Urteil vom Landgericht Bielefeld - 6 O 409/13
Tenor
Das Versäumnisurteil des Landgerichts Bielefeld vom 13.12.2013 (Az.: 6 O 409/13) wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 1.322,76 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 13 % p.a. vom 07.09.2013 bis zum 22.12.2014, in Höhe von 8 % p.a. vom 23.12.2014 bis zum 31.12.2015 und in Höhe von 7 % ab dem 01.01.2016 zu zahlen; im Übrigen wird es aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden.
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T a t b e s t a n d:
2Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfallereignisses vom 09.06.2013 in U. (Polen).
3Bei dem vorgenannten Verkehrsunfall wurde der zu diesem Zeitpunkt im Eigentum des Klägers stehende Pkw BMW X6 mit dem amtlichen Kennzeichen xxx durch ein bei der Beklagten haftpflichtversichertes Fahrzeug beschädigt.
4Der Unfallverlauf und die alleinige Verursachung durch den Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Unfallfahrzeugs sind zwischen den Parteien unstreitig.
5Der Kläger holte zur Schadensbemessung ein Gutachten ein. Mit dem Gutachten vom 05.07.2013 bezifferte das Sachverständigenbüro E. GmbH die unfallbedingten Reparaturkosten mit insgesamt 8.765,64 € brutto, eine unfallbedingte Wertminderung des Pkw mit 1.200,00 € sowie Verbringungskosten mit 122,76 € brutto. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ablichtung des Gutachtens vom 05.07.2013 (Bl. 21 ff. d.A.) Bezug genommen.
6Mit Schreiben vom 06.08.2013 übersandte die jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers das Gutachten vom 05.07.2013 neben weiteren Unterlagen zum Schadensfall an die Beklagte und forderte diese zur Schadenregulierung bis zum 26.08.2013 auf.
7Die Beklagte zahlte am 11.10.2013 einen Betrag von 8.765,64 € auf die begehrten Reparaturkosten sowie 469,99 € auf die Sachverständigenkosten.
8Der Kläger rechnet auf Gutachtenbasis ab und hat ursprünglich mit der Klageschrift vom 02.10.2013 die Zahlung von 10.583,99 € nebst 13 % Zinsen p.a. hieraus seit dem 27.08.2013 gefordert. Die am 04.10.2013 bei Gericht eingegangene Klage ist der Beklagten am 14.10.2013 zugestellt worden. Sodann hat der Kläger mit Schriftsatz vom 14.10.2013 den Klageantrag dahingehend geändert, dass er die Zahlung von 10.583,99 € nebst 13 % Zinsen p.a. hieraus seit dem 27.08.2013 abzüglich am 11.10.2013 gezahlter 9.235,63 € verlangt hat.
9Die Beklagte ist auf Antrag des Klägers im schriftlichen Vorverfahren am 13.12.2013 im Wege des Versäumnisurteils verurteilt worden, an den Kläger 10.583,99 € nebst 13 % Zinsen p.a. hieraus seit dem 27.08.2013 abzüglich am 11.10.2013 gezahlter 9.235,63 € zu zahlen. Gegen das am 18.12.2013 zugestellte Versäumnisurteil hat die Beklage am 02.01.2014 Einspruch eingelegt.
10Nachdem der Kläger im Termin vom 20.10.2014 beantragt hat, das Versäumnisurteil des LG Bielefeld vom 13.12.2013 aufrechtzuerhalten und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 10.583,99 € nebst Zinsen in Höhe von 13 % p.a. seit dem 07.09.2013 abzüglich am 11.10.2013 gezahlter 9.235,63 € zu zahlen, hat der Kläger im Termin vom 12.11.2015 schließlich erklärt, dass er lediglich die Wertminderung in Höhe von 1.200,00 € sowie Verbringungskosten in Höhe von 122,76 € brutto jeweils nebst Zinsen in Höhe von 13 % p.a. 07.09.2013 geltend mache und die Klage im Übrigen zurückgenommen. Die Beklagte hat der Klagerücknahme zugestimmt.
11Der Kläger beantragt zuletzt,
12das Versäumnisurteil vom 13.12.2013 mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 1.322,76 € nebst Zinsen in Höhe von 13 % p.a. seit dem 07.09.2013 zu zahlen.
13Die Beklagte beantragt,
14das Versäumnisurteil vom 13.12.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
15Das Gericht hat ein Gutachten zum polnischen Recht eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beweisbeschluss vom 20.01.2015 (Bl. 121 d.A.) und das schriftliche Rechtsgutachten des Max-Planck-Instituts vom 11.06.2015 (Bl. 132 ff. d.A.) nebst Ergänzungsgutachten vom 27.01.2016 (Bl. 171 ff. d.A.) Bezug genommen.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
18Aufgrund des Einspruchs der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts Bielefeld vom 13.12.2013 ist der Prozess nach § 342 ZPO in die Lage vor der Säumnis zurückversetzt worden. Der Einspruch ist zulässig, insbesondere wurde die Einspruchsfrist nach § 339 ZPO gewahrt.
19Nach der mit Zustimmung der Beklagten erfolgten Klagerücknahme (§ 269 Abs. 1 ZPO) hinsichtlich der ursprünglich geforderten Reparaturkosten 8.765,64 €, der 469,99 € Sachverständigenkosten sowie der 25,00 € Unfallpauschale jeweils nebst Zinsen als Verzugsschaden richtet sich die Klage nur noch auf die begehrten Wertminderung in Höhe von 1.200,00 €, Verbringungskosten in Höhe von 122,76 € sowie Zinsen aus den vorgenannten Positionen in Höhe von 13 % p.a. seit dem 07.09.2013.
20Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet; im Übrigen ist sie unbegründet.
21Das sachlich zuständige Landgericht Bielefeld ist nach Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 b) EuGVO aF (nunmehr: Art. 13 bzw. 11 Brüssel Ia-VO) auch international und örtlich zuständig.
22Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Direktanspruch auf Zahlung der Wertminderung in Höhe von 1.200,00 € nach Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 Rom II-VO i.V.m. Art. 19 Abs. 1 des polnischen Gesetzes vom 22.05.2003 über Haftpflichtversicherungen.
23In dem vorliegenden Rechtsstreit ist nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO polnisches Recht anzuwenden, weil sich der in Rede stehende Verkehrsunfall in Polen ereignet hat und auf Seiten der Beklagten das Unfallfahrzeug eines polnischen Halters beteiligt war. Dies steht bei den Parteien außer Streit.
24Zwischen den Parteien ist zudem unstreitig, dass die Beklagte als Haftpflichtversicherer des bei ihr haftpflichtversicherten Unfallfahrzeuges für die unfallbedingt entstandenen Schäden zu 100 % haftet.
25Auch bei fiktiver Abrechnung kann der Kläger die geltend gemachten Wertminderung in Höhe von 1.200,00 € als Unfallschaden verlangen. Entgegen der Ansicht der Beklagten steht dem nicht entgegen, dass der Kläger das Fahrzeug nicht hat reparieren lassen. Nach den Ausführungen in dem eingeholten Rechtsgutachten vom 11.06.2015 kann nach der maßgeblichen Rechtsprechung polnischer Gerichte eine Wertminderung auch bei fiktiver Abrechnung verlangt werden. Soweit die polnischen Gerichte gestützt auf Punkt 2.7 der Instruktion zur Bestimmung der merkantilen Wertminderung von Kraftfahrzeugen Nr. 1/2009 vom 12.02.2009 eine Wertminderung nur für Pkw anerkennen, welche nicht älter als sechs Jahre und in einem guten technischen Zustand sind, liegen auch dieser Voraussetzungen in dem vorliegenden Fall vor. Der Pkw des Klägers war unstreitig am 27.04.2012 erstmals zugelassen worden und in einem guten technischen Zustand. Die Höhe der eingetretenen Wertminderung von 1.200,00 € hat die Beklagte zuletzt nicht mehr in Abrede gestellt.
26Der Kläger hat auch einen Anspruch auf die Verbringungskosten in Höhe von 122,76 € brutto. Nach den Ausführungen in dem eingeholten Rechtsgutachten vom 11.06.2015 nebst dem Ergänzungsgutachten vom 16.03.2016 können nach polnischen Recht können Verbringungskosten dann als ersatzfähiger Schaden verlangt werden, soweit diese zweckmäßig und notwendig für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands als auch wirtschaftlich vertretbar sind. Ferner muss sich danach die Entschädigung der Verbringungskosten immer auf bestimmte Kosten beziehen, die entweder schon entstanden waren oder für die Reparatur erst in Zukunft zweckmäßig, notwendig und wirtschaftlich vertretbar werden. Eine allgemeine abstrakte Verbringungskostenpauschale kann demnach nicht verlangt werden. Eine Einschränkung lediglich auf den Nettobetrag wird nach dem Rechtsgutachten nicht vorgenommen. Ausgehend von diesen Ausführungen, welche von den Parteien auch nicht angegriffen worden sind, kann der Kläger die begehrten Verbringungskosten verlangen. Dass die Verbringungskosten vorliegend üblicherweise anfallen, hat der Kläger zuletzt mit Schriftsatz vom 30.05.2016 (Bl. 188 ff. d.A.) unter Bezugnahme auf das eingereichte Gutachten der E. GmbH vom 05.07.2013 und der schriftlichen Bestätigung der für das vorgenannte Gutachten zu Grunde gelegte Markenwerkstatt vom 30.05.2016 (Bl. 190 d.A.) substantiiert dargelegt. Auf diesen konkreten Vortrag hat die Beklagte nicht mehr erwidert. Soweit sie mit Schriftsatz vom 06.04.2016 (Bl. 185 f. d.A.) noch vorgetragen hat, dass der überwiegende Teil der Reparaturwerkstätten auch über Lackierwerkstätten verfügen und die übrigen Reparaturwerkstätten regelmäßig keine Verbringungskosten berechnen, sondern diese Leistung unter „Service“ verbuchen würden, genügt dieser Vortrag im Hinblick auf die konkrete Darlegung des Anfalls von Verbringungskosten durch den Kläger nicht (§ 138 ZPO). Es hätte vielmehr weitergehenden Vortrags dahingehend bedurft, welche im regionalen Umfeld des Sitzes des Klägers befindlichen Reparaturwerkstätte nicht über eine solche Lackierwerkstatt verfügen oder jedenfalls Verbringungskosten nicht berechnen.
27Schließlich kann der Kläger auch Zinsen als Verzugsschaden jedenfalls seit dem 07.09.2013 nach Art. 481 i.V.m. Art. 817 polnisches ZGB verlangen. Unstreitig lagen der Beklagten jedenfalls mit Schreiben vom 06.08.2013 die vollständigen Unterlagen zur Schadensregulierung vor. Nach Art. 817 § 1 polnisches ZGB, wonach binnen 30 Tagen die Leistung durch den Versicherer zu erbringen ist, befand sie sich – ausgehend von einer regulären Postlaufzeit von zwei Tagen - jedenfalls seit dem 07.09.2013 mit der Leistung in Verzug. Dem steht die Regelung aus Art. 22 der Richtlinie 2009/103/EG (EU-Kraftfahrzeug-Haftpflicht-Richtlinie) nicht entgegen, weil die Mitgliedstaten für den Geschädigten günstigere Bestimmungen beibehalten oder einführen können ( Art. 28 Abs. 1 EU-Kraftfahrzeug-Haftpflicht-Richtlinie) und eine solche mit Art. 817 § 1 polnisches ZGB vorliegt.
28Hinsichtlich der Höhe der begehrten Zinsen war die Klage jedoch teilweise abzuweisen, soweit der Kläger Zinsen in Höhe von 13 % p.a. über den 22.12.2014 hinaus begehrt. Die Höhe der Zinsen richtet sich nach Art. 359 § 2 und § 3 des polnischen ZGB und beträgt 13 % p.a. bis zum 22.12.2014, 8 % p.a. vom 23.12.2014 bis zum 31.12.2015 und 7 % ab dem 01.01.2016 (vgl. S. 10 des Rechtsgutachten vom 11.06.2015, Bl. 141 d.A.; Bl. 3 des Ergänzungsgutachtens vom 16.03.2016, Bl. 177).
29Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 S. 2 und S. 3, 344, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO. Der Beklagten waren trotz teilweiser Klagerücknahme die vollständigen Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die teilweise Klagerücknahme hat der Kläger erklärt, weil infolge der Zahlung von 9.235,63 € durch die Beklagte am 11.10.2013 der Klageanlass insoweit nach Anhängigkeit und vor Rechtshängigkeit weggefallen ist. Nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO sind der Beklagten insoweit die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes aufzuerlegen, weil sie sich mit der Leistung in Verzug befand. Hinsichtlich des Verzugseintritts wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
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