Grund- und Teilurteil vom Landgericht Bonn - 1 O 414/03
Tenor
Das beklagte Land zu 1 a) wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.09.2003 zahlen.
Die Klage gegen das beklagte Land zu 1 a) auf Ersatz der dem Kläger infolge der Ereignisse vom 08.12.2000 bereits entstandenen materiellen Schäden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass das beklagte Land zu 1 a) verpflichtet ist, dem Kläger die ihm infolge der Ereignisse vom 08.12.2000 zukünftig noch entstehenden materiellen Schäden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen werden.
Im Übrigen wird die Klage gegen das beklagte Land zu 1 a) im Hinblick auf die weitergehenden Klageanträge zu 1. a) und 2. abgewiesen.
Die Klage gegen das beklagte Land zu 1 b) wird abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des beklagten Landes zu 1 b) trägt der Kläger. Die Entscheidung über die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des beklagten Landes zu 1 a) bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
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T a t b e s t a n d :
2Der ehemalige Beklagte zu 2) (im Folgenden nur: der Beklagte zu 2)) und der ehemalige Beklagte zu 3) (im Folgenden nur: der Beklagte zu 3)), der Polizeibeamter des Landes O ist, waren Nachbarn des Klägers. Im August 2000 unterhielten sie sich im Beisein ihrer jeweiligen Ehefrauen unter anderem über den Kläger. Den Inhalt dieses Gesprächs machte der Beklagte zu 3) am 23.08.2000 mit dem folgenden Inhalt zum Gegenstand eines dienstlichen Vermerks:
3"Der … [Kläger] ist im Besitz von Handgranaten. Diese befinden sich in seinem Wohnhaus. Ferner ist er im Besitz von Handfeuerwaffen. Zumindest eine Handfeuerwaffe befindet sich im Fahrzeug des … [Klägers]. Dem Mitteiler waren diese Angaben durch eine Person aus dem Umfeld des … [Klägers] mitgeteilt worden. Dieser ursprüngliche Hinweisgeber hat ebenfalls mitgeteilt, dass er sehr besorgt sei, da … [der Kläger] sich verfolgt fühlt. Aus diesem Grund sei der Außenbereich des Wohnhauses des … [Klägers] videoüberwacht. Der Mitteiler befürchtet, dass … [der Kläger] irgendwann 'völlig durchdreht' und z.B. die Handgranaten einsetzt. Ebenfalls soll er angekündigt haben, bei einer Polizeikontrolle sofort rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Der Unterzeichner selbst schätzt den … [Kläger] als gewalttätig und rücksichtslos ein. Er liegt zumindest mit zwei direkten Nachbarn im Dauerstreit. Einer Nachbarin soll er in der Vergangenheit im Streit einen Baseballschläger auf den Kopf geschlagen haben. Polizeilichen Strafverfolgungsmaßnahmen soll er sich dann durch Flucht entzogen haben".
4In einem zweiten dienstlichen Vermerk, der ebenfalls vom 23.08.2000 stammt, teilte der Beklagte zu 3) Namen und Anschrift des Beklagten zu 2) sowie den Umstand mit, dass dieser wiederum seine Informationen von einer weiteren Person, einem Handwerker, erhalten habe, der im Haus des Klägers verkehrt habe. In Gegenwart dieses Handwerkers hatte der Kläger im Jahr 1997 zudem auf einer Baustelle einmal eine Pistole gezogen – ob es sich insoweit nur um eine Schreckschusspistole handelte, ist streitig – und erklärt, er würde "alle abknallen".
5Auf der Grundlage dieser dienstlichen Vermerke des Beklagten zu 3) leitete der insoweit dafür zuständige Polizeibeamte bei der Kreispolizeibehörde in V , der ehemalige Beklagte zu 4) (im Folgenden nur: der Beklagte zu 4)), Ermittlungen gegen den Kläger ein. Dabei wurde festgestellt, dass der Kläger Inhaber einer gültigen Waffenbesitzkarte war, in der drei Schusswaffen, nämlich ein Jagdgewehr und zwei Kleinkaliberlangwaffen, eingetragen waren. Ferner ergaben die Ermittlungen, dass seit Jahren erhebliche Nachbarschaftsstreitigkeiten zwischen dem Kläger und seinen direkten Nachbarn bestanden, bei denen es auch zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen war. Der von dem Beklagten zu 4) vorgeladene Beklagte zu 2) lehnte dagegen eine Aussage ab, da er für diesen Fall eine Gefährdung für sich und seine Familie durch den Kläger befürchte.
6Die Akten wurden sodann der Staatsanwaltschaft D übersandt. Am 03.11.2000 beantragte der ehemalige Beklagte zu 5), Oberstaatsanwalt im Dienste des Landes O , bei dem zuständigen Amtsgericht V einen Durchsuchungsbefehl für die Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume sowie die Behältnisse, Kraftfahrzeuge und die Person des Klägers, der am 14.11.2000 von dem Amtsgericht V auf der Grundlage der §§ 102, 105 StPO erlassen wurde. Das Amtsgericht V leitete die Akten unmittelbar der Kreispolizeibehörde V zur Durchführung des Durchsuchungsbeschlusses zu.
7Der Durchsuchungsbeschluss wurde am 08.12.2000 unter der Einsatzleitung des ehemaligen Beklagten zu 6), ebenfalls Polizeibeamter des Landes O , wie folgt vollstreckt, wobei sich die Kreispolizeibehörde V der Hilfe eines Sondereinsatzkommandos der Kreispolizeibehörde in N (im Folgenden nur: SEK) bediente: Nachdem der Kläger sein Haus verlassen und seinen Lieferwagen bestiegen hatte, um zu einem Kunden zu fahren, wurde das Fahrzeug auf der M-Straße in T durch zwei Zivilfahrzeuge blockiert. Auf Fahrer- und Beifahrerseite wurden die Fensterscheiben eingeschlagen. Der Kläger wurde von mehreren SEK-Beamten auf der Fahrerseite aus dem Fahrzeug gezogen und auf den Boden gebracht. Anschließend wurde der Kläger unter Einsatz körperlicher Gewalt auf dem Boden fixiert. Ihm wurde ein Gesichtsschutz über den Kopf gezogen, und er wurde in Gewahrsam genommen.
8Der hinzugezogene Notarzt E vermerkte in dem Notarzteinsatzprotokoll (Anl. K 30) unter "Anamnese/Erstbefund":
9"Beklagt starke Brustschmerzen und Kopfschmerzen. ... Thoraxtrauma. Schürfungen + Prellmarken am Kopf. Ø Pupillendifferenz".
10Unter "Diagnose" heißt es:
11"Schädelprellung. Thoraxprellung fragl.".
12Während sich der Kläger in Gewahrsam befand, wurde sein Haus von anderen Polizeikräften durchsucht. Dabei wurden keine Handgranaten gefunden. Die gefundenen Langwaffen waren unbrauchbar gemacht und in der Waffenbesitzkarte des Klägers eingetragen. Darüber hinaus wurde Schreckschuss- und Gasmunition gefunden.
13Nach der Entlassung aus dem Gewahrsam begab sich der Kläger noch am gleichen Tag in die Notaufnahme des Krankenhauses V . In dem Notfallbehandlungs-Krankenschein (Anl. K 31) wird als Befund angegeben:
14"Multiple Prellmarken im Gesicht, DS über den lateralen Rippen bds. mit sichtbarer Prellmarke re lateral. Schürfungen an der re Hand. Abdomen weich ohne Abwehrspannung. Zahnschaden an den vorderen oberen Schneidezähnen".
15Am Montag, dem 11.12.2000, stellte sich der Kläger bei den Internisten Dr. F und Dr. I in V vor. In deren fachärztlicher gutachterlicher Stellungnahme (Anl. K 32) vom 22.08.2001 heißt es:
16"Am 11.12.2000 zeigte sich bei der körperlichen Untersuchung folgendes Verletzungsmuster: Schürfwunde und Prellungsmerkmale über dem linken Auge, ebenso am Nasenrücken, rechte Augenhöhle und im Bereich des Hinterhauptes. Weiterhin Verletzungszeichen an mehreren Fingern. Es zeigten sich Hämatome (Blutergüsse) an beiden Ohrmuscheln, im Bereich des Nasenrückens, im Bereich der Wangen, ein ausgeprägter Befund im Bereich des linken Schulterblattes mit oberflächlicher Hautabschürfung, im Bereich des rechten Beckenknochens, im Bereich beider Ellebögen und Handgrundgelenke, am seitlichen Brustkorb rechts, unter beiden Achselhöhlen, an den Oberschenkeln und Knien beidseits. Weiterhin ergaben sich Zeichen von Gewalteinwirkung auf die Zähne. Aufgrund des Verletzungsmusters und der Beschwerden ergab sich der Verdacht auf mehrere Rippenbrüche".
17Zudem suchte der Kläger am 19.12.2000 den Facharzt für Orthopädie Dr. M in U auf. In dem ärztlichen Attest vom 04.08.2001 (Anl. K 33) wird "in Anbetracht der Vorgeschichte sowie der ... erhobenen klinischen und auch röntgenologischen Befunde" folgende Diagnose gestellt:
18"• Rippenfrakturen V und VI rechts lateral
19• Multiple Prellungen und Blutergüsse im Bereich des Kopfes, des rechten Auges, des Brustkorbes, des Rückens und der Arme ..."
20Ferner wurde der Kläger am 23.12.2000 im W -Hospital in U untersucht. In der Bescheinigung über diese Untersuchung (Anl. K 34) findet sich unter der Rubrik "Rö-Befund" der Vermerk:
21"bek. Rippenfraktur re".
22Der Kläger befand sich darüber hinaus in psychotherapeutischer Behandlung, und zwar seit dem 15.02.2001 bei dem Neurologen und Psychiater Dr. X sowie seit dem 25.07.2001 bei dem Diplom-Psychologen J.
23Im Oktober 2001 erlitt der Kläger bei einem Sturz von einer Treppe in seinem Haus einen Querbruch der rechten Kniescheibe mit Dehiszenz der Fragmente. Eine von den Ärzten angeratene Operation verweigerte der Kläger unter Hinweis auf seine psychische Verfassung. Er bestand vielmehr auf einer konservativen Behandlung mittels einer Schiene.
24Der Kläger behauptet, er sei bei der Vollstreckung des Durchsuchungsbefehls am 08.12.2000 in nicht unerheblichem Umfang verletzt worden. Insbesondere habe er dabei die von verschiedenen Ärzten attestierten Rippenfrakturen erlitten. Zu den im Einzelnen vorgetragenen Verletzungen wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die am Einsatz beteiligten SEK-Beamten, die vermummt und nicht als Polizeibeamte zu erkennen gewesen seien, hätten mit Stöcken und Karatetritten auf ihn eingeschlagen, obwohl er sich nicht zur Wehr gesetzt, sondern nur seine Hände schützend vor Gesicht und Kopf gehalten habe. Er habe unter Todesangst gelitten. Auch als er schon gefesselt am Boden gelegen habe, sei er von den Beamten noch mehrfach mit den Füßen in die Rippen und auf den Rücken getreten worden. Noch heute habe er ständig Schmerzen. Infolge der Ereignisse leide er unter einer posttraumatischen Belastungsreaktion. Er werde seelisch und nervlich mit dem Geschehenen nicht fertig. Aufgrund der physischen und psychischen Verletzungen sei er nicht mehr in der Lage, seiner beruflichen Tätigkeit als Fliesenleger und Geschäftsführer der K GmbH nachzugehen. Seit dem 08.12.2000 sei er ununterbrochen krankgeschrieben.
25Der Kläger ist der Ansicht, dass ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 100.000 € angemessen sei. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei neben dem Krankheitsbild mit den Schmerzen, Behinderungen und Leiden und deren seelischen Auswirkungen auch die Belastung durch erforderliche ärztliche Behandlungen zu berücksichtigen. Hinzu komme die Beeinträchtigung seiner beruflichen Lage. Auch sei er daran gehindert, an der Gestaltung des Familienlebens und an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilzunehmen sowie seine Freizeit in gleicher Art und Weise wie zuvor zu gestalten. Ferner müsse einbezogen werden, dass die Beklagten durch vorgeschobene Ermittlungen versuchten, die Sache in die Länge zu ziehen.
26Der Kläger beantragt,
271. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
28a) an ihn, den Kläger, ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Betrag in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 100.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz – mindestens verzinslich mit 8 Prozent – seit dem 08.12.2000, spätestens seit dem 01.08.2002;
29b) an ihn, den Kläger, 128.647,42 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz – mindestens verzinslich mit 8 Prozent – aus 58.179,50 € seit dem 01.08.2002 und aus weiteren 70.467,52 € seit dem 01.02.2003;
302. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche künftigen immateriellen sowie alle weiteren vergangenen und alle künftigen materiellen Ansprüche, die ihm infolge der brutalen Misshandlung des Klägers vom 08.12.2000 entstanden sind oder noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
31Die Beklagten beantragen,
32die Klage abzuweisen.
33Das beklagte Land zu 1 a) behauptet, dass im Rahmen einer Einsatzvorbesprechung unter Beteiligung der Kreispolizeibehörde V und des SEK ausführlich die Art und Weise der Durchführung des Durchsuchungsbeschlusses erörtert worden sei. Dabei sei man zu dem Ergebnis gelangt, dass bei einem Zugriff im Fahrzeug die geringste mögliche Gefährdung für unbeteiligte Dritte, den Kläger und die Einsatzkräfte selbst bestanden habe. Denn ein Fahrzeug könne den Splitterflug explodierender Handgranatenteile erheblich mindern und zudem räumlich begrenzen. Zudem habe das Überraschungsmoment durch eine Ablenkung des Klägers mittels einer fingierten Verkehrssituation gefördert werden können. Ein Zugriff im Haus sei dagegen nicht in Betracht gekommen, da die Raumaufteilung des Hauses ebenso unklar gewesen sei wie der tatsächliche Aufenthaltsort des Klägers und eine etwaige Zugriffsmöglichkeit auf Waffen oder Handgranaten, und da nicht auszuschließen gewesen sei, dass sich auch Dritte, unter Umständen Kinder, im Haus befanden. Die örtlichen Verhältnisse vor dem Haus des Klägers seien schließlich nicht geeignet gewesen, ein möglichst hohes Überraschungsmoment zu fördern.
34Das beklagte Land zu 1 a) behauptet weiter, dass die SEK-Beamten lediglich die für den schnellen und sicheren Zugriff gebotene und angemessene körperliche Gewalt ausgeübt hätten. Nach der Zerstörung der Seitenscheiben sowohl auf der Fahrerseite als auch – zur Ablenkung – auf der Beifahrerseite mittels dienstlicher Einsatzmehrzweckstöcke sei der Kläger von den an der Fahrerseite eingesetzten SEK-Beamten an den Schultern ergriffen und durch die zuvor geöffnete Fahrertür gezogen worden. Der Kläger habe kurzfristig auf der Straße gestanden und sei von den SEK-Beamten sodann auf den Straßenboden verbracht worden, wobei er auf dem Bauch zu liegen gekommen sei und dabei seine Arme unter dem Oberkörper verborgen habe. Um die Hände sichtbar werden zu lassen und einen Griff auf potentiell mitgeführte Handgranaten oder Schusswaffen zu verhindern, habe einer der beiden an der Fahrertür eingesetzten SEK-Beamten den Kläger im unteren Rückenbereich neben der Wirbelsäule mit seinem Knie fixiert und den Kopf des Klägers an der Stirn fassend gradlinig überstreckt. Durch diesen Griff sei erwartungsgemäß eine natürliche Abstützreaktion hervorgerufen worden, durch die die Hände sichtbar seitlich vor den Körper gebracht worden seien. Der zugreifende SEK-Beamte habe daraufhin die Hände des Klägers ergreifen und auf den Rücken fesseln können. Dabei seien ihm zwei weitere SEK-Beamte behilflich gewesen. Der an der Tür ursprünglich mit eingesetzte SEK-Beamte habe währenddessen die Beine des Klägers festgehalten. Eine Gewaltanwendung auf den Kläger über das Vorstehende hinaus sei nicht erfolgt. Bei einem solchen Zugriff auf eine in einem Fahrzeug befindliche Person seien Verletzungen allerdings nicht auszuschließen. Das beklagte Land zu 1 a) behauptet weiter, die am Zugriff beteiligten SEK-Beamten hätten kugelsichere Westen der Schutzklasse 1 b getragen, die vorne und hinten deutlich sichtbar mit "Polizei" gekennzeichnet gewesen seien.
35Das beklagte Land zu 1 b) ist der Ansicht, dass der Staatsanwaltschaft sowohl bei der Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens als auch bei der Entscheidung über die Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen sei. Daher seien diese Entscheidungen nicht auf ihre Richtigkeit, sondern allein daraufhin zu überprüfen, ob sie vertretbar gewesen seien. Die Vertretbarkeit dürfe nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die jeweilige Entscheidung nicht mehr verständlich sei. Da sich aus der Akte Tatsachen ergeben hätten, bei deren tatsächlichem Vorliegen Straftatbestände erfüllt gewesen wären, sei die Entscheidung der Staatsanwaltschaft D , ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger einzuleiten, vertretbar gewesen. Gleiches gelte für die Entscheidung über die Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses. Angesichts der potentiellen Gefährlichkeit von Handgranaten und Handfeuerwaffen habe die Staatsanwaltschaft D den Schutz von Leib und Leben Dritter in den Vordergrund gestellt. Aufgrund der aus der Gefährlichkeit resultierenden Eile seien weitere Ermittlungen vor der Durchsuchung nicht angezeigt gewesen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze einschließlich der Anlagen verwiesen.
37Das Gericht hat Beweis erhoben über die infolge des Einsatzes am 08.12.2000 bei dem Kläger aufgetretenen physischen, psychischen und psychosomatischen Beeinträchtigungen durch Einholung von Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Z und Prof. Dr. C, durch mündliche Anhörung der beiden Sachverständigen sowie durch uneidliche Vernehmung der Ärzte Dr. I, Dr. F, Dr. M, E und Dr. X und des Dipl.-Psychologen J . Darüber hinaus hat das Gericht Beweis erhoben über den Ablauf des Einsatzes am 08.12.2000 durch Vernehmung der Polizeibeamten Y und A . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 04.05.2005 (Bl. 556ff. d.A.), vom 11.01.2006 (Bl. 676ff. d.A.), vom 20.06.2007 (Bl. 897ff. d.A.) und vom 14.12.2007 (Bl. 964ff. d.A.) verwiesen.
38Die Akte der Staatsanwaltschaft D in dem Ermittlungsverfahren ## Js #####/#### ist informatorisch beigezogen worden.
39E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
401. Dem Kläger steht gegen das beklagte Land zu 1 a) ein Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu.
41a) Das beklagte Land zu 1 a) hat seine Amtspflicht zur fehlerfreien Ermessensausübung durch die Entscheidung, auf den Kläger in seinem Fahrzeug zuzugreifen, schuldhaft verletzt (vgl. zu dieser Amtspflicht im Einzelnen Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl., S. 46).
42Zu der ordnungsgemäßen Ausübung des Ermessens gehört insbesondere, dass als Voraussetzung für eine Entscheidung alle relevanten Tatsachen sorgfältig ermittelt und bei der Entscheidung sodann alle Ergebnisse dieser Ermittlungen und alle sonst einschlägigen wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt werden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 40 Rn. 61).
43Nach den Angaben des Beklagten zu 2), die der Beklagte zu 3) in seinem dienstlichen Vermerk vom 23.08.2000 mitgeteilt hatte, befanden sich insbesondere die Handgranaten und – mit einer Ausnahme – auch die Schusswaffen in dem Wohnhaus des Klägers. Es bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger insbesondere die Handgranaten bei sich trug. Im Übrigen hatte der Beklagte zu 2) die Handgranaten und Schusswaffen nicht selbst gesehen, sondern seine Kenntnis von einem ebenfalls nicht befragten Handwerker hergeleitet. Ob und gegebenenfalls wo dieser wiederum die Handgranaten und Schusswaffen gesehen hatte oder ob er lediglich ein Gerücht weiter trug, war zu dem damaligen Zeitpunkt offen. Vor diesem Hintergrund hätte bei der Ausführung des Durchsuchungsbeschlusses zunächst eine Durchsuchung des Wohnhauses des Klägers vorgenommen werden müssen, nachdem dieser sich zu seinem Arbeitsplatz begeben hatte. Dabei hätte durch Klingeln an der Haustür festgestellt werden können, ob sich weitere Personen in dem Wohnhaus aufhielten. Eine Gefährdung der Polizei- und SEK-Beamten sowie unbeteiligter Dritte wäre so ebenfalls nicht zu befürchten gewesen. Auf diese Weise hätte überprüft werden müssen, inwieweit die Angaben des Beklagten zu 2) zutrafen, bevor ein Zugriff auf den Kläger selbst erfolgte, bei dem die Gefahr einer nicht unerheblichen Verletzung des Klägers bestand.
44Selbst wenn man berücksichtigt, dass aufgrund der Angaben des Beklagten zu 2) nicht auszuschließen war, dass der Kläger zumindest eine Schusswaffe mit sich führte und von dieser auch Gebrauch machte, ist die Entscheidung für den Zugriff auf den Kläger in seinem Fahrzeug ermessensfehlerhaft. Denn dem Vortrag des beklagten Landes zu 1 a) lässt sich bereits nicht entnehmen, dass im Rahmen der Einsatzplanung erörtert worden ist, ob ein Zugriff am Arbeitsplatz des Klägers in Betracht kam und aus welchen Gründen ein solcher abgelehnt worden ist.
45b) Darüber hinaus haben die SEK-Beamten bei der Durchführung des Zugriffs auf den Kläger im Fahrzeug am 08.12.2000 schuldhaft ihre Amtspflicht zu verhältnismäßigem Handeln verletzt (vgl. zu dieser Amtspflicht im Einzelnen Staudinger/Wurm, BGB, 13. Bearb., § 839 Rn. 139f.).
46Zwar waren die SEK-Beamten nach § 8 PolG NRW grundsätzlich befugt, im Rahmen der vom Amtsgericht V mit Beschluss vom 14.11.2000 angeordneten Durchsuchung Maßnahmen zu ihrer persönlichen Eigensicherung zu treffen (vgl. LG Aachen, VersR 1989, 143; Benfer, NJW 2002, 2688ff.).
47Bei der Durchführung des Zugriffs auf den Kläger in seinem Fahrzeug am 08.12.2000 haben sie aber gegen den nach § 2 PolG NRW zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, indem sie gegenüber dem Kläger zumindest fahrlässig körperliche Gewalt über das erforderliche Maß hinaus angewendet haben.
48aa) Dies ergibt sich aus der Art und dem Umfang der dem Kläger bei dem Zugriff zugefügten Verletzungen.
49(1) So sind bei dem Kläger zeitlich unmittelbar nach dem Geschehen am 08.12.2000 nicht nur multiple Prellungen und Hautabschürfungen, sondern auch zwei Rippenfrakturen festgestellt worden. Dieser in den ärztlichen Berichten vom 11.12.2000, 19.12.2000 und 23.12.2000 dokumentierte Befund (vgl. Anl. K 32 – K 34) ist von den Zeugen Dr. I, Dr. F und Dr. M bei ihrer Vernehmung am 11.01.2006 übereinstimmend bestätigt worden (vgl. Bl. 676ff. d.A.). Auch der Sachverständige Prof. Dr. Dr. Z hat aufgrund der Auswertung der Röntgenaufnahmen die beiden Rippenfrakturen festgestellt (vgl. S. 17 des Gutachtens).
50Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger diese Verletzungen nicht bei dem Zugriff am 08.12.2000 erlitten hat. Auch nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Z lassen sich die Rippenfrakturen ohne weiteres darauf zurückführen (vgl. S. 17 des Gutachtens Z ).
51(2) Das Vorliegen der Rippenfrakturen indiziert, dass von den SEK-Beamten bei dem Zugriff körperliche Gewalt über das erforderliche Maß hinaus angewendet worden ist.
52Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass bei einem Zugriff auf eine in einem Fahrzeug befindliche Person Verletzungen nicht von vornherein auszuschließen sind. Sofern die SEK-Beamten – wie in dem vorliegenden Fall – damit rechnen müssen, dass die Person Waffen mit sich führt und diese auch einsetzen wird, besteht das nachvollziehbare primäre Ziel darin, möglichst zügig Kontrolle über die Person zu erlangen. Dazu muss sie aus dem Fahrzeug herausgezogen werden und ihre Hände müssen gefesselt werden, wobei sich Prellungen und Hautabschürfungen nicht in jedem Fall vermeiden lassen werden.
53Es ist jedoch nicht ersichtlich, inwiefern es dabei auch zu Rippenfrakturen kommen kann. Diese lassen sich vielmehr nur erklären, wenn im Zusammenhang mit oder nach der Fixierung der Person auf dem Straßenboden Schläge oder Tritte gegen die Person ausgeführt worden sind.
54Dass solche Schläge oder Tritte erforderlich waren, ist von dem beklagten Land zu 1 a) nicht dargetan worden. Vielmehr wird sogar in Abrede gestellt, dass überhaupt Schläge oder Tritte gegen den Kläger geführt wurden.
55Bei dem von dem beklagten Land zu 1 a) geschilderten Ablauf eines Zugriffs auf eine sich in einem Fahrzeug befindliche Person besteht in der Tat auch keine Notwendigkeit für Schläge oder Tritte.
56So muss die Person zunächst zügig aus dem Fahrzeug und auf den Boden gebracht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, begibt sich ein SEK-Beamter in das Innere des Fahrzeugs und zieht die Person an den Schultern bzw. dem Oberkörper aus dem Fahrzeug, während andere SEK-Beamte an der Fahrertür stehen und unterstützend an den Füßen zupacken. Inwiefern Schläge oder Tritte in diesem Zusammenhang erforderlich sein sollen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr würden die SEK-Beamten dadurch gezwungen, ihren Griff zu lockern. Damit würde das Ziel, die Person zügig aus dem Fahrzeug zu ziehen und auf den Boden zu bringen, eher gefährdet als gefördert.
57Sofern die Person – wie etwa der Kläger – nach dem Verbringen auf den Boden die Arme unter dem Oberkörper verbirgt, sind Schläge oder Tritte ebenfalls nicht erforderlich, um die Hände sichtbar werden zu lassen und einen Griff auf potentiell mitgeführte Waffen zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es, wie das beklagte Land zu 1 a) selbst dargelegt hat, mildere Mittel. So kann beispielsweise eine natürliche Abstützreaktion hervorgerufen werden, indem die Person im unteren Rückenbereich neben der Wirbelsäule mit dem Knie fixiert und der Kopf der Person an der Stirn fassend gradlinig überstreckt wird.
58bb) Dass bei dem Zugriff am 08.12.2000 von den SEK-Beamten körperliche Gewalt über das erforderliche Maß hinaus angewendet worden ist, wird durch die Aussagen der Zeugen Y und A nicht widerlegt.
59(1) Der Zeuge Y hat bei seiner Vernehmung am 14.12.2007 bekundet, dass er das Zivilfahrzeug gesteuert habe, durch das das Fahrzeug des Klägers in der M-Straße in T von vorne blockiert worden sei. Er habe beobachtet, dass der Kläger von den an der Fahrertür befindlichen Kollegen irgendwie am Körper gepackt und ziemlich zügig aus dem Fahrzeug gezogen worden sei. An den Füßen sei er dabei sicher nicht gezogen worden. Im Übrigen sei ihm die Sicht durch die Kollegen teilweise verdeckt gewesen. Der Kläger habe dann bäuchlings auf dem Straßenboden gelegen und sei gefesselt worden. Anschließend sei er zügig in eine sitzende Position gebracht worden. Auf Fragen zu Gewaltexzessen, insbesondere zu Tritten in den Körper des Klägers, hat der Zeuge erklärt, dass er derartiges nicht gesehen habe. Ihm sei zwar die Sicht durch die um den Kläger herum knienden Kollegen teilweise verdeckt gewesen, so dass er nicht jede Bewegung habe sehen können. Nach seiner Einschätzung hätte er aber sehen können und müssen, wenn jemand ausgeholt und etwa gezielt mit dem Fuß getreten hätte. Dies sei jedoch nicht der Fall gesehen.
60Da der Zeuge nur einen eingeschränkten Blick auf das Geschehen hatte, ist seine Aussage in den entscheidenden Punkten unergiebig.
61Von seiner Position aus hat er, wie er selbst erklärt hat, nicht beobachten können, ob der Kläger schon vor dem Herausziehen aus dem Fahrzeug geschlagen worden ist. Denn die Sicht war ihm durch die Kollegen, wie der Zeuge selbst bekundet hat, teilweise verdeckt und musste ihm durch die geöffnete Fahrertür weitergehend verdeckt sein.
62Gleiches gilt für die Fixierung des Klägers am Boden. Soweit der Zeuge betont, dass er hätte sehen müssen, wenn ein Kollege ausgeholt und den Kläger gezielt getreten hätte, als er am Boden lag, und dass dies nicht der Fall gewesen sei, handelt es sich um eine bloße Annahme. Dass es im Zusammenhang mit der Fixierung des Klägers am Boden zu keinen Schlägen und Tritten gekommen ist, hat er nicht zu bestätigen vermocht.
63(2) Der Zeuge A hat bei seiner Vernehmung am 14.12.2007 bekundet, dass er an der Fahrertür des Fahrzeugs des Klägers eingesetzt gewesen sei. Nach der Zerstörung der Seitenscheiben habe sich ein Kollege in das Fahrzeuginnere begeben und versucht, den Kläger, der sich nach rechts in Richtung Beifahrertür gebeugt habe, herauszuziehen. Dabei habe er mitgeholfen, indem er den Kläger an den Füßen gepackt habe. Anschließend sei der Kläger mit Schwung sofort auf den Straßenboden verbracht worden. Da der Kläger auf dem Bauch gelandet sei und beide Hände unter dem Körper verborgen habe, habe er den Kläger im Stirn-Augen-Bereich am Kopf gepackt und diesen gradlinig nach hinten gezogen, wobei er gleichzeitig sein Knie seitlich der Wirbelsäule im unteren Bereich gehabt habe. Auf diese Weise werde ein seitliches Abstützverhalten hervorgerufen, so dass es möglich sei, die Hände zu greifen, auf den Rücken zu führen und zu fesseln. Da der Kläger passiven Widerstand geleistet habe, indem er sich die Hände nicht habe nach hinten führen lassen wollen, sondern sich gegen die Fesselung gesperrt habe, habe er ihm zwei Fauststöße in den oberen Rücken-Schulter-Bereich gegeben. Durch diese Schocktechnik werde die Muskulatur locker. Ihnen sei es dann gelungen, die Hände auf dem Rücken zu fesseln. Währenddessen habe ein Kollege versucht, die Beine des Klägers unter Kontrolle zu halten, indem er sich darauf gelegt habe. Nach dem Fesseln sei der Kläger in eine sitzende Position verbracht worden. Auf Nachfrage hat der Zeuge betont, dass er selbst den Kläger nicht gezielt getreten habe und auch nicht gesehen habe, dass ein anderer Kollege getreten habe. Seinen Schlagstock, den er in der Weste dabei gehabt habe, habe er ebenfalls nicht benutzt. Der Kollege, der die Seitenscheibe mit seinem Schlagstock eingeschlagen habe, sei mit diesem nicht gegen den Kläger vorgegangen. Ob der Kollege, der an der Beifahrertür die Seitenscheibe ebenfalls mit seinem Schlagstock eingeschlagen habe, mit diesem auf den Kläger eingeschlagen habe, habe er nicht beobachten können. Insoweit sei ihm die Sicht durch den Kollegen, der sich vor ihm in das Fahrzeuginnere begeben habe, verdeckt gewesen.
64Der Aussage des Zeugen A vermag das Gericht nicht zu folgen.
65Die Bekundungen des Zeugen waren zu abstrakt, als dass sie eine Erinnerung an das konkrete Geschehen hätten widerspiegeln können. Vielmehr gaben sie das Geschehen so wieder, wie es schulmäßig hätte ablaufen sollen. Der Zeuge war – mit anderen Worten – nicht bemüht, den Zugriff auf den Kläger in seinem Fahrzeug so zu schildern, wie er ihn erlebt hat, sondern so, wie er nach den internen Richtlinien und Vorgaben hätte erfolgen sollen.
66Darüber hinaus legt die Ausdrucksweise des Zeugen es nahe, dass er seine Aussage mit dem Zeugen Y abgestimmt hat. So fällt auf, dass er bei der Frage nach dem Einsatz von körperlicher Gewalt gegen den Kläger die gleiche Formulierung wie der Zeuge Y benutzt hat. Während der Zeuge Y erklärt hat, dass er hätte sehen können und müssen, wenn jemand ausgeholt und etwa "gezielt" mit dem Fuß gegen den Kläger getreten hätte, hat der Zeuge A davon gesprochen, dass er den Kläger nicht "gezielt" getreten habe. Der sich für das Gericht aus diesem Umstand ergebende Eindruck, dass die Aussagen im Vorfeld sogar sprachlich abgestimmt worden sind, wird dadurch verstärkt, dass sich der Zeuge A bei seiner Vernehmung nach Kräften bemüht hat, neutrale Formulierungen zu verwenden, die es ihm erlaubten, sich von dem erfragten Vorgang zu distanzieren, um der Gefahr zu entgehen, bei einer ungebremsten, ungefilterten Aussage versehentlich das "Falsche" zu sagen. Lediglich an einigen Stellen ist er in seine übliche Sprache verfallen, als er beispielsweise das Einsatzfahrzeug als "Einsatzbütt" und das Aussteigen aus dem Einsatzfahrzeug bzw. das Annähern an das Fahrzeug des Klägers als "Heraussickern" bezeichnet hat.
67Der Zeuge A hat schließlich nicht zu erklären vermocht, wie es zu den Rippenfrakturen des Klägers gekommen ist.
68cc) Hinsichtlich der vorgenannten Umstände haben die SEK-Beamten zumindest fahrlässig gehandelt.
69c) Damit sind die Voraussetzungen für den Anspruch des Klägers gegen das beklagte Land zu 1 a) aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gegeben.
70d) Das beklagte Land zu 1 a) ist dementsprechend gemäß § 253 Abs. 2 BGB zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet.
71Bei dessen Bemessung ist zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge des übermäßigen Einsatzes von körperlicher Gewalt nicht nur multiple Prellungen, Hautabschürfungen und zwei Rippenfrakturen erlitten hat. Der Sachverständige Prof. Dr. C hat vielmehr auch aktuell noch eine posttraumatische Belastungsstörung mit leichtem Schweregrad festgestellt. In seinem Gutachten hat er ausgeführt, dass für den Kläger bei dem Zugriff am 08.12.2000 eine Situation schwerer Verletzung und Bedrohung bestanden habe, auf die er mit intensiver Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen reagiert habe. Mit dem Geschehen setze er sich im Zuge der inneren Beschäftigung und des Gerichtsverfahrens ständig auseinander (vgl. S. 46f. des Gutachtens C). Zudem liegt nach den Feststellungen des Sachverständigen eine somatoforme Schmerzstörung bzw. eine Somatisierungsstörung vor (vgl. S. 47ff. des Gutachtens C). Ferner sei es im Rahmen der erlebnisreaktiven Fehlverarbeitung zu einer Akzentuierung der vorbestehenden paranoiden Persönlichkeitsstörung gekommen (vgl. S. 52f. des Gutachtens C). Das Gericht folgt den nachvollziehbaren und anhand umfangreicher Tests belegten Feststellungen des Sachverständigen.
72Für die Höhe des Schmerzensgeldes ist darüber hinaus der Umstand von Bedeutung, dass der Kläger an den vorgenannten psychischen und psychosomatischen Beeinträchtigungen mittlerweile seit mehr als sieben Jahren leidet und eine Besserung nicht abzusehen ist.
73Erschwerend kommt hinzu, dass das beklagte Land zu 1 a) nach wie vor ein Fehlverhalten in Abrede stellt, den Einsatz gegenüber dem Kläger vielmehr bagatellisiert. Auf diese Weise wird dem Kläger die gebotene Genugtuung vorenthalten.
74In Anbetracht der vorgenannten Umstände ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € angemessen.
75Auf dieses Schmerzensgeld sind gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB ab Rechtshängigkeit, die durch die Zustellung der Klage an das beklagte Land zu 1 a) am 19.09.2003 bewirkt worden ist, Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen. Dagegen kann der Kläger Zinsen für einen früheren Zeitraum nicht verlangen, da sich das beklagte Land zu 1 a) vor Rechtshängigkeit nicht in Verzug befand. Denn Voraussetzung für den Eintritt des Verzugs ist nach § 286 Abs. 1 BGB grundsätzlich eine Mahnung. Dabei muss der in dem Mahnschreiben geforderte Betrag aber realistisch sein und darf nicht erheblich überzogen sein (vgl. Palandt/Heinrichs, 67. Aufl., § 286 Rn. 20; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 3. Aufl., Rn. 167). In dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 16.07.2002 (Anl. K 53) wurde jedoch ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 100.000 € gefordert. Der geforderte Betrag übersteigt damit den angemessenen Betrag um mehr als das Dreifache. Er ist damit erheblich überzogen. Eine Mahnung war auch nicht nach § 286 Abs. 2 BGB entbehrlich.
76e) Das beklagte Land zu 1 a) ist darüber hinaus verpflichtet, dem Kläger die infolge der Ereignisse vom 08.12.2000 bereits entstandenen materiellen Schäden zu ersetzen. Ein solcher Anspruch ergibt sich allerdings nicht nur aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, sondern auch – und zwar unabhängig von einem Verschulden des beklagten Landes zu 1 a) – aus § 39 Abs. 1 lit. b) OBG NRW. Er würde unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung selbst dann bestehen, wenn man entgegen der Auffassung des Gerichts das Handeln des beklagten Landes zu 1 a) als rechtmäßig ansieht (vgl. zu dem Aufopferungsanspruch Ossenbühl, a.a.O., S. 124ff.).
77Nach dem Vortrag des Klägers ist ihm bereits ein Verdienstausfallschaden für den Zeitraum vom 01.01.2001 bis zum 30.06.2003 in Höhe von 113.890 € sowie ein Haushaltsführungsschaden für den Zeitraum vom 09.12.2000 bis zum 30.06.2003 in Höhe von 10.760 € entstanden. Ferner beziffert er den sonstigen krankheitsbedingten Mehraufwand auf einen Betrag von insgesamt 4.175,94 €. Bezüglich dieser Positionen ist eine Entscheidung zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber noch nicht möglich. Sie bedürfen noch weiterer Aufklärung. Insofern verbleibt es bei der Feststellung der Ersatzpflicht des beklagten Landes zu 1 a) dem Grunde nach.
78Da die Arbeitsfähigkeit des Klägers nach den Feststellungen der Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Z und Prof. Dr. C nach wie vor und bis auf weiteres nicht gegeben ist (vgl. S. 23 des Gutachtens Z bzw. S. 53 des Gutachtens C), werden sich der Verdienstausfallschaden und der Haushaltsführungsschaden in Zukunft weiter erhöhen, so dass ein Feststellungsinteresse des Klägers in Bezug auf die Verpflichtung des beklagten Landes zu 1 a) zum Ersatz der künftigen materiellen Schäden zu bejahen ist.
79Dagegen besteht kein solches Feststellungsinteresse des Klägers im Hinblick auf künftige immaterielle Schäden. Denn der zugesprochene Schmerzensgeldbetrag umfasst die in der Vergangenheit liegenden sowie die vorhersehbaren und zwangsläufigen künftigen Beeinträchtigungen (vgl. Jaeger/Luckey, a.a.O., Rn. 984). Von dem Kläger ist nicht dargetan worden, dass sich bei ihm in der Zukunft noch weitere physische, psychische oder psychosomatische Beeinträchtigungen aus den Ereignissen vom 08.12.2000 ergeben könnten, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht – auch nicht durch einen Mediziner – vorhersehbar sind.
802. Dem Kläger steht gegen das beklagte Land zu 1 b) kein Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG auf Schadensersatz zu.
81a) Weder die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger noch die Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses stellen eine Amtspflichtverletzung dar.
82aa) Die Staatsanwaltschaft ist nach § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Dies ist der Fall, wenn nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt, d.h. ein Anfangsverdacht gegeben ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 152 Rn. 4). Im Rahmen eines Amtshaftungsprozesses ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 152 Abs. 2 StPO nicht auf ihre Richtigkeit, sondern allein daraufhin zu überprüfen, ob sie vertretbar ist. Die Vertretbarkeit darf nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die Einleitung der Ermittlungen gegen den Beschuldigten nicht mehr verständlich ist (vgl. BGH, NJW 1989, 96/97).
83Die Bejahung eines Anfangsverdachts gegen den Kläger war unter den gegebenen Umständen noch vertretbar. Nach der Aussage des Beklagten zu 2) war der Kläger im Besitz von Handgranaten und Schusswaffen. Damit hätte ein Verstoß gegen § 22a Abs. 1 Nr. 6, § 1 Abs. 1 KWKG in Verbindung mit der Anlage Kriegswaffenliste Teil B VII Nr. 46 sowie gegen § 53 Abs. 3 Nr. 1a, Abs. 4, § 28 Abs. 1 S. 1 WaffG a.F. vorgelegen. Zwar hatte der Beklagte zu 2) die Handgranaten und Schusswaffen nicht selbst bei dem Kläger gesehen, sondern stützte sich lediglich auf die Auskunft eines Handwerkers, der bei dem Kläger gearbeitet hatte. Ob dieser wiederum nur ein Gerücht weitergetragen oder aber die Handgranaten und Schusswaffen selbst gesehen hatte, war zum damaligen Zeitpunkt offen. Auch hatten die polizeilichen Ermittlungen ergeben, dass der Kläger Inhaber einer gültigen Waffenbesitzkarte war, in der drei Schusswaffen eingetragen waren. Da es sich aber bei dem Verstoß gegen das KWKG um ein Verbrechen handelt und die in Rede stehenden Handgranaten eine erhebliche potentielle Gefährlichkeit aufweisen, ist die Einleitung von Ermittlungen nachvollziehbar. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 3) in seinem dienstlichen Vermerk vom 23.08.2000 keinen Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Beklagten zu 2) hatte erkennen lassen. Dass der Beklagte zu 2) im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen eine Aussage mit der Begründung abgelehnt hatte, dass er für diesen Fall eine Gefährdung für sich und seine Familie durch den Kläger befürchte, ändert nichts daran, dass die Entscheidung noch vertretbar war.
84bb) Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses ist ebenfalls nur auf ihre Vertretbarkeit hin zu überprüfen (vgl. BGH, VersR 1997, 1363/1364).
85An der Vertretbarkeit der Entscheidung bestehen zwar zunächst Zweifel. Denn die Staatsanwaltschaft hatte vor der Beantragung des Durchsuchungsbeschlusses nicht versucht, den Beklagten zu 2) noch einmal zu vernehmen. Dessen Aussage durfte die Staatsanwaltschaft nicht unkritisch übernehmen. Trafen die Bekundungen des Beklagten zu 2), der Kläger habe sich polizeilichen Strafverfolgungsmaßnahmen durch Flucht entzogen, zu, so musste der Kläger aktenkundig sein. Traf die Aussage des Beklagten zu 2) insoweit nicht zu, war ihr insgesamt mit Vorsicht zu begegnen. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte zu 2) selbst nicht gewillt war, gegenüber der Polizei auszusagen. Die Sorge des Beklagten zu 2) vor der Person des Klägers und dessen Verhalten war mithin – bei näherer Betrachtung – nicht so groß, als dass er ein staatliches Eingreifen unterstützt hätte. Im Übrigen hatte sich bereits im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen ergeben, dass der Kläger Inhaber einer gültigen Waffenbesitzkarte war und damit drei Schusswaffen legal in Besitz hatte. Eine Vernehmung des Handwerkers war ebenfalls unterblieben. Damit bestanden mit Ausnahme der Aussage des Beklagten zu 2) gegenüber dem Beklagten zu 3) keine Hinweise darauf, dass der Kläger im Besitz von Handgranaten oder Schusswaffen war, die nicht in seiner Waffenbesitzkarte eingetragen waren. Auch Hinweise dazu, dass der Kläger Zugang zu Kreisen hatte, die derartige Waffen handeln, sind nicht vorgetragen. All dies hätte Veranlassung geben müssen, die Tragfähigkeit der Grundlage des Einschreitens zu überdenken.
86Bei der Bewertung der Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist allerdings wiederum die Schwere des Tatvorwurfs und die erhebliche potentielle Gefährlichkeit insbesondere von Handgranaten zu berücksichtigen. Daher ist die Beantragung des Durchsuchungsbeschlusses trotz der dünnen Tatsachengrundlage, auf der sie erfolgt ist, noch als vertretbar anzusehen.
87b) An der Planung des Einsatzes vom 08.12.2000, insbesondere an der Entscheidung, unter Beteiligung des SEK einen Zugriff auf den Kläger in seinem Fahrzeug ohne vorherige Durchsuchung seines Hauses vorzunehmen, sowie an der konkreten Durchführung des Einsatzes war das beklagte Land zu 1 b) nicht beteiligt, so dass eine Amtspflichtverletzung in Bezug auf diesen Komplex von vornherein ausscheidet.
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