Urteil vom Landgericht Bonn - 1 O 468/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht der X2 GmbH – im folgenden: Zedentin – auf Schadensersatz wegen Verschuldens bei der Vertragsanbahnung betreffend den Erwerb von Grundstücken der Beklagten im Stadtteil N in Anspruch. Die Lage der Grundstücke ergibt sich aus dem als Anlage K2 zur Klageschrift eingereichten Plan „Abgrenzung des Geltungsbereichs“ des Bebauungsplans Nr. 20 d – Teil 2 „T“ 15. Änderung (vgl. auch Luftbild Anlage K3).
3Das Unternehmen der Klägerin befasst sich mit der Erschließung von Baugebieten. Die Zedentin wurde als Projektgesellschaft gegründet, um die streitgegenständlichen Grundstückskaufverträge abzuschließen und die betreffenden Bauobjekte zu realisieren. Die finanziellen Mittel wurden der Zedentin von der Klägerin als Darlehen zur Verfügung gestellt. Die Vertragsverhandlungen mit der Beklagten führte die Klägerin.
4Am 18.06.2008 beschloss der Rat der Beklagten, die streitgegenständlichen Grundstücke für eine wohnbauliche Nutzung einerseits sowie für die Nutzung als Einzelhandelsflächen andererseits entwickeln zu lassen. Hierzu stellte die Beklagte den Bebauungsplan Nr. 20 d – Teil 2 „T“ 15. Änderung (Anlage K4 zur Klageschrift) auf. Der Bauleitplanung entsprechend sah ein als „Gestaltungsplan“ bezeichneter Entwurfsansatz zum Bebauungsplan der Beklagten vom Februar 2009 (Anlage K5) für einen größeren Teil im Osten sowie einen kleineren Teil im Westen des Plangebietes ein allgemeines Wohngebiet (WO, § 4 BauNVO), am nördlichen Rand eine zwischen den Wohngebietsflächen liegende Teilfläche als Mischgebiet (MI, § 6 BauNVO) sowie südlich eine weitere Teilfläche als sonstiges Sondergebiet (SO, § 11 BauNVO) mit der Zweckbestimmung „Lebensmittelmarkt“ vor.
5Im Jahre 2010 schrieb die Beklagte den Verkauf der Grundstücke unter der Projektbezeichnung „Grundstücksveräußerung mit Bauverpflichtung in N T“ aus (Verdingungsunterlagen auszugsweise als Anlage K6 zur Klageschrift und Anlage K16 zum Klägerschriftsatz vom 11.04.2016). Dabei wurden die als WO festgesetzten Flächen zuzüglich der Fläche MI als Los 1 und die Fläche SO als Los 2 angeboten (Losaufteilung Anlage B1 = Bl.## d.A.). Für Los 2 gab die F mbH – nachfolgend: F – unter dem 22.10.2010 ein Angebot ab (Anlage B3 nebst Verlängerungen = Bl.### – ### d.A.). Das im Bebauungsplan festgesetzte Sondergebiet (SO) sah damals nur einen einzelnen Einzelhandelsbetrieb vor.
6Am 15.03.2011 gab die Klägerin für die Flächen WO und SO ein Angebot in Höhe von 3.100.000,00 €, vorbehaltlich des Abschlusses eines mit der F bereits ausgehandelten Mietvertrages, ab (Anlage K7 zur Klageschrift). Im Anschluss daran fand am 30.03.2011 zwischen den Parteien ein Telefonat statt, dessen Inhalt im Einzelnen zwischen den Parteien streitig ist. Bezugnehmend auf dieses Telefonat teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 14.04.2011 (Anlage K9 zur Klage) unter anderem folgendes mit:
7Aufgrund Ihres Kaufpreisangebotes für die städtischen Flächen für das Los 1 – Flächen für die Wohn- und Mischgebietsbebauung - über 1.880.000 €, das in unserem Telefonat vom 30.März 2011 vereinbart wurde und ich hiermit nochmals bestätige, und dem bereits seit Oktober 2010 vorliegenden Kaufpreisangebotes der F (…) für das Los 2 – Flächen des SO-Gebietes – war es möglich, alle wirtschaftlichen Gesichtspunkte zur Umsetzung des Projektes „Rahmenkonzept N“ im Ausschuss für Stadtentwicklung am 31.März und in der gestrigen Ratssitzung darzulegen.
8Der Rat der Stadt N hat die Verwaltung gestern beauftragt, die konkreten Vertragsverhandlungen mit Ihnen und der F zu führen, und die anstehenden Verträge zeitnah zu schließen.
9Wie Ihnen bekannt ist, waren die Entwürfe der Kaufverträge ebenfalls Teil der Ausschreibungsunterlage. Basierend auf diesen Entwürfen möchte die Stadt N gerne in die konkreten Vertragsverhandlungen einsteigen. Ich bin mir selbstverständlich bewusst, dass diese Entwürfe einer Modifizierung insbesondere für das Los 1 bedürfen, da ja u.a. eine Änderung der Bauleitplanung für den Wohngebietsbereich noch durchzuführen ist.
10Von daher schlagen wir Ihre Durcharbeitung dieser Vertragsentwürfe vor, so dass uns diese als erste Gesprächsunterlage der Vertragsverhandlungen für den vereinbarten Termin am 02.Mai dienen kann.
11Mit Schreiben vom 19.04.2011 (Anlage K8 zur Klage) erhöhte die Klägerin ihr Kaufpreisangebot nun bezogen auf alle Wohnflächen, das SO-Gebiet sowie die Mischgebietsfläche auf 3.880.000 €. Die Einzelpositionen dieses Angebotes stellte die Klägerin mit Schreiben vom 27.09.2011 an die Beklagte (Anlage K18 zum Klägerschriftsatz vom 11.04.2016) wie folgt dar:
12F-Fläche: 2.035.800,00 € von der X GmbH
13B-Fläche: 250.000,00 € von der X GmbH
14Wohnbaufläche: 1.594.200,00 € von der X3 GmbH.
15Am 29.09.2011 schloss die Zedentin mit der Beklagten einen notariellen Kaufvertrag über die Grundstücke von Los 2 („F-Fläche“) zum Preis von 2.035.800,00 €. Der Kaufpreis wurde im Jahr 2012 gezahlt. Am 12.11.2011 reichte die Zedentin einen Bauantrag für einen F-Markt auf der von ihr erworbenen Fläche ein. Nach Vervollständigung der Antragsunterlagen am 20.02.2012 erteilt die Beklagte 20.03.2012 die Baugenehmigung.
16Hinsichtlich der von Los 1 erfassten Fläche MI („B-Fläche“) wurde von der Beklagten die Ansiedlung eines B-Marktes erwogen. Da der bestehende Bebauungsplan für diese Fläche ausdrücklich einen Einzelhandelsausschluss vorsah, musste dieser Bebauungsplan geändert werden. Unter dem Betreff „Ankauf der Flächen ‚B‘ und ‚Wohngebiet‘“ schrieb die Zedentin am 25.11.2011 bezugnehmend auf ein Gespräch vom 18.11.2011 an die Beklagte (Anlage K11 zur Klageschrift):
17(…)
18Der Unterzeichner hat Sie in dem Gespräch darauf hingewiesen, dass der Kaufvertrag für das B-Grundstück immer noch nicht beurkundet wurde und dies bei der Finanzierung Probleme bereiten kann (…).
19Zur Erinnerung: die X3 GmbH hat Ihnen ein Paketangebot für beide Gewerbeflächen und das Wohngebiet unterbreitet, diesem hat der Rat zugestimmt.
20Wir haben stets darauf bestanden, die Verträge in einem Termin abzuschließen. Ihrem Argument, mit B wegen des Klageverfahrens noch Gespräche führen zu müssen, anschließend müsse das Ergebnis von der Legislative noch genehmigt werden, haben wir uns jedoch nicht verschlossen.
21(…)
22Wir möchten Sie dringend bitten, dafür Sorge zu tragen, dass die Verträge kurzfristig geschlossen werden.
23Wir erwarten, dass die Verträge „B“ und „Wohngebiet“ bis zum 12.12.2011 beurkundet werden.
24Hierauf antwortete die Beklagte am 30.11.2011 (Anlage K10 zur Klageschrift):
25(…)
26Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen klarstellen, dass die Stadt N auch weiterhin davon ausgeht, mit der X GmbH die Gesamtmaßnahme „Rahmenkonzeption N-T“ umzusetzen. Dies haben wir stets in der Vergangenheit und zuletzt in Ihrem erwähnten Gespräch vom 18.11.2011 betont. Gleichzeitig haben wir aber auch ebenso deutlich dargelegt, dass die Stadt N mit Ihnen getrennte Kaufverträge schließen wird. Einmal für das sogenannte Sondergebiet zur Ansiedlung eines F-Marktes, dann über das so genannte MI-Gebiet (jetzt zur Ansiedlung von B beschlossen) und zum anderen für das Wohngebiet.
27(…)
28In Ihrem Schreiben führen sie richtiger Weise auf, dass noch einige Problempunkte bei den beiden Objekten (F/B) zu klären sind. Hier sind wir - wie im Gespräch am 18.11.2011 zugesichert - bereit, in Ihrem Sinne die notwendige Abstimmung mit den politischen Gremien (Stadtentwicklungsausschuss am 8.12. und Rat am 14.12.2011) durchzuführen.
29Eine Beurkundung des Kaufvertrages für das B-Grundstück kann aber vor Klärung dieser von Ihnen an uns herangetragenen Veränderungswünsche schwerlich erfolgen.
30(...)
31Fakt ist, dass seit dem Ratsbeschluss zur Veräußerung der MI-Fläche zur Ansiedlung eines B-Marktes stets Änderungswünsche von Ihrer bzw. B-Seite an uns herangetragen wurden.
32(…)
33Ich versichere Ihnen nochmals, dass die Stadt N weiterhin plant, die Verträge über die Flächen „B“ und „Wohngebiet“ mit Ihnen zu schließen. Hierbei kann ich mir durchaus vorstellen, dass eine Beurkundung des Vertrages zum Ankauf der Fläche „B“ noch im Dezember 2011 machbar ist. Die von Ihnen erwartete Zeitvorgabe 12.12.2011 ist aber aus den von mir geschilderten Gründen nicht möglich.
34Einen ersten Entwurf des notariellen Kaufvertrages für die „B-Fläche“ leitete die Beklagte am 27.01.2012 an den Geschäftsführer der Klägerin und der Zedentin weiter (Anlage K21 zum Klägerschriftsatz vom 11.04.2016). Am 26.04.2012 fand eine gemeinsame Besprechung der Parteien zum Bauleitplanverfahren statt. Eine zweite Version des notariellen Kaufvertrages übermittelte die Beklagte der Klägerin am 20.05.2012. Hierzu teilte die Klägerin am 31.05.2012 verschiedene Änderungswünsche mit (Anlage K23, ebenda). Am 26.09.2012 beschloss der Rat der Beklagten die für die Ansiedlung des B-Marktes und die Ausweitung der Netto-Wohnbaufläche notwendigen Bebauungsplanänderungen. Die Genehmigung des am 10.04.2012 eingereichten Bauantrages für den B-Markt wurde am 10.01.2013 erteilt. Am gleichen Tag schlossen die Zedentin und die Beklagte einen notariellen Kaufvertrag über die „B-Fläche“. Die Eigentumsumschreibung erfolgte am 13.05.2013.
35Für die ebenfalls von Los 1 erfassten Flächen WO übersandte die Beklagte einen Vertragsentwurf vom 07.12.2012 (Anlage K13 zur Klageschrift), den die Klägerin mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 22.01.2013 (Anlage K14) beanstandete. Nachdem hierfür Bebauungsplanänderungen durchgeführt worden waren, schlossen die Zedentin und die Beklagte über die Flächen WO am 08.04.2013 einen notariellen Kaufvertrag, der auch den notwendigen Erschießungsvertrag enthielt.
36Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe ihr gegenüber vor Abschluss des „F-Vertrages“ wiederholt den Eindruck vermittelt, die notwendigen Ratsbeschlüsse für den Abschluss sämtlicher Verträge hätten bereits vorgelegen. Die Beklagte und die beurkundende Notarin hätten ihrem Geschäftsführer gegenüber versichert, alle (weiteren) Grundstücksverträge könnten kurzfristig beurkundet werden. Ihr Geschäftsführer habe nämlich vor der Unterzeichnung des Vertrages vom 29.09.2011 ausdrücklich verlangt, in die Urkunde die Verpflichtung der Stadt aufzunehmen, sowohl die B- als auch die Wohnbaufläche kurzfristig an sie – die Klägerin – zu veräußern. Noch im Notartermin habe der Bürgermeister der Beklagten daraufhin beteuert, man müsse Vertrauen haben und er werde die beiden anderen Verträge natürlich zeitnah nachziehen. Infolge einer so verursachten falschen Tatsachenvorstellung habe sie – die Klägerin - den „F-Vertrag“ geschlossen. Zu einem zeitnahen Abschluss der übrigen Verträge sei es hingegen nicht gekommen, weil die Beklagte es darauf angelegt habe, die diesbezüglichen Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Die Beklagte habe plangemäß wirtschaftlichen Druck erzeugen und weitere Vertragsinhalte in ihrem Sinne durchsetzen wollen.
37Die Klägerin behauptet ferner, dass ihr hierdurch folgende unnötige zusätzliche Kosten entstanden seien und vertritt die Rechtsansicht, die Beklagte habe ihr diese zu ersetzen:
38Finanzierung Kaufpreis F-Fläche 70.065,07 €,
39Zinsen Grunderwerbsteuer F-Fläche 2.600,73 €,
40Finanzierungskosten Teilungsvermessung 241,94 €,
41Finanzierungskosten amtlicher Lageplan Bauantrag F 106,19 €,
42Finanzierungskosten Baugenehmigung/Nachtragsbaugenehmigung 730,62 €,
43Finanzierungskosten Gerichtskasse Köln und Notar 421,75 €,
44Finanzierungskosten Bürgschaft (Avalkosten) 8.907,04 €,
45Finanzierungskosten Bürgschaft (Zins) 293,62 €,
46Finanzierungskosten Strukturierungsentgelt (Bürgschaftsausstellung) 23,80 €,
47Finanzierungskosten Strukturierungsentgelt (Zins) 954,71 €.
48Die Klägerin beantragt,
49die Beklagte zu verurteilen, an sie 84.877,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
50Die Beklagte beantragt,
51die Klage abzuweisen.
52Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Sie behauptet, sie habe das Angebot der Zedentin vom 19.04.2011 abgelehnt. Die Ansiedlung eines B-Marktes im Plangebiet sei von ihr erstmals im Juli 2011 erwogen worden.
53Die Beklagte behauptet ferner – was die Klägerin mit Nichtwissen bestreitet -, der Rat habe erstmals am 14.12.2011 beschlossen, eine Ansiedlung von B im Plangebiet zu unterstützen. Der Aufstellungsbeschluss für das Planänderungsverfahren sei am 06.02.2012 im Stadtentwicklungsausschuss vorbereitet und am 21.03.2012 vom Rat gefasst worden.
54Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
55E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
56Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet.
57Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus abgetretenem Recht (§ 398 Satz 2 BGB) auf Zahlung von 84.877,55 € nebst Zinsen aus den hier allein in Betracht kommenden §§ 280 Abs.1, 311 Abs.2 Ziffer 1., 241 Abs.2, 249f. BGB.
58Eine vorvertragliche Pflichtverletzung der Beklagten, die geeignet wäre, einen Schadensersatzanspruch der Klägerin zu begründen, liegt nicht vor.
59Zwar begründen schon die aufgenommenen Vertragsverhandlungen ein Schuldverhältnis der Parteien (§ 311 Abs.2 Ziffer 1. BGB) mit daraus resultierenden Obhuts- und Verhaltenspflichten im Sinne von § 241 Abs.2 BGB. Auch führen die Verhandlungen der Beklagten über privatrechtliche Grundstückskaufverträge unter Umständen zu einer sich nach diesen Vorschriften richtenden zivilrechtlichen Haftung (vgl. Staudinger/Feldmann/Löwisch, BGB, 2012, § 311 Rd.100).
601. Aus dem Sachvortrag der Klägerin lässt sich indes eine schadensersatzbewehrte Pflichtverletzung der Beklagten in Form der Fallgruppe der „Verzögerung von Vertragsverhandlungen“ nicht begründen.
61Diese Fallgruppe hat durch die Kodifizierung der gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätze der culpa in contrahendo in den §§ 311 Abs.2 und Abs.3, 241 Abs.2 BGB keine inhaltliche Änderung erfahren, so dass die hierzu ergangene bisherige Rechtsprechung auch weiterhin einschlägig ist (OLG Brandenburg, Urteil vom 10.02.2010 – 3 U 65/09 = BeckRS 2010, 01987; Erman/Kindl, BGB, 14. Aufl. 2014, § 311 BGB Rd.16). Allerdings führt nicht schon allein das Ergebnis einer Verzögerung von Verhandlungen zu einer Haftung nach dieser Fallgruppe, weil es angesichts der privatautonomen Gestaltungsfreiheit weder einen Zwang zum Abschluss zuvor verhandelter Verträge gibt, noch zivilrechtliche Sanktionen für das Verstreichen einer gegebenenfalls auch längeren Zeit der Verhandlungen (OLG Brandenburg, aaO.; Gehrlein/Sutschet in Bamberger/Roth, BeckOK BGB, 2016, § 311 Rd.64; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl. 2016, § 311 Rd.35 m.w.N.). Vielmehr beschränken sich die Möglichkeiten der jeweils anderen Verhandlungspartner grundsätzlich darauf, die Verhandlungen als gescheitert anzusehen und diese abzubrechen (OLG Brandenburg, aaO.). Etwas anderes gilt erst dann, wenn die eine an den Verhandlungen beteiligte Seite zu Gunsten des Verhandlungspartners einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, wie dies etwa der Fall sein kann, wenn das Gelingen einer vertraglichen Einigung als sicher hingestellt und der sich darauf verlassende Verhandlungspartner dadurch von einem anderweitigen Vertragsschluss abgehalten wird (BGH NJW 1984, 866, 867; OLG Brandenburg, aaO.; Gehrlein/Sutschet, aaO., § 311 Rd.64; Palandt/Grüneberg, aaO., § 311 Rd.35).
62Gerade diese letztgenannten besonderen Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil es schon an einem von der Beklagten gesetzten Vertrauenstatbestand im haftungsrechtlichen Sinne fehlt. Denn schon der klare Inhalt der Ausschreibung des Grundstücksverkaufs mit der Aufteilung konkreter Flächen einer bestimmten baulich zulässigen Nutzung in zwei Lose widerspricht einem auf den zeitnahen Abschluss eines einheitlichen Rechtsgeschäftes über alle streitgegenständlichen Grundstücke gerichteten Vertrauenstatbestand der Klägerin beziehungsweise der Zedentin. Vielmehr handelte es sich bei diesen Flächen für jeden verständigen Bieter erkennbar (§§ 133, 157, 242 BGB) um selbständigen Grundstücke, für die jeweils separate Angebote durch unterschiedliche Bieter abgegeben und folglich voneinander unabhängige Kaufverträge geschlossen werden konnten. Der Umstand, dass die konkreten Nutzungsmöglichkeiten der betreffenden Grundstücke noch unter dem Vorbehalt der bauplanerischen Gestaltung und bauordnungsrechtlichen Genehmigung der beabsichtigten Bebauung standen, unterstreicht diese Würdigung. Denn für die im Tatbestand dieses Urteils im Einzelnen beschriebenen Flächen konnten sich die nach dem öffentlichen Baurecht zu beurteilenden Nutzungsverhältnisse durchweg unterschiedlich entwickeln. Dass sich die Entwicklung der Flächen WO, MI und SO inhaltlich und auch in zeitlicher Hinsicht unterschiedlich gestaltete, ergibt sich aus der Darstellung im Tatbestand, auf die insoweit verwiesen werden kann.
63Einen hiervon abweichenden Vertrauenstatbestand hat die Beklagte nicht gesetzt. Vielmehr war der Zedentin die eingangs bereits aufgezeigte bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Überlagerung ihres Grundstückserwerbs und der damit zusammenhängenden Nutzungsmöglichkeiten positiv bekannt. Denn das Schreiben der Beklagten vom 14.04.2011 hat diesen Zusammenhang schon vor der Abgabe des (letzten) Angebotes vom 19.04.2011 unmissverständlich angesprochen. Der Schriftwechsel der Parteien vom 25.11. und 30.11.2011 diskutiert dementsprechend auch ausdrücklich gerade diese Zusammenhänge, wobei die Zedentin dort unter dem 25.11.2011 bestätigt, dass ihr der Vorbehalt einer „Genehmigung durch die Legislative“ bekannt gewesen ist.
64Die von der Klägerin behaupteten Äußerungen in dem Beurkundungstermin vom 29.09.2011 sind vor diesem Hintergrund rechtlich nicht erheblich, so dass es einer Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung nicht bedurfte. Denn die nach dem streitigen Klägervorbringen durch die beurkundende Notarin und den Bürgermeister der Beklagten getätigten Äußerungen waren als reine Einschätzungen des zeitlichen Verfahrensablaufes klar erkennbar. Eine konkrete zeitliche Zusage oder gar ein Vertrauenstatbestand dahingehend, dass die bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Fragestellungen ohne die notwendige Beteiligung der hierfür zuständigen Gremien allein durch den Bürgermeister verbindlich würden entschieden werden können, kann diesen Äußerungen ganz offensichtlich nicht entnommen werden.
65Hinzu kommen die noch im Einzelnen zwischen den Parteien auszuhandelnden vertraglichen Fragestellungen, wie sie in der Diskussion um die abschlussreife Formulierung der notariellen Verträge über die Flächen MI und WO vom 10.01.2013 und 08.04.2013 ihren Ausdruck gefunden haben. Auch insoweit wird auf die eingehende Darstellung im Tatbestand Bezug genommen. Eine auf diese konkreten vertraglichen Inhalte bezogene Zusage der Beklagten ist vor diesem Hintergrund weder ersichtlich noch von der Klägerin schlüssig vorgetragen worden.
662. Schließlich fehlt es für einen Schadensersatzanspruch der Zedentin an dem erforderlichen haftungsausfüllenden Zurechnungszusammenhang. Denn die erforderliche haftungsrechtliche Ursächlichkeit zwischen einem durch die Beklagten verursachten Vertrauen der Zedentin und den behaupteten zusätzlichen (Finanzierungs-) Kosten liegt nicht vor.
67Dies folgt daraus, dass eine vorvertragliche Haftung wegen „Verzögerungen der Vertragsverhandlungen“ von der Rechtsprechung (vgl. BGH VersR 1983, 121, 122; Erman/Kindl, aaO., § 311 Rd.35 und Rd.38) zu Recht bislang nur im Rahmen von Versicherungsverträgen bejaht worden ist. Gerade die in diesen Fällen auftretenden Deckungslücken begründen den normativen Zurechnungszusammenhang zwischen einer pflichtwidrigen Verzögerung und in diesem Zeitraum eingetretenen Vermögensschäden. Gleiches gilt für die Sachverhaltskonstellation in der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes (NJW 1984, 866, 867), in der eine Bank auf das Ersuchen eines Kunden um ein kurzfristiges Akkreditiv für ein Termingeschäft und dessen Frage, ob sich der Kunde nach einer - zu dieser Zeit noch möglichen - anderen Finanzierung umsehen solle, erklärt habe, dass dies nicht nötig sei, man „schaffe das schon“ (vgl. abgrenzend dazu auch OLG Brandenburg, aaO.). Diese Erwägungen zu einem haftungsrechtlichen Zusammenhang sind auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Denn die Zedentin wurde weder von einem abweichenden Vertragsschluss noch von einer inhaltlich anders gearteten Investitionsentscheidung abgehalten. Vielmehr hat sie sich zu dem Abschluss der von vornherein beabsichtigten Kaufverträge insgesamt entschlossen.
683. Weitergehende Pflichten aus § 241 Abs.2 BGB gegenüber der Zedentin hat die Beklagte im Rahmen der Vertragsverhandlungen nicht (schuldhaft) verletzt.
69Bei den Verhaltenspflichten aus § 241 Abs.2 BGB handelt es sich vor allem um Schutz- und Obhuts- sowie Informations- und Aufklärungspflichten (Erman/Kindl, aaO., § 311 Rd.23). Da für die Zedentin, wie eingangs unter 1. bereits dargelegt, der bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Hintergrund der beabsichtigten Nutzung klar erkennbar gewesen ist, fehlt es an einer der Beklagten ihr gegenüber obliegenden Aufklärungs- und Hinweispflicht (vgl. BGH NJW 2006, 3139, 3141).
70Eine schadensersatzbegründende Pflichtverletzung kann auch aus dem Klägervortrag, die Beklagte habe die Verhandlungen in die Länge gezogen, um wirtschaftlichen Druck aufzubauen und unzumutbare Vertragsbedingungen durchzusetzen, nicht abgeleitet werden. Denn eine derart weitgehende allgemeine Verhaltenspflicht wäre mit den Grundsätzen der Vertragsfreiheit und Privatautonomie nicht zu vereinbaren.
71Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
72Streitwert: 84.877,55 €.
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