Beschluss vom Landgericht Aachen - 3 T 374/15
Tenor
Unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses und des Beschlusses des Urkundsbeamten vom 18.11.2015 wird die der Beteiligten zu 1 zustehende Beratungshilfevergütung auf insgesamt 666,40 € festgesetzt.
Die weitere Beschwerde wird zugelassen.
1
Gründe
2I.
3Der Frau P wurde am 05.08.2014 Beratungshilfe „wegen Insolvenzanmeldung“ (Bl. 5) bewilligt. In der Folge wurde die Beteiligte zu 1 für Frau P tätig und hat Schriftwechsel mit den Gläubigern geführt (Musterschreiben Bl. 35 und 36). Mit Schriftsatz vom 05.10.2015 (Bl. 3) hat die Beteiligte zu 1 für die Vertretung der Frau P in einem Schuldenbereinigungsverfahren vor Insolvenzanmeldung eine Gebühr nach RVG VV 2506 zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von insgesamt 666,40 € abgerechnet. Aus der zur Akte gereichten Gläubigerübersicht (Bl. 6, 33) ergibt sich, dass den Gläubigern keine Zahlungen angeboten wurden.
4Mit Beschluss vom 18.11.2015 (Bl. 16, 19) hat das Amtsgericht eine Gebühr nach RVG VV 2503 zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von insgesamt 121,38 € festgesetzt. Zur Begründung ist vermerkt, dass der Berechtigungsschein für die Angelegenheit „Insolvenzanmeldung“ ausgestellt worden sei. Eine Gebühr für die Schuldenbereinigung nach VV 2506 könne deshalb nicht abgerechnet werden. Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 1 mit Schriftsatz vom 23.11.2015 (Bl. 24), welcher am 24.11.2015 bei Gericht einging, Erinnerung eingelegt. Bereits am 23.11.2015 hat die zuständige Richterin im Hinblick auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 21.10.23015 (Bl. 15) die Erinnerung zurückgewiesen und sich zum einen die Argumentation des angefochtenen Beschlusses zu Eigen gemacht. Ergänzend wurde ausgeführt, die Beteiligte zu 1 habe die Gebühr nach VV 2506 nicht verdient, da die Beteiligte zu 1 zwar den nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO für den Insolvenzantrag erforderlichen außergerichtlichen Einigungsversuch vorgenommen, dabei jedoch nur einen sogenannten „Nullplan“ angeboten habe. Mit Schriftsatz vom 30.11.2015 (Bl. 29) hat die Beteiligte zu 1 gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt, welcher nicht abgeholfen wurde (Bl. 41).
5Mit Beschluss vom 27.01.2016 (Bl. 53) hat der zuständige Einzelrichter der Kammer die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung auf die Kammer übertragen.
6Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
7II.
8Die nach den §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG grundsätzlich statthafte sofortige Beschwerde begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken; insbesondere ist der Beschwerdewert von 200,00 € aus § 33 Abs. 3 RVG erreicht. Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache selbst Erfolg.
9Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts umfasst die bewilligte Beratungshilfe die Durchführung des Schuldenbereinigungsverfahrens. Zudem ist der Gebührentatbestand von Ziff. 2506 VV RVG erfüllt.
10Nach § 305 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Schuldner des Verbraucherinsolvenzverfahrens eine Bescheinigung vorzulegen, aus der sich ergibt, dass eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern auf der Grundlage eines Plans erfolglos versucht wurde; der Plan ist dem Insolvenzantrag beizufügen. Nach allgemeiner Auffassung ist es insoweit insolvenzrechtlich ausreichend, dass ein so genannter Nullplan vorgelegt wird – d.h. ein Plan, bei dem mit wirklichen Zahlungen an die Gläubiger nicht zu rechnen ist (vgl. BGH vom 10.10.2013 – IX ZB 97/12).
11Wenn – wie hier – der Schuldnerin Beratungshilfe „wegen Insolvenzanmeldung“ bewilligt wurde, umfasst die Bewilligung auch den vorgenannten Einigungsversuch, da dieser nebst der darüber auszustellenden Bescheinigung notwendige Voraussetzung der Insolvenzanmeldung ist. Die verwendete Bezeichnung „wegen Insolvenzanmeldung“ ist offen formuliert. Dies kann jedoch nicht zu Lasten des Schuldners bzw. des für ihn tätigen Anwalts gehen. Nach § 6 Abs. 1 BerHG stellt das Amtsgericht den Berechtigungsschein „unter genauer Bezeichnung der Angelegenheit“ aus. Verwendet das Amtsgericht gleichwohl eine weite Formulierung, so deckt der Beratungshilfeschein alle Tätigkeiten ab, die sich unter die von dem Rechtspfleger verwendete Formulierung subsumieren lassen.
12Welche Gebühren bei einer einmal erfolgten Bewilligung von Beratungshilfe tatsächlich angefallen sind, ist im vorliegenden Gebührenfestsetzungsverfahren zu klären. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. die Beschlüsse vom 22.07.2013 – 3 T 116/13 – und vom 29.09.2014 – 3 T 250/14) erfüllt auch der Versuch einer Einigung mit den Gläubigern auf der Grundlage eines sogenannten Nullplans die gesetzlichen Voraussetzungen von Ziff. 2506 VV RVG, nämlich einer „Tätigkeit mit dem Ziel einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO)“ bei 11 – 15 Gläubigern.
13Die Kammer verkennt nicht, dass die Frage, ob auch ein Nullplan die Gebühren von Ziff. 2504 ff. VV RVG auslöst, von zwei Oberlandesgerichten anders gesehen wird. Der Beschluss des Oberlandesgericht Bamberg vom 06.08.2010 – 4 W 48/10 – wird zwar in einzelnen Kommentaren zustimmend zitiert (vgl. Hartmann, 45. Aufl., RVG VV 2503-2507 Rdn. 4; Riedel/Sußbauer, 10. Aufl., RVG VV 2504-2507 Rdn. 6), ist nach Auffassung der Kammer jedoch schon deshalb nicht besonders aussagekräftig, weil dieser Beschluss wesentlich auf der irrigen Auffassung des OLG Bamberg beruht, ein sogenannter Nullplan erfülle nicht die Voraussetzungen des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO (so schon der hiesige Beschluss vom 29.09.2014 – 3 T 250/14). Der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28.01.2014 - 8 W 35/14 - ist in der Literatur nicht unumstritten (vgl. Knerr, ZInsO 2015, 208 – zitiert nach Juris). Er geht zwar zutreffend davon aus, dass auch ein sogenannter Nullplan für die Einleitung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens ausreichend sein kann, will jedoch aus „dem Wortlaut und der Regelungssystematik“ der hier einschlägigen Vergütungsvorschriften schließen, dass für die Gebühren der Ziff. 2504 ff. VV RVG eine Ausarbeitung erforderlich sei, die „wenigstens in einzelnen Elementen das ernsthafte Bemühen erkennen lässt, eine Verhandlungsbasis für eine einvernehmliche Lösung anzubieten“. Dies erschließt sich wiederum der Kammer nicht. In dem Wortlaut von Ziff. 2504 ist dies nicht angelegt. Gerade umgekehrt legt der Verweis des Gesetzgebers auf § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO nahe, dass die Tätigkeit, die für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens notwendig aber auch ausreichend ist, ebenso notwendig aber auch ausreichend für den Gebührentatbestand der Ziff. 2504 ff. VV RVG sein sollte. Weshalb – wie das Oberlandesgericht Stuttgart meint – die insolvenzrechtlichen Voraussetzungen an einen Schuldenbereinigungsplan „anders“ zu beurteilen seien als die vom Anwalt verlangte Tätigkeit, ist nicht ersichtlich. Insbesondere hält die Kammer die angebliche „Disparität“ zwischen der Geschäftsgebühr nach VV 2503 und den Gebühren nach VV 2504 ff. nicht für ein überzeugendes Argument. Da die Gebühr des VV 2503 in Höhe von 85,00 € schwerlich eine angemessene Vergütung für den Schriftwechsel auch mit mehr als 15 Gläubigern (vgl. VV 2507) darstellt, ist der Gebührensprung gerade umgekehrt ein Argument dafür, dass jeglicher Schuldenbereinigungsplan die Voraussetzungen der Ziff. 2504 ff. VV RVG erfüllt.
14Da es - soweit ersichtlich – bislang nur zwei obergerichtliche Entscheidungen zu der hier zu entscheidenden Frage gibt und die Frage für eine Vielzahl von Beratungshilfefestsetzungsverfahren grundsätzliche Bedeutung hat, erscheint es sachgerecht, durch Zulassung der weiteren Beschwerde (vgl. § 33 Abs. 6 RVG) eine weitergehende Klärung des Frage zu ermöglichen.
15Eine Kostenentscheidung war nach § 56 Abs. 2 RVG nicht veranlasst.
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Referenzen
- § 6 Abs. 1 BerHG 1x (nicht zugeordnet)
- IX ZB 97/12 1x (nicht zugeordnet)
- 4 W 48/10 1x (nicht zugeordnet)
- 3 T 116/13 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Landgericht Aachen - 3 T 250/14 2x
- RVG § 56 Erinnerung und Beschwerde 2x
- InsO § 305 Eröffnungsantrag des Schuldners 5x
- Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 8 W 35/14 1x
- RVG § 33 Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren 3x