Beschluss vom Landgericht Dessau-Roßlau - 1 T 12/18

Tenor

Auf die Beschwerde der Gläubigerin vom 15.12.2017 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 08.12.2017- 15 M 1730/17 - wird der Beschluss vom 08.12.2017 aufgehoben und das Verfahren auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses im Hinblick auf einen nach § 850 d ZPO abweichend festzusetzenden pfandfreien Betrag zur weiteren Bearbeitung und Entscheidung an das Amtsgericht Dessau- Roßlau – Vollstreckungsgericht - zurückverwiesen.

Gründe

1

Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus zwei Vollstreckungsbescheiden. Diese hat der Gläubiger 20.11.2013 und am 19.07.2017 wegen Unterhaltsansprüchen für die Zeit vom 01.04.2012 bis 31.12.2012 und vom 01.09.2015 bis zum 30.11.2016 erwirkt, nachdem er Unterhaltsvorschuss gemäß § 7 Abs. 1 UVG geleistet hat. Im Vollstreckungsbescheid ist die Hauptforderung des Gläubigers wie folgt bezeichnet: „Unterhalt ihres minderjährigen Kindes …. gesetzlich übergegangen wegen erbrachten Unterhaltsvorschuss gemäß § 7 Abs. 1 UVG…".

2

Der Gläubiger hat beim Amtsgericht am 10.11.2017 die Pfändung des Arbeitseinkommens des Schuldners unter Anwendung der Privilegierung des § 850 d ZPO beantragt. Neben den Vollstreckungsbescheiden hat er die Bewilligungsbescheide vom 20.10.2011 und vom 21.08.2014 über die Bewilligung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz vorgelegt.

3

Mit Beschluss vom 08.12.2017 hat das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht - den Antrag des Gläubigers auf Pfändung gemäß § 850 d ZPO zurückgewiesen, weil das Bestehen eines materiellen Unterhaltsanspruchs nicht nachgewiesen sei. Der Nachweis der Vollstreckungsprivilegierung eines Unterhaltsanspruches könne durch die Vorlage eines Vollstreckungsbescheides nicht geführt werden.

4

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Gläubigers vom 15.12.2017.

5

Die Beschwerde ist zulässig.

6

Gegen die Entscheidung, mit der der Pfändungsantrag teilweise abgelehnt worden ist, steht dem Gläubiger die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO zu.

7

Die Beschwerde wurde form- und fristgemäß eingelegt.

8

Die Beschwerde ist begründet.

9

Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht, das den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Berücksichtigung eines nach § 850 d ZPO abweichend festzusetzenden pfandfreien Betrages erneut zu prüfen hat.

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Denn für den Nachweis der Vollstreckungsprivilegierung eines Unterhaltsanspruches gemäß § 850 d Abs. 1 S. 1 ZPO muss der Gläubiger einen Titel vorlegen, aus dem sich - gegebenenfalls im Wege der Auslegung - ergibt, dass der Vollstreckung ein Unterhaltsanspruch der in § 850 d Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Art zugrunde liegt. Es muss also erkennbar werden, ob es sich um einen Unterhaltsanspruch handelt, der kraft Gesetzes einem Verwandten, dem Ehegatten….zusteht.

11

Bevorrechtigt sind Unterhaltsansprüche die bestimmten Angehörigen kraft Gesetzes zustehen, dazu gehört der Kindesunterhalt. Der Unterhaltsanspruch behält seinen Vorrang auch bei Übergang auf die Unterhaltsvorschusskasse nach § 7 Abs. 1 UVG.

12

Durch das Gesetz vom 14.08.2017 wurde in das UVG der § 7 Abs. 5 neu eingefügt; danach hat das ..., welches die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid betreibt zum Nachweis des nach § 7 Abs. 1 UVG übergegangenen Unterhaltsanspruchs dem Vollstreckungsantrag den Bescheid gemäß § 9 Abs. 2 UVG beizufügen.

13

Hintergrund der Neuregelung ist die Möglichkeit, bei einer Vollstreckung der nach § 7 Abs. 1 UVG übergegangenen Unterhaltsforderungen in Arbeitseinkommen den pfandfreien Betrag des Schuldners zu reduzieren, § 850 d ZPO.

14

Für die antragsgemäße Herabsetzung des Pfändungsfreibetrages durch das Vollstreckungsgericht muss dem Vollstreckungstitel nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BGH ausdrücklich oder im Wege der Auslegung zu entnehmen sein, dass es sich um einen privilegierten Unterhaltsanspruch handelt. Das ist erforderlich, weil das Vollstreckungsgericht die Voraussetzungen der beantragten Entscheidung nur formell prüft, während materielle Beurteilungen zur Art der geltend gemachten Forderung dem Erkenntnisverfahren vorbehalten bleiben. Dazu hatte der BGH im April 2016 entschieden, dass ein Vollstreckungsbescheid nicht geeignet ist, die Voraussetzungen einer privilegierten Vollstreckung nach § 850 d ZPO nachzuweisen (BGH, 06.04.2016, VII ZB 67/13; BGH 11.10.2017, VII ZB 42/15, zit. n. juris).

15

Um den Pfändungsbetrag dennoch herabsetzen zu können waren in diesen Fällen bisher Feststellungsklagen bzw. Anträge erforderlich.

16

Auch § 7 Abs. 5 UVG n. F. spricht von einem Nachweis. Die Kompetenz des Vollstreckungsgerichts, formal zu prüfen, ob Unterhaltsansprüche im Sinne des § 850 d ZPO vollstreckt werden sollen, bleibt durch diese Regelung unangetastet. Nach den zur Begründung des Gesetzes vorliegenden Materialien wird fingiert, dass der Nachweis durch den beizufügenden Bewilligungsbescheid erbracht ist ("gilt als nachgewiesen" - (BT-drucksache 18/12589,177).

17

Dadurch reduziert sich die Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts hinsichtlich des Nachweises auf die Frage, ob sich der beigefügte Bewilligungsbescheid auf denselben Lebenssachverhalt wie der Vollstreckungsbescheid bezieht und nicht offensichtlich unwirksam ist.

18

Somit wird durch § 7 Abs. 5 UVG n. F. fingiert, dass es sich bei den in einem Vollstreckungsbescheid titulierten Forderungen um einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch handelt, wenn dem Vollstreckungsbescheid der Bewilligungsbescheid nach § 9 Abs. 2 UVG beigefügt ist. Diese Nachweisfiktion erfasst auch Vollstreckungsbescheide, die vor dem 01.07.2017 erlassen wurden und gilt für alle Forderungsarten, auf die § 850 d ZPO unmittelbar oder mittelbar anwendbar ist. (Benner/Wiener, Neue Regelung für den Rückgriff nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, JAmt 2017, S. 334).

19

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 5 UVG n. F. liegen hier vor.

20

Neben dem Vollstreckungsbescheid hat der Gläubiger die Bewilligungsbescheide gemäß § 9 Abs. 2 UVG vorgelegt. Diese betreffen ersichtlich denselben Sachverhalt, nämlich Unterhaltsleistungen für das auch im Vollstreckungsbescheid näher bezeichnete minderjährige Kind und den im Vollstreckungsbescheid bezeichneten Zeitraum.

21

Durch Vollstreckungsbescheid und dazugehörigem Bewilligungsbescheid ist die Privilegierung der geltend gemachten Ansprüche nachgewiesen, so dass der unpfändbare Betrag nach § 850 d ZPO entsprechend den ortsüblichen Sätzen durch das Amtsgericht zu bestimmen ist.

22

Zu diesem Zweck ist das Verfahren an das Amtsgericht zur Prüfung und Entscheidung zurückzuverweisen.


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