Urteil vom Landgericht Bonn - 15 O 476/07
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d :
2Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung in Höhe von 9.384,42 €.
3Der Beklagte ist als Steuerberater tätig. Bis zum Jahr 2003 wurde der Kläger vom Beklagten in steuerlichen Angelegenheiten vertreten. In den Jahren 1995 und 1996 betrieb der Kläger die Aufstellung von Geldspielautomaten sowohl als Einzelhandelsunternehmen als auch in Form einer GmbH unter der Fa. B GmbH.
4In diesen Jahren hatte ein Betreiber von Geldspielautomaten gem. § 4 Nr.9 b UStG und nach der geltenden Verwaltungspraxis für Umsätzen aus dem Betrieb dieser Automaten Umsatzsteuer an die Finanzbehörden zu entrichten. Dementsprechend erhob das Finanzamt U für die Jahre 1995 und 1996 Umsatzsteuer von den Umsätze, die der Kläger aus den Geldspielspielautomaten seines Einzelunternehmen und auch der GmbH erzielt hatte.
5Gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Fa. B GmbH u.a. für die Jahre 1995 und 1996 legte der Beklagte mit Schreiben vom 30.09.2002 fristgerecht Einspruch ein und verwies zur Begründung auf ein Urteil des Finanzgerichts Münster, Az. 5 K 4280/00, und die dagegen eingelegte Revision zum Bundesfinanzhof unter dem Az. V R 7/02. Dieses Einspruchsverfahren wurde mit Bescheid vom 15.05.2006, dem Kläger zugestellt am 18.05.2006, abgeschlossen, worin dem Kläger vom Finanzamt U eine Steuererstattung zuerkannt wurde.
6Gegen den zeitlich früher ergangenen Umsatzsteuerbescheid für das Einzelhandelsunternehmen des Klägers für das Jahr 1995 vom 04.11.1997 und die Zustimmung zur Selbstveranlagung für das Jahr 1996 vom 24.10.1997, welche unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen, hatte der Beklagte zunächst keinen Einspruch erhoben, so dass diese mit Ablauf des Jahres 2001 am 31.12.2001 gem. § 169 Abs.2 S. 1 Nr.2 AO bestandskräftig geworden waren. Mit Schreiben vom 30.09.2002 legte der Beklagte auch gegen diese beiden Steuerbescheide beim zuständigen Finanzamt noch Einsprüche ein, die jedoch nach einem Telefonat mit dem zuständigen Sachbearbeiter des Finanzamtes U mit Schreiben vom 11.12.2002 zurückgenommen wurden.
7Mit Urteil vom 12.05.2005, Az. VR 7/02, entschied der Bundesfinanzhof, dass die bisherige Steuerpraxis der Besteuerung von Umsätzen aus Geldspielautomaten gegen Art. 13 Teil B Buchst. f) der Richtlinie 77/338/EWG verstoße, sich die Spielautomatenhersteller auf diese Richtlinie uneingeschränkt berufen und Steuerbefreiung ihrer Umsätze verlangen könnten.
8Unter dem 06.02.2007 lehnte das Finanzamt eine Berichtigung der Umsatzsteuerfestsetzung des Klägers für sein Einzelhandelsunternehmen für die Jahre 1995 und 1996 ab. Daraufhin legten die neuen Steuerberater des Klägers mit Schreiben vom 09.02.2007 dem Finanzamt das Einspruchsschreiben des Beklagten vom 30.09.2002 sowie weitere Erläuterungen und Ergänzungen vor, mit der erneuten Bitte um Berichtigung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1995 und 1996 für das Einzelhandelsunternehmen des Klägers. Eine Änderung der festgesetzten Umsatzsteuer für die Jahre 1995 und 1996 betreffend das Einzelhandelsunternehmen lehnte das Finanzamt U jedoch mit Schreiben vom 11.05.2007 ab. Wegen des weiteren Inhalts wird auf die Anlage ddkb 4 Bl. 13 d.A. verwiesen. Aufgrund dessen erfolgte für die Jahre 1995 und 1996 für das Einzelhandelsunternehmen des Klägers keine Umsatzsteuerrückerstattung.
9Hiervon setzten die neuen Steuerberater den Kläger mit Schreiben vom 22.05.2007, wegen dessen Inhalt auf die Anlage ddkb 6 Bl. 15 d.A. verwiesen wird, in Kenntnis.
10Bei rechtzeitiger Anfechtung der Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1995 und 1996 durch Einspruch oder Stellung eines Abänderungsantrages hätte der Kläger für das Jahr 1995 eine Umsatzsteuerrückerstattung in Höhe von 2.892,34 € zzgl. Zinsen für die Zeit vom 01.04.1997 bis 18.05.2006 in Höhe von 1.576,33 € und für das Jahr 1996 eine Umsatzsteuerrückerstattung in Höhe von 3.310,27 € zzgl. Zinsen für die Zeit vom 01.04.1997 bis 18.05.2006 in Höhe von 1.605,48 € erhalten.
11Mit Schreiben vom 01.06.2007 forderte der Kläger den Beklagten unter Fristsetzung bis zum 30.06.2007 auf, den ihm durch die unterlassene Einspruchseinlegung und die unterbliebene Stellung eines Abänderungsantrages entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 18.06.2007 mit der Begründung ab, dass ihm die geänderte Rechtsprechung erst im Jahr 2002 bekannt geworden sei.
12Der Kläger vertritt die Ansicht, bereits im Jahr 1998 habe sich abgezeichnet, dass die bis dahin geltende Finanzpraxis, auf Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten Umsatzsteuer zu verlangen, gegen die Richtlinie 77/338/EWG verstoße. Dies habe der Beklagte aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11.06.1998, Az. C 283/95- G entnehmen können. Darin sei die Richtlinie dahingehend ausgelegt worden, dass ein Mitgliedstaat die unerlaubte Veranstaltung eines solchen Glückspiels nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen dürfe, wenn die Veranstaltung eines solchen Glückspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei sei, mit der Begründung, dass die Mitgliedsstaaten die Bedingungen und Grenzen der Befreiung für die in der Richtlinie erwähnten sonstigen Glückspiele mit Geldeinsatz unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität festlegen müssten.
13Soweit der Bundesfinanzhof aufgrund dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit nachfolgendem Beschluss vom 30.11.2000, Az. V B 187/00, entschieden habe, dass es zweifelhaft sei, ob die geltende Finanzpraxis, die für die Umsatzbesteuerung von Geldspielautomatenumsätze danach unterscheide, ob sie in und von öffentlich zugelassenen Spielbanken ausgeführt würden oder nicht, dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität entspreche, habe für den Beklagten Veranlassung bestanden, die in Rede stehenden Umsatzsteuerbescheide für 1995 und 1996 rechtzeitig offen zu halten. Diese im NWB Nr.44 vom 29.10.2001 (Anl. ddkb 2 Bl.11) sowie in der NV 2001 S.657 veröffentlichte und besprochene Entscheidung des Bundesfinanzhofs sei dem Beklagten auch zugänglich gewesen und hätte von ihm berücksichtigt werden müssen.
14Soweit der Kläger selbst über diese Entscheidung durch den Deutschen Automatenverband im Rahmen eines Rundschreibens vom 22.03.2002 informiert worden sei, habe er dieses Schreiben an den Beklagten weitergeleitet.
15Zumindest seit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Jahr 2000 sei von einer ihn – den Kläger – berührenden Änderung der Rechtsprechung auszugehen gewesen, so dass der Beklagte spätestens im Jahr 2001 die Problematik hätte erkennen müssen, dass gegen die Umsatzsteuerbescheide für sein Einzelhandelsunternehmen Einspruch einzulegen gewesen sei. Im Hinblick auf diese Entscheidung des Bundesfinanzhofs sei auch das dem Urteil des Finanzgerichts Münster zugrunde liegende Verfahren angestrengt worden. Wäre diese Rechtsprechung nicht bekannt gewesen, wäre das Verfahren vor dem Finanzgericht Münster nicht möglich gewesen. Schon daraus folge, dass die hier streitgegenständliche Problematik zu diesem Zeitpunkt allgemein bekannt gewesen sei und auch dem Beklagten hätte bekannt sein müssen.
16Soweit der Beklagte ihn – den Kläger – unstreitig über einen langen Zeitraum im Hinblick auf die Besteuerung von Glückspielumsätzen beraten habe, habe er sich in diesem Bereich weitgehend Kenntnisse verschaffen müssen. Er habe vom Beklagten erwarten können, dass dieser die ihn – den Kläger – betreffende Rechtsentwicklung im Auge behalte, insbesondere dann, wenn sie sich im Umbruch befinde. Die geänderte Rechtsprechung in Bezug auf die geänderte Anwendung des Befreiungstatbestandes des § 4 Nr.9 b UStG auf privat erwirtschaftete Geldspielautomatenumsätze im Jahr 2001 sei in Steuerberaterkreisen bekannt gewesen. Bei rechtzeitigem Handeln hätten ersichtlich auch Erträge aus Glückspielautomaten aus dem Jahr 1995 noch von der Umsatzsteuer befreit werden können, so dass eine Rückzahlung seitens des Finanzamtes erfolgt wäre und der eingetretene Schaden einschließlich des Zinsausfalls hätte vermieden werden können.
17Als Datum für den fiktiven korrigierten Steuerbescheid bei rechtzeitiger Einspruchseinlegung sei der 18.05.2006 anzusetzen, da die Steuerbescheide gegen die Fa. B GmbH für 1995 und 1996 – unstreitig - nach rechtzeitiger Einspruchseinlegung durch Bescheid vom 15.05.2006, zugestellt am 18.05.2006, geändert worden seien.
18Der Kläger beantragt,
19den Beklagten zu verurteilen,
201. an ihn 6.202,61 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des § 247 BGB seit dem 01.07.2007 zu zahlen;
212. an ihn weitere 3.181,80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des § 247 BGB seit dem 01.07.2007 zu zahlen.
22Der Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Der Beklagte ist der Ansicht, er habe nicht pflichtwidrig gehandelt, weil er den Beschluss des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2000 im Rahmen des mit dem Kläger bestehenden Mandates vor Ablauf der Festsetzungsfrist Ende des Jahres 2001 nicht berücksichtigt habe. Denn er sei nicht verpflichtet, jede veröffentlichte Entscheidung bzw. jedes Publikationsorgan zu kennen. Die Zeitschriften "NWB" und "NV", in denen diese Entscheidung abgedruckt gewesen sei, gehörten nicht zur Pflichtlektüre eines Steuerberaters.
25Der Kläger habe ihn auch nicht in den Jahren 2000 und 2001 über diesen Beschluss des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2000 informiert. Insbesondere habe er weder per Fax noch vom Kläger persönlich ein Rundschreiben des Deutschen Automatenverbandes erhalten, worin auf diese Entscheidung hingewiesen worden sei, noch habe der Kläger ihm Unterlagen zur Verfügung gestellt, die sich mit der hier fraglichen Thematik, insbesondere dem Beschluss des Bundesfinanzhofs aus November 2000, befasst hätten. Er habe sich vielmehr auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 05.05.1994 verlassen können. Die Möglichkeit einer entsprechenden Rechtsänderung in Bezug auf die Umsatzsteuerpflicht hätte ein Steuerberater frühestens mit der Veröffentlichung der Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 26.10.2001 im Jahr 2002 in der Zeitschrift Deutsches Steuerrecht 2002 Heft 11 in Betracht ziehen müssen.
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
27Entscheidungsgründe:
28Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
29Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten kein Schadensersatzanspruch wegen steuerlicher Falschberatung aus dem Institut der positiven Vertragsverletzung als der einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage zu.
30Da das Mandatsverhältnis bereits in den 90er Jahren begründet worden ist und es vorliegend um eine Pflichtverletzung in Form unterlassener Einspruchseinlegung bzw. unterlassener Stellung eines Abänderungsantrages im Jahr 1997 bzw. 2001 geht, ist gem. Art 229 § 5 Abs.1 EGBGB das BGB in seiner bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung anwendbar.
31Ein Schadensersatzanspruch des Klägers scheitert an einer dafür erforderlichen kausalen Pflichtverletzung des Beklagten.
32Der Kläger wirft dem Beklagten eine fehlerhafte steuerliche Beratung vor, da dieser es zum einen unterlassen habe, gegen die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerveranlagungen für die Jahre 1995 und 1996 betreffend sein Einzelhandelsunternehmen fristgerecht Einspruch einzulegen und außerdem bis Ende des Jahres 2001 vor dem Eintritt der Bestandskraft mit Ablauf der Festsetzungsfrist einen Abänderungsantrag zu stellen. Hierzu sei der Beklagte verpflichtet gewesen, da sich hinsichtlich der Umsatzsteuerpflichtigkeit von Umsätzen aus dem Betrieb von Geldspielautomaten durch das Urteil des EuGH vom 11.06.1998, Az. C 283/95- G und den nachfolgenden Beschluss des BFH vom 30.11.2000 Az. V B 187/00 die Rechtslage geändert habe und – abweichend von der bisherigen Praxis –ernsthafte Zweifel an der Umsatzsteuerpflicht erhoben worden seien. Dem kann entgegen der Ansicht des Klägers nicht gefolgt werden.
33Die Aufgaben des Steuerberaters richten sich nach Inhalt und Umfang des erteilten Mandats. Im Rahmen des ihm erteilten Auftrags hat er die steuerlichen Interessen seines Mandanten umfassend wahrzunehmen und den für seinen Mandanten sichersten Weg zu wählen (Palandt/Heinrichs a.a.O. § 280 Rn.76; BGH NJW-RR 1992 S.1112). Er muss über alle auftretenden steuerlichen Fragen belehren, auf Möglichkeiten von Steuerersparnissen hinweisen und bei einem Dauermandat auch ungefragt über steuerlich bedeutsame Fragen informieren (Palandt/Heinrichs a.a.O. § 280 Rn.76).
34Der Steuerberater hat für die Kenntnis des Steuerrechts einzustehen. Die mögliche Komplexität eines Steuergesetzes entlastet ihn nicht. Wenn er sich auf vielschichtige und komplizierte Regelungszusammenhänge einlässt, muss der Rat richtig sein. Man kann von dem Steuerberater – ebenso wie von einem Rechtsanwalt, Notar oder Wirtschaftsprüfer – verlangen, dass er sich durch die zur Verfügung stehenden Fachzeitschriften über den Stand der Gesetzgebung und Rechtsprechung informiert hält (Gräfe/Lenze/Schmeer, Steuerberaterhaftung 4. Aufl. Rn.234). Angesichts der wachsenden Zahl der Steuergesetze und Verordnungen des Bundes und der Länder sowie der Urteile und Beschlüsse des Bundesfinanzhofs sowie der Finanzgerichte und der nicht mehr zu überblickenden Anmerkungen der Literatur hierzu, besteht aber keine unbegrenzte Informationspflicht des Steuerberaters. Der Steuerberater muss auf jeden Fall die Urteile aus dem Bundessteuerblatt kennen (Gräfe/Lenzen/Schmeer a.a.O. Rn.236 mit Verweis auf BGH NJW 1983 S.1665; BGH NJW 1994 S.501). Demgegenüber würden aber die dem Steuerberater obliegenden Informationspflichten überspannt, wollte man von ihm fordern, z.B. die in einer vierteljährlichen Beilage zum Bundessteuerblatt auf ca. 200 Seiten aufgelisteten anhängigen Revisionsverfahren auszuwerten. Dies ergibt sich daraus, dass die Anhängigkeit einer Revision keine Aussage über deren Ausgang beinhaltet.
35Solange sich der Steuerberater an der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des Bundesverfassungsgerichts orientiert, arbeitet er pflichtgemäß. Die Ausweitung dieser Pflicht auf alle Finanzgerichtsurteile, die theoretisch die Steuerfrage des Mandanten beeinflussen könnte, würde seine Pflicht zur Kenntnisnahme des Steuerrechts überobligationsmäßig ausweiten (Gräfe/Lenzen/Schmeer a.a.O. Rn.236). Die Pflicht zur Kenntnisnahme der BFH-Entscheidungen ist auch nicht auf deren Veröffentlichung in Spezialzeitschriften auszudehnen. Denn die Beschaffung von Fachliteratur und Fachzeitschriften kann nur insoweit verlangt werden als dies im angemessenen Verhältnis zum Umfang der Praxis des Steuerberaters steht. Man kann deshalb von ihm regelmäßig nur verlangen, die Entscheidungen zur Kenntnis zu nehmen, die im Bundessteuerblatt und in der Zeitschrift Deutsches Steuerrecht – dem Organ der Bundessteuerberaterkammer – veröffentlicht worden sind (Gräfe/Lenzen/Schmeer a.a.O. Rn.237; BGH NJW 1979 S.877; OLG Köln, Urt. v. 12.07.2007, 8 U 6/07, zit. nach juris, Rn 52). Die Zeitschriften "Neue Wirtschaftsbriefe", "wistra", "Finanzrundschau" und Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) gehören nicht zur Standardausstattung einer Steuerberatungspraxis. Die unterlassene Kenntnisnahme dortiger Veröffentlichungen kann dem Berater somit nicht zum Vorwurf gemacht werden (Gräfe/Lenzen/Schmeer a.a.O. Rn.238 m.w.N. in Fußnote 771).
36Nach diesen Grundsätzen gilt für die dem Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzungen im Hinblick auf seine Kenntnis von Rechtsprechung und Literatur zur Änderung der Umsatzsteuerpflichtigkeit von Umsätzen aus Geldspielautomaten folgendes:
37Zwar musste der Beklagte von dem Urteil des EuGH vom 11.06.1998, Az. C 283/95 Kenntnis haben, da dieses im Jahr 1998 in der Zeitschrift DStR-E (Heft 12, S. 490) veröffentlicht worden war. Diese Zeitschrift gehört nach vorstehenden Grundsätzen zur Pflichtlektüre des Steuerberaters auf dem Gebiet des Steuerrechts.
38Trotz dieses Urteils des Europäischen Gerichtshofs bestand für den Beklagten jedoch keine Veranlassung, die Umsatzsteuerbescheide des Einzelhandelsunternehmens des Klägers für die Jahre 1995 und 1996 durch Einspruchseinlegung oder Stellung eines Abänderungsantrages vor Ablauf der Festsetzungsfrist offen zu halten.
39In der besagten Entscheidung hat der EuGH festgelegt, dass die unerlaubte Veranstaltung eines Glückspiels, namentlich des Roulettespiels, in den Anwendungsbereich der 6. Richtlinie fällt und Art. 13 Teil B Buchst. f dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat diese Tätigkeit nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glückspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist.
40Von einem Steuerberater konnte im fraglichen Zeitraum nicht verlangt werden, dass er aufgrund dieser Entscheidung den rechtlichen Schluss zieht, dass auch Umsätze aus Geldspielautomaten, mit denen sich diese Entscheidung direkt nicht beschäftigt, in den Anwendungsbereich der 6. Richtlinie fallen und die vom EuGH für die Umsatzsteuerfreiheit unerlaubter Glückspiele aufgestellten Grundsätze in gleicher Weise auch für Umsätze aus Geldspielautomaten gelten. D.h. der Beklagte hätte sich auch bei Kenntnisnahme von dieser Entscheidung im Jahr 1998 nicht veranlasst sehen müssen, die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide der Klägerin für die Jahre 1995 und 1996, die solche Umsätze betrafen und im Jahr 1998 noch nicht bestandskräftig waren, offen zu halten.
41Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache G wurde in Rechtsprechung und Literatur zunächst nicht der Schluss gezogen, dass die Ausführungen des EuGH zu verallgemeinern seien und für die Frage der Umsatzsteuerfreiheit von Geldspielautomaten entsprechend gelten. Vielmehr wurde dies sowohl in Entscheidungen des Finanzgerichts Münster (Beschluss vom 15.09.2000, 5 V 4286/00) als auch des T Finanzgerichts (Beschluss vom 09.04.2001, IV 64/99) ausdrücklich verneint. Beide Gerichte sahen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die mit den in Gaststätten und Spielhallen aufgestellten Geldspielautomaten erzielten Umsätze nicht unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 9 b UStG fallen, also umsatzsteuerpflichtig sind. Dies entsprach jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 30.11.2000 (BFH/NV 2001, 657) auch der einhelligen Auffassung in der Kommentarliteratur (vgl. Heidner, in Bunjes/Geist, UStG, 6. Aufl., § 4 Nr. 9, Rn 14; weitere Nachweise bei FG Schleswig-Holstein, a.a.O., zit. nach juris, Rn 20).
42Für den Beklagten zeichnete sich auch nicht aufgrund naheliegender Schlussfolgerungen aus dem Urteil des EuGH in der Sache G eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab. Insoweit gab es vielmehr gewichtige Unterschiede zwischen den beiden zu beurteilenden Sachverhalten. Insbesondere lag es nicht auf der Hand, dass durch eine Differenzierung zwischen Spielbankbetreibern einerseits und sonstigen Automatenaufstellern andererseits für Umsätze aus Gewinnspielgeräten der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletzt wird.
43Geldspielautomatenbetreiber bedürfen gemäß § 33 c GewO einer Erlaubnis, die nur für bestimmte Gewinnspielgeräte erteilt werden darf. Zu den Voraussetzungen gehört u.a., dass der Einsatz für ein Spiel höchstens 0,40 DM, der Gewinn höchstens 4 DM beträgt und die Summe der Gewinne bei unbeeinflusstem Spielablauf mindestens 60 v. H. der um den jeweiligen USt-Satz verringerten Einsätze beträgt. Nach § 33h Nr. 1 GewO finden die §§ 33c - 33g GewO auf die Zulassung und den Betrieb von Spielbanken hingegen keine Anwendung, so dass die in §§ 33c und 13 SpielVO festgelegten Beschränkungen nicht für Spielbanken gelten. In der Praxis führt dies dazu, dass die in § 33c GewO genannten Spielgeräte in Spielbanken nicht aufgestellt werden. Die in Spielbanken aufgestellten Geldspielgeräte, sog. Slot-Maschinen oder "Einarmige Banditen" sind gewerberechtlich nicht zulässig, weil sie die Schutzbeschränkungen des § 33c GewO nicht einhalten. Demnach unterscheiden sich die in den Spielhallen und Gaststätten aufgestellten Gewinnspielgeräte grundsätzlich von den in den Spielbanken betriebenen Geldspielgeräten. Auch wenn Spielbanken Geldspielgeräte i. S. des § 33c GewO betreiben dürfen, kommt dies mangels wirtschaftlichen Interesses der Spielbankbetreiber in der Praxis nicht vor. Anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall des unerlaubten Glücksspiels (Roulette) überschneiden sich die angebotenen Spiele der Automatenaufsteller somit nicht mit den angebotenen Geldspielgeräten der Spielbanken (vgl. zum Ganzen im einzelnen FG Schleswig-Holstein, a.a.O., Rn. 25 ff.).
44Unter diesen Umständen sprachen gewichtige Gründe dagegen, insoweit von einer Verletzung der gebotenen steuerlichen Neutralität auszugehen, da zwischen den Spielbanken und den Automatenaufstellern hinsichtlich des Betriebs von Geldspielgeräten kein tatsächlicher Wettbewerb bestand.
45Es kommt hinzu, dass der EuGH in seinem früheren Urteil vom 05.05.1994, Az. C-38/93 (Glawe) die Besteuerungsgrundlagen für Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit, die aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt sind, dass ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze als Gewinn an die Spieler ausgezahlt wird, ausdrücklich festgelegt hat. Zweifel an der Umsatzsteuerpflichtigkeit dieser Umsätze wurden in dieser Entscheidung nicht erhoben. Soweit solche seinerzeit bereits bestanden hätten, wäre eine Festlegung der Besteuerungsgrundlagen, die eine grundsätzliche Umsatzsteuerpflichtigkeit dieser Umsätze voraussetzt, nicht erfolgt. Aufgrund dieser ausdrücklich die Umsätze aus Geldspielautomaten betreffenden Entscheidung des EuGH durfte der Beklagte vielmehr davon ausgehen, dass sich daran auch durch das spätere Urteil des EuGH vom 11.06.1998 nichts geändert hatte, da es darin – wie dargelegt – nicht um die Umsatzsteuerfreiheit bzw. –pflichtigkeit der Umsätze aus Geldspielautomaten ging, sondern um (un)erlaubtes Glückspiel in Form von Roulette. Es würde die steuerlichen Beratungspflichten eines Steuerberaters überspannen, wollte man von ihm fordern, aus dieser späteren Entscheidung des EuGH vom 11.06.1998 den rechtlichen Schluss zu ziehen, dass die dort entwickelten Grundsätze auch auf die Umsätze aus Geldspielautomaten übertragbar sind. Dagegen spricht auch der Umstand, dass die für die Entscheidung dieser rechtlichen Probleme zuständigen Gerichte die Frage der Umsatzsteuerfreiheit von Umsätzen aus Geldspielautomaten erst einige Jahre später gestellt und zwecks Klärung dem EuGH vorgelegt haben.
46Soweit es um die unterlassene Einspruchseinlegung geht, fehlt es überdies auch schon deswegen an einer kausalen Pflichtverletzung, da auch bei Kenntnisnahme des Beklagten von der Entscheidung des EuGH vom 11.06.1998 im Jahr 1998, aufgrund der bereits zu diesem Zeitpunkt abgelaufenen Einspruchsfristen eine Anfechtung der Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1995 und 1996 nicht mehr möglich gewesen wäre. Der Umsatzsteuerbescheid für 1995 stammt ausweislich des Schreibens des FA U vom 11.05.2007 (vgl. Anl. ddkb 4 Bl. 13 d.A.) vom 04.11.1997, so dass hiergegen nur bis spätestens Mitte/Ende Dezember 1997 binnen Monatsfrist Einspruch hätte eingelegt werden können. Gegen die Steuerfestsetzung im Wege der Zustimmung zur Steueranmeldung vom 24.10.1997 für das Jahr 1996 hätte ein Einspruch ebenfalls noch im Jahr 1997 erfolgen müssen. Da dem Beklagten die Entscheidung des EuGH frühestens im Juni 1998 hätte bekannt sein können, bestand für ihn Ende 1997 keine Veranlassung gegen die beiden Umsatzsteuerbescheide für 1995 und 1996 Einspruch einzulegen, da die Umsätze aus Geldspielautomaten nach der bisherigen Rechtslage umsatzsteuerpflichtig waren.
47Eine Pflichtverletzung des Beklagten ergibt sich auch nicht aufgrund des Beschlusses des Bundesfinanzhofs vom 30.11.2000, Az. V B 187/00. Darin hat es der Bundesfinanzhof zwar als ernstlich zweifelhaft angesehen, ob Geldspielautomatenumsätze besteuert werden dürfen und es wurde bei summarischer Prüfung im Aussetzungsverfahren nicht für ausgeschlossen gehalten, dass sich der Unternehmer für die Steuerfreiheit von Geldspielautomatenumsätzen auf Art. 13 Teil B Buchst. f) der Richtlinie 77/388/EWG berufen könne.
48Die Einlegung eines Einspruchs gegen die jeweiligen Bescheide war jedoch aufgrund der im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung im Jahr 2001 bereits abgelaufenen Fristen – wie bereits dargelegt – ohnehin nicht mehr möglich.
49Eine Informations- und Hinweispflichtverletzung des Beklagten bezogen auf die unterlassene, zu diesem Zeitpunkt noch mögliche Stellung von Abänderungsanträgen hinsichtlich der Umsatzsteuerbescheide für 1995 und 1996 scheitert daran, dass diese Entscheidung des BFH vom 30.11.2000 nicht im Bundessteuerblatt, sondern nur in der NV 2001 S.657/658, der NWB Nr.44 vom 29.10.2001 und im StRK UStG § 4 Nr.9 R.1 veröffentlicht war. Bei diesen Fundstellen handelt es sich nach den obigen Grundsätzen, denen die Kammer folgt, nicht um solche, die zur Pflichtlektüre eines Steuerberaters gehören. Infolge dessen kann dem Beklagten kein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er diese Entscheidung nicht zeitnah im Jahr 2001 mit ihrer Veröffentlichung zur Kenntnis genommen und umgehend einen Abänderungsantrag hinsichtlich der streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide gestellt hat.
50Dass der Beklagte bereits im Jahr 2001 von dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs Kenntnis erlangt hat, behauptet der Kläger schon nicht hinreichend substantiiert. Abgesehen davon hat der Kläger trotz des Bestreitens des Beklagten, in den Jahren 2001 und 2002 Rundschreiben des Automatenverbandes mit einem Hinweis auf diese Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 30.11.2000 erhalten zu haben, dafür keinen Beweis angeboten. Diese Beweisfälligkeit geht zu seinen Lasten.
51Eine Pflichtverletzung des Beklagten ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass der Kläger nach seinem vom Beklagten bestrittenen Vortrag eine Kopie eines Rundschreibens des Deutschen Automatenverbundes, Nr.2/2002 vom 22.03.2002 an den Beklagten weitergeleitet haben will, was angesichts des Datums des Rundschreibens frühestens im Frühjahr 2002 gewesen sein kann. Denn die Festsetzungsfristen gem. § 164 IV, 169 II S. 1 Nr. 2 AO waren für beide Bescheide am 31.12.2001 abgelaufen. Dem Beklagten wäre es infolge dessen im Frühjahr 2002 nicht mehr möglich gewesen, eine Abänderung der Umsatzsteuerfestsetzung für die Jahre 1995 und 1996 zu erreichen.
52Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch den Ausführungen im Urteil des OLG Köln vom 12.07.2007, Az. 8 U 6/07, nichts anderes in Bezug auf die Beratungspflicht des Steuerberaters zu entnehmen. Das OLG Köln hat zwar in der zitierten Entscheidung ausgeführt, dass an die Informationspflicht des Steuerberaters bezogen auf die geltende Rechtsprechung und anstehende Rechtsprechungsänderungen, insbesondere die Kenntnis von Instanzrechtsprechung und die Literatur, strengere Anforderungen zu stellen sind, wenn ein Rechtsgebiet ersichtlich in der Entwicklung begriffen und weitere höchstrichterliche Rechtsprechung zu erwarten ist. Aber auch in diesem Fall soll dem Steuerberater insgesamt ein "realistischer Toleranzrahmen zugebilligt werden (vgl. OLG Köln Urt. v. 12.07.2007, Az. 8 U 6/06; BGH NJW 2001 S.675/678). Im Ergebnis kann dies dazu führen, dass ein Rechtsanwalt und auch ein Steuerberater wegen seiner Pflicht zur Wahl des sichersten Weges gehalten ist, eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Rechnung zu stellen, wobei sich allgemeine Regeln kaum finden lassen. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. Grundsätzlich wird darauf abzustellen sein, mit welchem Grad an Deutlichkeit (Evidenz) eine neue Rechtsentwicklung in eine bestimmte Richtung weist und eine neue Antwort auf eine bisher anders entschiedene Frage nahe legt (OLG Köln Urt. v. 12.07.2007, Az. 8 U 6/06, BGH NJW 1993 s.3323/3325; KG Berlin DStR 2007 S.453/454). Regelmäßig wird es sich um besonders zu begründende, eng umgrenzte Ausnahmefälle handeln, in denen es als schuldhafte Pflichtverletzung des Rechtsanwalts bzw. Steuerberaters zu werten ist, dass er seiner Beratung die Möglichkeit einer Änderung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zugrunde gelegt hat (BGH NJW 1993 S.3323/3325). Nur bei hinreichend deutlichen Anzeichen im Beratungszeitpunkt ist der Steuerberater verpflichtet, auf eine bereits absehbare bestimmte Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinzuweisen (OLG Köln Urt. v. 12.07.2007, Az. 8 U 6/06).
53In dem hier maßgeblichen Zeitraum bis zum Ende des Jahres 2001 gab es - wie vorstehend im einzelnen ausgeführt - bezüglich der Frage der Umsatzsteuerbefreiung von Erträgen aus Glückspielautomaten noch keine so deutlichen Anzeichen für eine schon absehbare bestimmte Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Etwas anderes lässt sich auch dem Einspruchsschreiben des Beklagten vom 30.09.2002 nicht entnehmen (Anl. ddkb 10 Bl. 54 d.A.). Das darin zitierte Urteil des Finanzgerichts Münster, Az. 5 K 4280/00, war ebenfalls weder im Bundessteuerblatt noch in der Zeitschrift Deutsches Steuerrecht veröffentlicht worden. Dem Schreiben des Beklagten lässt sich lediglich entnehmen, dass er von dieser Entscheidung und dem laufenden Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof im September 2002 tatsächlich Kenntnis hatte. Bis zum Ablauf des Jahres 2001 bestand eine entsprechende Kenntnis jedoch nicht und ist von ihm – wie dargelegt – aus Rechtsgründen auch nicht zu fordern.
54Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.1 S.1 ZPO.
55Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.
56Gegenstandswert: 9.384,41 €
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