Urteil vom Landgericht Aachen - 9 O 608/10
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d
2Die Parteien sind über einen privaten Unfallversicherungsvertrag miteinander verbunden. Der Vertrag wurde mit Versicherungsschein Nr. ……….. vom 22.02.2006 policiert. Vereinbart wurden u. a. ein gestaffeltes Schmerzensgeld bei Knochenbrüchen von 1.400,00 Euro, eine Sofortleistung bei schweren Verletzungen von 5.500,00 Euro sowie eine Kurbeihilfe von 1.300,00 Euro. Einbezogen wurden die AUB 2000 (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.03.2011, Bl. 91 ff.) sowie u. a. die Besonderen Bedingungen UN 4305, 4307 und 4320 der Beklagten. In den AUB war u. a. Folgendes geregelt:
3Nr. 5.1: Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle:
4Nr. 5.1.1: Unfälle der versicherten Person durch Geistes- oder Bewußtseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, sowie durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper der versicherten Person ergreifen.
5Am 12.12.2009 gegen 18:00 Uhr verunfallte die Klägerin, als sie als Fußgängerin auf dem Weg zu ihrem Freund die Landstraße C überquerte. Bevor sie losgegangen war, hatte sie sich mit ihrem Freund gestritten und Alkohol getrunken. Den Weg zu ihrem Freund, bei dem sie die Landstraße C überqueren musste, ging sie fast täglich. Auf der C ist eine Höchstgeschwindigkeit von 70 Km/h erlaubt ist. Als die dunkel gekleidete Klägerin die Landstraße erreichte, war es dunkel und die Fahrbahn war nass. Sie überquerte die Straße an einer beampelten Kreuzung, die allerdings nicht mit einer zusätzlichen Fußgängerampel ausgestattet war. Die Kreuzung war ausgeleuchtet. Auf der Mitte der Fahrbahn hielt die Klägerin kurz an. Als sie wieder losging, wurde sie vom Pkw der Frau T erfasst. Hierbei wurde die Klägerin erheblich verletzt. Sie erlitt u. a. diverse Rippen- und Beinbrüche und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Dort wurde ihr um 20:15 Uhr Blut entnommen, das eine Blutalkoholkonzentration (im Nachfolgenden: BAK) von 1,92 Promille aufwies. Die Klägerin wurde vom 02.12.2009 bis zum 15.12.2009 intensivmedizinisch behandelt. Die stationäre Behandlung dauerte bis zum 12.01.2010 an. Ein Reha- und ein Kuraufenthalt schlossen sich an. Für die Klägerin wurde eine vorläufige Betreuung mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und Vermögenssorge angeordnet.
6Die Klägerin meldete den Unfall bei der Beklagten und machte Ansprüche aus der Unfallversicherung geltend. Sie verlangte das gestaffeltes Schmerzensgeld bei Knochenbrüchen von 1.400,00 Euro, die Sofortleistung bei schweren Verletzungen von 5.500,00 Euro und die Kurbeihilfe von 1.300,00 Euro, insgesamt 8.200,00 Euro. Die Beklagte lehnte eine Regulierung unter Hinweis auf die Alkoholisierung der Klägerin zum Unfallzeitpunkt ab.
7Die Klägerin hat zunächst behauptet, bereits um 15:45 Uhr erhebliche Mengen Alkohol zu sich genommen zu haben. Zuletzt hat sie behauptet, eine Flasche trockenen Weißwein kurze Zeit vor dem Unfall per „Sturztrunk“ zu sich genommen zu haben. Da der aufgenommene Alkohol zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht vollständig resorbiert gewesen sei, habe die BAK zum Unfallzeitpunkt allenfalls 1,0 Promille betragen. Die Klägerin behauptet, sich beim Unfall nicht einem Zustand der Bewusstseinsstörung befunden zu haben. Vielmehr habe sie zunächst die Lichtzeichen der Ampelanlage aus ihrer Gehrichtung nicht erkennen können. Dann habe sie aufgrund der spiegelnden Fahrbahn und der Blendung durch die Scheinwerfer die Geschwindigkeit und Entfernung des Pkw der Frau T nicht einschätzen können. Zwar sei Frau T nicht schneller als mit 70 Km/h gefahren, aber mit den Witterungsverhältnissen unangepasster Geschwindigkeit.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.200,00 Euro zu zahlen, nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 11.03.2010, zzgl. außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 872,84 Euro.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Die Beklagte behauptet, dass die Alkoholisierung des Klägers für den Unfall ursächlich gewesen sei. Die BAK habe zum Unfallzeitpunkt mindestens 1,97 Promille betragen. Dafür spreche insbesondere, dass die Klägerin nahezu in das Fahrzeug der Frau T hineingelaufen sei.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
14Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie eines Ergänzungsgutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M vom 29.07.2011 (Bl. 116 ff.) und das Ergänzungsgutachten vom 25.11.2011 (Bl. 153 f.) verwiesen. Das Gericht hat die Akte der Staatsanwaltschaft Aachen – 511 Js 3599/10 – zu Beweiszwecken beigezogen und in kopierter Form zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
16I.
17Die zulässige Klage hat insgesamt keinen Erfolg. Der Klägerin stehen aufgrund des Unfallereignisses vom 12.12.2009 gegen die Beklagte keinerlei Ansprüche zu. Die Beklagte ist gemäß Nr. 5.1.1 AUB leistungsfrei, weil sich die Klägerin zum Unfallzeitpunkt im Zustand einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung befand, die für den Unfall zumindest mitursächlich war.
18Zum Unfallzeitpunkt war die Klägerin alkoholisiert. Der Sachverständige hat unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin überzeugend ausgeführt, dass die Resorption des Alkohols zum Unfallzeitpunkt zwar noch nicht abgeschlossen war. Gehe man von einem „Sturztrunk“ in der von der Klägerin angegebenen Quantität und Qualität aus, wären dennoch nach einer ca. 15-minütigen Resorptionsdauer auch bei einer alkoholgewohnten Person alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zu erwarten (sog. „Anflutungsphase“). Unter Anwendung der Widmark-Formel errechne sich eine BAK von 1,65 Promille. Eine Bestimmung der konkreten Blutalkoholkonzentration sei allerdings aus medizinischer Sicht nicht möglich. Dem schließt sich das Gericht vollumfänglich an. Danach steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin sich zum Unfallzeitpunkt zumindest in der Anflutungsphase befand, bei der Ausfallerscheinungen zu erwarten sind. Mithin lag eine Alkoholisierung vor.
19Die Alkoholisierung der Klägerin führte zu einer Bewusstseinsstörung, die für den Unfall zumindest mitursächlich war. Eine solche Bewusstseinsstörung liegt vor, wenn die Aufnahme und Reaktionsfähigkeit so gestört ist, dass der Versicherungsnehmer der Gefahrenlage, in der er sich jeweils befindet nicht mehr in der Weise gewachsen ist, wie die jeweiligen Verhältnisse es erfordern. Hier war zu berücksichtigen, dass die Klägerin beim Überqueren der Straße ein derart grobes Fehlverhalten gezeigt hat, das nur mit alkoholbedingten Ausfallerscheinungen zu erklären ist. So hat sie im Dunkeln eine Straße überquert, auf der eine Geschwindigkeit von 70 Km/h erlaubt ist und mit entsprechend schnell fahrenden Fahrzeugen zu rechnen ist. Aufgrund ihrer dunklen Kleidung hätte der Klägerin zudem klar sein müssen, dass sie von den Autofahrern schlecht und damit erst spät gesehen wird. Dennoch ging die Klägerin über die Straße, ohne die Ampelphase zu beachten. So hat sie angegeben, die Ampelphase nicht erkennen zu können. Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte die Klägerin die Kreuzung an einer Stelle überqueren müssen, an der sie wenigstens Sicht auf die Ampelphase für die Fahrbahn hat, die sie überqueren will. Weiter hat die Klägerin angegeben, die Geschwindigkeit und die Entfernung des Pkw der Frau T wegen der nassen Fahrbahn und den blendenden Fahrzeuglichtern falsch eingeschätzt zu haben. Dass die Klägerin trotz schlechter Sicht los ging und vor das Auto der Frau T lief, ist ebenfalls mit einer alkoholbedingten Ausfallerscheinung zu erklären. Dieses Fehlverhalten wiegt umso schwerer, als die Klägerin angegeben hat, diesen Weg fast täglich zurückzulegen. Das spricht dafür, dass sie die Straße ohne die alkoholbedingte Bewusstseinsstörung unfallfrei überquert hätte.
20II.
21Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708, 711 ZPO.
22III.
23Streitwert: 8.200,00 Euro
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