Urteil vom Landgericht Detmold - 10 S 185/10
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13. Oktober 2010 verkündete Urteil des Amtsgerichts Lemgo aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Amtsgericht Lemgo zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Gründe:
2I.
3Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 544 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
4II.
5Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
61. Das Amtsgericht Lemgo ist zur Entscheidung des Rechtsstreit gemäß §§ 23 Ziffer 1 GVG, 13 ZPO sachlich und örtlich zuständig. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts ist weder durch § 102 EnWG noch durch § 87 GWB ausgeschlossen, da es sich weder um eine energierechtliche noch um eine kartellrechtliche Angelegenheit handelt. Auf Antrag der Klägerin war daher die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Lemgo zurückzuverweisen, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO.
71.1. Gemäß § 102 Abs. 1 S. 1 EnWG sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem EnWG ergeben, ohne Rücksicht auf den Streitwert die Landgerichte ausschließlich zuständig. Dasselbe gilt gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 EnWG, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Rechtsfrage abhängt, die nach dem EnWG zu treffen ist. Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht gegeben.
8a) Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommen Vorschriften aus dem EnWG als Anspruchsgrundlagen nicht in Betracht. Die Klägerin macht Zahlungsansprüche allein aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag nach § 433 Abs. 2 BGB geltend. Insofern steht zwischen den Parteien im Streit, ob die Klägerin auf Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Gaslieferungsvertrages einseitig Preiserhöhungen durchsetzen kann bzw. ob diese der Billigkeit entsprechen. Dies betrifft nicht sich aus dem EnWG ergebende Rechtsbeziehungen. Das EnWG gibt dem Haushaltskunden lediglich einen Anspruch auf Grundversorgung, regelt also im Sinne eines Kontrahierungszwanges das "Ob" der Versorgung, nicht aber die Einzelheiten der Ausgestaltung des Vertrages.
9b) Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt auch nicht – ganz oder teilweise – von einer energiewirtschaftsrechtlichen Vorfrage ab. Die Rechtsfrage, ob die Preise der Billigkeit entsprechen, findet im EnWG keine Antwort. Sie ist vielmehr auf Grundlage der berechtigten Interessen beider Parteien an der Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung zu entscheiden. Allein der Umstand, dass das EnWG nach der Beschreibung seines Zwecks in § 1 EnWG eine unter anderem möglichst preisgünstige Versorgung anstrebt, entscheidet keine Rechtsfrage, die für die Beurteilung der Billigkeit der klägerischen Preise vorgreiflich sein könnte [vgl. OLG Celle, Beschluss vom 01. Oktober 2010 - 13 AR 5/10; OLG Celle, Beschluss vom 08. März 2010 - 4 AR 16/10; OLG München, Urteil vom 28. Januar 2010 - U (K) 4211/09; OLG München, Beschluss vom 15. Mai 2009 - AR (K) 7/09; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Juli 2010 - 14 UH 12/10; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 11 AR 3/10].
101.2. Die Voraussetzungen für eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts nach § 87 GWB sind ebenfalls nicht gegeben. Danach müsste der Rechtsstreit die Anwendung des GWB betreffen oder ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängen, die nach dem GWB zu treffen ist. So liegt der Fall hier indes nicht.
11a) Die Klägerin stützt sich weder auf kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen, noch wird das Kartellrecht in irgendeiner Form zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs herangezogen. Der Beklagte macht vornehmlich die Unbilligkeit der einseitig von der Klägerin vorgenommenen Preisanpassung nach § 315 Abs. 3 BGB geltend. Soweit er in der Klageerwiderung vom 25. Januar 2010 einen etwaigen Anspruch wegen missbräuchlicher Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nach § 33 GWB erwähnt, geht es ihm ersichtlich nicht um dessen Geltendmachung, sondern um die von ihm gewünschte Verweisung an das Landgericht E. Will jedoch eine Partei einen Anspruch aus dem Kartellrecht nicht ernsthaft geltend machen, kommt eine Zuständigkeit des Kartellgerichts nicht in Betracht [vgl. OLG Celle, Beschluss vom 01. Oktober 2010 – 13 AR 5/10].
12b) Der Rechtsstreit betrifft auch keine kartellrechtliche Vorfrage. Voraussetzung für eine Zuständigkeit nach § 87 S. 2 GWB ist, dass eine Spruchreife nur unter Beantwortung der kartellrechtlichen Vorfrage erreicht werden kann [vgl. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht: GWB, 4. Auflage 2007, § 87 Rn.24]. Die kartellrechtliche Frage muss entscheidungserheblich sein [vgl. Bechthold, GWB, 6. Auflage 2011, § 87 Rn.7].
13Dies ist hier nicht ersichtlich. Die Erhöhung von Gaspreisen unterliegt der Billigkeitskontrolle des § 315 Abs. 3 BGB [vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2008 – VIII ZR 138/07, WuM 2009, 49; Urteil vom 18. Oktober 2005, RdE 2006, 81]. In dessen Rahmen ist die Prüfung des § 19 GWB nicht zwingend notwendig. Denn ist die Gaspreiserhöhung unbillig – etwa weil sie nicht durch gestiegene Bezugskosten gerechtfertigt ist – kann die kartellrechtliche Frage des Missbrauchs einer wettbewerbsrechtlichen Stellung dahin stehen. Ist die Gaspreiserhöhung dagegen billig, kann sie nicht auf einem Missbrauch im kartellrechtlichen Sinne beruhen [vgl. LG Hagen, BeckRS 2010, 04599; LG Krefeld, IR 2010, 205]. Auch eine etwaige kartellrechtswidrige Anbindung der Bezugspreise an den Preis für leichtes Heizöl ändert nichts an dem – alleinigen – Prüfungsmaßstab des § 315 Abs. 3 BGB [vgl. BGHZ 172, 315].
142. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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