Urteil vom Landgericht Bonn - 8 S 30/12
Tenor
I.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Siegburg vom 11.01.2012 - 118 C 464/10 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.032,59 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.795,56 EUR seit dem 02.08.2010 und aus 237,03 EUR seit dem 08.11.2010 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 231,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.11.2010 zu zahlen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt insgesamt die Beklagte.
III.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e:
2I.
3Die Darstellung des Tatbestandes entfällt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO. Da die Revision nicht zugelassen wurde und der für die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 26 Nr. 8 EGZPO erforderliche Beschwerdewert nicht erreicht ist, ist ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig.
4II.
5Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
6Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Klage ist in vollem Umfang begründet.
7Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiterer 834,28 EUR gem. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2, 18 Abs. 1, 3 StVG i.V.m. 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG sowie §§ 535 Abs. 2, 398 BGB i.V.m. §§ 249 ff. BGB.
8Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. nur BGH, Urt. v. 02.02.2010 – VI ZR 139/08, juris Rn. 10, 24ff.; BGH, Urt. v. 02.02.2010 – VI ZR 7/09, juris Rn. 8, 18ff.; ferner BGH, Urt. v. 24.06.2008 – VI ZR 234/07, juris Rn. 14, 22f.) kann der Geschädigte von dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist dabei ebenso wie in anderen Fällen, in denen er die Schadensbeseitigung selbst in die Hand nimmt, nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbeseitigung zu wählen.
9Soweit das Amtsgericht die Erforderlichkeit der Mietwagenkosten anhand des eingeholten Sachverständigengutachtens nebst Ergänzungsgutachten bewertet hat, hält dies einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht ist nicht gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Feststellungen des Amtsgerichts gebunden, da die auf dem Sachverständigengutachten beruhenden erstinstanzlichen Feststellungen fehlerhaft sind. Das Sachverständigengutachten leidet an den von der Klägerin im Rahmen der Berufung gerügten Mängeln. Um eine Grundlage für die Beurteilung der Frage der Erforderlichkeit des Wiederherstellungsaufwandes zu haben, bedarf es der Ermittlung hinreichend konkreter Vergleichsangebote, welche zu denselben Bedingungen an demselben Tag der tatsächlichen Anmietung zu erlangen gewesen wären. Eine solche Vergleichsgrundlage war der Sachverständige jedoch nicht ermittelt. So leidet das Sachverständigengutachten unter folgenden Mängeln, auf die die Klägerin zutreffend hinweist:
10Der Sachverständige konnte nicht umfassend verdeckt vermitteln; eine verdeckte Recherche für einen zurückliegenden Zeitpunkt erscheint nur schwer realisierbar. Er konnte nur unter Angabe einer genau festgelegten Mietdauer ermitteln, es erfolgte keine Ermittlung der Kosten bei einem „offenen Ende“ der Miete. Es fehlt an einer konkreten Abfrage bestimmter Fahrzeuggruppen. Nebenkosten sind zum Teil nicht mit denen der konkreten Anmietung identisch. Es sind keine vergleichbaren Zahlungsbedingungen ausgewiesen, insbesondere wird das Vorhandensein einer Kreditkarte unterstellt. Der Sachverständige hat zudem keine Recherche für den zurückliegenden Anmietzeitpunkt durchgeführt, vielmehr spiegelt das Gutachten nur die tagesaktuelle Marktlage wider. Insbesondere sind die wechselhaften tagesaktuellen Gegebenheiten auch kaum reproduzierbar. Die Abfrage durch den Sachverständigen erfolgte darüber hinaus nur bei fünf bzw. sechs Unternehmen und einer Reparaturwerkstatt, die alle im Gebiet C, und nicht in den vorgegebenen PLZ-Gebieten ihren Sitz haben.
11Aus dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens kann daher nicht gefolgert werden, dass für die Geschädigten die von dem Sachverständigen ermittelten Preise bei der Anmietung eines Ersatzwagens auch tatsächlich zu erzielen waren. Es fehlt an einer hinreichend konkreten Vergleichsgrundlage. Daher kann anhand des Ergebnisses der Beweisaufnahme des Amtsgerichts nicht festgestellt werden, in welcher Höhe Kosten für die Ersatzbeschaffung erforderlich waren.
12Die Erforderlichkeit der Mietwagenkosten kann jedoch - wie üblich und bewährt - gem. § 287 ZPO geschätzt werden. Eine Schätzung auf der Grundlage des § 287 ZPO macht die Einholung eines Sachverständigengutachtens gerade entbehrlich. Als Schätzgrundlage ist nach ständiger Kammerrechtsprechung die Schwackeliste geeignet (vgl. bspw.: LG Bonn, Urt. v. 10.05.2011 – 8 S 13/11; Urt. v. 28.06.2011 – 8 S 86/11).
13Die Beklagte hat auch keine konkreten Tatsachen aufgezeigt, dass und wie sich etwaige Mängel der Schwackeliste auf den vorliegenden Fall auswirken würden. Die hierfür darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. BGH,Urt. v. 19.01.2010, VI ZR 112/09, juris Rn. 11; BGH, Urt. v. 24.06.2008, VI ZR 234/07, juris Rn. 26) hat nicht dargetan, dass dem Geschädigten ein günstigerer Normaltarif ohne weiteres zugänglich war (vgl. BGH,Urt. v. 19.01.2010, VI ZR 112/09, juris Rn. 11; BGH, Urt. v. 24.06.2008, VI ZR 234/07, juris Rn. 26).
14Der Klägerin steht auf den nach der Schwackeliste geschätzten Normaltarif auch ein Aufschlag von 20% in beiden Schadensfällen zu. Richtig ist zwar, dass die Geschädigten die Fahrzeuge nicht in einer Eil- oder Notsituation anmieteten. Dies schließt jedoch noch nicht die Geltendmachung unfallspezifischer Mehrleistungen aus. Die Besonderheiten jenes Tarifs rechtfertigen mit Rücksicht auf die Unfallsituation - etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagenunternehmen u.ä. - einen gegenüber dem Normaltarif höheren Preis, weil sie auf zusätzlichen Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind (vgl. BGH, Urt. v. 24.06.2008 – VI ZR 234/07, juris Rn. 14; BGH, Urt. v. 19.01.2010 – VI ZR 112/09, juris Rn. 5). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Frage der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung des Unfallersatztarifs nicht auf den konkreten Einzelfall abzustellen und die Kalkulation des konkreten Vermieters im Einzelnen nachzuvollziehen, sondern eine generelle Betrachtung vorzunehmen. Dass aufgrund der Besonderheiten der Unfallsituation in der Regel ein höherer Mietwagenpreis als der Normaltarif zur Schadensbeseitigung i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich ist, steht nicht mehr grundsätzlich in Streit. Selbst der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erkennt an, dass bei der Vermietung von Unfallersatzfahrzeugen wegen vermehrter Beratungs- und Serviceleistungen, erhöhten Verwaltungsaufwands und Zinsverlusten aufgrund von längeren Zahlungsfristen ein Aufschlag auf den Normaltarif geboten ist (vgl. Ziffer 4. des Ergebnisprotokolls der Gespräche zwischen dem Bundesverband der Autovermieter (BAV) und GDV vom 29.09.2006, NJW-Spezial 2006, 548). Allein auf das Vorliegen einer Eil- oder Notsituation kommt es daher nicht entscheidend an. So weist sogar die Beklagte selbst darauf hin, dass ohne Inanspruchnahme des Unfallersatztarifs der Geschädigte durch Vorlage einer Kreditkarte den Mietwagen hätte vorfinanzieren müssen (Schriftsatz vom 15.12.2010). Die Erhöhung des Mietpreises kann in Form eines pauschalen Aufschlags auf den Normaltarif erfolgen, dessen Höhe wiederum der bei der Schadensabrechnung besonders freigestellte Tatrichter gemäß § 287 ZPO schätzen kann (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.2006 – VI ZR 161/05, juris Rn. 9). Die Kammer folgt weiterhin der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts Köln, wonach der Aufschlag 20 % beträgt (vgl. BGH, Urt. v. 19.01.2010 –VI ZR 112/09, juris Rn. 5; BGH Urt. v. 02.02.2010 – VI ZR 7/09, juris Rn. 8; OLG Köln, Urt. v. 02.03.2007 – 19 U 181/06, juris Rn. 31; OLG Köln, Beschl v. 04.04.2008 – 4 U 1/08, juris Rn. 5; s. ferner LG Bonn, Urt. v. 29.07.2010 – 8 S 93/10, n.v., S. 3ff.).
15Die Kosten für die Zustellung und die Abholung der Mietwagen sind ebenfalls ersatzfähig (vgl. BGH, Urt. v. 02.02.2010 – VI ZR 7/09, juris Rn. 23; LG Bonn, Beschl. v. 21.07.2010 – 8 S 171/10, n.v., S. 6 [für Zustellung/Abholung]; LG Bonn, Beschl. v. 12.01.2011 – 5 S 263/10, n.v., S. 6 mwN; LG Bonn, Beschl. v. 21.07.2010 – 8 S 171/10, n.v., S. 6). Die Kosten für die Zustellung und Abholung des Fahrzeugs stellen einen Teil der Hauptforderung dar und sind nicht in den unfallbedingten Nebenkosten, wozu beispielsweise Kosten für den Postverkehr, die Telekommunikation, ggf. auch Fahrtkosten zählen, enthalten. Vielmehr stellen die Abhol- und Zustellungskosten eine eigenständige Schadensposition dar.
16Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 231,90 EUR sind der Klägerin aus Verzugsgesichtspunkten gem. §§ 280 Abs. 1, 2 286 BGB zu erstatten.
17Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 288 Abs. 1 BGB
18Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
19Für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO bestand keine Veranlassung. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
20Streitwert des Berufungsverfahrens: 834,28 EUR.
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