht führe dazu, dass ein nach dem Policen-Modell geschlossene Vertrag von Anfang an unwirksam sei.
52Die (rückwirkende) Unwirksamkeit des Versicherungsvertrages ergebe sich jedenfalls daraus, dass - ungeachtet des Ablaufs aller in § 5 a VVG a.F. genannten Fristen - dem Versicherungsvertrag durch das Rechtsanwaltsschreiben vom 10.05.2010 widersprochen worden sei. Die Versäumung der Frist von einem Jahr nach Zahlung der ersten Prämie nach § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. sei ebenfalls im Hinblick auf den Verstoß gegen die dem nationalen Recht vorrangige Regelung in Art. 36 Abs. 1 der Lebensversicherungsrichtlinie irrelevant. Über dieses Rücktrittsrecht müsse der Versicherungsnehmer belehrt werden. Ohne eine vor Vertragsschluss erfolgte entsprechende Belehrung über das Widerspruchsrecht begännen die Widerspruchsfristen nach § 5 a VVG a.F. nicht zu laufen mit der Folge, dass der Widerspruch zeitlich unbefristet ausgeübt werden könne.
53Die Klägerin vertritt weiterhin die Auffassung, die Verträge seien infolge Widerrufs nach § 355 BGB (a.F.) unwirksam mit der Folge, dass jedenfalls unter diesem Aspekt die gezahlten Beiträge wegen ungerechtfertigter Bereicherung der Beklagten zurückfordert werden könnten. Bei der Vereinbarung der unterjährlichen Zahlungsweise handele es sich um einen entgeltlichen Zahlungsaufschub im Sinne von § 499 Abs. 1 BGB und damit um eine Kreditierung im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1 PAngV. Das Widerrufsrecht sei nach Maßgabe von § 355 Abs. 2 BGB fristgerecht und damit wirksam ausgeübt worden, weil mangels ordnungsgemäßer Belehrung der Klägerin über das Widerrufsrecht eben dieses Recht nicht erloschen sei.
54Schließlich vertritt die Klägerin die Auffassung, ihr stehe nach Maßgabe der sogenannten „Kickback“-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch in Höhe der geleisteten Prämien zu. Die Beklagte habe sie als Verbraucherin bei den Vertragsabschlüssen jeweils nicht darüber informiert, dass sie von den Fonds, in die sie (die Beklagte) die Prämien der Versicherungsnehmer investiere, Rückvergütungen (sog. Kick-backs) erhalte. Dadurch sei es den Antragsstellern der beiden hier in Rede stehenden Verträge bei Vertragsschluss nicht möglich gewesen zu überblicken, in welchem Umfang durch derartige Rückvergütungen das Eigeninteresse der Beklagten am Vertragsschluss beeinflusst worden sein mag. Die zu Aktienfonds und Medienfonds ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei auf Versicherungsprodukte entsprechend anwendbar. Entsprechend der Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens im Falle einer Aufklärung sei davon auszugehen, dass der Versicherungsvertrag nicht geschlossen worden wäre und daher Prämien nicht gezahlt worden wären.
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56Die Klägerin beantragt,
571. die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.602,41 € nebst Zinsen in Höhe von 7 Prozentpunkt seit dem 27.05.2010 zu zahlen,
582. die Beklagte zu verurteilen, an sie Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 1.213,09 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
59Die Klägerin regt - unter Konkretisierung von Fragestellungen - hilfsweise an,
60die Sache gemäß Art 267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
61Die Beklagte beantragt,
62die Klage abzuweisen.
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64Die Beklagte hält den zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag für anfänglich wirksam. Sie behauptet, der Klägerin seien sämtliche Klauselwerke und Verbraucherinformationen und damit die Belehrungen über Rücktritts- und Widerspruchsrechte mit dem Versicherungsschein ausgehändigt worden.
65Die Beklagte vertritt die Ansicht, der mit Schreiben vom 30.08.2010 erklärte Widerspruch sei gemäß § 5 a VVG a.F., der nicht gegen Europarecht verstoße, verfristet. Sie ist weiterhin der Ansicht, § 355 BGB sei auf den Vertrag der Parteien nicht anwendbar. Die Vereinbarung einer unterjährlichen Zahlung begründe keinen Verbraucherkredit.
66Auch ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer Pflicht zur Aufklärung über Prämienrückvergütungen bestehe nicht. Die sog. Kick-back-Rechtsprechung zum Kapitalanlagerecht lasse sich auf Versicherungsprodukte nicht übertragen.
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68Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Parteivorbringens zur Tatsachen- und Rechtslage wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
69Entscheidungsgründe
70I.
71Die zulässige Klage ist unbegründet.
721. Vertrag Nr. 17
73Wegen des Vertrages Nr. 17 hat die Klägerin schon deshalb über den bereits ausgezahlten Rückkaufwert hinaus keine weiteren Rückzahlungsansprüche, weil wegen dieses Vertrages seitens der Klägerin ein Widerspruch nicht erklärt worden ist. Das von der Klägerin insoweit in Bezug genommene außergerichtliche Anwaltsschreiben bezieht ausdrücklich nur auf den Vertrag Nr. 57. Nur dessen Vertragsnummer ist erwähnt. Grammatisch stimmig ist in dem Schreiben auch immer nur von einem Vertrag die Rede. Ein vergleichbares Widerspruchsschreiben für den Vertrags Nr. 17 hat die Klägerin nicht vorgelegt.
74Soweit man in den Klagevorbringen einen konkludent erklärten Widerspruch auch des Vertrages Nr. 17 hinein lesen möchte gelten die nachfolgenden, den Vertrag Nr. 57 betreffenden Ausführungen zur Wirkungslosigkeit des Widerspruchs entsprechend.
752. Vertrag Nr. 57
76Die Klägerin hat gegen die Beklagte aufgrund der mit Schreiben vom 10.05.2010 erklärten Rechtsbehelfe keine Ansprüche auf Rückzahlung von Prämien und Zinsleistungen.
77a) Anspruch auf Rückzahlung von Prämien
78aa) Ein Anspruch auf Rückzahlung von Prämien ergibt sich nicht aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB. Die Prämien sind stets und dauerhaft mit Rechtsgrund gezahlt worden. Dabei kann dahin stehen, ob der Klägerin die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen der Beklagten mit den darin enthaltenen Belehrungen über Rücktritts- und Widerspruchsrechte des Versicherungsnehmers zugeleitet worden sind. Das von der Klägerin im Antragsformular 01.09.2000 gesondert unterschriebene Empfangsbekenntnis spricht zwar stark für den Erhalt dieser Unterlagen mit Zusendung des Versicherungsscheins, zumal die Klägerin keine Erklärung dafür gegeben hat, warum sie diese Empfangsquittung der Wahrheit zuwider abgegeben haben will. Aber selbst wenn man davon ausgehet, dass die Klägerin nicht über das Widerspruchsrecht belehrt worden ist, ist der hier in Rede stehende Versicherungsvertrag weder ipso iure wegen Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen, noch wegen fristgerechter Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 5 a Abs. 1 VVG a.F. (von Anfang) unwirksam gewesen.
79(1) Der zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag war nicht von Anfang an wegen Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen, namentlich wegen Verstoßes gegen Art. 36 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.11.2002 über Lebensversicherungen (im Folgenden: Richtlinie 2002/83/EG) in Verbindung mit deren Anhang III unwirksam. Die genannten Bestimmungen schreiben vor, dass dem Versicherungsnehmer vor Abschluss des Versicherungsvertrages u.a. die Modalitäten der Ausübung des Widerrufs- und Rücktrittsrechts mitzuteilen sind.
80(a) Auch ein nach Maßgabe von § 5 a VVG a.F. nach dem sogenannten Policenmodell bewirkter Vertragsschluss wird der Zielsetzung der Richtlinie 2002/83/EG gerecht. Nach § 5 a Abs. 1 (S. 2), Abs. 2 S. 1 VVG a.F. gilt ein Lebensversicherungsvertrag auf der Grundlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Versicherers und seiner weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, sofern der - entsprechend belehrte - Versicherungsnehmer dem Vertrag nicht binnen 14 Tagen nach Überlassung der Klauselwerke widerspricht. Die Zielsetzung von Art. 36 der Richtlinie 2002/83/EG, den Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss über die Versicherungsbedingungen zu unterrichten, wird auch durch einen Vertragsschluss nach dem Policenmodell erreicht. Denn nach der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum, der die Kammer folgt, ist der Vertrag bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist schwebend unwirksam (OLG Köln VuR kompakt 2010, 181; OLG Frankfurt VersR 2005, 631; OLG Düsseldorf VersR 2001, 837; Prölss, in: Prölss/Martin, 27. Aufl. 2004, § 5 a Rn. 9; Römer, in: Römer/Langheid, 2. Aufl. 2003, § 5 a Rn. 24; Schwintowski, in: Berliner Kommentar zum VVG, 1999, § 5 a Rn. 78; jeweils m.w.N.). Der Vertrag kommt entsprechend § 184 Abs. 1 BGB rückwirkend zustande, wenn der Versicherungsnehmer ihm nicht innerhalb der Widerspruchsfrist widerspricht (Prölss, a.a.O., § 5 a Rn. 10; Römer, a.a.O., § 5 a Rn. 25 m.w.N.). Da die Widerspruchsfrist erst mit Übermittlung der Verbraucherinformation zu laufen beginnt, gewährleistet das Policenmodell, dass der Versicherungsnehmer an seine mit dem Versicherungsantrag abgegebene Willenserklärung erst nach Übermittlung der Verbraucherinformation gebunden ist. Das Ziel der Richtlinien ist somit auch beim Vertragsschluss nach § 5 a VVG a.F. erreicht (Prölss, a.a.O., § 5 a Rn. 7; Lorenz, VersR 1995, 616).
81(b) Selbst wenn der Klägerin, die Klauselwerke zu keinem Zeitpunkt überlassen worden sein sollten, steht dies hier einem wirksamen, weil mit dem EG-Recht konformen Vertragsschluss nicht entgegen. Denn jedenfalls mit Ablauf der in § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. normierten Ausschlussfrist von einem Jahr nach Zahlung der ersten Prämie wurde der Vertrag im Januar 2002 rückwirkend wirksam. Zwar ist ein solchermaßen begründeter Vertragsschluss mit dem Inhalt von Art. 36 der Richtlinie 2002/83/EG nicht in Einklang zu bringen. Gleichwohl ist von der rechtlichen Maßgeblichkeit von § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. im vorliegenden Fall auszugehen.
82(aa) Zweifelhaft ist bereits, ob den Richtlinien, auf die sich die Klägerin beruft, eine horizontale Direktwirkung zwischen Privatrechtssubjekten zukommt. Grundsätzlich sind europäische Richtlinien zwischen Privatpersonen nicht unmittelbar anwendbar, sondern bedürfen einer Umsetzung in nationales Recht. Insofern sieht Art. 249 Abs. 3 EGV bzw. Art. 288 Abs. 3 AEUV ein zweistufiges Rechtssetzungsverfahren vor. Zwar erkennt der EuGH in ständiger Rechtsprechung eine unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen in eng begrenzten Ausnahmefällen – insbesondere auch im Falle der nur unzulänglichen Umsetzung einer Richtlinie – an. Das ist bei § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG aber nicht der Fall. Dazu müsste die Richtlinienbestimmung inhaltlich unbedingt und genau gefasst sein. Die hier in Rede stehenden Richtlinienbestimmungen besagen jedoch nur, dass dem Verbraucher vor Vertragsschluss Informationen zu übermitteln sind. Sie regeln jedoch nicht, welche Rechtsfolgen die unterbliebene Übermittlung nach sich zieht. Für eine Regelung wie § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. ist daher Raum.
83(bb) Im übrigen darf nach dem Kontext, in dem Art. 36 der Richtlinie 2002/83/EG steht, angenommen werden, dass durch diese Regelung den Mitgliedstaaten keine Vorgaben für das Versicherungsvertragsrecht gemacht werden sollten, sondern lediglich Vorgaben für die Regelung der Versicherungsaufsicht. Die Zielsetzung der Richtlinie 2002/83/EG wird in den ihr vorangestellten Erwägungen dahin formuliert, dass Unterschiede zwischen dem Aufsichtsrecht der verschiedenen Mitgliedsstaaten beseitigt werden sollen (vergleiche Erwägung 2 der Richtlinie 2002/83/EG). Ferner ergibt sich aus Erwägung 44, dass die Harmonisierung des für den Versicherungsvertrag geltenden Rechts keine Vorbedingung für die Verwirklichung des Binnenmarktes im Versicherungssektor sein soll. Die den Mitgliedstaaten gelassene Möglichkeit, die Anwendung ihres eigenen Rechts für Versicherungsverträge vorzuschreiben, bei denen die Versicherungsunternehmensverpflichtungen in ihrem Hoheitsgebiet eingehen, soll eine hinreichende Sicherung für die Versicherungsnehmer darstellen. Diesen Vorgaben für die Regelung der Versicherungsaufsicht hat der Gesetzgeber durch die Umsetzung in § 10 a VAG Genüge getan (Oberlandesgericht Köln VuR kompakt 2010, 181, Oberlandesgericht Frankfurt VersR 2005, 631).
84(c) Nach alledem bestehen gegen ein wirksames Zustandekommen des Versicherungsvertrages keine europarechtlichen Bedenken.
85(2) Die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages war auch nicht durch eine fristgerechte Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 5 a VVG a.F. spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie gehindert. Der seitens des Prozessbevollmächtigten der Klägerin erklärte und ausdrücklich so bezeichnete Widerspruch vom 10.05.2010 hinderte die Wirksamkeit des Vertrages nicht. Der Widerspruch war nach Maßgabe des - ausgehend von obigen Darlegungen gemeinschaftsrechtlich unbedenklichen - § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. verfristet, denn er erfolgte mehr als ein Jahr nach Zahlung der Erstprämie.
86bb) Ein Anspruch der Klägerin auf Prämienrückzahlung ergibt sich auch nicht als Schadensersatzforderung gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB.
87(1) Ein solcher Anspruch kann nicht mit Erfolg auf pflichtwidriges Verschweigen von Rückvergütungen der den Lebensversicherungsverträgen wirtschaftlich zugrunde liegenden Fonds (sog. „Kick-Back“-Zahlungen) gestützt werden. Die Beklagte war gegenüber der Klägerin nicht verpflichtet, ihn vor dem Vertragsschluss über derartige Kick-Backs zu unterrichten. Zu Unrecht geht die Klägerin davon aus, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Kick-Back-Zahlungen bei Fondsanlagevermittlungen auf Versicherungsprodukte entsprechend anwendbar ist. Nach dieser Rechtsprechung muss eine Bank, die Fondsanteile empfiehlt, darauf hinweisen, dass und in welcher Höhe sie Rückvergütungen aus Ausgabeaufschlägen und Verwaltungskosten von der Fondsgesellschaft erhält (BGH NJW 2007, 1876). Verletzt die Bank diese Aufklärungspflicht, macht sie sich gegenüber dem Anleger schadensersatzpflichtig. Diese Grundsätze sind jedoch auf den Abschluss fondsgebundener Lebensversicherungen nicht anwendbar (LG Köln v. 7.7.2010, 26 O 609/09 - juris -). Wenngleich der Kunde beim Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung durch die Auswahl des mit dem Vertrag verbundenen Investmentfonds auf die Ausgestaltung seiner Vermögensanlage Einfluss nehmen kann, schließt er ausschließlich einen Vertrag mit dem Versicherer ab. Vermittelt dagegen ein Finanzdienstleister einen Investmentfonds, wird die Kapitalanlagegesellschaft zum Vertragspartner des Kunden, der selbst Fondsanteile erwirbt. Der Kunde hat in diesem Fall ein Interesse an der Offenlegung etwaiger Kick-Back-Zahlungen, um entscheiden zu können, ob das angebotene Produkt tatsächlich seinem Interesse dient oder dem Interesse der Bank an einer hohen Rückvergütung.
88(2) Ein Schadensersatzanspruch lässt sich auch nicht auf die - zwischen den Parteien streitige - fehlende Übermittlung der Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F. stützen. Dem steht bereits entgegen, dass durch die Anerkennung eines solchen Schadensersatzanspruch die legitime Regelung des § 5 a Abs. 2 S. 4 VAG a.F. unterlaufen würde, derzufolge ein Lebensversicherungsvertrag nach Ablauf eines Jahres nach Zahlung der Erstprämie Bestand hat ungeachtet einer bis dahin unterbliebenen Übermittlung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen. Ein Schadensersatzanspruch mag allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht kommen, beispielsweise dann, wenn der Versicherer Informationen, die Aufschluss darüber geben, dass die Konditionen des verkauften Produkts im Verhältnis zu Produkten anderer Anbieter ungünstig sind, vorsätzlich zurückhält. Entsprechende Tatsachen wurden aber von der Klägerin nicht vorgetragen.
89b) Mangels Hauptanspruch steht der Klägerin gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von bereits kapitalisierten Zinsen bzw. als Nebenforderung der Ansprüche auf Prämienrückforderung in Höhe von 7 % seit dem 29.12.2009 geltend gemachten Zinsen zu.
902. Antrage zu 2 (vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten)
91Mangels vorgerichtlich geltend zu machenden Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch der Klägerin auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
92II.
93Das erkennende Gericht sieht sich aus den genannten Gründen nicht dazu veranlasst, entsprechend der Anregung der Klägerin das Verfahren gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV auszusetzen und die von der Klägerin in ihrem Antrag gestellten Fragen dem Europäischen Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorzulegen. Als erstinstanzliches Gericht ist es hierzu gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV auch nicht verpflichtet.
94III.
95Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sowie auf § 709 S. 1, 2 ZPO.
96IV.
97Der Streitwert wird auf 11.602,14 € festgesetzt:
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