Urteil vom Landgericht Bochum - I - 4 O 476/08
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die achtzigjährige Klägerin ist seit Jahren Mitglied des Kirchenchors der Beklagten. Am 01.04.2005 verließ sie nach Abschluss der Messe, an welcher der Chor teilgenommen hatte, als erste den Chorstuhl und ging die Wendeltreppe zur Sakristei hinunter. In der Mitte der Treppe stürzte die Klägerin und fiel bis zum Ende der Treppe. Dort wurde die Zeugin F auf sie aufmerksam, die noch während der Messe den Chorstuhl verlassen hatte. Das Angebot der Zeugin, ihr zu helfen, lehnte die Klägerin ab und verließ eigenständig das Gebäude.
3Bei der Treppe handelt es sich um eine steinerne Wendeltreppe, die so wie das Kirchengebäude 100 Jahre alt ist. Sie ist mit einem festen, durchgehenden Handlauf versehen. Das Treppenhaus hat im oberen Bereich und in der Mitte lichtdurchlässige Fenster und ist weiterhin mit elektrischer Beleuchtung ausgestattet. Die Beleuchtung hat eine Serienschaltung und kann an beiden Enden der Treppe eingeschaltet werden. Die Lichtschalter befinden sich etwa einen Meter über der Höhe des Fußbodens und sind weiß. Eine Zeitschaltung besteht nicht, so dass das Licht so lange brennt, bis es wieder ausgeschaltet wird. Die Treppe ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich, sondern kann nur durch Mitarbeiter der Beklagten aufgeschlossen werden. Sie wird dann unter anderem auch von den Chormitgliedern genutzt.
4Die Klägerin erlitt durch den Sturz Rückenprellungen, welche eine Verengung im Spinalkanal und Lähmungserscheinungen zur Folge hatten. In der Folgezeit musste sie zweimal operiert werden und befindet sich seit dem Sturz in ständiger Reha-Behandlung.
5Die Klägerin behauptet, die eng gewendelte und einem breiten Publikum zugängliche Treppe sei nicht ordnungsgemäß ausgeleuchtet gewesen. Insbesondere für Kirchenbesucher sei sie nicht verkehrssicher gewesen. Zum Unfallzeitpunkt sei das Treppenhaus nicht elektrisch beleuchtet gewesen und auch das Tageslicht habe keine ausreichende Sicht gewährt. Die Klägerin behauptet, ruhig und ohne Hektik die Treppe benutzt zu haben. Sie behauptet ferner, dass bereits vor ihr Benutzer der Treppe Unfälle erlitten hätten. Bezüglich ihrer Verletzungen behauptet die Klägerin, dass die Verengung im Spinalkanal und die Lähmungserscheinungen allein auf den Unfall zurückzuführen seien. Sie sei dadurch in ihrer Lebensqualität sehr eingeschränkt, könne schlecht laufen und ihren Haushalt nur mit der Hilfe Dritter bewältigen. Sie hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000,00 Euro für angemessen und verlangt Ersatz ihrer nicht erstattungsfähigen Heilmittelkosten sowie der Taxikosten, die sie für insgesamt 100 Fahrten zu ihrer Reha-Behandlung habe aufbringen müssen.
6Die Klägerin beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.917,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2008 zu zahlen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte behauptet, die Treppe sei, insbesondere unter Berücksichtigung des Alters der Kirche, verkehrssicher gewesen. Seit Bestehen der im Stil der Gründerjahre erbauten Kirche seien der Beklagten keine Unfälle an der seit Jahren unveränderten Treppe bekannt. Diese verfüge über einen Handlauf. Sie sei mit elektrischem Licht gut beleuchtbar und auch bei Tageslicht ausreichend ausgeleuchtet. Die mit der Treppe bestens vertraute Klägerin habe den Chorstuhl in Eile verlassen und den Sturz durch eigene Hektik selbst verschuldet. Um den Lichtschalter habe sie sich nicht gekümmert. Die Beklagte bestreitet, die Schwere der Verletzungen und die Ursächlichkeit des Sturzes für die andauernden gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin. Dem stünde nämlich entgegen, dass die Klägerin nach dem Sturz in der Lage war, alleine und eilig die Kirche zu verlassen. Die Beklagte bestreitet ferner die Aktivlegitimation der Klägerin. Sie ist der Ansicht, dass diese gemäß § 116 SGB X auf die Haftpflichtversicherung der Klägerin übergegangen sei.
11Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin F in der mündlichen Verhandlung vom 24.04.2009. Für das Ergebnis wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung verwiesen.
12Entscheidungsgründe
13Die zulässige Klage ist nicht begründet.
14Der Klägerin steht der gegen die Beklagte geltend gemachte Schmerzensgeld- und Schadensersatzanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Sie hat keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund einer Verletzung der Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte, gemäß § 823 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 229, 13 Abs. 1 StGB.
15Ein deliktischer Anspruch ist bereits dem Grunde nach nicht gegeben. Denn der Sturz der Klägerin ist nicht durch eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte verursacht und die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die Treppenverhältnisse ursächlich für den Sturz waren.
16Die allgemeine Rechtspflicht, im Verkehr Rücksicht auf die Gefährdung Anderer zu nehmen, beruht auf dem Gedanken, dass jeder, der Gefahrenquellen schafft, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz Dritter zu treffen hat. Da eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar ist, muss nicht für alle denkbaren entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Sie ist vielmehr auf solche Gefahrenquellen beschränkt, mit denen der übliche Verkehr nach seinen vernünftigen Sicherheitserwartung nicht zu rechnen braucht und auf die er sich nicht ohne weiteres selbst einstellen kann. Da diese Erwartungen bei erkennbar alten Gebäuden und Gebäudeteilen, so auch einer Treppe, im allgemeinen geringer sind als bei neueren Anlagen, muss sich dies auch bei der Bestimmung der Höhe der von den Verkehrssicherungspflichten jeweils zu gewährleistenden Sicherheitsstandards auswirken (OLG Hamm, r+s 1997, 331, 332; OLG Koblenz, NJOZ 2002, 1960, 1961; LG Bremen, Urteil v. 25.04.2006, 8 O 1146/05). Dies schließt es nicht aus, dass die dringenden Sicherheitsbedürfnisse eingehalten werden müssen. Das bedeutet, dass auch bei alten Gebäuden eine standfeste Treppe, bei einer Wendeltreppe das Vorhandensein eines Treppengeländers und ausreichende Trittbreite, so wie generell das Vorhandensein von ausreichenden Lichtquellen zur Schaffung guter Sichtverhältnisse erforderlich sind (OLG Hamm, r+s 1997, 331, 332).
17Die Anwendung dieser Grundsätze führt hier zu dem Ergebnis, dass bereits eine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte nicht vorliegt. Weder die von der Klägerin gerügte enge Wendelung der Wendeltreppe, noch die Beleuchtung der Treppe lassen einen Verstoß erkennen.
18Es ist zunächst festzuhalten, dass nach den in der mündlichen Verhandlungen erlangten Erkenntnissen, die Treppe nicht einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ist. Lediglich ein beschränkter und beschränkbarer Personenkreis, zu welchem auch die Klägerin gehört, war in der Lage die Treppe zu bestimmten Zeiten zu benutzen, nachdem der Zugang durch Mitarbeiter der Beklagten eröffnet worden war. Insoweit war für die Verkehrssicherung nicht der erhöhte Maßstab für öffentliche Gebäude anzuwenden (vgl. Bamberg/Roth – Spindler, 2007 § 823 Rn. 312).
19Die von der Klägerin beanstandete enge Wendelung der Treppe stellt keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar. Eine Nichtbeachtung von Sicherheitsgeboten allein durch die Wendelung der Treppe ist nicht festzustellen. Denn nicht nur ist für das Gericht eine besondere Gefahr durch das Vorhandensein einer typischen Wendeltreppe nicht erkennbar. Zudem hat auch die von der Klägerin benannte Zeugin F überzeugend ausgesagt, dass die Treppe eine für Kirchen übliche Breite habe, eine Wendelung, wie sie in Kirchen üblich sei und dass sie selbst noch nie Schwierigkeiten bei der Benutzung gehabt habe. An der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugin hat das Gericht keinen Anlass zu zweifeln. Denn die als Hilfsküsterin und Chormitglied mit der Kirchentreppe vertraute, ebenfalls achtzigjährige Zeugin hat nachvollziehbar und klar ihren Eindruck von der Treppe geschildert. Zudem steht ihrer Aussage die pauschale Behauptung der Klägerin, die Treppe sei eng und stark gewendelt, nicht entgegen. Denn eine enge Biegung ist bei Wendeltreppen naturgemäß gegeben und bedeutet für sich keinen Verstoß gegen die Sicherheitspflichten des Hausherrn. Es hätte Anlass bestanden, einen solchen Verstoß anzunehmen, wenn eine an allen Stellen der Stufen geringe Trittbreite oder sonstige Einschränkungen bei der Begehbarkeit der Treppe behauptet worden wären. Dies war jedoch nicht der Fall. Bei der Bewertung ist zudem von Bedeutung, dass das hier in Rede stehende Gebäude bereits um die Jahrhundertwende errichtet worden ist, d.h. zu einer Zeit, als an die Ausgestaltung von Treppen bautechnisch noch deutlich geringere Anforderungen als heute gestellt worden sind. Da die Benutzer der Treppe nach dem Gesamteindruck der im romanischen Stil erbauten Kirche auf diese leicht erkennbaren Erschwernisse gefasst sein konnten und mussten, war die Beklagte insoweit zu keiner besonderen Sicherungsmaßnahme verpflichtet. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass es sich um eine Kirche handelt und somit um einen Ort, an dem davon ausgegangen werden kann, dass sich die Besucher eher mit Bedacht bewegen. Zudem hat sich ein Benutzer auf die bauliche Ausführung einer Treppe einzustellen und hat z.B. bei einer Wendeltreppe den Bereich zu wählen, wo die Stufen eine ausreichende Aufsetztiefe gewähren (vgl. OLG Koblenz, NJOZ 2002, 1961, 1962). Ferner darf an den Benutzer die Anforderung gerichtet werden, bei Benutzung einer Wendeltreppe auch den Handlauf zu Hilfe zu nehmen. Ein solcher war ebenfalls vorhanden.
20Dass die Beklagte die für eine Wendeltreppe üblichen Sicherungsmaßnahmen eingehalten hat, indiziert schließlich auch, dass die ebenfalls achtzigjährige Zeugin die Treppe mühelos nutzen konnte. Ferner vermochte die Klägerin die von ihr behaupteten vorherigen Unfälle anderer Chormitglieder nicht zu beweisen, so dass sich die Beklagte auch nicht zu gesteigerten Sorgfaltsmaßnahmen veranlasst sehen musste. Es fehlte bereits an einer konkreten Unfallschilderung seitens der Klägerin. Zudem wurden etwaige Unfälle aber von der Zeugin verneint. Für das Gericht bestehen indes keine maßgeblichen Anhaltspunkte, warum es der Aussage der Klägerin mehr Glauben schenken sollte, als der Aussage der Zeugin F. Die Beweisaufnahme führte insoweit zu einem non liquet, was aber zu Lasten der beweispflichtigen Klägerin geht.
21Auch aus der Beleuchtung der Treppe ist kein Verstoß der Beklagten gegen ihre Verkehrssicherungspflichten erkennbar. Die von der Klägerin behauptete mangelhafte Beleuchtung erachtet das Gericht nicht als erwiesen. Unabhängig von der Frage, ob das durch die im oberen und mittleren Bereich vorhandenen Fenster das Treppenhaus bereits ausreichend mit Tageslicht versorgten, unabhängig von der Tageszeit und den Wetterverhältnissen zum Zeitpunkt des Sturzes und unabhängig davon, ob die Türen zum Treppenhaus geöffnet waren, liegt auch in Bezug auf die Lichtverhältnisse kein Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflichten vor. Denn das Treppenhaus verfügte über eine ausreichende elektrische Beleuchtung. Von dieser Tatsache ist das Gericht aufgrund der Schilderung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, welche durch die Zeugin F bestätigt wurden, überzeugt. Die Zeugin hat ausdrücklich bestätigt, dass elektrisches Licht im Treppenhaus vorhanden ist. Hieran zu zweifeln hat das Gericht keinen Anlass. Denn die Aussage deckt sich mit der Aussage der Beklagten. Zudem hat die Klägerin diese Aussage konkret nicht bestritten. Den genauen Angaben der Beklagten, dass das Licht sogar oben und unten jederzeit eingeschaltet werden kann und die Lichtschalter aufgrund ihrer hellen Farbe deutlich erkennbar sind, ist die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht entgegen getreten. Sie hat lediglich vage bekundet, nicht zu wissen, ob ein Lichtschalter vorhanden ist, da sie sich nicht habe vordrängen wollen. Sie vermochte daher nicht darzulegen, dass die elektrische Beleuchtung für die Ausleuchtung des Treppenhauses nicht ausreichte oder nicht handhabbar war.
22Die objektive Gefährlichkeit der Treppe lag daher allein darin, dass es sich um eine Treppe handelt, die zudem gewendelt war, somit nur an einer Seite über eine ausreichende Trittbreite verfügte und darin, dass je nach Tageszeit die elektrische Beleuchtung einzuschalten war.
23Es war der Klägerin aber zumutbar und durfte auch von ihr verlangt werden, den Lichtschalter zu betätigen. Denn da sie als erste den Chorstuhl verließ, durfte sie nicht davon ausgehen, dass das Licht bereits brannte. Sie hätte erkennen können, dass das Treppenhaus für sie zu dunkel war. Für den Fall, dass sie tatsächlich nicht wusste, wo der Lichtschalter war und diesen auch nicht fand, war es für sie zumutbar, auf andere Chormitglieder zu warten und diese um Hilfe zu bitten. Dies insbesondere deswegen, weil ihr die Verhältnisse der Treppe bekannt waren. Entsprechend ist sogar dann ein Verschulden des Hauseigentümers verneint worden, wenn die Beleuchtung im Treppenhaus komplett ausgefallen war und der Benutzer daher stürzte. Denn in solchen Fällen darf der Hauseigentümer darauf vertrauen, dass Besucher die Treppe bei Dunkelheit mit gesteigerter Eigensorgfalt begehen (OLG Koblenz, NJOZ 2002, 1960). Erst recht durfte daher von der Klägerin verlangt werden, den Lichtschalter der funktionsfähigen Beleuchtung zu suchen oder um Hilfe der Anwesenden zu bitten. Ebenso konnte erwartet werden, dass die Klägerin sich angesichts der Wendelung der Treppe des Handlaufs bediente. Die Klägerin kannte die objektiv sehr geringfügige Gefahrenquelle und hätte bereits bei geringer Anstrengung ihrer Aufmerksamkeit und Sorgfalt den Sturz ohne weiteres vermeiden können. Aus diesen Gründen wiegt ihr Eigenverschulden an dem Sturz so schwer, dass selbst ein etwaiges Verschulden der Beklagten zu vernachlässigen wäre.
24Arbeitsrechtliche Ansprüche, wie sie die Klägerin selbst in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, sind bereits mangels eines arbeitsähnlichen Verhältnisses nicht gegeben. Die Klägerin war zwar sei Jahren im Chor der Beklagten tätig, doch wurde durch diese Freizeitaktivität kein Arbeitsverhältnis begründet. Hierfür genügt die Regelmäßigkeit ihrer Teilnahme am Chor allein nicht.
25Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 11, 709 Satz 1 und 2 ZPO.
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