Beschluss vom Landgericht Detmold - 21 Qs 49/16
Tenor
Auf die Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben. Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwalt N als Verteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die diesbezüglichen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.
1
G r ü n d e:
2I.
3In ihrer Anklageschrift vom 14. Oktober 2015 legt die Staatsanwaltschaft Detmold dem Beschwerdeführer zur Last, sich in der Zeit vom 26.07. bis zum 10.12.2014 in Nordhorn ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG im Bundesgebiet aufgehalten zu haben, obwohl er ausreisepflichtig und seine Abschiebung nicht ausgesetzt war. Aus dem Aktenvermerk des Hauptzollamtes Osnabrück vom 29.07.2014, Bl. 4 d.A., geht hervor, dass der Beschwerdeführer der deutschen Sprache jedenfalls nicht hinreichend mächtig ist. Seine Vernehmung erforderte die Hinzuziehung einer Dolmetscherin.
4Der Beschwerdeführer ist bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Aus dem Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 06.07.2010 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor, die damals 12 und 14 Jahre alt waren. Zu beiden hatte er Kontakt. Außerdem hatte er mit seiner neuen Lebensgefährtin Zwillinge, die 2010 drei Monate waren, mithin heute sechs Jahre alt sein dürften.
5Schließlich wurden der Beschwerdeführer und eine Frau O als Eltern eines am geborenen Jungen in die Geburtsurkunde des Kindes eingetragen, vgl. Bl. 123. Frau O ist ausweislich des Aktenvermerks des Hauptzollamtes Osnabrück in Besitz einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis.
6Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 31.03.2016 beantragte der Beschwerdeführer, ihm diesen als Pflichtverteidiger beizuordnen. Zur Begründung führte er aus, dass er zur Selbstverteidigung nicht in der Lage sei, da die Sach- und Rechtslage nicht einfach sei.
7Mit Beschluss vom 25.04.2016 lehnte das Amtsgericht Lemgo den Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers ab. Zur Begründung führte es aus, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung nicht vorliege. Auch aus sonstigen Gründen erscheine eine Beiordnung nicht geboten. Für die Frage, ob sich der Beschwerdeführer nach § 95 Abs. 1 Nr. AufenthG strafbar gemacht habe, dürfte es auf die Frage ankommen, ob dieser eine ausländerrechtliche Duldung hatte bzw. hätte beanspruchen können. Diese Frage könne durch die Zeugin vom Kreis im Rahmen der Hauptverhandlung geklärt werden. Verständigungsschwierigkeiten zwischen dem Beschwerdeführer und den übrigen Prozessbeteiligten könnten durch die Hinzuziehung eines Dolmetschers ohne Nachteile für den Angeklagten überwunden werden.
8Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde vom 12.05.2016. Er macht geltend, dass der Fall tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten aufweise. Schließlich handele es sich um ein gemischtes Rechtsgebiet aus Straf- und Verwaltungsrecht.
9II.
10Der gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaften und zulässigen Beschwerde kann auch in der Sache der Erfolg nicht versagt bleiben.
111. Gemäß § 140 Abs. 2 StPO bestellt das Gericht einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann. Letzteres ist vorliegend der Fall. Unter den hier gegebenen Umständen bestehen erhebliche Zweifel, dass der Angeklagte sich selbst ausreichend verteidigen kann.
12Zwar ist einem für die Verteidigung in einer Strafsache nicht ausreichend sprachkundigen Ausländer nicht stets nach § 140 Abs. 2 3.Alternative StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Davon abgesehen werden kann jedoch nur in tatsächlich und rechtlich einfach gelagerten Fällen, in denen die durch die unzureichenden Sprachkenntnisse bedingte Behinderung des Angeklagten in seiner Verteidigungsfähigkeit durch die Beiordnung eines Dolmetschers völlig ausgeglichen werden kann [vgl. OLG Frankfurt, StV 2008, 205; OLG Hamm, StV 1995, 64; OLG Düsseldorf, NJW 1989, 677; Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 58. Auflage 2015, § 140 Rn.30a m. w. Nachweisen]. So liegt der Fall hier indes nicht. Eine sachgerechte Verteidigung des Beschwerdefühers ist allein durch die gerichtliche Hinzuziehung eines Dolmetschers nicht sicher gewährleistet.
13Das Amtsgericht Lemgo hat ausgeführt, dass nur durch eine Zeugenvernehmung aufgeklärt werden kann, ob der Beschwerdeführer eine ausländerrechtliche Duldung hatte bzw. hätte beanspruchen können. Entscheidend dürfte dabei u.a. die Frage sein, ob die Duldung des vollziehbar ausreisepflichtige Beschwerdeführer allein wegen der Vaterschaft für sein im Tatzeitraum noch ungeborenes Kind der aufenthaltsberechtigten Mutter geboten war. Ob die Rechtsauffassung verschiedener Oberverwaltungsgerichte, die dies nur für den Fall einer Risikoschwangerschaft bejahen, vor dem in Art. 6 GG und Art. 8 EMRK verankerten Rechtsgedanken des umfassenden Schutzes der Familie Bestand haben kann, braucht indes hier nicht beantwortet zu werden. Jedenfalls handelt es sich um eine komplexe Rechtsfrage, auf die sich der Beschwerdeführer allein - auch nicht unter Hinzuziehung eines Dolmetschers - nicht hinreichend vorbereiten kann. Auch im Hinblick auf eine kritische Hinterfragung der Bekundungen der Zeugin bedarf der Angeklagte, der mit Hilfe eines Dolmetschers im Wesentlichen nur seine eigene Verteidigungsposition verdeutlichen kann, zu einer sachgerechten Verteidigung der Unterstützung eines Rechtsanwaltes. Im Übrigen wird weiterhin von Bedeutung sein, ob nicht auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer vier weitere - wenngleich zum Teil volljährige - Kinder hat, die ebenfalls im Bundesgebiet - und zwar auch schon während des hier in Rede stehenden Tatzeitraums - leben sollen, eine Duldung des Beschwerdeführers geboten hätte, die dann den Ausschluss der Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG begründen dürfte.
14Es kann von dem Angeklagten nicht erwartet werden, dass er die sich aus der Aussage der Zeugin des Kreises ergebene Rechtslage aus dem Verwaltungs- und Strafrechtsbereich in einem Maß übersehen kann, welches ihn in die Lage versetzt, sich selbst sachgerecht zu verteidigen. Hierzu benötigt er die Hilfe eines Verteidigers [vgl. OLG Hamm, StV 1987, 192 (LS); LG Berlin, StraFo 2002, 90; LG Arnsberg, StV 2002, 648; LG Lübeck, StV 1986, 147; Laufhütte/Willnow in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, § 140 Rn.22]. Mithin liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 StPO vor, bei deren Überprüfung grundsätzlich kein allzu engmaschiger Maßstab anzulegen ist.
152. Schließlich bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken gegen die beantragte Beiordnung des in Z wohnhaften Rechtsanwaltes N. Zum einen ist Rechtsanwalt N schwerpunktmäßig im Ausländerrecht tätig, verfügt mithin über spezielle Rechtskenntnisse; zum anderen erscheint seine Beiordnung sinnvoll und dem Verfahren förderlich, da er mit dieser Sache schon weitgehend befasst ist.
163. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 StPO.
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