Schlussurteil vom Landgericht Bonn - 1 O 1/92
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 2.500,-- nebst 4 % Zinsen seit dem 03.02.1992 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen, soweit nicht bereits durch Teil-Anerkenntnisurteil über sie entschieden worden ist.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 3/4, die Beklagte 1/4 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 3.300,--. Der Kläger darf die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 1.720,-- abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheitsleistungen können auch durch Bürgschaft einer öffentlichen Sparkasse oder deutschen Großbank erbracht werden.
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Tatbestand:
2Der Kläger, 19## geboren und von Beruf Markthändler, nimmt die Beklagte auf Zahlung von "Schmerzensgeld" wegen Verletzungen in Anspruch, die er bei einem Verkehrsunfall am ##.##.19## in der Nähe von J auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erlitt. Der Kläger kollidierte auf der Straße $ ### mit einem PKW M, amtliches Kennzeichen $$$ #-##. Halter dieses Kraftfahrzeugs war der Q der DDR. Der Name des Fahrers, den das alleinige Verschulden an dem Unfall trifft, ist unbekannt und nicht mehr feststellbar.
3Auf Grund des Frontalzusammenstoßes erlitt der Kläger eine Kinnplatzwunde am rechten Unterkieferast, eine offene Luxation des unteren Sprunggelenkes rechts und eine Kniescheibenfraktur rechts. Er wurde zunächst im O-P-Universitätskrankenhaus in J-X wegen der Kniescheibenfraktur und der Luxation des Sprunggelenkes operativ versorgt; der stationäre Aufenthalt dort dauerte vom ##.##. bis ##.##.19##. Nach der Heimreise des, Klägers erfolgte die ambulante Weiterbehandlung durch Herrn Dr. I in N. Vom Unfalltag bis zum ##.##.19## war der Kläger zu 100 % arbeitsunfähig. Zwischen dem ##.##. und dem ##.##.19## fand eine erneute stationäre Behandlung in der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik E statt, bei der an der rechten Kniescheibe noch vorhandene Schrauben entfernt wurden. Weiterhin erfolgte eine Gelenkeröffnung mit Inspektion der Kniescheibenrückfläche.
4Anlässlich einer Nachuntersuchung des Klägers am ##.##.19## in der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik E wurden noch folgende unfallbedingte Schädigungen festgestellt:
5Ein Zustand nach Kniescheibenfraktur mit kleiner Gelenkstufe ausgeheilt und deutlicher Retro-Patellar-Arthrose rechts sowie Narbenbildungen im Bereich des Kniegelenkes mit endgradiger Bewegungseinschränkung; Narbenbildungen im Bereich des Fußgelenkes mit Bewegungseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk und Einschränkung der Fußverwringung mit posttraumatischer klinischer und röntgenologischer Arthrose im Bereich des unteren Sprunggelenkes und des oberen Sprunggelenkes; Anschlußarthrose im Bereich des Talo-Navicular-Gelenkes und der dringende Verdacht eines Tarsaltunnelsyndroms. Wegen der Einzelheiten des Untersuchungsergebnisses wird auf den ärztlichen Bericht (BI. 29 ff. d.GA) verwiesen. Die Minderung der berufsbezogenen Arbeitsfähigkeit des Klägers wurde mit 20 % ermittelt. Sie besteht auch heute noch. Mit einer Verschlechterung des Zustandes des Klägers ist zu rechnen; Umfang und Zeitpunkt können nicht bestimmt werden.
6Durch einen Korrespondenzversicherer wurde für die Unfallfolgen bislang eine Entschädigung in Höhe von DM 5.500,-- gezahlt.
7Der Kläger hält ein Schmerzensgeld von insgesamt DM 30.000,-- für angemessen. Er ist der Auffassung, die Höhe des Anspruchs aus § 338 Abs. 3 des Zivilgesetzbuchs der DDR (ZGB) habe sich an den zu § 847 BGB entwickelten Grundsätzen zu orientieren, da die Vorschriften nach ihrem Wesen und ihrem Normzweck weitgehend identisch seien.
8Über den ursprünglich gestellten Antrag des Klägers,
9festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen weiteren Schaden aus dem Unfallereignis vom ##.##.19## zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind,
10hat die Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 17.06.1992 durch Teil-Anerkenntnis-Urteil entschieden. Der Kläger beantragt nunmehr noch,
11die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes, nach billigem Ermessen festzusetzendes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen ab Klageerhebung zu zahlen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie ist der Ansicht, der Anspruch aus § 338 Abs. 3 ZGB sei den Voraussetzungen und der Höhe nach wesentlich enger gefasst als § 847 BGB, Schmerzensgeldbeträge, wie sie nach § 847 BGB in Frage kämen, gewähre § 338 Abs. 3 ZGB nicht.
15Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten vorgetragenen Akteninhalt verwiesen.
16Entscheidungsgründe:
17Die Klage ist, soweit nicht bereits durch Teil-Anerkenntnis-Urteil über die entschieden worden ist, teilweise begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von DM 2.500,--. Anspruchsgrundlage sind ausschließlich die §§ 345 Abs. 1, 338 Abs. 3 ZGB i. V. m Art. 21, 22 des Einigungsvertrages zwischen der Bundesrepublik und der DDR.
18Nach Art. 232 § 1 EGBGB bleibt für ein vor dem Wirksamwerden des Beitritts entstanden ist, das bisherige im Gebiet der ehemaligen DDR geltende Recht maßgebend.
19Der Verkehrsunfall, aus dessen Folgen der Kläger seinen Anspruch herleitet, ereignete sich 19##, also vor dem Beitritt der damaligen DDR.
20Gemäß § 345 Abs. 1 ZGB ist für einen Schaden, der beim Betrieb von Kraftfahrzeugen entsteht, der Halter verantwortlich. Was zum ersatzfähigen Schaden gehört, bestimmt u. a. § 338 Abs. 3 ZGB. Danach ist dem Geschädigten ein angemessener Ausgleich zu zahlen, wenn er wegen des Gesundheitsschadens nur im beschränkten Umfang am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Ein solcher Ausgleich wird auch dann gewährt, wenn durch den Gesundheitsschaden das Wohlbefinden des Geschädigten erheblich oder längere Zeit beeinträchtigt wird.
21Schuldnerin der Forderung ist durch den Beitritt der ehemaligen DDR die Beklagte geworden.
22Im Einigungsvertrag ist in Art. 21 Abs. 1 bestimmt, daß das Vermögen der DDR, das unmittelbar bestimmten Verwaltungsaufgaben dient (Verwaltungsvermögen) Bundesvermögen wird, sofern es nicht nach seiner Zweckbestimmung am 01. Oktober 1989 überwiegend für Verwaltungsaufgaben bestimmt war, die nach dem Grundgesetz von Ländern, Gemeinden (Gemeindeverbänden) oder sonstigen Trägern öffentlicher Verwaltung wahrzunehmen sind. Zum Verwaltungsvermögen gehören auch die Haftungsverbindlichkeiten der ehemaligen DDR.
23Die Beklagte hat selbst vorgetragen, Anhaltspunkte dafür, daß das Fahrzeug des Q der DDR im Zeitpunkt des Unfalls generell nicht unmittelbar bestimmten Verwaltungsaufgaben gedient habe, bestünden nicht. Sie hat demzufolge die Zugehörigkeit des Fahrzeugs zum passiven Verwaltungsvermögen nicht bestritten.
24Die Kammer hält für die unfallbedingten Verletzungen und Behinderungen des Klägers einen Ausgleich in Höhe von insgesamt DM 8.000,-- für angemessen im Sinne des § 338 Abs. 3 ZGB.
25Wäre die Höhe des Schmerzensgeldes nach § 847 Abs. 1 BGB zu bemessen, so wäre ein nach § 287 ZPO zu schätzender Betrag von DM 10.000,--angemessen, aber auch ausreichend, um dem Kläger Ausgleich und Genugtuung zu gewähren.
26Bemessungsgrundlage für das nach § 847 Abs. 1 BGB zu zahlende Schmerzensgeld sind Ausmaß und Schwere der durch den Unfall vom ##.##.19## entstandenen physischen Störungen, das Maß der Lebensbeeinträchtigung, Größe, Dauer und Heftigkeit der Schmerzen, ferner der Grad des Verschuldens sowie die gesamten Umstände des Falles. Der Kläger musste sich zunächst im Rahmen der medizinischen Erstversorgung im O-P-Universitätskrankenhaus einer Operation unterziehen. Es folgten ambulante Weiterbehandlungen, später eine erneute Operation zur Entfernung von Metallschrauben. Noch heute bestehen u.a. Bewegungseinschränkungen und Arthrosen, die allerdings eine Minderung der Arbeitsfähigkeit in Höhe von lediglich 20 % bedingen. Zu berücksichtigen ist weiter, daß der - unbekannte -Fahrer des PKW M den Unfall alleine verschuldet hat.
27Das vom Kläger geforderte Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt DM 30.000,-- würde die Kammer selbst dann für stark überhöht halten, wenn der Anspruch nach § 847 Abs. 1 BGB zu beurteilen wäre.
28Von dem Betrag in Höhe von DM 10.000,-- waren jedoch 20 % abzuziehen, da die Funktion des § 338 Abs. 3 ZGB nicht in allen Punkten der des § 847 BGB entsprach.
29Der Sinn des Ausgleichsanspruchs nach § 338 Abs. 3 ZGB wurde darin erblickt, daß sich der Geschädigte Mittel beschaffen konnte, um sich nach seinen Bedürfnissen und seiner Wahl eine adäquaten Ausgleich an Lebensinhalt zu verschaffen (Kommentar zum ZGB, herausgegeben vom Ministerium der Justiz der DDR, 1983, § 338, Anm. 3.1; Brunner, Einführung in das Recht der DDR, 2. Aufl. 1979, S. 144). Einen generellen Schmerzensgeldanspruch für immaterielle Schäden kannte das ZGB nicht. Lediglich der durch die körperliche Beschädigung bedingte Verlust an normaler Lebensfreude sollte materiell ausgeglichen werden (Westen, Das neue Zivilrecht der DDR nach dem ZGB von 1975, 1977, S. 259 f.).
30Demgegenüber besteht die Funktion des § 847 BGB darin, dem Geschädigten nicht nur einen Ausgleich für entgangene Lebensfreude, sondern auch Genugtuung zu verschaffen, was dem ZGB unbekannt war.
31Die Kammer hält daher einen Abzug von 20 %, also einen Ausgleichsanspruch in Höhe von insgesamt DM 8.000,-- für angemessen und ausreichend. Auf diesen Betrag sind die bereits gezahlten DM 5.500,--anzurechnen, so daß ein Restanspruch in Höhe von DM 2.500,-- verbleibt.
32Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
34Streitwert: bis zum 17.06.1992: DM 29.500,--
35ab dem 18.06.1992: DM 24.500,--
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