Urteil vom Landgericht Bonn - 14 O 114/11
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 7.174,89 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
auf den Betrag von € 483,45 seit dem 06.05.2011,
auf den Betrag von € 835,28 seit dem 13.08.2011,
auf den Betrag von € 549,58 seit dem 10.06.2011,
auf den Betrag von € 541,18 seit dem 11.06.2011,
auf den Betrag von € 536,13 seit dem 11.06.2011,
auf den Betrag von € 548,73 seit dem 04.07.2011,
auf den Betrag von € 675,63 seit dem 29.07.2011,
auf den Betrag von € 526,89 seit dem 18.08.2011,
auf den Betrag von € 1.789,03 seit dem 20.09.2011 und
auf den Betrag von € 688,99 seit dem 29.09.2011
zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Dieses Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Klägerin nimmt als Transportversicherin des Musikhauses U (im Folgenden: Versicherungsnehmer) die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz wegen Verlustes von Transportgut in zehn Fällen in Anspruch. Der Versicherungsnehmer vertreibt weltweit Musikequipment und –zubehör. Am 25.01.2009 schloss er mit der Beklagten den Rahmenvertrag über die Beförderung von Paketen. In der Präambel des Vertrages heißt es:
3„Die W GmbH & Co. OHG als Tochtergesellschaft der B AG handelt bei Beförderungsverträgen über das Paket-Produkt “O“ als Hauptfrachtführer im eigenen Namen.
4Im Übrigen handelt sie im Namen und für Rechnung der B AG.
5W GmbH & Co. OHG und B AG werden nachfolgend jeweils einzeln oder gemeinschaftlich „E“ genannt.“
6Im nachfolgenden § 1 heißt es dann:
7„1.1. Gegenstand dieses Vertrages sind Bedingungen für die inländische und internationale Beförderung von Paketen (nachfolgend “Sendungen“) durch E. […]
81.2. Rechte und Pflichten der Parteien bestimmten sich nach den jeweils aktuellen Fassungen folgender Allgemeiner Geschäftsbedingungen:
9- Für innerdeutsche Transporte nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der O (AGB O) der F (AGB F),
10- für sonstige grenzüberschreitende Transporte nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der J (AGB J),
11[…].“
12Zwischen April und August 2011 gab der Versicherungsnehmer bei der Beklagten unter anderem zehn Pakete auf, von denen sieben zum Versand im Inland und drei (die Fälle 2, 6, 9 gemäß S. 5, 12, 16 der Klageschrift) zum Versand an Empfänger in der Schweiz bestimmt waren; wegen der Einzelheiten, auch zu den Aufträgen, die Nachnahme einzuziehen, wird auf die Ausführungen in der Klageschrift nebst anliegenden Urkunden Bezug genommen. Der Versicherungsnehmer nutzte das elektronische Versandsystem der Beklagten; dabei gab er ein, welche Waren mit welcher Rechnungsnummer er an welchen Empfänger verschicken wollte, woraufhin im System ein Versandlabel erstellt wurde, das der Versicherungsnehmer auf die Umverpackung der jeweils zu befördernden Sendung klebte, die damit auch einen Ident-Code, der die Verfolgung der Sendung erlaubte, erhielt. Diese (die Sendung) holten die Beauftragten der Beklagten beim Versicherungsnehmer ab. Mit der Übergabe erhielt der Kunde des Versicherungsnehmers per E-Mail die „Versand-Paketanzeige“ mit den von dem Versicherungsnehmer mitgeteilten Daten, u.a. dem Versanddatum, den im jeweiligen Paket enthaltenen Waren, Gewichtsangaben sowie der vom Versicherungsnehmer den Waren zugewiesene Rechnungsnummer (s. Anl. zur Klageschrift).
13Nachdem die Beklagte unter Berufung auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen für jedes Paket Ersatz in Höhe von € 500 zuzüglich der von dem Versicherungsnehmer gezahlten Fracht geleistet hatte, regulierte die Klägerin als alleinige Transportversicherin des Versicherungsnehmers den weiteren vom Versicherungsnehmer geltend gemachten Schaden gemäß der Aufstellung auf Seite ## der Klageschrift.
14Die Klägerin behauptet, die Pakete hätten die in den Versand-Paketanzeigen und den Rechnungen aufgeführten Waren enthalten. Wegen ihres weiteren Vortrags zum Schaden wird auf Seiten 4 ff der Replik vom 25.01.2012 (Bl. ### ff d.A.) verwiesen.
15Die Klägerin beantragt,
16die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 7174,89 nebst jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 483,45 seit dem 03.05.2011, aus € 835,28 seit dem 10.08.2011, aus € 549,58 seit dem 07.06.2011, aus € 541,18 seit dem 08.06.2011, aus € 536,13 seit dem 08.06.2011, aus 548,73 seit dem 01.07.2011, aus € 675,63 seit dem 25.07.2011, aus € 526,89 seit dem 15.08.2011, aus € 1789,03 seit dem 15.09.2011 und aus von € 688,99 seit dem 26.09.2011 zu bezahlen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Die Beklagte bestreitet den Inhalt der abhanden gekommenen Sendungen und behauptet, sie habe bei der Beförderung der drei für die Empfänger in der T bestimmten Pakete im Namen der Fa. B AG gehandelt. Der Versicherungsnehmer habe in allen Fällen die Massengüter, die er verkauft habe, nachgeliefert; daher – so meint sie – sei ein Schaden im Sinne der §§ 249 ff BGB bereits nicht hinreichend dargelegt
20Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden verwiesen.
21E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
22Die Klage ist bis auf einen Teil der Zinsforderung begründet.
23I.
24Die – nach der Regulierung des Schadens unstreitig aktiv legitimierte - Klägerin hat gemäß Art. 17 CMR, §§ 425 Abs.1 HGB, 249 ff BGB gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von € 7174,89 aus übergegangenem Recht gemäß § 86 Abs.1 S. 1 VVG.
251.
26Für die sieben für den Versand im Inland bestimmten Pakete ergibt sich dieser Anspruch aus § 425 Abs. 1 HGB.
27a.
28Der Abschluss der Frachtverträge (§ 407 Abs.1 HGB) zwischen dem Versicherungsnehmer und der Beklagten an den jeweils sich aus den Paket-Versandanzeigen ergebenden Daten ist unstreitig: die auf der Grundlage des Rahmenvertrages (Anl. B 1) basierenden (konkludenten) Willenserklärungen hatten zum Inhalt, dass die Beklagte das Gut zum Bestimmungsort befördern und dort an den Empfänger abliefern sollte.
29b.
30Die Beklagte hat ihre Verpflichtungen nicht erfüllt (§ 362 Abs.1 BGB): Die zu befördernden Sendungen sind unstreitig nicht abgeliefert worden.
31c.
32Dem Versicherungsnehmer ist durch den Verlust der Pakete nach den §§ 249, 252 BGB ein Schaden entstanden, den die Beklagte in Höhe von € 4001,85 nicht ersetzt hat.
33aa.
34Die verloren gegangenen Pakete enthielten die von der Klägerin behaupteten Waren. Der Beweis für den Inhalt der jeweils verlorengegangenen Sendung unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO. Dabei liegt grundsätzlich die Vermutung nahe, dass ‑ wenn die Übergabe eines Pakets feststeht - der Absender die in den Rechnungen und Lieferscheinen aufgeführten Waren tatsächlich an den Transporteur übergeben hat. Auch sofern die Güter in verschlossenen Behältnissen zum Versand gebracht wurden, ist bei kaufmännischen Absendern prima facie anzunehmen, dass die im Lieferschein (bzw. im Kommissionierungsbeleg) und in der damit korrespondierenden Rechnung aufgeführten Waren in dem Behältnis enthalten waren (z. B. BGH TranspR 2008, 117, 119 Tz. 21 m.w.N.).
35Zwar hat im vorliegenden Fall die Klägerin neben den Rechnungen keine Lieferscheine, sondern „nur“ die dazu gehörenden sog. Versand-Paketanzeigen vorgelegt. Dennoch gelten die oben genannten Überlegungen auch hier, mit dem Ergebnis, dass die Kammer überzeugt ist, dass die verloren gegangenen Pakete die in den Versand-Paketanzeigen und in den dazu gehörenden Rechnungen aufgeführten Waren beinhalteten. Anknüpfung für die oben beschriebene Beweiserleichterung (Beweismaßreduzierung) im Rahmen von § 286 ZPO ist, dass typischerweise ein Kaufmann seinen Kunden nicht mit der Übersendung nicht bestellter, also nicht den übersandten „Papieren“ (Lieferschein und Rechnung gemäß Kundenbestellung) entsprechenden Waren verärgern wird. Das Risiko würde er – bei nicht korrelierendem Inhalt der Sendung – nur dann nicht laufen, wenn sie, die Sendung, abhandenkäme. Dieses wiederum kann er bei der Absendung nicht wissen, nämlich welches Paket gerade auf dem Versandweg verlorengeht (so dass es auf den tatsächlichen Inhalt nicht mehr ankommt). Kein Kaufmann wird aufgrund einer solchen geradezu aberwitzigen Erwartung seinem Kunden nicht die berechnete Ware schicken (LG Hamburg TranspR 2003, 166, Tz. 21). Dementsprechend spricht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die in den Lieferscheinen und Rechnungen aufgeführten Waren tatsächlich die Versandabteilung des Verkäufers durchlaufen haben (BGH TranspR 2008, 163, 165 Tz. 36). Ohne dass es darauf ankommt, kommt der Versand-Paketanzeige der einem Lieferschein entsprechende Beweiswert zu, denn sie erreicht den Kunden als Empfänger der Waren noch schneller und enthält umfangreichere Daten als der „normale“ Lieferschein, nämlich detaillierte Angaben über Absender, Empfänger und die verkauften Waren, auch deren Gewicht. Daraus folgt die hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die verlorengegangenen Pakete die Versandabteilung des Versicherungsnehmers mit den in den Versand-Paketanzeigen und den damit korrespondierenden Rechnungen aufgeführten Waren verlassen haben. Die Kammer lässt deshalb dahinstehen, ob nicht allein die Rechnungen für die Überzeugungsbildung ausreichen (vgl. z.B. BGH TranspR 2010, 73 Tz. 20, OLG Köln, Urteil vom 11.11.2003, 3 U 44/03, S.11)
36Die Beweiserleichterung greift auch dann, wenn - wie hier - der Absender ein großer Versandhandel ist und deshalb täglich eine Vielzahl von Paketen versendet (BGH NJW-RR 2007, 28, 30 Tz. 20). Auch in solchen Fällen muss der Frachtführer durch substantiierten Vortrag die ernsthafte Möglichkeit darlegen (und beweisen), dass die verlorengegangenen Sendungen nicht die in den Lieferscheinen (hier: in den Versand‑Paketanzeigen) und den damit korrespondierenden Rechnungen aufgeführten Waren enthielten. Dieser Anforderung ist die Beklagte mit ihrer Darlegung, bei Massenversendungen sei menschliches Versagen nicht auszuschließen, nicht gerecht geworden.
37bb.
38Die Klägerin hat den Schaden hinreichend dargelegt. Der Schaden im Sinne von § 249 BGB setzt sich zusammen aus dem Einkaufspreis der Ware, den Allgemeinkosten, die im Preis enthalten sind, und dem entgangenen Gewinn. Diese Schadenskomponenten hat die Klägerin zwar nicht vereinzelt dargelegt, sondern nur in ihrer Summe, nämlich als Kaufpreis. Das wäre nur dann schädlich, wenn eine Komponente entfallen würde, so dass es auf die Höhe der übrigen Komponenten für die Bemessung des Schadens ankäme. Diese Problematik, wie auch die Anforderungen der Kammer an die Darlegung, ist mit den hier beteiligten Prozessbevollmächtigten, besonders im Hinblick auf die Interpretation des Urteils BGH, I ZR 39/09 vom 30.09.2010 (MDR 2010, 1474 = TranspR 2010, 437) durch die Beklagte auch in anderen Rechtsstreitigkeiten, mehrfach erörtert worden; Gegenstand eines Hinweises waren auch die Rechtsfolgen, dass ggfs. – bei Bestreiten der Höhe insoweit - über jede einzelne Schadenskomponente Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens einzuholen wäre, was, je nach Streitwert, zu einem völlig unangemessenen Kostenaufwand führen könnte.
39Vorliegend können alle Schadenskomponenten von der Klägerin gefordert werden, so dass die Darlegung der Summe der Komponenten, also des Kaufpreises, ausreicht. Denn dem Versicherungsnehmer ist durch den Verlust der Waren auch ein Gewinn entgangen. Zwar hat die Klägerin nicht hinreichend bestritten, dass ihr Versicherungsnehmer die verlorengegangenen Waren seinen Kunden nachgeliefert hat, so dass ihm insoweit kein Gewinn entgangen ist. Jedoch ist nach § 252 S. 2 BGB zu vermuten, dass der Versicherungsnehmer mit den nachgelieferten Waren ein anderweitiges Geschäft getätigt und daraus einen zusätzlichen Gewinn gezogen hätte (so etwa in einem vergleichbaren Fall: OLG Düsseldorf, Urteil v. 03.03.2010, 18 U 176/09, Rn. 19 – juris). Ist nämlich der Geschädigte Kaufmann, so entspricht es dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, dass er marktgängige Waren jederzeit zum Marktpreis absetzen kann (ständige Rechtsprechung des BGH, so z.B. BGH NJW 2012, 601, 602 für Heizöl; BGH WRP 2012, 209, 214 Tz. 65 für Selbstdurchschreibepapier; BGH NZBau 2006, 118 Tz.8 ff für Ausrüstungsgegenstände für das Baugewerbe; vgl. auch Oetker in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., Rn. 46 ff m.w.N.). Es oblag daher der Beklagten, darzulegen und zu beweisen, dass es sich bei den in ihrer Obhut verloren gegangenen Waren entweder nicht um marktgängige Waren gehandelt hat oder der Versicherungsnehmer nicht imstande gewesen wäre, diese zum Marktpreis abzusetzen. Die Behauptung der Beklagten, unter den nachgelieferten Waren seien auch „Ladenhüter“, die auf einem „Angebotsmarkt“ (mit einem die Nachfrage übersteigenden Angebot) überhaupt nicht oder nur mit ganz erheblichen Preisnachlässen hätten veräußert werden können, reicht für die Widerlegung der in § 252 S. 2 BGB enthaltenen Vermutung nicht aus.
40d.
41Die Haftung der Beklagten ist auch nicht auf den in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehenen Höchstbetrag von € 500 begrenzt. Dieses ergibt sich aus § 435 HGB (die Beklagte hat die AGB Paket national nicht vorgelegt). Danach haftet der Frachtführer unbegrenzt für einen von ihm verursachten Schaden, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung des Frachtführers zurückzuführen ist, die er, seine Leute oder ein sonstiger Erfüllungsgehilfe (§ 428 HGB) vorsätzlich oder leichtfertig in dem Bewusstsein begangen haben, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Diese Vorschrift können die Vertragsparteien wegen § 449 Abs. 2 S. 1 HGB nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen abbedingen.
42Zwar trägt grundsätzlich der Geschädigte die Beweislast dafür, dass der Frachtführer, seine Leute oder seine Erfüllungsgehilfen sich nicht ordnungsgemäß verhalten haben. Jedoch obliegt es angesichts des unterschiedlichen Informationsstands der Vertragsparteien dem Frachtführer, die näheren Umstände seiner Betriebsorganisation darzulegen, insbesondere welche Sicherungsmaßnahmen er gegen den Verlust von Transportgut getroffen hat. Kommt der Frachtführer dem nicht nach, so ist zu vermuten, dass er seinen Betrieb nicht entsprechend organisiert und damit den eingetretenen Schaden zumindest leichtfertig verschuldet sowie in dem Bewusstsein gehandelt hat, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde (z.B. BGH NJW-RR 2004, 394, 395 f.). Die nähere Begründung, fußend auf der Rechtsprechung des BGH und des OLG Köln, ist der Beklagten aus vielen Urteilen, auch dieser Kammer, bekannt. Vorliegend ist die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Sie hat sich nicht dazu geäußert, welche Maßnahmen sie zur Verhütung des Verlustes von Transportgut getroffen hat.
43Aus der Vereinbarung eines gegenüber der gesetzlichen Grundhaftung erhöhten, auf € 500 pauschalierten Haftungsvolumens folgt keine Umkehr der Darlegungslast und/oder der Beweislast. Eine Individualvereinbarung durch 2 korrespondierende Willenserklärungen, bezogen auf das Einverständnis des Versicherungsnehmers, die Beklagte solle nur dann unbegrenzt zu haften habe, wenn er, der Versicherungsnehmer, das für § 435 HGB erforderliche Verschulden der Beklagten positiv nachweist, hat sie selbst nicht vorgetragen. Das Einverständnis wird auch nicht durch die auf S. 6 des Schriftsatzes vom 13.01.2012 in Bezug genommene, nicht vorgelegte, Haftungsklausel hergestellt. Die Folgerungen, die der Versicherungsnehmer aus der von ihr in Bezug genommenen (AGB-) Klausel ziehen soll, kann kein verständiger Empfänger der Willenserklärung nachvollziehen. Der Inhalt der Klausel kann nicht in dem Sinn einer Beweislastabänderung verstanden werden; eine Auslegung ist mangels Vorlage der Urkunde (vgl. § 131 ZPO) sowieso nicht möglich. Es bedarf weder des Rückgriffs auf die Unklarheitenregelung (§ 305 c Abs. 2 BGB) noch auf die Inhaltskontrolle (§§ 307, 309 Nr.12 BGB).
44(Nur hilfsweise:) Eine Inhaltskontrolle hätte jedenfalls die Unwirksamkeit zur Folge. Unbeschadet der Intransparenz hätte die Beweislastabänderung zur Folge, dass der Versicherungsnehmer, wollte er einen höheren Ausgleich als die in den AGB vorgesehenen € 500 geltend machen, einen ihm fast unmöglichen Beweis führen müsste. Denn er hätte interne Geschehensabläufe bei der Beklagten zu belegen, was für ihn kaum möglich wäre. Er würde also faktisch auf die € 500 übersteigenden Schadensersatzansprüche verzichten.
45Entgegen der Auffassung der Beklagten kann sich die Klägerin auch auf die mangelhafte Betriebsorganisation der Beklagten berufen. Die Ansicht der Beklagten, der Versicherungsnehmer (und damit auch die Klägerin) könne ihr, der Beklagten, den Vorwurf der mangelnden Organisation nicht machen, weil sie mit dem Versicherungsnehmer bereits seit mehreren Jahren zur beidseitigen Zufriedenheit zusammenarbeite, ist mit dem Gesetz nicht in Übereinstimmung zu bringen. Es gibt keine Sonderregelungen für die sekundäre Darlegungslast bei Stamm- und bei Gelegenheitskunden. Die Klägerin verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben, indem sie sich auf den Grad des Verschuldens der Beklagten im Sinne von § 435 HGB beruft.
46e.
47Der weitere Einwand der Beklagten, der Versicherungsnehmer habe es angesichts der Vielzahl der täglich verschickten Pakete billigend in Kauf genommen habe, dass einige Pakete unaufgeklärt verloren gingen, ist unerheblich, begründet insbesondere kein Mitverschulden gemäß §§ 254 BGB, 425 Abs. 2 HGB. Denn allein aus der Tatsache, dass der Versicherungsnehmer einen Massenversand betreibt, kann nicht gefolgert werden, dass er den Verlust seiner Ware durch die Beklagte gebilligt und auf mögliche Ersatzansprüche verzichtet habe, die über den in den AGB vereinbarten Schadensersatz in Höhe von € 500 hinausgingen.
482.
49Für die restlichen drei, zum Versand in die T Ausland bestimmten Pakete, ergibt sich der Anspruch des Versicherungsnehmers aus Art. 17 Abs. 1, 29 CMR, §§ 249, 252 ff. BGB.
50a.
51Auch hier schlossen der Versicherungsnehmer und die Beklagte an den jeweils sich aus den Paket-Versandanzeigen ergebenden Daten Frachtverträge über die Beförderung der aufgegebenen Pakete. Auch diese Pakete gingen während des Transportes durch die Beklagten verloren.
52b.
53Entgegen der Ansicht der Beklagten ist sie in diesen Fällen passivlegitimiert. Sie handelte nicht im Namen der Firma B AG, sondern wurde selbst Vertragspartei. Nach § 164 Abs. 1 S. 2 BGB muss der Wille, im fremden Namen zu handeln, entweder ausdrücklich geäußert werden oder sich erkennbar aus den Umständen ergeben. Dieses ist durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Bestehen Unklarheiten, so gehen diese zu Lasten des Erklärenden (OLG Düsseldorf NJW-RR 2005, 852).
54Wie bereits mündlich mehrfach erörtert, lässt sich den Regelungen des Rahmenvertrages nicht, jedenfalls nicht eindeutig, entnehmen, dass die Beklagte im Namen der Firma B AG handeln wollte. Zwar heißt es in der Präambel des Rahmenvertrages, dass beim Produkt „F“ die Beklagte im eigenen Namen und „im Übrigen“ für die B AG handele. Das Produkt „F“ wird nicht definiert, so dass der Empfänger der Erklärung, vorliegend also: der Versicherungsnehmer, wie auch die Kammer, nicht verstehen kann, in welchen Fällen die Beklagte in Namen der Firma B AG auftrat/auftreten wollte. Diese Unklarheit wird auch nicht durch § 1 des Rahmenvertrages beseitigt. Daraus, dass in § 1 des Rahmenvertrages unter Ziffer 1.2 auf verschiedenartige AGB verwiesen wird, nämlich für innerdeutsche Transporte, für das Produkt F und „für sonstige grenzüberschreitende Transporte“ (nur insoweit auf die AGB der Firma B, kann der Empfänger der Erklärung, der Kunde der Beklagten, nicht mit der hinreichenden Sicherheit schließen, was genau das Produkt „F“ umfasst (nur Inlands- oder Inlands- und Europasendungen?) und bei welchem Produkt die Beklagte im Namen der Firma B AG handelte/handeln wollte. Ziffer 1.1 des § 1 des Rahmenvertrages nennt als Gegenstand des Vertrages „inländische und internationale“ Beförderung von Paketen durch die „E“; das wiederum ist möglicherweise auf den Satz vor § 1 zurückzuführen, wonach in den AGB auch die Fa. B AG mit „E“ bezeichnet wird. Wenn das so ist, kann aus den Bezeichnungen in dem Rahmenvertrag jedenfalls so lange nicht zuverlässig auf eine offene Stellvertretung geschlossen werden, wie der Begriff „F“ unklar bleibt. Die Regelung ist insgesamt intransparent und verwirrend und lässt bei der gebotenen Auslegung nach §§ 133, 157 BGB den Rückschluss darauf, dass die Beklagte bei einem Produkt, das in diesem Rechtstreit Gegenstand des Schadensersatzanspruchs ist, die Fa. B AG vertreten hat, nicht zu. Es bedarf nicht des Rückgriffs auf § 305 c Abs. 2 BGB.
55c.
56Die Beklagte kann sich nicht auf Haftungsbeschränkungen in Art. 34 Weltpostvertrag Peking 1999 berufen.
57aa.
58Die Beklagte ist nicht „Postverwaltung“ im Sinne der Verträge des Weltpostvereins: Als solche ist die Fa. B AG durch Art. 4 des Gesetzes vom 18.06.2002 (BGBl. II, 1446) bestimmt.
59bb.
60§ 1 Abs. 3 AGB Paket International bestimmt eine subsidiäre Geltung des Weltpostvertrages und seiner Nebenabkommen. Handelt es sich um eine Rechtsgrundverweisung, gelten die Erwägungen oben unter aa.. Als Rechtsfolgenverweisung verstößt sie, unabhängig davon, dass die Beklagte die Voraussetzungen für das Nichteingreifen der in der Rangfolge vorgehenden Vereinbarungen nicht dargelegt hat, gegen Art. 41 CMR.
61d.
62Dem Versicherungsnehmer ist durch den Verlust der Pakete ein Schaden gemäß §§ 249, 252 BGB entstanden, den die Beklagte in Höhe von € 3173,04 nicht ersetzt hat. Wie oben unter 1. dargelegt, spricht eine Vermutung dafür, dass die verlorengegangenen Pakete die in den Versand-Paketanzeigen und Rechnungen aufgeführten Waren enthielten und dem Versicherungsnehmer ein Gewinn entgangen ist. Für diesen Schaden haftet die Beklagte gemäß Art. 29 CMR - welcher mit § 435 BGB inhaltlich übereinstimmt - unbegrenzt, weil sie auch hier ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist, so dass zu ihren Lasten vermutet wird, dass sie den Verlust der Pakete zumindest leichtfertig zu verschulden hatte.
63II.
64Die Klägerin hat einen Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen in der tenorierten Höhe gemäß §§ 280, 286 Abs.2 Nr.3, 288 BGB. Die Beklagte war seit den im Tenor genannten Zeitpunkten in Verzug. Dieses ergibt sich daraus, dass sie mit ihren jeweiligen Schreiben, in denen sie auf die Haftungsbegrenzung von € 500 verwies, die darüber hinausgehende Schadensersatzleistungen ernsthaft und endgültig verweigert hat (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Sie hat eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie nicht gewillt war, mehr als € 500 Ersatz zu leisten. Im Falle von § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB beginnt der Verzug im Zeitpunkt des Zugangs der Ablehnungserklärung (vgl. BGH NJW 1984, 1460; NJW 1964, 820; a.A. OLG Hamm NJW-RR 1994, 1514, 1515). Das folgt daraus, dass die endgültige und ernsthafte Leistungsverweigerung die Mahnung entbehrlich macht, also der Mahnung gleichsteht, jedoch nur dann, wenn der Schuldner eindeutig zum Ausdruck bringt, er werde seinen Vertragspflichten nicht nachkommen (BGH NJW 2009, 1813, 1816); Solange Zweifel bestehen, muss der Gläubiger versuchen, u.a. eine klare Erklärung herbeizuführen (BGH NJW 1977, 36). Insofern kommt es, anders als z.B. in § 151 BGB, auf die objektive Erklärungsbedeutung an. Der Gläubiger muss dementsprechend Kenntnis von der Erklärung (des Schuldners) erlangt haben, bevor der Schuldner so behandelt werden darf, als ob er gemahnt worden wäre („Selbstmahnung“).
65III.
66Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 92 Abs. 2 und 709 S. 1, 2 ZPO.
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