Urteil vom Landgericht Bonn - 15 O 544/07
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Klägerinnen begehren von der Beklagten Schadensersatz für entrichtete Umsatzsteuer aus den Jahren 1997 und 1998.
3Die Klägerin zu 1) ist Aufstellerin von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit. In den streitgegenständlichen Jahren bestand neben der Klägerin zu 1) auch die Klägerin zu 2), die ebenfalls Aufstellerin von entsprechenden Spielgeräten war. Sie ist inzwischen in der Klägerin zu 1) aufgegangen. Die Beklagte war als Steuerberaterin für die Klägerin zu 1) und die Klägerin zu 2) tätig. Die Steueranmeldung für die Umsatzsteuer der Klägerin zu 1) für das Jahr 1997 ging am 02.09.1998 bei dem Finanzamt C -Innenstadt ein. Die Mitteilung über die Umsatzsteuer 1997 erfolgte am 07.10.1998. Die Umsatzsteuerbescheide für 1997 und für 1998 ergingen am 12.12.2000. Mit ihnen wurde für beide Jahre der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Die die Klägerin zu 2) betreffenden Umsatzsteuerbescheide für 1997 und für 1998 ergingen am 11.12.2000. Mit diesen wurde ebenfalls der Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der Jahressteuererklärungen für 1997 und für 1998 aufgehoben. Im Januar 2002 übernahm die Steuerberaterin N das bisherige Mandat der Beklagten. Diese war seitdem nicht mehr als Steuerberaterin für die Klägerinnen tätig.
4Die Klägerin zu 1) behauptet, die Beklagte habe ihre Pflichten als Steuerberaterin der Klägerinnen verletzt. Sie habe gegen die Umsatzsteuerbescheide beider Gesellschaften für 1997 und 1998 Einspruch einlegen müssen. Sie habe erkennen müssen, dass § 4 Nr. 9 lit. b UStG a. F. europarechtswidrig gewesen sei, und habe daher auch wissen müssen, dass die Tätigkeit der Klägerin zu 1) sowie der Klägerin zu 2) umsatzsteuerfrei gewesen sei. Den Klägerinnen sei dadurch ein Schaden in Höhe von insgesamt 87.944,81 € entstanden. Dabei handele es sich um gezahlte Umsatzsteuerbeträge beider Gesellschaften in Höhe von 49.709,26 € für das Jahr 1997 sowie 38.235,55 € für das Jahr 1998. Dieser Schaden sei erst mit der Entscheidung des EuGH in der Sache O am 17.02.2### eingetreten. Erst mit diesem Urteil hätten die Klägerinnen Kenntnis von dem Schadenseintritt gehabt.
5Die Klägerin zu 1) ist der Ansicht, die Beklagte hätte seit der Bekanntgabe der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG (im Folgenden: Sechste Richtlinie) – spätestens jedenfalls seit 1979 – erkennen müssen, dass aufgrund des nichtrichtlinienkonformen deutschen Rechts Automatenaufsteller nicht zur Entrichtung von Umsatzsteuer verpflichtet seien. Auch hätte sie die Verletzung des steuerlichen Neutralitätsgrundsatzes durch das deutsche Recht sowie dessen Systemwidrigkeit erkennen müssen. Die Systemmerkmale des Umsatzsteuerrechts – Neutralität, Diskriminierungsverbot, Kostenneutralität – zählten zu dem Grundwissen jedes Steuerberaters. Die Beklagte habe auch wissen müssen, dass letztendlich nur der EuGH hinsichtlich europäischen Rechts Rechtssicherheit schaffen könne, und hätte daher auf eine Vorlage an den EuGH hinwirken müssen. Ein Steuerberater sei auch dazu verpflichtet, sich durch die Lektüre von Spezialzeitschriften aus einem sich in einer "Entwicklungsphase" befindlichen Rechtsgebiet wie dem Umsatzsteuerrecht Erkenntnisse zu verschaffen. Die Klägerin zu 1) behauptet insoweit, die Erkenntnis der Europarechtswidrigkeit des deutschen Umsatzsteuerrechts wäre der Beklagten aufgrund berufsbedingter Kenntnisse sowie aufgrund von Veröffentlichungen in den Zeitschriften Umsatzsteuerrundschau und Betriebsberater möglich gewesen. Jedenfalls habe spätestens das Urteil des EuGH in der Sache G vom 11.06.19## zu einer entsprechenden Kenntnis der Beklagten geführt. Die Klägerin zu 1) ist weiterhin der Ansicht, erst durch das Urteil des EuGH in der Sache O am 17.02.2### sei die bis dahin ungeklärte Rechtslage eindeutig geworden, so dass erst dann ein Schaden eingetreten sei. Durch dieses Urteil sei § 4 Nr. 9 lit. b UStG a. F. mit Wirkung ex tunc für ungültig erklärt worden. Dieses Urteil des EuGH habe die Durchbrechung der Bestandskraft von Steuerbescheiden zur Folge. Auch die Verjährung eines europarechtlichen Staatshaftungsanspruchs gegen die Bundesrepublik beginne erst mit dem Urteil des EuGH in der Sache O .
6Die Klägerin zu 1) beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 87.744,81 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 49.709,26 € seit dem 01.07.1998 und aus 38.235,55 € seit dem 01.07.1999 zu zahlen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte beruft sich unter anderem auf die Einrede der Verjährung.
11Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.04.2008 Bezug genommen.
12Die Klägerin zu 2) hat ihre Klage in der mündlichen Verhandlung zurück genommen.
13Entscheidungsgründe
14Die zulässige Klage ist unbegründet.
15Es kann dahinstehen, ob der Klägerin zu 1) ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zusteht.
16Dieser wäre jedenfalls verjährt. Spätestens mit Ablauf des 15.01.2004 bzw. des 16.01.2004 trat die Verjährung der Ansprüche der Klägerin zu 2) bzw. der Klägerin zu 1) ein. Die Verjährungsfrist betrug gemäß dem nach Art. 229 §§ 6 Abs. 1, 12 Abs. 1 Nr. 13 EGBGB auf den vorliegenden Fall anwendbaren § 68 StBerG a. F. drei Jahre und begann jeweils spätestens am 15.01.2001 bzw. am 16.01.2001. Zu diesem Zeitpunkt konnten die Klägerin zu 1) und die Klägerin zu 2) nicht mehr gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Jahre 1997 und 1998 vorgehen. Die entsprechenden Bescheide vom 11.12.2000 sowie vom 12.12.2000, mit denen der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 AO aufgehoben wurde, wurden zu diesem Zeitpunkt bestandskräftig. Die Aufhebung eines solchen Vorbehalts steht gemäß § 164 Abs. 3 S. 2 AO der Festsetzung der Steuer gleich. Bis zu der Aufhebung des Vorbehalts kann der Steuerpflichtige die Änderung der Steuer beantragen. Gegen die Aufhebung des Vorbehalts steht der Rechtsbehelf des Einspruchs zur Verfügung, der sich auch gegen die Steuerfestsetzung richten kann (Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl., § 164 AO, Rn. 59). Der Einspruch ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe einzulegen (§ 355 Abs. 1 S. 1 AO). Die Bescheide gegen die Klägerin zu 1) sind dieser am 15.12.2000 zugegangen. Bestandskraft trat daher am 16.1.2001 ein. Die Bescheide gegen die Klägerin zu 2) sind am 14.12.2000 zugegangen und somit am 15.1.2001 bestandskräftig geworden. Gemäß § 122 Abs. 2 AO gilt die Bekanntgabe am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als erfolgt. Zwar ist nicht bekannt, an welchem Tag die Bescheide zur Post gegeben wurden. Doch enthält § 122 Abs. 2 AO auch eine Vermutung hinsichtlich des Abgangstages (Brockmeyer, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 122 AO, Rn. 50). Das Datum eines Bescheides ist ein starkes Indiz, dass der Bescheid an diesem Tag zur Post aufgegeben wurde (Brockmeyer, in: Klein, a. a. O., § 122 AO, Rn. 50).
17Hinsichtlich des Verjährungsbeginns von Schadensersatzansprüchen aus Steuerberaterverträgen ist auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs abzustellen. Maßgeblich ist insoweit der Umstand des Schadenseintritts, auf eine Kenntnis des Betroffenen kommt es nicht an (Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 4. Aufl. 2006, Rn. 872, 874). Der Schadenseintritt ist gegeben, wenn sich die Vermögenslage des Auftraggebers infolge der Pflichtverletzung des Steuerberaters objektiv verschlechtert hat (OLG Köln, Urt. v. 13.09.2007, 8 U 19/07, WM 2007, 2338, 2343; Gräfe/Lenzen/Schmeer, a. a. O., Rn. 872). In Fällen, in denen die vorgebliche Pflichtverletzung in einer mangelnden Rechtsbehelfseinlegung zu sehen ist, ist der Schadensersatzanspruch in dem Zeitpunkt entstanden, in dem der Betroffene nicht mehr gegen die entsprechenden Bescheide vorgehen kann. Dies ist der Zeitpunkt der Bestandskraft der Bescheide (vgl. BGH, NJW-RR-1997, 50 ff.; Gräfe/Lenzen/Schmeer, a. a. O., Rn. 883, S. 641).
18Entgegen der Auffassung der Klägerin zu 1) ist hinsichtlich des Beginns der dreijährigen Verjährungsfrist nicht auf den Zeitpunkt des Urteils des EuGH in der Sache r (EuGH, Urt. v. 17.02.2005, C 453/02) abzustellen. Insoweit ergeben sich auch aus dem Urteil des OLG Köln vom 13.09.20## (8 U 19/07, WM 2007, 2338 ff.) aus den folgenden Erwägungen keine anderweitigen Schlussfolgerungen. Das OLG Köln hat in diesem Urteil hinsichtlich des Verjährungsbeginns nach § 68 StBerG a. F. auf den Zeitpunkt einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgestellt, mit dem eine steuerrechtliche Vorschrift - § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b EStG (1997) - für verfassungswidrig und somit nichtig erklärt wurde (OLG Köln, a. a. O., 2343). Dies begründet der Senat damit, dass der dortigen Klägerin erst mit der Nichtigkeitserklärung der Norm ein Schaden entstanden sei, da erst durch diesen Akt die Rechtsgrundlage des Änderungsbescheides entfallen sei (OLG Köln, a. a. O., 2343). Bis zu diesem Zeitpunkt habe die dort streitgegenständliche Norm die rechtmäßige Grundlage des Änderungsbescheides gebildet.
19Der dem Rechtsstreit vor dem OLG Köln zu Grunde liegende Sachverhalt ist entgegen der Ansicht der Klägerin zu 1) dem hiesigen Sachverhalt nicht vergleichbar. Während dort die Verfassungswidrigkeit einer steuerrechtlichen Norm durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt wurde, handelt es sich vorliegend um einen Fall, in dem eine steuerrechtliche Norm – die auf der Sechsten Richtlinie gründet – stets den europarechtlichen Vorgaben nicht entsprach und dies nunmehr 2005 durch den EuGH im Urteil O ausdrücklich festgestellt wurde. Diese beiden Konstellationen sind in ihren rechtlichen Auswirkungen unterschiedlich. Zwar wirkt die Feststellung der Unvereinbarkeit einer innerstaatlichen Norm mit dem Grundgesetz rückwirkend ex tunc auf den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der betroffenen Norm zurück, doch besteht bis zu diesem Zeitpunkt der (unerschütterliche) Rechtsschein der Gültigkeit der Norm (Hillgruber, in: Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 1. Aufl. 2004, Rn. 531 f.). Die Norm bildet daher bis zu der Unvereinbarkeitserklärung des Bundesverfassungsgerichts die wirksame, rechtmäßige Grundlage der ergangenen Bescheide.
20Demgegenüber kommt ein Rechtsschein der "Europarechtskonformität" oder "Richtlinienkonformität" einer Norm nicht in Betracht. Die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts – wie im vorliegenden Fall des Art. 13 Teil B lit. f der Sechsten Richtlinie – durch den EuGH im Rahmen seiner Befugnisse nach Art. 234 EG erläutert und verdeutlicht, wie und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem In-Kraft-Treten zu verstehen und anzuwenden gewesen wäre (EuGH, Urt. v. 17.02.2005, C 453/02 – Linneweber, Ziff. 41). Eine Norm, die auf einer fehlerhaften Umsetzung einer EU-Richtlinie beruht, ist von Beginn an nicht richtlinienkonform und unvereinbar mit den europarechtlichen Vorgaben. Diese innerstaatliche Norm – hier § 9 Nr. 4 lit. b UStG a. F. – hätte daher von Beginn an aufgrund des Vorrangs des Europarechts nicht angewendet werden dürfen. Des weiteren ist zu beachten, dass bei nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Regelungen die Möglichkeit besteht, dass sich die betroffenen Einwohner des Mitgliedstaates, der gegen seine Umsetzungspflichten verstoßen hat, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen direkt auf die Regelung der Richtlinie selbst berufen können (vgl. zu diesen Voraussetzungen Craig/de Burca, EU Law, 3. Aufl. 2003, S. 202 ff.). Im vorliegenden Fall bestand grundsätzlich eine derartige unmittelbare Wirkung der Richtlinie. Dies hat der EuGH in seinem Urteil O ausdrücklich bestätigt (s. EuGH, Urt. v. 17.02.2005, C 453/02 – O , Ziff. 32 ff., insb. Ziff. 38). § 9 Nr. 4 lit. b UStG a. F. hätte daher stets durch die innerstaatlichen Organe nicht angewendet werden dürfen, so dass dieser Effekt – anders als bei der Unvereinbarkeitserklärung mit der Folge der Nichtigkeit durch das Bundesverfassungsgericht – nicht erst mit dem Urteil des EuGH in der Sache O eingetreten ist. Daher kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Klägerin zu 1) und der Klägerin zu 2) erst zu diesem Zeitpunkt ein Schaden entstanden ist, mit welchem wiederum ihre möglichen Schadensersatzansprüche entstanden.
21Jedenfalls für den hier gegebenen Fall bestehen nach Auffassung der Kammer zudem grundlegende Bedenken dagegen, den Zeitpunkt der Entstehung des Schadensersatzanspruchs derart zu verlegen, dass eine objektive Vermögensverschlechterung nicht bereits mit der Bekanntgabe oder Bestandskraft eines Bescheides eintritt sondern erst mit einem klarstellenden Urteil eines obersten Spruchkörpers. Fristen dienen grundsätzlich der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden; sie sollen somit gerade auch den Schuldner einer Verpflichtung schützen (Heinrichs, in: Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, Vor § 194 BGB, Rn. 9). Im Steuerrecht kommt diesem Gedanken im Zusammenhang mit dem Institut der Bestandskraft eines Steuerbescheids ebenfalls erhebliche Bedeutung zu. Insbesondere für den potentiellen Schuldner einer Schadensersatzverpflichtung besteht ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit und einer erkennbaren Frist, in der mögliche Ansprüche verjähren. Daher ist insbesondere ein nachvollziehbarer Verjährungsbeginn von Bedeutung. Sofern in Fällen wie dem hier vorliegenden nicht auf den Zeitpunkt der Bestandskraft eines Steuerbescheids abgestellt wird, ist eine zeitliche Eingrenzung eines möglichen Verjährungsbeginns kaum noch möglich. Dies dürfte jedoch den Zwecken der Rechtssicherheit eher abträglich sein.
22Des weiteren würde die Anwendung der Grundsätze des Urteils des OLG Köln vom 13.09.2007 auf den vorliegenden Fall dazu führen, dass die einem möglichen Schadensersatzanspruch zu Grunde liegende Pflichtverletzung und der Schaden, der den Anspruch letztendlich entstehen lässt, zeitlich erheblich auseinander gezogen würden. Die vorgebliche Pflichtverletzung, keinen Rechtsbehelf gegen die Steuerbescheide für 1997 und 1998 eingelegt zu haben, ereignete sich bereits Anfang 2001. Der Schaden wäre jedoch nach Auffassung der Klägerin zu 1) und unter Anwendung der obigen Grundsätze des Urteils des OLG Köln vom 13.09.2007 erst mit der Entscheidung des EuGH im Jahr 2005 – über vier Jahre später – eingetreten. Dies erscheint jedoch als eine Aufspaltung eines einheitlichen Schadensersatztatbestands, deren Erforderlichkeit sich bei natürlicher Betrachtungsweise nicht erschließt. Denn einerseits wird von einem Steuerberater im Rahmen seiner Beratungspflichten im Falle der unterlassenen Offenhaltung eines Steuerbescheides, welcher auf der Grundlage einer möglicherweise gegen eine EU-Richtlinie verstoßenden Norm ergangen ist, ein Handlungsbedarf schon dann angenommen, wenn dieser aus einem im Bundessteuerblatt oder der Zeitschrift "Deutsches Steuerrecht" veröffentlichten Vorlagebeschluss eines Obergerichts an das höchste Gericht entnehmen kann, dass Zweifel an der Richtlinienkonformität einer Norm bestehen. Das Unterlassen von entsprechenden Maßnahmen zur Offenhaltung des jeweiligen Bescheides zu diesem früheren Zeitpunkt begründet bereits eine Pflichtverletzung des Steuerberaters. Andererseits würde für den Schadenseintritt und damit für den Verjährungsbeginn nicht an die schon immer bestehende und ab einem bestimmten Zeitpunkt erkennbare fehlende Richtlinienkonformität einer Norm angeknüpft, sondern daran, dass dies der Europäische Gerichtshof in einem Urteil ausdrücklich festgestellt hat. Dadurch würde zu Lasten des Steuerberaters der Verjährungsbeginn unangemessen weit nach hinten verlegt.
23Eine solche Betrachtungsweise würde zudem dazu führen, dass in die kenntnisunabhängige Verjährung nach § 68 StBerG a. F. auf diesem Wege ein Element der Kenntnis eingeführt würde. Tritt erst mit einem Urteil, aus dem sich die Europarechtswidrigkeit einer Norm ergibt, die erforderliche objektive Vermögensverschlechterung ein, führt dies dazu, dass der Anspruch letztendlich erst mit der Kenntnis des Betroffenen von der Pflichtverletzung seines Steuerberaters entsteht und auch die Verjährung erst dann beginnt. Auf eine Kenntnis des Betroffenen von seinem (potentiellen) Regressanspruch kommt es jedoch im Rahmen von § 68 StBerG a. F. gerade nicht an (Gräfe/Lenzen/Schmeer, a. a. O., Rn. 874). Dieses Element der Kenntnis wurde erst mit der Neugestaltung des Verjährungsrechts als Voraussetzung des Verjährungsbeginns normiert. Eine Aufweichung der strengen berufsrechtlichen Verjährung in den Fällen, in denen diese noch – wie hier – Anwendung findet, ist jedoch unzulässig und entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers.
24Schließlich steht die hier vertretene Auffassung auch mit der Risiko-Schaden-Formel des Bundesgerichtshofs (BGH, NJW 1992, 2766) im Einklang. Diese bezweckt nicht nur, einen zu frühen Verjährungsbeginn durch Außerachtlassung einer bloßen Vermögensgefährdung zu vermeiden. Die Formel strebt auch eine klare Anknüpfung für den Zeitpunkt der Schadensentstehung aus Gründen der Rechtsklarheit an (vgl. Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl., Rn. 1345). Dabei ist auch dem Sinn und Zweck des § 68 StBerG, die steuerlichen Berater davor zu schützen, durch die Folgen berufstypischer Risiken in unübersehbarer Weise auf lange Zeit wirtschaftlich bedroht zu werden, Rechnung zu tragen (BGH, Urt. Vom 11.05.1995, IX ZR 140/04, zit. nach juris, Rn. 12).
25Eine Verlängerung der Verjährungsfrist aufgrund der nach altem Recht geltenden und im vorliegenden Fall weiter zu beachtenden Sekundärverjährung findet nicht statt. Die Beklagte hatte keinen Anlass, die Klägerinnen über mögliche Regressansprüche gegen sich selbst zu belehren. Die insoweit entscheidende Vorlage des Bundesfinanzgerichtshofs an den EuGH hinsichtlich der Auslegung etc. von Art. 13 Teil B lit. f der Sechsten Richtlinie wurde erst als Pressemitteilung im November 2002 sowie sodann in der Zeitschrift DStRE 2003 veröffentlicht. Das Mandatsverhältnis zu der Beklagten endete jedoch unstreitig bereits im Januar 2002. Zu diesem Zeitpunkt übernahm die Steuerberaterin N die steuerrechtliche Betreuung der Klägerinnen. Die Sekundärverjährung greift nur ein, wenn der Steuerberater seinen Mandanten nicht über einen möglichen Regressanspruch belehrt hat, obwohl er während des Mandats und vor Eintritt der Primärverjährung Anlass zu der Prüfung hatte, ob er seinen Mandaten durch eine Pflichtverletzung geschädigt hat (Gräfe/Lenzen/Schmeer, a.a.O., Rn. 914). Die Belehrungspflicht endet jedoch mit dem Ende des entsprechenden Mandats, sei es durch Kündigung oder einvernehmlich (Gräfe/Lenzen/Schmeer, a.a.O., Rn. 917; BGH, NJW-RR 1997, 50).
26Da die Klage bereits aus vorstehenden Gründen abzuweisen ist, kann es auch dahin stehen, ob die Klägerin zu 1) den ihr entstandenen Schaden unter Berücksichtigung des erforderlichen Gesamtvermögensvergleichs schlüssig dargelegt hat.
27Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.