Urteil vom Landgericht Bonn - 10 O 93 / 04
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Zug um Zug gegen Einlieferung von Pfennig-Briefmarken im Gesamtwert von DM 95.000,00 Briefmarken zu € 0,45 bzw. € 0,55 im Gesamtwert von € 48.572,73 herauszugeben.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist in der Hauptsache gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 50.000 und wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d :
2Anlässlich der Währungsumstellung von Deutsche Mark auf Euro Anfang 2002 erklärte das Bundesministerium für Finanzen auf der Grundlage von § 43 Abs. 1 des Postgesetzes (PostG) Postwertzeichen, die auf DM oder Pfennig lauten, mit Wirkung ab dem 1. Juli 2002 für ungültig. Die Beklagte gewährte ihren Kunden eine Umtauschfrist von einem Jahr, also bis zum 30. Juni 2003.
3Der Kläger ist Briefmarkenhändler. Er reichte bis Ende Juni 2003 alte Briefmarken im Gesamtwert von mehr als DM 300.000 bei der Beklagten ein, welche diese in aktuelle Euro-Briefmarken umtauschte. Anfang Juli 2003 reichte der Kläger bei der Beklagten weitere Briefmarken zu einem Gesamtwert von mehr als DM 20.000 ein. Die Beklagte tauschte auch diese Marken um. Der Kläger erwarb sodann weitere DM-Briefmarken im Gesamtwert von DM 9.350, welche er unter dem 28. August 2003 bei der Beklagten einreichte. Die Beklagte verweigerte diesen Umtausch mit Schreiben vom 11. September 2003. Sie teilte dem Kläger mit, dass der Umtausch bereits beendet sei. Am 5. November 2003 reichte der Kläger bei der Beklagten weitere DM-Briefmarken in einem Gesamtwert von DM 95.000 ein. Auch hinsichtlich dieser Briefmarken verweigerte die Beklagte den Umtausch mit Hinweis auf den Ablauf der Umtauschfrist und einer bis Mitte Juli 2003 eingeräumten „Kulanzfrist“.
4Der Kläger verlangt von der Beklagten nun klageweise den Umtausch der zuletzt eingesandten Briefmarken.
5Er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch gegen die Beklagte auf Umtausch der Briefmarken. Diesen Anspruch leitet er insbesondere daraus her, dass die Beklagte noch in den Begleitschreiben zu den Anfang Juli eingesandten DM-Briefmarken vom 9. und 10. August 2003 ihn nicht auf den Ablauf der Umtauschfrist und auch auf die Kulanzfrist nicht hingewiesen habe. Der Kläger macht geltend, er habe daher darauf vertraut und auch vertrauen dürfen, dass die Beklagte über den 10. August 2003 hinaus die alten Briefmarken eintausche.
6Der Kläger beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Zug um Zug gegen Einlieferung von Pfennig-Briefmarken im Gesamtwert von DM 95.000,00 Briefmarken mit € 0,45 bzw. € 0,55 im Gesamtwert von € 48.572,73 herauszugeben.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe von einer ihr zustehenden Befugnis, den Umtausch der Briefmarken, die Zahlungsmittel seien, zeitlich zu befristen, angemessen Gebrauch gemacht. Die eingeräumte Umtauschfrist stelle einen angemessenen Ausgleich zwischen den Kunden- und ihren Unternehmensinteressen dar. Die Beklagte habe sich bei der Bemessung der Frist an der gesetzlichen Regelung in § 439 HGB orientiert, die eine Verjährungsfrist von einem Jahr für die Geltendmachung von Frachten, aber auch für die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen wegen zuviel gezahlter Frachten aus § 812 BGB vorsehe. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass in Osteuropa Fälscherbanden im erheblichen Umfang gefälschte Postwertzeichen, lautend auf DM oder Pfennig, produziert hätten. Im Gegensatz zu den heute verwandten Euro-Postwertzeichen seien die damaligen DM-Briefmarken nicht fälschungssicher.
11Die Beklagte behauptet, auf die Umtauschfrist habe sie in ihren Publikationen auch ausreichend hingewiesen. Den Kunden sei ausreichend Zeit zum Umtausch verblieben. Mit Nichteinlösen der Marken trotz öffentlicher Bekanntmachung der Umtauschfrist hätten die betroffenen Kunden zum Ausdruck gebracht, dass sie sich zum Sammeln der Briefmarken und nicht zur Frankatur entschlossen hätten.
12Ohnehin sei der Kläger, wie die Beklagte weiter geltend macht, nicht schutzwürdig; dieser habe – was klägerseits nicht bestritten wird – die streitgegenständlichen Briefmarken in Kenntnis des Ablaufs der am 30. Juni 2003 endenden Umtauschfrist weit unter dem Nominalwert erworben. Würde sie verpflichtet, diese Briefmarken in aktuell gültige Postwertzeichen einzutauschen, wäre der Kläger dadurch erheblich, nämlich fast in Höhe der gesamten Klageforderung, ungerechtfertigt bereichert. Der Kläger verkenne, dass er damit alles andere als treumäßig handele, sondern sich vielmehr übermäßig und ohne Rechtsgrund bereichern wolle.
13Zudem ist die Beklagte der Ansicht, der Kläger könne auch deshalb den Umtausch nicht verlangen, weil eine solche Pflicht gegen § 23 PostG verstoßen würde. Danach sei die Höhe ihres Beförderungsentgelts nicht frei verhandelbar. Vielmehr sei die Beklagte an die von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post festgesetzten Preise gebunden. Da der Kläger die streitgegenständlichen Briefmarken weit unter dem Nominalwert erworben habe, würde die Umtauschpflicht in Euro-Briefmarken im konkreten Fall dazu führen, dass der Kläger einen vollen Anspruch auf die Beförderungsleistung erwerben würde, ohne den Nominalwert entrichtet zu haben. Dass aber stehe im Widerspruch zum gesetzlichen Verbot in § 23 PostG.
14Die Kammer hat der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung nachgelassen, zu neuem tatsächlichem Vorbringen im Schriftsatz des Klägers vom 30. April 2004 ergänzend vorzutragen. In dem nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 25. Mai 2004 hat die Beklagte sodann u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
17Die Klage ist begründet.
18Der Kläger hat aus §§ 807, 793 Abs. 1 Satz 1 BGB in ergänzenden Auslegung des in den Briefmarken verkörperten Leistungsversprechens einen Anspruch auf den begehrten Umtausch.
19I.
20Entgegen der Auffassung der Beklagten sind Briefmarken keine Zahlungsmittel.
211.
22Allerdings entsprach dies der bisher herrschenden Meinung (Kohler, Arch BR 6 (1892), 316 bis 345; Staudinger – Marburger, 13. Auflage, § 807 Rdnr. 5; Palandt – Sprau, 63. Auflage, § 807 Rdnr. 1; Jauernig – Vollkommer, 9. Auflage, § 807 Rdnr. 1; Beckscher PostG-Kommentar, 2. Auflage, § 43 Rdnr. 10; Monz, Arch PF 1990, 28 [32]; früher auch Allgaier, Archiv PF 1989, 222 [223]). Diese Ansicht geht auf Kohler zurück, der bereits im Jahre 1892 Briefmarken den hoheitlichen Zahlungsmitteln zuordnete; Briefmarken seien ein „Analogen des Geldes“ (vgl. Kohler, ArchBR 6 (1892), 316 bis 345). Die Konstruktion Kohlers fußte auf dem damaligen hoheitlich-öffentlich-rechtlichen Status der Kaiserlichen Post und des obrigkeitsstaatlich-autoritären Postbenutzungsverhältnisses (vgl. dazu: Schmidt, NJW 2000, 200 [202 f]). Daraus wurde gefolgert, dass die Briefmarke kein privates Forderungsrecht, sondern ein öffentlich-rechtliches, noch nicht voll entwickeltes Forderungsrecht verkörpere (Allgaier, Archiv PF 1989, 222 [223]). Nach der Privatisierung der Post, welche die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung des Postbenutzungsverhältnisses beseitigt hat, kann sich diese Ansicht auf § 43 Abs. 1 PostG stützen, wonach die Ausgabe von Briefmarken weiter Staatsaufgabe ist. Vom Gesetzgeber wird damit die Briefmarkenausgabe traditionell weiterhin als hoheitliche Aufgabe im Dienste der staatlichen Gesamtrepräsentation verstanden. Auch kann sich diese Ansicht weiter auf das - auch von der Beklagten vorgebrachte Argument – stützen, wonach die Briefmarke eine bestimmte und konkrete Forderung nicht verkörpern könne, da bei dem Erwerb von Briefmarken der Inhalt des Vertrages über die Beförderung von Briefen, Päckchen oder Paketen noch nicht feststehe und die Beklagte nachträglich das Postentgelt ändern könne (vgl. zu dieser Argumentation etwa: Monz, Arch PF 1990, 28 [32] und Beckscher PostG-Kommentar - Stern, 2. Auflage, § 43 Rdnr. 10)
232.
24Eine neuere Ansicht sieht in Briefmarken hingegen Inhabermarken im Sinne von § 807 BGB (Schmidt, NJW 2000, 200 [202 f]; Münchener Kommentar – Hüffer, 4. Auflage, § 807 Rdnr. 12 und 13; so nun auch: Allgaier, DÖD 2001, 211 [214], nachdem er in Arch PF 1989, 222 [223] noch die Gegenansicht vertreten hatte; zweifelnd: Palandt – Sprau, 63. Auflage, § 807 Rdnr. 1 und 3, der die Gegenansicht vertritt, aber die Ansicht von Schmidt mit dem Zusatz „mit guten Gründen„ zitiert; vgl. auch Bohnert, NJW 1998, 2879 [2880], der die Briefmarken nach der Privatisierung der G nicht mehr unter die „amtlichen Wertzeichen„ im Sinne von § 148 StGB subsumieren will; in die gleiche Richtung: KG Berlin 5. Strafsenat, Beschluß vom 10. Januar 2002, Juris; vgl. auch Schönke/Schröder, 26. Auflage, § 148 Rdnr. 2: „Nach der Privatisierung wird man Briefmarken u.ä. als Inhaberschuldmarken im Sinne von § 807 BGB [und] nicht mehr als amtliches Wertzeichen ansehen können“). Die Vertreter dieser Ansicht verweisen darauf, dass die Auffassung Kohlers maßgeblich auf der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung des Postbenutzungsverhältnisses fuße und damit nach der Privatisierung der Post überholt sei.
253.
26Dieser im Vordringen befindlichen Auffassung schließt sich die Kammer an. Für eine Gleichstellung von Briefmarken mit Zahlungsmitteln besteht nach der Privatisierung der Post keine Veranlassung mehr.
27a.
28Insbesondere steht § 43 Abs. 1 PostG dieser Bewertung nicht entgegen: In § 43 Abs. 1 PostG hat der Gesetzgeber das Recht zur Ausgabe und Ungültigkeitserklärung von Postwertzeichen dem Bundesministerium für Finanzen übertragen. Der Gesetzgeber ging dabei ersichtlich davon aus, dass auch nach der Privatisierung des Postwesens die Ausgabe von Postwertzeichen als hoheitliche Aufgabe im Sinne von Art 87f Abs. 2 Satz 2 GG zu behandeln sei. Dies aber steht der Zuordnung der Briefmarken zu den Inhabermarken und damit zu den kleinen Inhaberpapieren im Sinne von § 807 BGB nicht entgegen. Denn von der Ausgabe strikt zu trennen ist die Verwendung von Postwertzeichen und die damit im engen Zusammenhang stehende Frage des Erwerbs. Richtete sich auch dieser Vorgang früher als Vorstufe zum später entstehenden Postbenutzungsverhältnis nach öffentlich-rechtlichen Regeln, so ist dieser Vorgang nach der Privatisierung der Post privatrechtlich zu bewerten (vgl. Beckscher PostG-Kommentar - Stern, 2. Auflage, § 43 Rdnr. 6). Das Ministerium für Finanzen gibt die Wertzeichen lediglich „geistig“ heraus, entscheidet über das Produktionsbedürfnis und gestaltet ein Produkt, welches danach jedoch von der Beklagten als Handelsgesellschaft (§ 43 Abs. 2 Satz 1 PostG) im privaten Rechtsverkehr herausgegeben und vertrieben wird (Beckscher PostG-Kommentar - Stern, 2. Auflage, § 43 Rdnr. 6).
29b.
30Es handelt sich bei Briefmarken nicht um Zahlungsmittel. Zahlungsmittel sind charakterisiert durch ihre hohe Umlauffähigkeit. Sie ermöglichen es, Vermögen auf leichte Weise zu transferieren. Daran fehlt es den Briefmarken. Diese werden nicht von jedermann, sondern allein von der Beklagten akzeptiert. Auch die Beklagte akzeptiert dabei Briefmarken nicht ganz allgemein als Geldersatz. Briefmarken dienen vielmehr dem Zweck, damit die Beförderungsleistungen der Beklagten im voraus zu vergüten. In der Ausgabe der Briefmarken sieht man auch auf Seiten der Beklagten keinen Wechselvorgang ähnlich wie dem inländischen Geldes in ausländisches, was sich bereits daraus ergibt, dass der Kunde kein Recht darauf hat, die Briefmarken wieder in Geld einzutauschen. Damit aber verkörpert eine Briefmarke nicht einen abstrakten Vermögenswert, sondern – wie dies für Ansprüche charakteristisch ist – von vornherein ein Recht auf Erbringung einer bei Ausgabe seiner Art nach bereits definierten Leistung, nämlich einer Beförderungsleistung.
31Dass die versprochene Leistung nur abstrakt definiert ist, steht der Klassifizierung der Briefmarken als Inhabermarken im Sinne von § 807 BGB nicht entgegen. Dies verkennt die Gegenansicht. Es ist zwar richtig, dass bei der Ausgabe der Briefmarken die von der Beklagten geschuldete Beförderungsleistung konkret (etwa nach Objekt und Ziel) noch nicht feststeht, so dass ein Anspruch auf eine konkrete Beförderungsleistung in den Briefmarken nicht verkörpert sein kann. Dies aber ist für die Einordnung der Briefmarken zu den Inhabermarken genauso irrelevant wie der Umstand, dass die Beklagte nach Ausgabe der Briefmarken das Vergütungssystem für ihre Beförderungsleistungen neu ordnen kann. Denn Briefmarken sind auf Verrechnung gerichtet. Derartige Leistungsversprechen sind der Rechtsordnung nicht fremd: Bei den sog. Wertgutscheinen, die es im geschäftlichen Verkehr in der verschiedensten Form gibt und deren rechtliche Qualifizierung gesetzlich nicht geregelt ist, handelt es sich nach ganz herrschender Ansicht um kleine Inhaberpapiere im Sinne von § 807 BGB (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 21. September 2000, VuR 2000, 451-453, LG München I, Urteil vom 26. Oktober 1995, VuR 1996, 65-66; AG Northeim, Urteil vom 26. August 1988, NJW-RR 1989, 54). Dies stellen auch die Vertreter der Gegenansicht nicht in Abrede (vgl. etwa: Staudinger – Marburger, 13. Auflage, § 807 Rdnr. 1; Palandt – Sprau, 63. Auflage, § 807 Rdnr. 3; Jauernig – Vollkommer, 9. Auflage, § 807 Rdnr. 1; Ahrens, BB 1996, 2477 [2478]). Bei Wertgutscheinen aber ist die Lage nicht anders: Auch bei diesen steht die Leistung bei Ausgabe der Gutscheine lediglich abstrakt, nicht aber konkret fest. Einkaufsgutscheine über einen bestimmten Geldbetrag verkörpern etwa das Recht auf Einkauf zu einem bestimmten Wert, ohne dass man die Einordnung als kleines Inhaberpapier im Sinne von § 807 BGB daran scheitern ließe, dass der Kaufgegenstand noch unbestimmt ist. Das Leistungsversprechen geht auf Verrechnung mit einer ansonsten anfallenden Kaufpreisschuld. An einer Veränderung ihrer Preise sind die Versprechenden aufgrund der Ausgabe der Gutscheine grundsätzlich nicht gehindert (vgl. ausführlich zu Wertgutscheinen und der vorstehenden Problematik: Ahrens, BB 1996, 2477 [2478], der die Leistungspflicht bei Wertgutscheinen zu Recht dogmatisch in die Nähe eines Vorvertrages mit Ersetzungsbefugnis rückt). Gleiches gilt etwa auch für Biermarken, die ebenfalls auch von der Gegenansicht den kleinen Inhaberpapieren im Sinne von § 807 BGB zugeordnet werden (vgl. etwa nur: Staudinger – Marburger, 13. Auflage, § 807 Rdnr. 1; Jauernig – Vollkommer, 9. Auflage, § 807 Rdnr. 1). Auch Biermarken verkörpern regelmäßig nur verbal einen Anspruch auf die Lieferung eines Bieres. Biermarken kann man vielmehr im Regelfall auch für andere Getränke einsetzen, wobei sich dann der „Preis“ für die andersartigen Getränke nach der Anzahl der hinzugebenden Biermarken richtet. Daraus folgt: Briefmarken sind Inhabermarken und damit wie Wertgutscheine kleine Inhaberpapiere im Sinne von § 807 Abs. 1 BGB, aber keine Zahlungsmittel. Sie sind zwar nicht auf eine bestimmte Leistung gerichtet, jedoch sind sie – anders als dies bei Zahlungsmitteln der Fall ist – in ihrer Verwendbarkeit von vornherein stark eingeschränkt: Sie werden regelmäßig nur von der Beklagten akzeptiert und dies auch nur zum Zwecke der Vergütung ihrer Beförderungsleistungen. Mit dieser eingeschränkten Verwendbarkeit aber wäre es nach Ansicht der Kammer unvereinbar, die Briefmarken als Zahlungsmittel anzusehen (vgl. auch das von der Beklagten vorgelegte Standardschreiben des Ministeriums für Finanzen an beschwerdeführende Bürger (Anlage B 2), worin das Ministerium ausführen läßt, dass „aufgrund der wesentlich leichteren Möglichkeit, Marken zu fälschen, diese dem Geld als Zahlungsmittel nicht gleichgesetzt werden können“ und daher ein Rückerstattungsanspruch in Geld nicht bestehe).
32II.
33Gem. §§ 807 i.V. 793 Abs. 1 BGB ist der Anspruch gerichtet auf Leistung entsprechend dem Leistungsversprechen. Vorliegend war das Leistungsversprechen zunächst darauf gerichtet, dass die Beklagte mit gültigen Briefmarken frankierte Sendungen befördert. Aufgrund der Ungültigkeitserklärung durch das Bundesministerium für Finanzen stehen den Kunden gültige Marken nicht mehr zur Verfügung. Die Beklagte ist daher verpflichtet, die für ungültig erklärten Briefmarken in aktuelle einzutauschen.
341.
35Dies ergibt sich aus einer ergänzenden Auslegung des in den Briefmarken verkörperten Leistungsversprechens.
36a.
37Das in Rechtsprechung und Lehre entwickelte Institut der ergänzenden Vertragsauslegung dient dazu, den von den Parteien bei ihren Absprachen entwickelten und einverständlich festgelegten Regelungsplan für solche Lücken zu ergänzen, für die ein Regelungsbedarf besteht, den die Parteien zwar nicht erkannt haben, dem sie aber genügt hätten, wenn ihnen die Regelungsbedürftigkeit bekannt gewesen wäre. Eine im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließende Regelungslücke besteht, wenn der Vertrag innerhalb des durch ihn gesteckten Rahmens oder innerhalb der objektiv gewollten Vereinbarung ergänzungsbedürftig ist, weil eine Vereinbarung in einem regelungsbedürftigen Punkt fehlt (z.B.: BGH, Urteil vom 4. März 2004, MMR 2004, 308 [310]; BGH, Urteil vom Urteil vom 20. Januar 1994, BGHZ 125, 7 [17]; BGH, Urteil vom Urteil vom 29. April 1982, BGHZ 84, 1 [7]). Unmaßgeblich ist grundsätzlich, auf welchen Gründen die Unvollständigkeit der Regelung beruht (BGH, Urteil vom 4. März 2004, MMR 2004, 308 [310]; BGH, Urteil vom Urteil vom 29. April 1982, BGHZ 84, 1 [7]). Die ergänzende Vertragsauslegung kommt allerdings zumeist nicht in Betracht, wenn das dispositive Recht Regelungen für die offen gebliebene Problematik bereit hält (Palandt/Heinrichs, 63. Auflage, § 157 Rdn. 4).
38b.
39Die Voraussetzungen für die ergänzende Vertragsauslegung sind hier erfüllt: Eine Regelung darüber, was gelten soll, wenn die ausgegebenen Briefmarken für ungültig erklärt werden, ist nicht ersichtlich und erst recht nicht vorgetragen. Dispositive gesetzliche Bestimmungen, die das Vertragswerk zu dem fraglichen Punkt vervollständigen könnten, existieren nicht. Die Ergänzung dieses offenen Punktes ist indes geboten, weil eine interessengerechte Lösung der vorliegenden Problematik innerhalb des ausdrücklich vereinbarten Regelwerkes nicht gefunden werden kann, jedoch eine Regelung, nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen Bedeutung für die Vertragsparteien, zwingend erforderlich ist.
40c.
41Die ergänzende Vertragsauslegung richtet sich danach, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (z.B.: BGH, Urteil vom 4. März 2004, MMR 2004, 308 [310]; BGH, Urteil vom Urteil vom 29. April 1982, BGHZ 84, 1 [7]; Palandt/Heinrichs, 63. Auflage, § 157 Rn. 7). Bei der Ermittlung dieses hypothetischen Parteiwillens sind in erster Linie die in dem Vertrag schon vorhandenen Regelungen und Wertungen zu berücksichtigen (z.B.: BGH, Urteil vom 4. März 2004, MMR 2004, 308 [310]). Die hieraus herzuleitende Vertragsauslegung muß sich als zwanglose Folge aus dem gesamten Zusammenhang des Vereinbarten ergeben (BGH, Urteil vom 4. März 2004, MMR 2004, 308 [310]).
422.
43Danach ergibt sich das Umtauschrecht aus folgenden Überlegungen: In welchen Zeichen die Beklagte ihre Leistungen verbrieft, ist (jedenfalls für Nichtsammler) regelmäßig sekundär. Die Briefmarken sind für den Durchschnittskunden lediglich Mittel zum Zweck. Es wäre vor diesem Hintergrund nicht interessengerecht, wenn die Beklagte aufgrund der Ungültigkeitserklärung verpflichtet wäre, ihren Kunden die durch den Erwerb der Briefmarken erfolgte Vorleistung zurückzuerstatten. Durch die Ausgabe und den Verkauf der Briefmarken ist für die Beklagte das Geschäft bereits getätigt. Eine Auszahlungspflicht würde daher dem Umsatzinteresse der Beklagten widersprechen. Zum Ausgleich der Kosten der Ausgabe von Briefmarken muss sie den Gegenwert als sichere Einnahme verbuchen können. Durch den Verkauf ist die Beklagte damit ihren Kunden im Hinblick auf den später abzuschließenden Frachtvertrag gebunden, der Kunde ist aber auch ihr gegenüber gebunden, da er die Vergütung bereits entrichtet / vorausgezahlt hat und diese nicht mehr zurückfordern kann. Daraus ergibt sich, dass die Parteien im Hinblick auf den mit dem Vertrag verfolgten Zweck bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte analog dem Rechtsgedanken des § 800 Satz 1 BGB vereinbart hätten, dass – wie dies für die Übergangsfrist ja auch gehandhabt wurde – die alten Briefmarken gegen gültige umgetauscht werden können. Man hätte damit nur das Medium der Verbriefung der Ansprüche ausgetauscht, nicht aber den Vertrag (wirtschaftlich betrachtet) rückabgewickelt (von einem Umtauschrecht nachträglich „verdorbener“ Briefmarken gegenüber der damals noch hoheitlich tätigen Post geht auch Allgaier, Arch PF 1989, 222 [224] aus).
443.
45Nicht beigetreten werden kann der Auffassung der Beklagten, wonach der Anspruch auf Umtausch in der vorliegenden Fallgestaltung auf einen Verstoß gegen § 23 PostG hinausläuft. Denn mit der Umtauschverpflichtung wird die Beklagte nicht zu einer Beförderungsleistung verpflichtet, welche ihr nicht (voll) vergütet worden ist. Vielmehr sind die Beförderungsleistungen der Beklagten, zu denen sie aufgrund der Euro-Briefmarken verpflichtet würde, durch den Kauf der DM-Briefmarken bereits abgegolten. Dass der Kläger die Briefmarken von Dritten – möglicherweise weit unter Wert – erworben hat, ändert daran nichts.
46III.
47Dahin stehen kann, ob die Beklagte durch den Umtausch von Briefmarken nach Fristablauf bei dem Kläger ein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend geschaffen hat, dass sie auch weiterhin DM-Briefmarken in Euro-Wertzeichen eintausche. Denn im Streitfall konnte sie jedenfalls den Umtausch schon deshalb nicht verweigern, weil sie jedenfalls nicht das Recht hatte, den Umtausch auf ein Jahr zu befristen. Ein solches Recht ergibt sich weder unmittelbar aus dem Gesetz, noch aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung. Ob eine längere Umtauschfrist als ca. 1 ½ Jahre gerechtfertigt sein könnte und wenn ja, welche, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.
481.
49Diese Frage ist bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung „Gültigkeitsbefristung von Telefonkarten“ (BGH, Urteil vom 12.06.2001, NJW 2001, 2635 ff. = ZIP 2001, 1418 ff.) zwar eine AGB-Klausel, die eine Befristung von für das Festnetz bestimmten Telefonkarten festlegte, ohne zumindest die Anrechnung unverbrauchter Guthaben beim Kauf einer neuen Telefonkarte vorzusehen, als unangemessene Benachteiligung des Telefonkunden eingestuft. Dazu hat er ausgeführt, zwar habe sich der Telefondienstleister zu Recht darauf berufen, schon wegen der ständigen Fortentwicklung der Informationstechnologie sei er immer wieder gezwungen, Veränderungen an ihren öffentlichen Fernsprechern und Telefonkarten vorzunehmen, was die unbegrenzte Weiterbenutzung vor Jahren ausgegebener Telefonkarten ausschlösse, außerdem sei er nur mit Hilfe der Befristung von Telefonkarten in der Lage, den um sich greifenden Fällen des Missbrauchs durch Manipulationen an den Karten, die ihm in der Vergangenheit hohe Verluste verursacht hätten, wirksam zu begegnen. Gleichwohl ließen diese Gesichtspunkte aber nur ein Interesse des Telefondienstleisters deutlich werden, die Verwendbarkeit der Telefonkarten in seinem öffentlichen Fernsprechern, die er selbst als einziger Anbieter solcher Leistungen im Laufe der Jahre ganz überwiegend vom Münzbetrieb auf den Kartenbetrieb umgestellt habe, zeitlich zu begrenzen. Ein darüber hinausgehendes Interesse daran, mit dem Ende der Verwendbarkeit einer Telefonkarte auch den im Voraus für noch nicht verbrauchte Gesprächseinheiten enthaltenen Betrag ersatzlos verfallen zu lassen, habe die dortige Beklagte indessen nicht darzulegen vermocht. Deshalb überwiege das Interesse der Kartennutzer, nicht auf den Wert der im Voraus bezahlten Gesprächseinheiten verzichten zu müssen.
502.
51Vorliegend geht es nicht um die Gültigkeitsbefristung der Briefmarken selbst. Dass diese zum 1. Juli 2002 für ungültig erklärt werden konnten, ergibt sich bereits aus § 43 Abs. 1 PostG. Aus § 43 Abs. 1 PostG ergibt sich indes nicht, welche Auswirkung die Ungültigkeitserklärung für das privatrechtlich zu berurteilende Verhältnis der Beklagten zu ihren Kunden hat. Diese Frage ist in § 43 Abs. 1 PostG nicht geregelt. Auch gelten für Inhabermarken keine Vorlegungsfristen. § 807 BGB verweist gerade nicht auf § 801 BGB, der für Inhaberschuldverschreibungen Vorlegungsfristen statuiert.
523.
53Eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend, dass der Umtausch jedenfalls befristet ist oder dass die Beklagte berechtigt sein soll, den Umtausch entsprechend der Billigkeit (§ 315 BGB) zu befristen, steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Die Kammer kann vorliegend offen lassen, ob der Beklagten ein solches Recht zuzubilligen ist (vgl. dazu: OLG Köln, Urteil vom 03.03.2004, Az.: 11 U 193/04 – unveröffentlicht -, in dem das Oberlandesgericht ein Recht des Telefondienstleisters auf nachträgliche Befristung der technischen Verwendbarkeit von zunächst unbefristet ausgegebenen Telefonkarten aus einer ergänzenden Vertragsauslegung herleitet). Denn jedenfalls ist die von der Beklagten gesetzte Umtauschfrist von einem 1 Jahr, ebenso wie dies eine Frist von 1 ½ Jahren wäre, unangemessen kurz und entspricht damit nicht billigem Ermessen.
54Auch die vorliegend streitige Befristung des Umtausches greift in das Äquivalenzverhältnis des zwischen der Beklagten und ihren Kunden geschlossene Verträge insoweit ein, da der Kunde die trotz des beim Erwerb von Briefmarken vorausbezahlten Entgelts nach Ablauf einer von der Beklagten gesetzten Umtauschfrist die in der Briefmarke verbriefte Leistung nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Damit wird die Briefmarke zu einem – jedenfalls bei neueren Marken nahezu wertlosen – Sammlerobjekt. Dies aber ist unangemessen: Entsprechend der vorbezeichneten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Beklagten eine Gültigkeitsbefristung – zumal eine nachträgliche – nur dann zuzubilligen, wenn sie von einem besonderen Interesse der Beklagten getragen wird und den Anspruch des Vertragspartners nicht unnötig gefährdet.
55Die Beklagte hat ein anzuerkennendes Interesse daran, nach Ablauf gut eines Jahres – entsprechendes gilt für einen Zeitraum von ½ Jahren – im Voraus bezahlte und noch nicht in Anspruch genommene Beförderungsleistungen ersatzlos verfallen zu lassen, nicht darzulegen vermocht, wobei letztlich dahin stehen kann, ob und zu welchem späterem Zeitpunkt ein solches anzuerkennen ist.
56Wie auch in dem der Entscheidung „Gültigkeitsbefristung von Telefonkarten“ zugrunde liegenden Fall hat die Beklagte kein erkennbares und erst recht nicht vorgetragenes Interesse daran, den Umtausch bereits nach rund 1 bis 1 ½ Jahren auszuschließen. Zwar ist es für die Beklagte aufwendig, eine Organisation vorzuhalten, die den Umtausch vornimmt. Auch mag es sein, dass die bisherigen DM-Briefmarken nicht ausreichend fälschungssicher sind, so dass es möglich ist, dass diese weiterhin gefälscht und dann zum Umtausch gebracht werden. Indes sind diese Interessen nicht derart gewichtig, dass die Beklagte den Umtausch auf ein Jahr (oder 1 ½ Jahre) befristen darf: Auf Seiten der Vertragspartner der Beklagten ist zu berücksichtigen, daß deren rechtlich anerkennenswertes Interesse darin besteht, den vollen Gegenwert für den vorausbezahlten Kaufpreis zu erhalten. Ob die Beklagte demgegenüber für ein Jahr (oder 1 ½ Jahre) eine Organisation vorhält, welche den Umtausch vornimmt, oder dies auf einen längeren Zeitraum verteilt, führt grundsätzlich, jedenfalls für gewisse Zeit zu keiner unzumutbaren Mehrbelastung. Gegebenenfalls ist zu erwägen, ob die Beklagte aus dem Gesichtspunkt der ergänzenden Vertragsauslegung berechtigt ist, analog § 800 Satz 2 BGB Bearbeitungsgebühren zu erheben, welche die anfallenden Zusatzkosten (teilweise) kompensieren. Auch der Umstand, dass die bisherigen DM-Briefmarken nicht fälschungssicher sind, ist nicht derart gewichtig, dass sich damit die Befristung des Umtausches im vorliegend streitigen Umfang rechtfertigen ließe. Denn die Verlängerung der Umtauschfrist führt lediglich dazu, dass etwaige Fälscher mehr Zeit bekommen, um Fälschungen anzufertigen bzw. aufgrund des technischen Fortschritts Fälschungen ggfl. einfacher und besser sind. Indes ist die Beklagte auch insoweit nicht übermäßig schutzbedürftig, da sie in der Lage ist, die Echtheit zu überprüfen. Läßt sich die Echtheit auch durch Fachleute nicht klären, so geht das nicht zu ihren Lasten, sondern zu Lasten ihrer Kunden. Denn diese sind nach allgemeinen Beweisgrundsätzen für die Echtheit ihrer Briefmarken beweisbelastet. Die Gültigkeitsbegrenzung hat somit bezüglich des vorgebrachten Sicherheitsarguments zur Folge, daß zwar nach Ablauf der Frist vorhandene Briefmarken in der Tat vor möglichen Angriffen von Straftätern geschützt sind, allerdings mit der für die Kunden nicht hinzunehmenden Konsequenz, daß die alten Briefmarken vollständig zugunsten der Beklagten verfallen. Das Mißbrauchsrisiko wird nach Ablauf der Umtauschfrist vollständig auf den redlichen Vertragspartner abgewälzt, ohne dass ein angemessener Ausgleich für den Verlust seines Guthabens vorgesehen ist. Dabei wird verkannt, dass dieses Risiko in den Verantwortungsbereich der Beklagten fällt.
57In Bezug auf die Angemessenheit der eingeräumten Umtauschfrist kann die Beklagte auch aus dem Gedanken des § 439 HGB keine ihr günstigen Rechtsfolgen herleiten. Denn § 439 HGB ist mit der vorliegenden Fallgestaltung bereits nicht vergleichbar. Zwar verjähren gem. § 439 Abs. 1 HGB Ansprüche aus einer Beförderung in einem Jahr. Die relative kurze Verjährung dient neben der zügigen Abwicklung bei Schadensfällen dem Interesse des Rechtsverkehrs an der Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit einer Beilegung des Rechtsstreits. Gem. § 439 Abs. 2 Satz 1 HGB beginnt die Verjährung mit Ablauf des Tages, an dem das Gut abgeliefert wurde. Ist das Gut nicht abgeliefert worden, so beginnt gem. § 439 Abs. 2 Satz 2 HGB die Verjährung mit dem Ablauf des Tages, an dem das Gut hätte abgeliefert werden müssen. Damit geht § 439 HGB ersichtlich von dem Regelfall aus, dass der Frachtvertrag erst bei Einlieferung des Transportgutes geschlossen wird. Denn für den Fall, dass das Transportgut noch nicht eingeliefert worden ist, fehlt es in § 439 HGB an einer Regelung des Verjährungsbeginns. Die Regelungslücke kann auch nicht anderweitig geschlossen werden. Der Anspruch auf Beförderung aus einem Beförderungsvertrag wird daher in solchen Fällen, in denen eine Einlieferung des Transportgutes (noch) nicht stattgefunden hat, von der kurzen Frist des § 439 Abs. 1 HGB (noch) nicht erfasst, sondern verjährt nach allgemeinen Vorschriften. Da im Streitfall die Briefmarken gerade im Vorgriff auf später abzuschließende Frachtverträge ausgegeben werden und daher eine Einlieferung des Transportgutes noch nicht stattgefunden hat, kann § 439 HGB mangels Einschlägigkeit dieser Regelung eine im vorliegenden Zusammenhang beachtliche Wertung nicht entnommen werden.
58IV.
59Auch ist der Anspruch auf Umtausch nach Ablauf der Umtauschfrist nicht verwirkt.
60Der Verstoß gegen Treu und Glauben, der den Verwirkungstatbestand begründet, besteht in der Illoyalität der verspäteten Geltendmachung des Anspruchs, die darin zu sehen ist, daß eine Forderung verfolgt wird, obwohl der Vertragspartner bereits darauf vertrauen durfte, daß keine Forderungen mehr geltend gemacht werden, und er sich hierauf auch bereits eingerichtet hat (BGH, Urteil vom 20. Oktober 1988, BGHZ 105, 290 [298]). Über den bloßen Zeitablauf hinaus müssen somit besondere Umstände vorliegen, welche die Feststellung rechtfertigen, der Schuldner habe bereits darauf vertrauen können, daß der Gläubiger die Forderung nicht mehr geltend mache (BGH, Urteil vom 26. Februar 2003, NJW-RR 2003, 727-728). Ein Recht verwirkt damit, wenn sich ein Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (st.Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 1988 m.w.N.).
61Man mag vorliegend darüber nachdenken, ob die Beklagte ihre Erklärungen mangels zutreffender Kenntnis über die Adressaten analog § 132 Abs. 2 BGB an die Allgemeinheit richten kann. Denn der Beklagten sind aus der Natur der Sache heraus die aktuell Berechtigten aus den Briefmarken unbekannt, so dass sie sich nicht individuell an diese wenden kann. Insoweit hat die Kammer erwogen, ob die Beklagte der Nichtgeltendmachung von Umtauschrechten trotz öffentlich bekanntgemachten Angebots hierzu ausnahmsweise einen Erklärungswert beimessen durfte, und zwar darauf gerichtet, dass die Briefmarken nicht zum Umtausch gebracht werden sollen, sondern den Besitzern fortan als Sammelobjekt dienen; das Zuwarten der Kunden könnte vor diesem Hintergrund eine Vertrauensbasis dafür sein, wonach das Umtauschrecht verwirkt. Indes kann dies letztlich dahin stehen: Jedenfalls bedarf es nach allgemeinen Regeln für eine Verwirkung neben dem Vertrauenstatbestand eines erheblichen Zeitablaufs. Auch wenn sich dieser nach den Umständen des Einzelfalls richtet, reicht jedenfalls ein Zeitraum von weniger als ½ Jahr nach Ablauf der Umtauschfrist nach Ansicht der Kammer nicht aus.
62V.
63Auch der Umstand, dass der Kläger Briefmarkenhändler ist und die Briefmarken möglicherweise erst nach Ablauf der ihm bekannten Umtauschfrist eingekauft hat, steht seinem Begehren nicht entgegen. Insbesondere kann darin keine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB gesehen werden. Dem Kläger kann nicht der unredliche Erwerb der eigenen Rechtsposition vorgeworfen werden. Zwar ist die Ausübung eines Rechts in der Regel mißbräuchlich, wenn der Berechtigte es durch ein gesetz-, sitten- oder vertragswidriges Verhalten erworben hat, wobei ein objektiv unredliches Verhalten genügt (Palandt – Heinrichs, 63. Auflage, § 242 Rdnr. 43). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass das unredliche Verhalten für den Gläubiger Vorteile und für den Schuldner Nachteile gebracht hat, die bei redlichem Verhalten nicht entstanden wären (Palandt – Heinrichs, 63. Auflage, § 242 Rdnr. 43). Davon kann vorliegend keine Rede sein: Dass der Kläger Händler ist und die Briefmarken möglicherweise zu einem sehr geringen Preis erworben hat, beruht darauf, dass die Beklagte nach außen hin den (nach der hier vertretenen Ansicht unzutreffenden) Eindruck erweckt hat, die DM-Briefmarken seien nach Ablauf der von ihr eingeräumten Umtauschfrist wertlos. Dadurch, dass die Beklagte zum Umtausch verpflichtet wird, wird sie nicht ungerechtfertigt belastet, da sie auch den Vorbesitzern der vom Kläger eingereichten Briefmarken zum Umtausch verpflichtet gewesen ist. Der möglicherweise sehr günstige Erwerb der Briefmarken durch den Kläger geht nicht zu Lasten der Beklagten, sondern zu Lasten der Veräußerer der Briefmarken, welche die Briefmarken statt diese bei der Beklagten einzutauschen aufgrund der Verlautbarungen der Beklagten günstig an den Kläger verkauft haben. Vorliegend geht es mithin allein um die Frage, wem der Umstand zugutekommt, dass nach außen hin der unzutreffende Eindruck erweckt worden ist, die Briefmarken seien aufgrund Ablaufs der Umtauschfrist wertlos. Dieser Umstand kann aber nicht zugunsten der Beklagten gehen. Denn diese hat den unzutreffenden Eindruck gerade verursacht. Der von der Beklagten erhobene Vorwurf des Rechtsmißbrauchs entbehrt vor diesem Hintergrund jeder Grundlage.
64VI.
65Auch die von der Beklagten im nachgelassenen Schriftsatz erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch. Die Einrede der Verjährung kann bei der Entscheidung nicht mehr berücksichtigt werden. Sie ist zwar nach der mündlichen Verhandlung in einem gem. § 283 ZPO nachgelassenen Schriftsatz erhoben worden, geht aber über eine Erwiderung auf den Schriftsatz des Klägers vom 30. April 2004 hinaus. § 283 ZPO gestattet indes lediglich die Erwiderung auf nicht innerhalb der Frist des § 132 ZPO eingereichter Schriftsätze, es soll nicht die Möglichkeit des neuen Tatsachenvortrages eingeräumt werden.
66Die Kammer sieht auch keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Nach § 156 Abs. 1 ZPO steht es grundsätzlich im Ermessen des Gerichts die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließen; ausnahmsweise besteht eine Pflicht dazu. Im Streitfall ist eine Rechtspflicht zur Wiedereröffnung nicht gegeben. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auf Grund neuen, nicht gemäß § 283 ZPO nachgelassenen Vorbringens ist - von dem hier nicht zu erörternden Sonderfall eines Wiederaufnahmegrundes abgesehen (BGH, Urteil vom 28. Oktober 1999, NJW 2000, 142-143 m.w.N.) - nur dann geboten, wenn dieses Vorbringen ergibt, daß es aufgrund eines nicht prozeßordnungsmäßigen Verhaltens des Gerichts, insbesondere einer Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) oder des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht rechtzeitig in den Rechtsstreit eingeführt worden ist (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992, NJW 1993, 134; BGH, Urteil vom 8. Februar 1999, MDR 1999, 758 f). Im übrigen steht der Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung im freien Ermessen des Gerichts (BGH, Urteil vom 28. Oktober 1999, NJW 2000, 142-143; BGH, Urteil vom 21. Februar 1986, NJW 1986, 1867 [1868]). Im vorliegenden Fall drehte sich der Streit der Parteien zentral um die Frage, ob die Beklagte den Umtausch der Briefmarken zeitlich befristen kann. Die Beklagte hatte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit und angesichts des Hauptstreitpunktes, der in dem Zeitablauf lag, auch Anlass dazu, die Einrede der Verjährung zu erheben. Die Beklagte hat dies aber – auch nicht vorsorglich – nicht getan. Die verspätete Erhebung der Einrede beruhte damit auf einer Nachlässigkeit. Jede Prozeßpartei ist gehalten, auch die nur hilfsweise in Erwägung zu ziehenden Angriffs- und Verteidigungsmittel alsbald vorzutragen oder zumindest anzukündigen, wenn diese geeignet sind, das Verfahren abzukürzen. (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 12. Januar 1993, OLGR Hamm 1993, 63-64). Erst recht kann eine Partei nicht das Ende der mündlichen Verhandlung abwarten, um weitere Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen. Vor diesem Hintergrund würde sich die Kammer in Widerspruch zu dem auch das Zivilverfahrensrecht beherrschenden Beschleunigungsgrundsatz setzen, wenn sie nunmehr die mündliche Verhandlung wieder eröffnen würde, um mit den Parteien die Frage einer möglichen Verjährung zu erörtern. Nachlässigkeiten von Prozessparteien auszugleichen, ist gerade nicht Sinn der Möglichkeit, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (BGH, Urteil vom 28. Oktober 1999, NJW 2000, 142-143). Über § 156 ZPO darf insbesondere die Präklusionsregelung des § 296 ZPO nicht obsolet gemacht werden (Zöller – Greger, § 156 Rdnr. 5).
67Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Klägers vom 03.06.2004 gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
68VII.
69Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
70Streitwert:
71€ 48.572,73
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