Urteil vom Landgericht Bonn - 1 O 170/12
Tenor
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.241,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2012 zu zahlen.
2.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 91 % und die Beklagte zu 9 %.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin nahm an der öffentlichen Ausschreibung der Beklagten zur Beschaffung von Zimmerarbeiten für das Bauvorhaben „Neubau einer internationalen Kindertagesstätte I-Allee in C“ nach den Bestimmungen der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB/A) teil. Die Beklagte veröffentlichte die Ausschreibung ####/11 am 27.10.2011. Die Vergabeunterlagen wurden von der Klägerin angefordert und von der Beklagten am 9.11.2011 an sie übersandt.
3Die Klägerin beteiligte sich am streitgegenständlichen Vergabeverfahren mit einem Angebot vom 30.11.2011, das sich auf 1.083.878,22 € belief. Das vollständige Angebot der Klägerin war das günstigste Angebot der Ausschreibung.
4Mit Schreiben der Beklagten vom 20.1.2012 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass das Vergabeverfahren ####/11 unter Bezugnahme auf § 17 VOB/A wegen schwerwiegender Gründe aufgehoben und das neue Vergabeverfahren ###/12 als freihändige Vergabe eingeleitet worden war. Diese Ausschreibung betraf denselben Beschaffungsvorgang, das Leistungsverzeichnis wurde lediglich in vier Positionen (1.2.20 – 1.2.50) zur Sichtqualität der Brettsperrholzelemente geändert. Während in der Ausschreibung ####/11 „Industriesichtqualität“ gefordert war, wurden die betreffenden Positionen in dem Verfahren ###/12 mit der Oberflächenanforderung „Wohnsichtqualität“ ausgeschrieben.
5Die Klägerin rügte vergaberechtliche Verfahrensverstöße mit Schreiben vom 27.1.2012, worauf die Beklagte mit Schreiben vom 30.1.2012 reagierte. Die Klägerin rügte einen weiteren Vergaberechtsverstoß gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 1.2.2012. Unter dem 6.2.2012 erhob die Klägerin Vergabebeschwerde bei der zuständigen Nachprüfstelle, die mit Schreiben vom 28.2.2012 feststellte, dass Vergaberechtsverstöße nicht vorlägen. Die Klägerin beteiligte sich hierauf am Vergabeverfahren ###/12 mit einem Angebot vom 31.1.2012. Unter dem 16.3.2012 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr in dem Vergabeverfahren kein Zuschlag erteilt wird.
6Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens ####/11 rechtswidrig gewesen sei. Die Veränderung der vier Positionen des Leistungsverzeichnisses von ursprünglicher Industriesichtqualität auf Wohnsichtqualität stelle lediglich eine optische Änderung dar, die nur 3-5 % vom Preis der Gesamtleistung ausmache.
7Die Klägerin ist weiter der Ansicht, dass das Vergabeverfahren ####/11 im Vergabeverfahren ###/12 weitergeführt wurde, was vergaberechtswidrig sei. Darüber hinaus sei die Ausschreibung der vier geänderten Leistungsverzeichnis-Positionen im Wege der freihändigen Vergabe ebenfalls unzulässig.
8Die Klägerin begehrt den ihr entgangenen Gewinn in Höhe von 54.193,91 €. Sie behauptet, ihr hätte bei einem regelgerechten Verfahren der Zuschlag erteilt werden müssen. Denn ein ordnungsgemäßes Handeln der Nachprüfstelle hätte dazu führen müssen, dass die Beklagte im Vergabeverfahren ###/12 auf Basis der Angebote aus dem Vergabeverfahren ####/11 den Zuschlag an die Klägerin erteilt hätte. Die Klägerin begehrt darüber hinaus den Ersatz der Aufwendungen für die Teilnahme an den Ausschreibungen ####/11 i.H.v. 5.241,50 € und ###/12 in Höhe von 825,00 €.
9Sie hat unter dem 25.04.2012 Klage erhoben, die der Beklagten am 22.05.2012 zugestellt wurde.
10Die Klägerin beantragt,
11die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 60.260,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Die Beklagte behauptet, die Ausschreibung sei hinsichtlich der Leistungsbeschreibung zur Oberflächenqualität der Brettsperrholzelemente nicht eindeutig gewesen. Denn obwohl die vier Positionen 1.2.20 -1.2.50 irrtümlich nur in „Industriesichtqualität“ beschrieben wurden, habe die Nutzung des Gebäudes als Kindertagesstätte und der Hinweis in der Baubeschreibung, dass die Massivholzwände lediglich mit einem transparenten Schutzanstrich versehen werden sollten, den Schluss zugelassen, das „Wohnsichtqualität“ erwartet werde. Die Widersprüchlichkeit der Ausschreibung habe zu unterschiedlichen Kalkulationsgrundlagen und -ergebnissen der Bieter geführt, was durch Nachfrage bei zwei Bietern bestätigt worden sei.
15Die Beklagte ist der Ansicht, dass es auf die Frage, ob das Vergabeverfahren ####/11 gemäß § 17 VOB/A aufgehoben werden durfte, nicht ankomme, da die Klägerin jedenfalls nicht dargelegt habe, dass sie bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vergabeverfahrens den Zuschlag erhalten hätte. Denn es habe der Beklagte nach Eröffnung der Angebote jedenfalls freigestanden, die Ausschreibung in den streitgegenständlichen Leistungsverzeichnis-Positionen zu verändern und die Bieter erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern. Denn „Industriesichtqualität“ der betreffenden Brettsperrholzelemente habe nicht dem Beschaffungswillen der Beklagten entsprochen.
16Die Beklagte ist der Ansicht, dass dem Anspruch der Klägerin zudem entgegenstehe, dass sie keinen zivilgerichtlichen Primärrechtsschutz in Anspruch genommen habe.
17Die Beklagte ist weiter der Ansicht, dass es sich bei den Kosten der Klägerin für die Erstellung des ersten Angebots im Verfahren ####/11 nicht um frustrierte Aufwendungen handele, da hierauf im Vergabeverfahren ###/12 aufgebaut werden konnte. Unabhängig davon könne die Klägerin auch nur dann den Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen, wenn sie darlegen kann, dass die betreffenden Mitarbeiter alternativ für einen anderen Zweck hätten eingesetzt werden können und in diesem Fall Gewinne erzielt worden wären.
18Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 30.1.2013. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Vorabstellungnahme des Sachverständigen Dipl.-Ing. C2 (Bl. ## ff. d. A.) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.5.2013 (Bl. ## ff. d. A.) verwiesen.
19Entscheidungsgründe:
20Die zulässige Klage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
21I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung i.H.v. 5.241,50 € gemäß §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1 BGB.
221. Ein vorvertragliches Schuldverhältnis zwischen den Parteien i.S.d. §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt vor.
23Die Beklagte hat das Bauvorhaben „Neubau einer internationalen Kindertagesstätte I-Allee" in C unter der Vergabeverfahrensnummer ####/11 öffentlich ausgeschrieben, und die Klägerin hat sich als Bieterin hieran beteiligt. Bei einer öffentlichen Ausschreibung nach den Allgemeinen Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen (VOB/A) wird zwischen dem Ausschreibenden einerseits und einem interessierten Bieter andererseits ein auf eine mögliche Auftragserteilung gerichtetes vorvertragliches Vertrauensverhältnis begründet, das zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet und auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten begründet.
242. Die Klägerin hat wegen einer solchen Pflichtverletzung im Vergabeverfahren ####/11 einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz des negativen Interesses, nicht aber auf Ersatz des positiven Interesses.
25a) Bei Verletzung des vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses durch den Ausschreibenden können nach den Grundsätzen einer Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) Schadensersatzansprüche des interessierten Bieters entstehen (vgl. statt vieler nur BGH NZBau 2004, 823 [823]; Ingenstau/Korbion, 18. Aufl. 3013, § 17 VOB/A Rn. 66). Sie sind auf den Ersatz des Schadens gerichtet, den der Bieter dadurch erlitten hat, dass er darauf vertraut hat, die Ausschreibung werde nach den Vorschriften der VOB/A abgewickelt. Denn der Teilnehmer einer öffentlichen Ausschreibung darf darauf vertrauen, dass er eine realistische Chance auf eine Amortisation seiner Aufwendungen für die Ausarbeitung eines sorgfältig kalkulierten Angebots hat (vgl. BGH NJW 1998, 3640 [3641]). Dabei kommt ein solcher Anspruch insbesondere dann in Betracht, wenn der öffentliche Auftraggeber wie von der Klägerin behauptet eine Ausschreibung aufhebt, ohne dass ein Aufhebungsgrund nach § 17 VOB/A gegeben ist.
26Ein auf eine Pflichtverletzung im Vergabeverfahren gestützter Anspruch ist im Allgemeinen auf den Ersatz des sogenannten negativen Interesses und mithin auf den Ersatz der durch Beteiligung an der Ausschreibung entstandenen Aufwendungen beschränkt. Nur ausnahmsweise kann das sogenannte positive Interesse, der durch die Nichterteilung des Auftrags entgangene Gewinn, verlangt werden (vgl. BGH NJW 1998, 3636 [3637]). Das ist der Fall, wenn der Bieter bei ordnungsgemäßem Verhalten des Ausschreibenden den Zuschlag hätte erhalten müssen (vgl. BGH NJW 1993, 520 [520]; Ingenstau/Korbion, 18. Aufl. 2013, § 17 VOB/A Rn. 81). Der Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns setzt zudem voraus, dass der ausgeschriebene Auftrag tatsächlich erteilt worden ist (vgl. BGH NZBau 2004, 823 [824]).
27b) Die Klägerin hat keinen Anspruch gemäß §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1 BGB auf den Ersatz des ihr durch die Nichterteilung des Auftrags im Vergabeverfahren ####/11 entgangenen Gewinns i.H.v. 54.193,91 €.
28aa) Zweifelhaft ist bereits, ob die Aufhebung des Verfahrens ####/11 pflichtwidrig erfolgt ist. Denn der Sachverständige Dip.-Ing. C2 hat bekundet, dass die Beschreibung der streitgegenständlichen Leistungsverzeichnis-Positionen nicht hinreichend genau bestimmt gewesen sei und breiten Interpretationsspielraum zugelassen habe. Die Unbestimmtheit der Leistungsbeschreibung aber kann einen „sonstigen schwerwiegenden Grund“ i.S.d. § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A darstellen, wenn hierdurch eine wirtschaftlich sinnvolle Auswahl unter mehreren Angeboten nicht vorgenommen werden kann.
29bb) Hierauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht an, da die Klägerin jedenfalls nicht dargelegt hat, dass sie bei ordungsgemäßer Durchführung des Vergabeverfahrens ####/11 den Zuschlag hätte erhalten müssen.
30(1) Die Schadenskausalität ergibt sich nämlich nicht bereits daraus, dass die Klägerin im Vergabeverfahren ####/11 das günstigste Angebot abgegeben hat. Denn auch der Anspruch der Bieter auf die Durchführung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens verpflichtet die ausschreibende Behörde grundsätzlich nicht zum Vertragsabschluss (vgl. BGH NJW 1998, 3636 [3639]).
31(2) Die Beklagte war vielmehr – unabhängig von der Frage, ob die Ausschreibung hinsichtlich der streitgegenständlichen Leistungsverzeichnis-Positionen nicht hinreichend bestimmt war – nach Öffnung der Angebote dazu berechtigt, das Vergabeverfahren in das Stadium vor Submission zurückzuversetzen und die Bieter erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern.
32Denn auch wenn die Leistungsverzeichnis-Positionen 1.2.20 – 1.2.50 des Vergabeverfahrens ####/11 wie von der Klägerin behauptet eindeutig Industriesichtqualität für die Brettsperrholzelemente forderten, entsprach dies unstreitig nicht dem Beschaffungswillen der Beklagten, die mit dem Vergabeverfahren 210/12 die betreffenden Positionen mit Wohnsichtqualität erneut ausschrieb. Der Bedarf und die Beschaffung aber sind vom Willen des Auftraggebers abhängig (vgl. VK Münster, B. v. 13.7.2011, VK 8/11).
33Der Auftraggeber ist mithin nicht darauf beschränkt, rechtliche oder technische Mängel zu beseitigen, sondern er kann aufgrund seines Bestimmungsrechts die Verdingungsunterlagen, insbesondere die Leistungsbeschreibung, auch aus sonstigen Gründen ändern, soweit er die vergaberechtlichen Gebote der Transparenz und Diskriminierungsfreiheit beachtet (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 23.12.2009, Verg 30/09 Rn. 71).
34Stellt der Auftraggeber – auch noch nach Submission – fest, dass sich sein Beschaffungsbedarf verändert hat und nimmt er eine Anpassung des Leistungsverzeichnisses vor, so ist den Bietern in jeder Lage des Verfahrens Gelegenheit zu geben, auf diese Korrektur zu reagieren. Sind die Angebote bereits geöffnet, müssen die Bieter entsprechende Änderungen ihrer Angebote vornehmen können (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 5.1.2011, Verg 46/10 Rn. 30).
35Die Grenzen der Änderung des Leistungsverzeichnisses und der Wiederholung einer Angebotsabgabe sind freilich dann erreicht, wenn sie auf willkürlichen oder sachfremden Erwägungen beruhen (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 5.1.2011, Verg 46/10 Rn. 30). Hierfür aber bestehen am Ende der mündlichen Verhandlung – auch soweit man der Ansicht der Klägerin folgt – keine Anhaltspunkte. Denn die streitgegenständliche Änderung der Leistungsbeschreibung von Brettsperrholzelementen betrifft die Oberflächenbeschaffenheit derselben. Hierdurch aber wird die Gestaltung der neu zu errichtenden Kindertagesstätte erheblich geprägt. Dies gilt auch – den Einwand des Klägers als wahr unterstellt – für den Fall, dass die betreffende Änderung des Leistungsverzeichnisses nur bis zu 5 % der Auftragssumme ausmacht.
36(3) Nach alledem war es der Beklagten vergaberechtskonform möglich, das Vergabeverfahren ####/11 nach Öffnung der Angebote zurückzuversetzen und die Bieter erneut zur Angebotsabgabe für das in Teilen veränderte Leistungsverzeichnis aufzufordern. Dass die Klägerin für diesen Fall ebenfalls das günstigste Angebot abgegeben hätte und ihr der Zuschlag zu erteilen gewesen wäre, hat sie jedenfalls nicht dargelegt.
37c) Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der für das Angebot im Vergabeverfahren ####/11 gemachten Aufwendungen i.H.v. 5.241,50 € gemäß §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1 BGB.
38aa) Die Beklagte hat eine ihr gegenüber den Bietern obliegende Sorgfaltspflicht nach § 241 Abs. 2 BGB schuldhaft verletzt.
39Hierfür kommt es ebenfalls nicht darauf an, ob die Aufhebung des Vergabeverfahrens ####/11 rechtswidrig gewesen ist. Denn die Beklagte hat jedenfalls den zur Aufhebung der Ausschreibung führenden Grund zu vertreten (vgl. Kapellmann/Messerschmidt, 4. Aufl. 2013, § 17 VOB/A Rn. 18).
40Soweit man mit der Auffassung der Beklagten annimmt, dass die Verdingungsunterlagen hinsichtlich der streitgegenständlichen Leistungsverzeichnis-Positionen widersprüchlich gewesen sind, was die Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtfertige, verstößt bereits die nicht hinreichend eindeutige Leistungsbeschreibung selbst gegen § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A, wovon auch die Beklagte ausgeht. Ein solcher Vergaberechtsverstoß aber begründet eine vorvertragliche Pflichtverletzung und ist von der ausschreibenden Stelle und mithin der Beklagten zu vertreten, § 280 Abs. 1 BGB.
41Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man mit der Auffassung der Klägerin annimmt, dass die Verdingungsunterlagen hinsichtlich der streitgegenständlichen Leistungsverzeichnis-Positionen eindeutig gewesen sind und die Beklagte lediglich ihren Beschaffungswillen falsch eingeschätzt hat. Denn unabhängig von der Frage, ob die Aufhebung des Verfahrens für diesen Fall gerechtfertigt gewesen ist, hat die Beklagte jedenfalls die irrtümlich fehlerhafte Ausschreibung zu verantworten, § 280 Abs. 1 BGB (vgl. Kapellmann/Messerschmidt, 4. Aufl. 2013, § 17 VOB/A Rn. 18).
42bb) Die Klägerin kann die vergeblichen Aufwendungen für das Vergabeverfahren ####/11 in Höhe von 5.241,50 € ersetzt verlangen. Denn sie hatte eine relle und echte Chance, den Zuschlag für ein von Beginn an fehlerfreies Vergabeverfahren zu erhalten. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die Klägerin das günstigste Angebot auf die Ausschreibung ####/11 abgegeben hat.
43(1) Der Einwand der Beklagten, es handele sich hierbei nicht um frustrierte Aufwendungen, da die Kalkulationen für das Angebot im Rahmen des Verfahrens ####/11 für das nachfolgende Vergabeverfahren ###/12 Verwendung gefunden haben, greift nicht durch. Denn für die Bestimmung des Schadensumfanges muss ebenso wie für die Frage nach der Pflichtverletzung davon ausgegangen werden, dass die Klägerin auf ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren vertrauen durfte. Soweit aber die Ausschreibung ####/11 von Beginn an nicht auch eine dem Beschaffungswillen der Beklagten entgegenstehende Auslegung der Sichtanforderungen an die Brettsperrholzelemente zugelassen hätte, hätte es der zweiten Ausschreibung nicht bedurft. Aus diesem Grund sind die Aufwendungen für das Vergabeverfahren ####/11 vergeblich getätigt worden.
44(2) Die Klägerin kann die geltend gemachten Sach- und Personalkosten, die der Höhe nach nicht bestritten sind, ersetzt verlangen (vgl. Ingenstau/Korbion, 18. Aufl. 2013, § 17 VOB/A Rn. 77).
45Soweit die Beklagte einwendet, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass sie ihre Mitarbeiter alternativ zum Vergabeverfahren ####/11 für einen anderen Zweck hätte einsetzen können und in diesem Fall Gewinne erzielt worden wären, überspannt dies die Anforderungen an die Darlegungslast der Klägerin für den ihr entstandenen Schaden. Denn es ist den im Rahmen einer Angebotskalkulation anfallenden Kosten immanent, dass sich deren Rentabilität durch die Aussicht auf einen möglichen Gewinn erst nach Erteilung des Zuschlags im jeweiligen Verfahren beurteilen lässt. Die Gewinnaussichten für eine Teilnahme an einer anderen Ausschreibung, an der die Klägerin anstelle der streitgegenständlichen Ausschreibung teilgenommen hätte, lassen sich nicht vorhersagen. Dies muss bei der Anwendung der zur Schadensberechnung heranzuziehenden Differenzmethode berücksichtigt werden. Der anders lautenden Rechtsprechung des KG Berlin (NZBau 2004, 167 [169]) schließt sich die Kammer nicht an. Die vom KG Berlin zitierte Entscheidung des BGH (NJW 1977, 1446) betrifft die vergeblich aufgewendete Arbeitsleistung eines Architekten. Hierbei aber kann anders als bei der Angebotserstellung im Vergabeverfahren davon ausgegangen werden, dass bei anderweitigem Einsatz der Arbeitskraft regelmäßig Gewinn erzielt wird.
46cc) Der Anspruch ist auch nicht präkludiert, weil die Klägerin keinen zivilgerichtlichen Primärrechtsschutz in Anspruch genommen hat. Denn die Klägerin hat von der für die Aufhebung ursächlichen Pflichtverletzung erst nach Aufhebung Kenntnis erlangt. Zudem ist die Klägerin ihrer Schadensminderungspflicht gerecht geworden, indem sie sich an dem Vergabeverfahren ###/12 beteiligt hat.
473. Die Klägerin hat darüber hinaus keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der für das Angebot im Vergabeverfahren ###/12 gemachten Aufwendungen i.H.v. 825,00 € gemäß §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1 BGB.
48Bereits nach ihrem eigenen Vortrag hat die Klägerin nicht auf die Ordnungsgemäßheit dieses Verfahrens vertraut, nachdem sie bereits mit Schreiben vom 27.1.2012 – und mithin bevor sie ihr Angebot für diese Ausschreibung unter dem 31.1.2012 einreichte – Vergaberechtsverstöße des Verfahrens ###/12 gerügt hatte.
49II. Ein weitergehender Anspruch kann nicht auf § 126 GWB gegründet werden, weil im vorliegenden Verfahren der nach § 100 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. § 2 VgV erforderliche Schwellenwert durch das Auftragsvolumen nicht erreicht wird.
50III. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
51IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 ZPO.
52Der Streitwert wird auf 60.260,41 EUR festgesetzt.
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