Urteil vom Landgericht Bonn - 63 Ns-336 Js 930/19-2/20
Tenor
1. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Königswinter vom 15.01.2020 im Strafausspruch aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Angeklagte ist des Erschleichens von Leistungen schuldig. Er wird deshalb unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Königswinters vom ##.##.2019 zu einer Gesamtgeldstrafe von
100 Tagessätzen zu je 15 €
verurteilt.
Der Angeklagte ist schuldig des Erschleichens von Leistungen in drei weiteren Fällen. Er wird deshalb zu der Gesamtgeldstrafe von
80 Tagessätzen zu je 10 €
verurteilt.
2. Die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Angeklagte.
1
G r ü n d e:
2(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)
3Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Erschleichens von Leistungen in vier Fällen unter Einbeziehung der Entscheidung des Amtsgerichts B vom ##.##.2019 (### Js ###/19 - ## Cs ##/19) zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt. Dabei hat es zunächst wegen einer Tat des Erschleichens von Leistungen unter Einbeziehung der Vorverurteilung vom 22.02.2019 eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen zu je 15 € gebildet; wegen der übrigen drei Delikte des Erschleichens von Leistungen hat es eine weitere Gesamtgeldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 10 € gebildet. Sodann hat das Amtsgericht beide Gesamtgeldstrafen auf die ausgesprochene (einheitliche) Gesamtgeldstrafe zurückgeführt. Ausschließlich gegen diesen letzten Akt der (Gesamt)Strafzumessung richtet sich die Berufung der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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5Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Bildung der umfassenden Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 10 € beschränkt. Mit der Berufungsbegründung vom 30.04.2020 hat die Staatsanwaltschaft allein Ausführungen dazu gemacht, dass dieser letzte Schritt bei der Bemessung der Gesamtstrafe rechtsfehlerhaft sei; die Bildung der einzelnen Gesamtstrafen und damit zugleich den Strafausspruch im Übrigen hält sie für rechtsfehlerfrei. Auch wenn sie eingangs der Berufungsbegründung die Berufung ohne weitere Einschränkung „auf das Strafmaß beschränkt“ hat, lässt sich der Begründungsschrift damit im Wege der Auslegung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 318 Rn. 2) eindeutig entnehmen, dass Gegenstand ihres Angriffs lediglich die Bildung der umfassenden Gesamtstrafe sein soll (vgl. zur Maßgeblichkeit der Begründung für die Auslegung einer Rechtsmittelerklärung der Staatsanwaltschaft BGH, Urteil vom 11.06.2014 - 2 StR 90/14, juris Rn. 18 mwN).
6Gegen die Beschränkung der Berufung bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Rechtswirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung setzt voraus, dass der Beschwerdepunkt nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich unabhängig beurteilt werden kann, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen, und die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (st. Rspr.; vgl. zur Revisionsbeschränkung BGH, Urteil vom 10. August 2017 – 3 StR 275/17, juris Rn. 8). Nach diesen Maßstäben ist etwa auch eine Beschränkung innerhalb des Strafausspruches auf die Bemessung der Gesamtstrafe möglich, wobei mögliche Fehler bei der Festsetzung der Einzelstrafen der Beschränkung nicht entgegenstehen (vgl. zur Revisionsbeschränkung BGH, Urteil vom 28.03.2012 - 2 StR 16/12, juris Rn. 7 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 318 Rn. 20).
7Nach diesen Maßstäben bestehen zunächst keine rechtlichen Bedenken gegen die Beschränkung des Rechtsmittels auf die (gesamte) Gesamtstrafenentscheidung. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Grundsätze besteht darüber hinaus aber auch kein Anlass, der Berufungsbeschränkung ihre Wirksamkeit zu versagen, soweit sie sich allein gegen die von dem Amtsgericht vorgenommene letzte, einheitliche Gesamtstrafenbildung richtet. Die Rückführung der einzelnen Gesamtgeldstrafen auf eine umfassende Gesamtgeldstrafe stellt einen eigenständigen Akt der Strafzumessung dar, dessen Trennbarkeit von den einzelnen Gesamtstrafenbildungen nicht anders zu beurteilen ist, als deren Eigenständigkeit gegenüber der Festsetzung der Einzelstrafen. Es droht insoweit keine innere Widersprüchlichkeit der Urteilsgründe. Dies gilt für die zu entscheidende Konstellation umso mehr, als der von dem Amtsgericht vorgenommene letzte Bemessungsakt gesetzlich nicht vorgesehen ist und die gebildete einheitliche Gesamtstrafe daher ersatzlos zu entfallen hat, ohne dass es auf vorangegangene Wertungen innerhalb der Strafzumessung oder andere Urteilsinhalte ankommt.
8B
9Aufgrund der Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch ist der Schuldspruch aus dem Urteil des Amtsgerichts Königswinter vom 15.01.2020 (Erschleichen von Leistungen in vier Fällen) in Rechtskraft erwachsen; die ihn tragenden Feststellungen des Amtsgerichts sind für die Kammer bindend geworden. Diese stellen sich wie folgt dar:
10„Der Angeklagte benutzte an 4 verschiedenen Tagen Verkehrsmittel der X AG, ohne im Besitz eines jeweils gültigen Fahrausweises zu sein. Hierbei hatte der Angeklagte von Anfang an vor, das Fahrtgeld nicht zu entrichten. Es handelt sich hierbei um folgende Taten:
11- 1.12
Am 18.1.2019 benutzte er den Zug Nr. ##### von Y Hauptbahnhof in Richtung B,
- 2.13
am 23.2.2019 benutzte er den Zug S## von K in Richtung L Hauptbahnhof,
- 3.14
am 26.2.2019 benutzte er den Zug Nr. ##### von B Richtung D,
- 4.15
am 14.4.2019 benutzte er gegen 15:27 den Zug Nr. ##### von D Richtung B.
Die Verkehrsbetriebe haben jeweils Strafantrag gestellt.“
17C
18Aufgrund der Beschränkung der Berufung in Rechtskraft erwachsen sind ferner die festgesetzten Einzelstrafen. Dem Gesamtzusammenhang der Strafzumessungsentscheidung des angegriffenen Urteils lassen sich diese wie folgt entnehmen:
19Fall 1 (Tat vom 18.01.2019) 60 Tagessätze zu je 15 €
20Fälle 2 bis 4 40 Tagessätze zu je 10 €.
21Unter Berücksichtigung der Zäsurwirkung des noch nicht vollständig vollstreckten Strafbefehls des Amtsgerichts B vom ##.##.2019 hat das Amtsgericht sodann die dort verhängte Strafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 15 € mit der zu Fall 1 gebildeten Einzelstrafe auf die - aufgrund der Berufungsbeschränkung ebenfalls bereits rechtskräftige - Gesamtgeldstrafe in Höhe von
22100 Tagessätzen zu je 15 €
23zurückgeführt und aus den Einzelstrafen für die Fälle 2 bis 4 eine weitere - wiederum bereits rechtskräftige - Gesamtgeldstrafe in Höhe von
2480 Tagessätzen zu je 10 €
25festgesetzt.
26D
27Soweit das Amtsgericht aus der Einzelstrafe für die Tat vom 18.01.2019 und der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts B vom ##.##.2019 eine erste und aus den Einzelstrafen für die übrigen Delikte des Erschleichens von Leistungen eine zweite Gesamtgeldstrafe gebildet hat, waren diese nicht ihrerseits auf eine einheitliche Gesamtgeldstrafe zurückzuführen; die Gesamtstrafe von 180 Tagessätzen zu je 10 € war daher auf die Berufung der Staatsanwaltschaft aufzuheben. Die Rückführung mehrerer Gesamtstrafen, deren Erforderlichkeit sich aus der Zäsurwirkung einer zwischen den Taten liegenden rechtskräftigen, unerledigten Vorverurteilung ergibt, auf eine einheitliche Gesamtstrafe ist gesetzlich nicht vorgesehen. Sie ist auch nach dem Sinn und Zweck der nachträglichen Gesamtstrafe nicht veranlasst, da der Täter durch die nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe weder besser noch schlechter gestellt werden soll, als er gestanden hätte, wenn die neu abzuurteilende Tat zum Zeitpunkt der früheren Verurteilung dem damaligen Tatrichter bekannt gewesen wäre. Insoweit wäre eine Gesamtstrafenbildung mit den erst nach der Vorverurteilung vom 22.02.2019 begangenen Taten aber nicht möglich gewesen. Ein durch die Zäsurwirkung eintretender Nachteil ist allerdings im Einzelfall bei der Bildung der Höhe der einzelnen Gesamtstrafen zu berücksichtigen, wenn das durch die Verhängung mehrerer Strafen eintretende Gesamtstrafenübel dem Unrechts- und Schuldgehalt der Taten nicht mehr gerecht wird (BGH, Beschluss vom 17.04.2008 - 4 StR 118/08, juris Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 653. Aufl., § 55 Rn. 16).
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29Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StGB.
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Referenzen
- 2 StR 90/14 1x (nicht zugeordnet)
- 2 StR 16/12 1x (nicht zugeordnet)
- 3 StR 275/17 1x (nicht zugeordnet)
- 4 StR 118/08 1x (nicht zugeordnet)