Urteil vom Landgericht Bonn - 8 S 316/13
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 28.11.2013 – 111 C 242/11 – aufgehoben. Die Klage ist zulässig. Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und zur Entscheidung auch über die Kosten der Berufung an das Amtsgericht Bonn zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Auf die Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO verzichtet. Da die Revision nicht zugelassen wurde und der für die Nichtzulassungsbeschwerde erforderliche Beschwerdewert nicht erreicht wird, ist ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil unzweifelhaft nicht zulässig.
4II.
5Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg, soweit das Amtsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen hat. Die Sache war gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zurückzuverweisen, nachdem der Kläger dies in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer als Hauptantrag begehrt hat. Die Zurückverweisung erweist sich überdies als sachdienlich. Das Interesse an einer schnellen Erledigung überwiegt im konkreten Fall nicht gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz (vgl. BGH NJW 2000, 2024). Die Parteien wurden beide zur Frage einer etwaigen Rückverweisung angehört, wobei namentlich der Kläger – angesichts der bislang unterbliebenen Sachaufklärung und des ansonsten drohenden Verlusts einer Tatsacheninstanz – den Wunsch auf erneute Verhandlung zunächst vor dem Amtsgericht bekundet hat und auch die Beklagten dem nicht entgegen getreten sind.
6Die Klage ist entgegen der Beurteilung durch das Amtsgericht zulässig.
7Die Sachentscheidungsvoraussetzung der Prozessfähigkeit des Klägers ist gegeben. Da von Amts wegen zu berücksichtigende, offenkundige Zweifel an der Prozessfähigkeit des Klägers nicht bestehen und auch die Beklagten als sich auf die Prozessunfähigkeit des Klägers berufende Partei nicht im Rahmen der ihnen sodann obliegenden Darlegungslast konkrete Umstände dargelegt haben, die geeignet wären, solche Zweifel zu wecken, ist von der Prozessfähigkeit des Klägers auszugehen.
8Prozessfähigkeit bedeutet die Fähigkeit, einen Prozess in eigener Person oder durch einen selbst bestellten Prozessbevollmächtigten zu führen, das heißt Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen und entgegenzunehmen (vgl. BGH WM 2007, 229 m.w.N.). Da die Prozessführung im Ergebnis für einen nicht Geschäftsfähigen bzw. beschränkt Geschäftsfähigen nicht minder gefährlich als rechtsgeschäftliches Handeln ist, fordert der Schutz dieser Personen, sie von der Prozessführung fernzuhalten und / oder ihren Prozesshandlungen die nachteiligen prozessualen Wirkungen zu nehmen. Daher verknüpft das Gesetz die Prozessfähigkeit in § 52 Abs. 1 ZPO mit der Geschäftsfähigkeit: Prozessfähig ist, wer sich (selbständig) durch Verträge verpflichten kann (Münchener Kommentar-Lindacher, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 52 Rn. 3). Unbeschränkt geschäftsfähig im materiell rechtlichen Sinne ist wiederum jeder Erwachsene, mithin derjenige, der das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat (vgl. §§ 104 Nr. 1, 106 BGB i.V.m. § 2 BGB), und der sich nicht in einem dauerhaften, die freie Willensbildung ausschließenden Zustand befindet (vgl. § 104 Nr. 2 BGB).
9Die Prozessfähigkeit der Parteien ist als Prozessvoraussetzung vom Gericht in jeder Verfahrenslage von Amts wegen im Freibeweisverfahren (vgl. allgemein zu den Prozessvoraussetzungen: BGH NJW 1992, 627; 1951, 441; 1987, 2875; MDR 1992, 1181) zu prüfen (§ 56 Abs. 1 ZPO). Eine Begutachtung zur Klärung der Prozessfähigkeit darf das Gericht erst nach persönlicher Anhörung der betroffenen Partei (Art. 103 Abs. 1 GG) anordnen (BGH NJW 2009, 1223).
10Die Beweislast für die Prozessfähigkeit der Parteien obliegt grundsätzlich demjenigen, der ein ihm günstiges Sachurteil begehrt, in der Regel also dem Kläger (Münchener Kommentar-Lindacher, a.a.O., § 52 Rn. 46). Da Störungen der Geistestätigkeit jedoch nach der Lebenserfahrung als Ausnahmeerscheinung anzusehen sind, trifft die sich auf Prozessunfähigkeit infolge Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB berufende Partei eine sekundäre Darlegungslast: Sie muss erforderlichenfalls Umstände dartun, die die tatsächliche Vermutung der Prozessfähigkeit erschüttern (BGH NJW 1983, 997; Münchener Kommentar-Lindacher, a.a.O.), andernfalls ist auf Grundlage der allgemeinen Lebenserfahrung von der Prozessfähigkeit der betreffenden Partei auszugehen (OLGR München 2007, 77).
11Nach Maßgabe dessen ist hier nicht von einer Prozessunfähigkeit des Klägers auszugehen. Der Verweis der Beklagten auf eine im Jahre 1996 angeblich festgestellte Prozessunfähigkeit und den Umstand, dass ein Betreuungsverfahren eingeleitet wurde, wenn auch dieses unstreitig nicht in die Einrichtung einer Betreuung mündete, da ein Betreuungsbedarf nicht erkannt wurde, genügt ebenso wenig, Zweifel an der grundsätzlich vermuteten Prozessfähigkeit des Klägers zu wecken, wie die Diagnose einer angeblichen paranoiden Persönlichkeitsstörung durch einen psychologischen Sachverständigen im Zusammenhang mit jenem Betreuungsverfahren.
12Insbesondere führt der Umstand, dass sich der Kläger wiederholt prozessualer Mittel in Form von Klagen, Eingaben, Beschwerden und Widersprüchen bedient, nicht notwendig zur Annahme eines die Prozessfähigkeit ausschließenden, so genannten „Querulantenwahns“. Es handelt sich hierbei zunächst lediglich um die Inanspruchnahme rechtsstaatlicher Konfliktlösungsmethoden. Der Inhalt der jeweiligen Eingaben in der Vielzahl der durch den Kläger geführten Verfahren – wie auch der Umstand, dass nicht wenige dieser Verfahren letztlich zu Gunsten des Klägers durch die Gerichte entschieden wurden – bestätigt vielmehr die grundsätzlich bestehende Vermutung der Prozessfähigkeit, da es sich regelmäßig um verständliche und strukturierte Eingaben handelte, die jeweils ein zumindest nachvollziehbares Begehren artikulieren.
13Der vorgenannte Eindruck hat sich schließlich auch in der mündlichen Anhörung des Klägers im Rahmen der Berufungshauptverhandlung vor der Kammer bestärkt. Der Kläger hat bestimmt, aber ruhig, nachvollziehbar, strukturiert und zugleich besonnen sein Anliegen im vorliegenden Verfahren erläutert, sachlich Kritik an der bisherigen Vorgehensweise geäußert, die Hintergründe des Umstandes, dass er eine Vielzahl von gerichtliche Verfahren führe, dargelegt und auch seine verweigerte Bereitschaft, an einer psychiatrischen Exploration mitzuwirken, plausibel erklärt.
14III.
15Das zurückverweisende Urteil enthält keine Kostenentscheidung; diese ist – auch hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens – dem erstinstanzlichen Schlussurteil vorbehalten (OLG Köln NJW-RR 1987, 1152; Münchener Kommentar-Rimmelspacher, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 538 Rn. 71), wobei dort zu berücksichtigen sein wird, dass das aufgehobene Urteil sich als in der Begründung nicht tragfähig erwies, ohne dass dies den Beklagten anzulasten ist.
16IV.
17Das aufhebende und zurückverweisende Urteil ist gemäß § 708 Nr. 10 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären, da aus ihm die Vollstreckung insoweit betrieben werden kann, als erst die Vorlage eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils das Vollstreckungsorgan nach §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO nötigt, eine eingeleitete Vollstreckung aus dem aufgehobenen Urteil einzustellen und getroffene Maßnahmen aufzuheben (so auch OLG München NZM 2002, 1032; Münchener Kommentar-Rimmelspacher , a.a.O., Zöller-Heßler, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 538 Rn. 59).
18V.
19Für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO besteht keine Veranlassung. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
20VI.
21Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 1.000 Euro (vgl. Beschluss der Kammer vom 17.03.2014).
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