Urteil vom Landgericht Aachen - 2 S 263/15
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25.08.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Aachen teilweise abgeändert;
die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt,
die in der S-T-Straße in 52062 Aachen im 3. Geschoss hinten rechts gelegene Wohnung, bestehend aus zwei Zimmern, einer Küche, einer Diele, einem Bad, einer Toilette sowie einer Abstellkammer, zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
Den Beklagten zu 1) und 2) wird eine Räumungsfrist bis zum 31.05.2016 gewährt.
Die erstinstanzlichen Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen erstinstanzlichen Kosten der Klägerin werden der Klägerin zu 67 %, den Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldnern zu 19 % und der Beklagten zu 1) darüber hinaus allein zu weiteren 14 % auferlegt. Von den außergerichtlichen erstinstanzlichen Kosten trägt die Klägerin die der Beklagten zu 1) zu 53 % und die des Beklagten zu 2) zu 80 %. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.
Die zweitinstanzlichen Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen zweitinstanzlichen Kosten der Klägerin werden der Klägerin zu 41 %, den Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldnern zu 53 % und der Beklagten zu 1) darüber hinaus allein zu weiteren 6 % auferlegt. Von den außergerichtlichen zweitinstanzlichen Kosten trägt die Klägerin die der Beklagten zu 1) zu 55 %. Eine weitergehende Kostenerstattung findet nicht statt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2I.
3Von der Darstellung des Tatbestandes wird zunächst gemäß §§ 313a Abs. 1, 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO abgesehen.
4Die Klägerin hat den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 23.12.2015, bei Gericht eingegangen am 29.12.2015, nach einer Zahlung der Beklagten zu 1) in Höhe von 1.890,00 € teilweise in dieser Höhe für erledigt erklärt. Die Beklagte zu 1) hat sich der Erledigung angeschlossen.
5Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2016 die Berufung hinsichtlich der Anträge, die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an sie 10.920,00 € nebst Rechtshängigkeitszinsen, ab dem Monat Oktober 2014 für jeden Monat bis zum Auszug jeweils zum 3. Werktag 390,00 € abzüglich am 22.05.2015 gezahlter 10.395,00 € sowie an sie 805,20 € nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen, zurückgenommen.
6Der Beklagte zu 2) hat in der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2016 unstreitig gestellt, nunmehr – seit dem am 25.08.2015 verkündeten Urteil der ersten Instanz – die streitgegenständliche Wohnung zu bewohnen.
7II.
8Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das am 25.08.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Aachen, mit der sie nach übereinstimmender Teilerledigung des Rechtsstreits und Rücknahme der Zahlungsanträge gegen die Beklagte zu 1) hauptsächlich den gegen beide Beklagte gerichteten Räumungsantrag weiterverfolgt, hat Erfolg.
9A.
10Die Klägerin ist im Hinblick auf den geltend gemachten Räumungs- und Herausgabeanspruch prozessführungsbefugt gemäß § 51 Abs. 1 ZPO. Zwar macht sie kein eigenes, sondern ein fremdes S3 – dasjenige der Eigentümergemeinschaft G/Weiß – geltend. Das Amtsgericht hat insoweit jedoch zutreffend festgestellt, dass die Klägerin hierzu wirksam von der Eigentümergemeinschaft als Rechtsinhaberin ermächtigt wurde und auch die weiteren Voraussetzungen der gewillkürten Prozessstandschaft – schutzwürdiges Eigeninteresse der Klägerin und schutzwürdiges rechtliches Interesse des Rechtsinhabers an der Prozessführung und das Fehlen schutzwürdiger Belange der Beklagten – vorliegen (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, Vor § 50 Rn. 44).
11In dem Schreiben des Prof. G vom 10.12.2012 (Bl. 48 d.A.) liegt die seitens des Prof. G im Namen der Eigentümergemeinschaft erteilte Ermächtigung der Klägerin, den Grundbesitz räumen zu lassen und die Herausgabe der geräumten Wohnungen an sich zu verlangen. Soweit die Beklagten im Berufungsverfahren erstmals bestreiten, dass eine durch die Eigentümergemeinschaft erteilte Vollmacht des Prof. G in Bezug auf das oben erwähnte Schreiben vorlag, ist dieses Verteidigungsmittel verspätet gemäß § 531 Abs. 2 ZPO. Dass es ausnahmsweise für das zweitinstanzliche Verfahren zuzulassen wäre, etwa weil der verspätete Vortrag nicht auf der Nachlässigkeit der Beklagten beruht, haben diese nicht dargelegt. Entsprechend den Ausführungen des Amtsgerichts folgt das rechtliche Interesse der Klägerin an der Prozessführung aus ihrem durch den Erbbaurechtsvertrag und die Vormerkung begründeten Anwartschaftsrecht und das rechtliche Interesse der Eigentümer aus ihrer in Ziffer 5.4 der Anlage 3 begründeten Verpflichtung, die Klägerin bei der Entmietung zu unterstützen. Dass durch die Prozessstandschaft bei den Beklagten ungerechtfertigte Nachteile eintreten, machen diese weder geltend noch liegen Umstände vor, die dies ersichtlich machen.
12B.
13Der Klägerin ist der gegen die Beklagten zu 1) und 2) in Prozessstandschaft geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch der Eigentümerin gemäß §§ 985, 546 Abs. 2 BGB zuzusprechen.
14Eigentümerin des Grundstücks ist unstreitig die Eigentümergemeinschaft G/Weiß.
15Die Beklagten zu 1) und 2) sind zudem unmittelbare Besitzer. Sie bewohnen die streitgegenständliche Wohnung im Rahmen eines ehelichen Haushalts.
16Die Beklagten haben weder ein eigenes noch ein abgeleitetes S3 zum Besitz gemäß § 986 BGB. Ein solches ergibt sich insbesondere nicht aus dem zwischen der Beklagten zu 1) und der X GmbH & D.KG geschlossenen Untermietvertrag vom 27.06.2008 (Bl. 131 ff. d. A.). Dieser konnte keinen Bestand mehr haben, nachdem der Hauptmietvertrag zwischen der Fa. X und der Eigentümerin des Grundstücks am 25.05.2012 durch den Insolvenzverwalter gekündigt worden war. Insoweit bedurfte es auch keiner ausdrücklichen Kündigungserklärung.
17Die Eigentümerin ist als Hauptvermieterin auch nicht gem. § 565 Abs. 1 S. 1 BGB in den Untermietvertrag mit der Beklagten zu 1) eingetreten. Die Vorschrift ist vorliegend nicht einschlägig.
18Sie setzt unter anderem voraus, dass der Mieter nach dem Mietvertrag den Wohnraum gewerblich einem Dritten zu Wohnzwecken weitervermieten soll. Aus dem Gesetzestext folgt, dass der Mietvertrag gerade zur gewerblichen Weitervermietung als Wohnraum abgeschlossen sein muss. Zur Anwendung des § 565 BGB kommt es hingegen nicht, wenn dem Mieter freigestellt ist, wie er mit der Mietwohnung verfährt (vgl. Blank in: Blank/Börstinghaus, Miete 4. Aufl. 2014, § 565 BGB Rn. 5).
19Vorliegend lautet der entsprechende Passus des Mietvertrages (3. Nachtrag vom 7.3.91, Bl. 297R d.A.) wie folgt:
20Der Mieter ist berechtigt und verpflichtet, auf die vorhandene Substanz (EG und 1 OG) des Vermieters an der S3 (Ergänzung durch Kammer: nunmehr S2) ein 2., 3. und Dachgeschoß in der zulässigen Tiefe aufzubauen. […] Diese Räume nutzt der Mieter selber bzw. untervermietet sie als Wohnraum.
21Die mietvertragliche Vereinbarung ist aus Sicht eines objektiven Empfängers gemäß §§ 133, 157 BGB so zu verstehen, dass der Mieterin die Wahl gelassen wird, ob sie die angemieteten Räumlichkeiten selber zwecks Erweiterung ihres Geschäftsbetriebes nutzt oder sie an Dritte zu Wohnzwecken weitervermietet.
22Der Wortlaut der Vereinbarung lässt keine andere Interpretation zu. Auch aus dem nachfolgenden Passus lässt sich keine davon abweichende Auslegung der Vertragsvereinbarung herleiten. Dieser lautet wie folgt:
23Falls der Mieter eine kostenmäßig sinnvolle Lösung findet, um auch das 2., 3. und Dachgeschoss an der B aufzubauen und als Wohnraum zu vermieten, ist der Mieter berechtigt, also nicht verpflichtet, diesen Aufbau durchzuführen und unterzuvermieten.
24Soweit in Bezug auf das Grundstück B ausschließlich von einem möglichen Aufbau zum Zwecke der Weitervermietung als Wohnraum die Rede ist, kann dies nicht auf die Vereinbarung, welche die streitgegenständliche Wohnung betrifft, übertragen werden. In Bezug auf die Räumlichkeiten in der S-T-Straße ist im Gegensatz zu der vorstehenden Vereinbarung gerade ausdrücklich auch die Selbstnutzung des Aufbaus in den Vertragstext aufgenommen worden.
25Dafür, dass abweichend von dem Wortlaut eine andere Vereinbarung – nämlich eine ausschließliche gewerbliche Weitervermietung der in Rede stehenden Wohnung zu Wohnzwecken – getroffen worden wäre, haben die Beklagten als für diese ihnen günstige Tatsache beweisbelastete Partei weder erst- noch zweitinstanzlich Beweis angeboten.
26Die Kammer verkennt nicht, dass dem Untermieter in Fällen der sog. „gewerblichen Zwischenvermietung“ von Wohnungen unter Umständen ein geringerer Schutz gewährt ist als einem Mieter, der die Wohnung unmittelbar vom Eigentümer gemietet hat und für den die Kündigungsschutzvorschriften für Wohnraum unmittelbar eingreifen. Auch im Verhältnis zu demjenigen Untermieter, der einen Teil der vom Hauptmieter genutzten Wohnung anmietet, ist der Untermieter in Fällen der gewerblichen Zwischenvermietung schlechter gestellt. In dem vorstehend genannten Fall ist der Untermieter nämlich mittelbar dadurch geschützt, dass der zwischen dem Eigentümer und dem Hauptmieter bestehende Mietvertrag den Kündigungsschutzvorschriften unterliegt. Dies führt zu einer Lücke im Mieterschutz. (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. vom 11.06.1991, Az.: 1 BvR 538/90 ). Diese Lücke hat der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 565 BGB geschlossen, welche den Untermieter vor dem Herausgabeverlangen des Hauptvermieters schützen soll, wenn dieser seinerseits nicht schützenswert ist, weil er weiß – und dies auch von ihm beabsichtigt ist –, dass der gewerbliche Zwischenvermieter die Wohnung an einen Mieter zur Nutzung als Wohnung vermieten wird und er diesem gegenüber an die gesetzlichen Vorschriften über den Mieterschutz gebunden ist. Vorliegend hat der Hauptvermieter es der Fa. X jedoch lediglich freigestellt, die Wohnungen zu Wohnzwecken weiterzuvermieten, so dass er nicht zwangsläufig mit einem Eingreifen der Mieterschutzvorschriften rechnen musste. Dadurch, dass er es der Zwischenmieterin freigestellt hat, wie sie mit dem Mietobjekt verfährt, lässt sich auch kein vorrangiges Interesse des Hauptvermieters feststellen, die Räumlichkeiten als Wohnraum zu vermieten. Aus diesen Gründen scheidet auch eine analoge Anwendung von § 565 BGB mangels Vorliegens einer vergleichbaren Interessenlage aus.
27Das Vorbingen der Beklagten in den Schriftsätzen vom 21.01.2016 und 12.02.2016 ist verspätet gemäß §§ 525, 596a ZPO. Diese sind nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung am 14.01.2016 eingegangen. Der Schriftsatz war weder gemäß § 283 ZPO noch gemäß § 139 Abs. 5 ZPO nachgelassen (vgl. § 296a S. 2 ZPO) noch hat sich die Kammer zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß §§ 156, 296a S. 2 ZPO veranlasst gesehen.
28Die Wohnung ist von den Beklagten zu räumen und an die Klägerin, die ausweislich der Erklärung vom 10.12.2012 (Bl. 48 d. A.) im Sinne einer zulässigen Einziehungsermächtigung Herausgabe an sich selbst verlangen kann, herauszugeben (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO 31. Aufl. 2016, Vor § 50 Rn. 52).
29Den Beklagten ist gemäß § 721 ZPO eine Räumungsfrist bis zum 31.05.2016 zu gewähren.
30Diese Räumungsfrist hat die Kammer unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Zugunsten der Beklagten wurde insoweit berücksichtigt, dass das Amtsgericht erstinstanzlich eine Herausgabe- und Räumungspflicht verneint hat und somit ein gewisses Vertrauen auf Seiten der Beklagten, weiterhin in der Wohnung bleiben zu können, geschafft hat. Andererseits ist auch zu berücksichtigen, dass der Rechtsstreit nunmehr bereits etwa 1,5 Jahren andauert und das Interesse der Eigentümerin, den unberechtigten Besitz der Beklagten zu beenden, gegenüber dem Wohninteresse der Beklagten überwiegt, zumal diese ihre Mietzahlungen teilweise verspätet und zudem nicht in voller Höhe, nämlich lediglich gekürzt um die Nebenkosten, leisten.
31III.
32Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 516 Abs. 3, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
33Die Kosten hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Rechtsstreits waren nach § 91a ZPO hälftig zu verteilen. Dies entspricht der Billigkeit unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes. Als unberechtigte Besitzer waren die Beklagten dem Eigentümer zum Nutzungsersatz verpflichtet. Da die Höhe des Nutzungsersatzanspruchs im Streit stand, hätte zu der Frage der angemessenen ortsüblichen Miete weiter Beweis erhoben werden müssen. Da das Beweisergebnis ungewiss bleibt, sind die Kosten gegeneinander aufzuheben.
34IV.
35Da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 1 ZPO nicht vorliegen, bestand kein Anlass, die Revision zuzulassen. Die Frage, ob § 565 BGB Anwendung findet, war anhand des Einzelfalls zu entscheiden. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage ist nicht gegeben. Ebenso wenig ist die Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
36Berufungsstreitwert:
37Bis 28.12.2015: 10.545,00 €
38 Antrag zu 1) (Räumung): 3.780,00 (12x315,00 €), § 41 Abs. 1, 2 GKG
39 Antrag zu 2) (Nutzungsentschädigung): 6.765,00 € (16 x 390,00 € + 10.920,00 € - 10.395,00 €)
40Ab dem 29.12.2015: 8.655,00 € (10.545,00 € - 1.890,00 €)
41C |
Dr. S5 |
Vath |
Verwandte Urteile
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Referenzen
- 1 BvR 538/90 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- BGB § 565 Gewerbliche Weitervermietung 6x
- BGB § 986 Einwendungen des Besitzers 1x
- ZPO § 313a Weglassen von Tatbestand und Entscheidungsgründen 1x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- ZPO § 139 Materielle Prozessleitung 1x
- BGB § 133 Auslegung einer Willenserklärung 1x
- §§ 525, 596a ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 540 Inhalt des Berufungsurteils 1x
- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- ZPO § 51 Prozessfähigkeit; gesetzliche Vertretung; Prozessführung 1x
- BGB § 985 Herausgabeanspruch 1x
- ZPO § 156 Wiedereröffnung der Verhandlung 1x
- BGB § 157 Auslegung von Verträgen 1x
- ZPO § 525 Allgemeine Verfahrensgrundsätze 1x
- ZPO § 721 Räumungsfrist 1x
- BGB § 546 Rückgabepflicht des Mieters 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 516 Zurücknahme der Berufung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- ZPO § 296a Vorbringen nach Schluss der mündlichen Verhandlung 2x
- ZPO § 283 Schriftsatzfrist für Erklärungen zum Vorbringen des Gegners 1x
- ZPO § 531 Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel 1x
- ZPO § 91a Kosten bei Erledigung der Hauptsache 1x
- § 41 Abs. 1, 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)