Urteil vom Landgericht Arnsberg - 1 O 162/78
Tenor
Die Klageanträge zu 1) und 3) sind dem Grunde nach in Höhe von 80 % gerechtfertigt.
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,00 DM (i.W. achttausend Deutsche Mark) nebst 4 % Zinsen seit dem 26.05.1978 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner alle sich aus dem Unfall vom 27.08.1075 ergebenden Zukunftsschäden in Höhe von 80 % zu ersetzen, vorbehaltlich des Anspruchsübergangs auf Dritte.
Der weitergehende Schmerzensgeldantrag sowie der weitergehende Feststellungsantrag werden abgewiesen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 9.000,00 DM vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Am 27.08.1975 fuhr der Kläger mit hoher Geschwindigkeit in seinem Fahrzeug P. auf der Kreisstraße von B. in Richtung T.. Die Beklagte zu 1) befuhr mit ihrem Pkw die Kreisstraße aus Richtung I. in Richtung M.. An der Kreuzung dieser beiden Straßen kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge, wobei der Wagen des Klägers sich überschlug und die Böschung hinunterfuhr.
3Die Beklagte zu 1) war gemäß der Beschilderung an dieser Kreuzung wartepflichtig. Der Kläger wurde aus dem Fahrzeug herausgeschleudert und erlitt erhebliche Verletzungen: Schnittwunden am Kopf, Prellungen am Kopf, Platzwunden am Kopf, Hautabschürfungen am Kopf, Prellungen am ganzen Körper, Arm-, Rücken- sowie Beinprellungen, eine Platzwunde am linken Ellenbogen über die Dorsalseite des linken Ellenbogengelenks und eine tiefe Risswunde zwischen der ersten und zweiten Zehe rechts. Der Kläger wurde vom 27.08.1975 bis 08.09.1975 stationär behandelt, es wurde u.a. eine Antischockbehandlung durchgeführt, darüber hinaus erlitt der Kläger eine Luxation und Deslokation des Zahnes 21 sowie eine Kronenfraktur der Zähne 11, 12 und 16, was mit starken Schmerzen im Oberkiefer verbunden war. Nach Ende des Krankenhausaufenthaltes ergab sich, dass auch das rechte Knie des Klägers verletzt war. Dieses Knie musste weiterhin behandelt werden, u.a. war ein Krankenhausaufenthalt vom 19.10. – 13.11.1976 sowie vom 13.12. – 21.12.1976 in den Krankenanstalten C. in F. notwendig. Auch nach Abschluss der Behandlung ist das Knie nicht voll geheilt, vielmehr liegt eine Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Kniegelenks, eine leichtvermehrte Aufklappbarkeit, eine erhebliche Muskelabmagerung des rechten Beines, sowie eine verminderte Belastungsfähigkeit des rechten Kniegelenks als Dauerschaden vor. Es kann auf Dauer nach dem Gutachten der Ärzte mit einer Erwerbsminderung von ca. 40 % gerechnet werden.
4Der Kläger macht nunmehr Ersatz der ihm entstandenen Schäden in voller Höhe geltend.
5Er ist der Ansicht, dass die Beklagte zu 1) den Unfall allein schuldhaft verursacht habe und dass dieses Ereignis für ihn unabwendbar gewesen sei. Die Beklagte zu 1) habe ihre Wartepflicht an der Kreuzung verletzt, so dass ein Mitverschulden des Klägers wegen des stark überwiegenden Verschuldens der Beklagten zu 1) nicht in Betracht komme. Der Kläger ist weiter der Ansicht, dass angesichts der erlittenen Verletzungen ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000,00 DM angemessen sei.
6Darüber hinaus trägt er vor, dass er wegen der eingetretenen Erwerbsminderung in nicht der Lage sei, bis zur Vollendung seines 70. Lebensjahres sein Holzeinschlaggewerbe in vollem Umfang auszuüben. Daher seien die Beklagen verpflichtet, diese Mindereinnahmen in Form einer Rente zu ersetzen.
7Der Klägerbeantragt,
8die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
9- an ihn 2.187,40 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 20.09.1977 zu zahlen,
- an ihn ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 4 % Zinsen seit dem 20.09.1977, zu zahlen.
- an ihn für die Zeit vom 01.04.1977 bis 31.05.2019 eine angemessene Rente zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.,
festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, alle sich aus dem Unfall vom 27.08.1975 ergebenden Zukunftsschäden zu ersetzen, soweit sie nicht auf Versicherungsträger übergegangen sind.
11Die Beklagten beantragen,
12die Klage abzuweisen.
13Die Beklagten behaupten, der Kläger sei mit einer Geschwindigkeit weit über 100 km/h gefahren und habe dadurch den Unfall mit verursacht. Die Beklagte zu 1) ihrerseits habe an der bevorrechtigten Straße ihr Fahrzeug angehalten und sei danach mit normaler Anfahrgeschwindigkeit angefahren, da sie der Annahme gewesen sei, es nähere sich kein weiteres Fahrzeug.
14Im Übrigen habe die Beklagte zu 3) eine Schadensteilung im Verhältnis 80 zu 20 vorgeschlagen, was jedoch von dem Kläger abgelehnt worden sei. Ferner bestreiten die Beklagten die Höhe des geltend gemachten Schadens. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 % sei für den Kläger als Selbständigen nicht so gravierend, dass er seinen Beruf nicht mehr ausüben könne. Auch müsse geprüft werden, ob dem Eintritt des Schadens durch die Bestellung eines geeigneten Vertreters im Geschäft ganz oder zum Teil vorgebeugt werden könnte.
15Im Übrigen sind die Beklagten der Ansicht, dass das vorgeschlagene Schmerzensgeld von 12.000,00 DM um ein vielfaches höher sei als das, was für entsprechende Verletzungen in anderen Fällen zugebilligt werde.
16Es ist Beweis erhoben worden gemäß Beweisbeschluss vom 11.08.1978 (Bl. 102 d.A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Dipl.-Ing. U. vom 31. Oktober 1979 verwiesen. Die Akten des Strafverfahrens – Amtsgericht Arnsberg 5 Ds 355/75 – waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
17Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die Beiakten verwiesen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Klage ist dem Grunde nach teilweise gerechtfertigt.
20Die Beklagten sind dem Kläger nach § 823 Abs. 1 BGB § 7 StVG, § 3 PflVersG, § 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG zum Ersatz von 80 % des aus dem Unfall vom 27.08.1075 entstandenen Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet.
211. Nach dem Ergebnis er Beweisaufnahme steht fest, dass der Unfall auf das fahrlässige Verhalten der Beklagten zu 1) zurückzuführen ist. Die Beklagte zu 1) hat durch ihr Verhalten im Kreuzungsbereich gegen ihre Wartepflicht verstoßen. Gem. § 41 StVO Zeichen 205 war die Beklagte zu 1) verpflichtet, den Kreuzungsbereich nicht zu befahren, soweit und solange weitere Fahrzeuge die übergeordnete Straße befuhren. Da der Beklagten zu 1) diese Kreuzung als besonders gefährlich bekannt war, hätte sie sich schrittweise in den Kreuzungsbereich vortasten müssen und noch zu einem späteren Zeitpunkt anhalten müssen, als sie das Herannahen des Klägers bemerkte. Die Beklagte zu 1) hatte in Richtung auf die Straße, die der Kläger befuhr, weite Einsichtsmöglichkeiten und hatte bei gehöriger Sorgfalt den Kläger bereits frühzeitig erkennen müssen.
222. Der Kläger hat ebenfalls durch sein Verhalten zu dem Unfall beigetragen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere nach dem überzeugen Gutachten des Dipl.-Ingenieurs U. steht fest, dass der Kläger seinerseits die vorfahrtsberechtigte Straße mit einer Geschwindigkeit von über 100 km/h befuhr. Im Jahr 1975 galt die Höchstgeschwindigkeitsverordnung vom 16.03.1972, die in § 1 Abs. 1 vorschreibt, dass außerhalb geschlossener Ortschaften auch unter günstigsten Umständen nicht schneller als 100 km/h gefahren werden darf.
23Diese Verordnung ist im Jahre 1972 erlassen worden, nachdem sich herausgestellt hatte, dass außerhalb geschlossener Ortschaften die Mehrzahl der Unfälle durch überhöhte Geschwindigkeit verursacht worden war. Die Intention des Verordnungsgebers zielte gerade dahin, die Gefahrenpunkte, die durch erhöhte Geschwindigkeiten geschaffen wurden, nämlich lange Anhaltewege, Schwierigkeiten der Geschwindigkeitseinschätzung durch die anderen Verkehrsteilnehmer sowie besondere Anforderungen an die physische und psychische Leistungsfähigkeit des Fahrers, auszuschalten.
24Der Kläger hat die in dieser Verordnung festgelegte Höchstgeschwindigkeit nicht unerheblich überschritten. Nach dem Gutachten muss davon ausgegangen werden, dass sich die Geschwindigkeit des Fahrzeuges des Klägers im Bereich von 106 – 118 km bewegte. Nimmt man hierbei nur einen Mittelwert von 112 km/h an, so ist dies nicht eine unerhebliche Überschreitung der Höchstmarke von 100 km/h.
25Es ist dem Kläger nicht gelungen, gem. § 7 Abs. 2 StVG den Nachweis zu führen, dass dieses schuldhafte Verhalten nicht ursächlich für den Unfall an der Kreuzung gewesen ist. Bei derartigen Unfällen an Kreuzungen spricht zwar der Anscheinsbeweis für die Verletzung der Wartepflicht, doch können die Regeln des Anscheinsbeweises nicht auf die Fahrweise des Vorfahrtsberechtigten angewandt werden; diesen trifft vielmehr die volle Beweislast, dass der Zusammenstoß für ihn unabwendbar war (BGH VRS 26, 85).
26Im vorliegenden Fall hat der Kläger den Nachweis nicht führen können, da nach dem Gutachten des Sachverständigen U. bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 100 km/h der Stillstand des Fahrzeuges an dem Kollisionsort nur möglich, aber nicht sicher gewesen wäre. Legt man zugrunde, dass der Kläger mit Sicherheit diese Geschwindigkeit von 100 km/h überschritten hat, so nimmt die Möglichkeit des Stillstandes am Kollisionspunkt entsprechend weiter ab. Es ist dem Kläger somit nicht möglich, zur Überzeugung des Gerichts zu beweisen, dass sein Fahrverhalten der nach § 7 Abs. 2 erforderlichen gesteigerten Sorgfalt entspricht. Nach ständiger Rechtsprechung gehen derartige Beweisunklarheiten regelmäßig zu Lasten des Halters (BGH VRS 20, 166).
273. Bei der nach § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung ist in erster Linie auf das Maß der gegenseitigen Verursachung, außerdem auf den Umfang des beiderseitigen Verschuldens abzustellen. Dies führt zu einer erheblich stärkeren Belastung der Beklagten zu 1), die ihre Wartepflicht verletzt hat. Demgegenüber ist das Verschulden des Klägers, der sich die Betriebsgefahr zurechnen lassen muss, vergleichsweise gering. Unter Berücksichtigung diese Umstände hält es das Gericht für angemessen, dass der Schaden aus dem Unfall im Verhältnis 20 zu 80 verteilt wird.
28Für diesen Schaden haften die drei Beklagten als Gesamtschuldner.
294. Über den Klageantrag zu 1) auf Zahlung des Schadensersatzes war zunächst nur durch Grundurteil gem. § 304 ZPO zu entscheiden, da hinsichtlich der Schadenshöhe noch weitere Ermittlungen ausstehen.
305. Ebenso war über den Klageantrag zu 3) auf Zahlung einer angemessenen Rente zunächst durch Grundurteil gem. § 304 ZPO zu entscheiden, da hinsichtlich des Umfangs der Rentenverpflichtungen der Sachverhalt noch nicht genügend aufgeklärt ist.
316. Demgegenüber war über den Feststellungsantrag bereits jetzt durch Teilurteil zu entscheiden, nachdem das Gericht über die Haftungsquote der Parteien hinreichende Klarheit gewonnen hat.
327. Über den Antrag zu 2) auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes konnte bereits Teilurteil ergehen, da insoweit der Sachverhalt genügend aufgeklärt ist. Der Kläger hat aus den oben dargelegten Rechtsgrundlagen i.V. mit § 847 BGB gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Ersatz eines Schmerzensgeldes, das nach Ansicht des Gerichts mit 8.000,00 DM anzusetzen ist. Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass der Kläger erhebliche Unfallverletzungen erlitten hat und stationär behandelt werden musste. Darüber hinaus ist von großer Bedeutung, dass erhebliche Zeit nach dem Unfall weitere Schäden am Knie festgestellt wurden, die zu einer sehr langwierigen und sehr schmerzhaften Nachbehandlung führten. Nach dem Ergebnis der ärztlichen Feststellungen geht das Gericht davon aus, dass bei dem Kläger eine dauernde Erwerbsminderung vorliegen wird, die mit ca. 40 % beziffert worden ist. Darüber hinaus ist der noch recht junge Kläger durch diesen Dauerschaden, das sog. Wackelknie, in der Entfaltung seiner Persönlichkeit gehindert, insbesondere ist ihm sportliche Betätigung nicht möglich. Andererseits war bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen, dass der Kläger seinerseits den Unfall mit verursacht hat. Unter Abwägung aller Umstände hat das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,00 DM für angemessen gehalten.
33Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.