Urteil vom Landgericht Dortmund - 8 O 114/87
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, bei Androhung eines
Ordnungsgeldes In Höhe von bis zu 50.000,-- DM für
jeden Fall des Zuwiderhandelns die Verwendung folgen-
der und diesen inhaltsgleichen Klauseln in allgemeinen
Geschäftsbedingungen, ausgenommen gegenüber einem
Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes zu unter-
lassen:
"1. Der Heimträger kann ohne Einhaltung einer Kündi-
gungsfrist aus einem wichtigem Grund kündigen,
insbesondere
1. wenn der Gesundheitszustand des Heimbewohners
sich nach ärztlichem Zeugnis so verändert, daß
eine sachgerechte Versorgung im Heim nicht mehr
möglich ist;
2. Der Heimträger kann ohne Einhaltung einer Kündi-
gungsfrist aus einem wichtigen Grund kündigen,
insbesondere
2. wenn der Heimbewohner mit der Zahlung des
Pflegesatzes für aufeinanderfolgende
Termine in Höhe des monatlichen Pflegesatzes in
Verzug ist oder in einem Zeitraum, der sich über
mehr als zwei Termine erstreckt, mit der
Entrichtung des Pflegesatzes in Höhe eines
Betrages in Verzug gekommen ist, der den
Pflegesatz für zwei Monate erreicht;
3. Der Heimträger kann ohne Einhaltung einer Kündi-
gungsfrist aus einem wichtigen Grund kündigen,
insbesondere
3. wenn der Heimbewohner seine Verpflichtung aus §8
Satz 3 nicht erfüllt: welcher lautet: "Der
Heimbewohner verpflichtet sich bereits jetzt,
dieses Angebot anzunehmen, wenn es den vor-
stehenden Voraussetzungen entspricht. "
4, Der Heimträger kann ohne Einhaltung einer Kündi-
gungsfrist aus einem wichtigen Grund kündigen,
insbesondere
4. wenn ihm infolge des Verhaltens des Heimbe-
wohners die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr
zugemutet werden kann;
5. Beruht die fristlose Kündigung des Vertrages auf
einem Verschulden des Heimbewohners und kann dem
Heimträger die Fortsetzung des Vertrages bis zu
einer Neubesetzung des Heimplatzes nicht zugemutet
werden, so haftet der Heimbewohner für den etwaigen
Ausfall des Pflegesatzes bis zu einem Monat.
6. Die Heimordnung in der jeweils gültigen Fassung ist
Bestandteil dieses Vertrages.“
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten
auferlegt.
Das Urteil Ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicher-
heitsleistung in Höhe von 2.200,—- DM.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger verfolgt unter Ausschluß eines wirtschaftlichen
3Geschäftsbetriebes den Zweck, die Interessen der Verbraucher
4durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen und zu fördern. Er
5geht insbesondere gerichtlich und außergerichtlich gegen für
6unzulässig gehaltene allgemeine Geschäftsbedingungen vor, die
7im Geschäftsverkehr gegenüber Nichtkaufleuten verwendet und
8empfohlen werden.
9Die Beklagte betreibt ein Altenheim, in das namentlich
10volljährige behinderte aber geschäftsfähige Personen aufge-
11nommen werden. Die Beklagte schließt mit den Bewerbern um
12einen Heimplatz einen "Heimvertrag für behinderte Volljährige
13soweit diese geschäftsfähig sind". Gegenstand dieses Ver-
14trages sind allgemeine Geschäftsbedingungen. Diese enthalten
15unter anderem die aus dem Tenor ersichtlichen Klauseln.
16Der Kläger meint, die beanstandeten Klauseln verstießen gegen
17§ 9 Absätze 1 und 2 AGBG.
18Mit Abmahnung vom 16.12.1986 forderte der Kläger die Beklagte
19auf, die Verwendung der von ihm beanstandeten Klauseln zu
20unterlassen. Zugleich verlangte er die Abgabe einer strafbe-
21wehrten Unterlassungserklärung. In ihrem Antwortschreiben
22verteidigte die Beklagte die umstrittenen Vertragsbedingungen
23und lehnte die Abgabe der strafbewehrten Unterlassungser-
24klärung ab.
25Der Kläger beantragt,
26wie erkannt.
27Die Beklagte beantragt,
28die Klage abzuweisen.
29Sie meint, die vertraglichen Bestimmungen über die außeror-
30dentliche Kündigung In § 9 Abs. 2 der AGB entsprächen dem
31gesetzlichen Leitbild des § 626 BGB. In einem Falle, In dem
32die Beklagte den Heimbewohner nicht mehr sachgerecht versor-
33gen könne, liege es in dessen Interesse, daß der Vertrag
34unverzüglich beendet werde. Der betroffene Heimbewohner habe
35dann Anspruch auf anderweitige öffentliche Fürsorge. Dazu
36komme es dann, wenn aus einem Pflegefall ein Krankheitsfall
37werde. Der Betroffene werde dann unverzüglich in ein Kranken-
38haus verlegt. Die Kündigung aus wichtigem Grunde, zu der die
39Beklagte in diesem Fall berechtigt sei, lasse die Verpflich-
40tung des Heimbewohners zur Zahlung des monatlichen Pflege-
41satzes entfallen. Die Regelung wirke sich damit zu seinem
42Vorteil aus.
43Der in § 9 Abs. 2 Satz 2 AGB vorgesehene Kündigungsgrund
44betreffe nur den geringen Anteil der Selbstzahler, deren
45Heinikosten nicht von der öffentlichen Hand getragen werden.
46Die beanstandete Klausel stelle lediglich die Übernahme der
47gesetzlichen Regelung des § 554 BGB dar. Falls das auf eine
48außerordentliche Kündigung gestützte Räumungsbegehren der
49Beklagten für den Heimbewohner eine unbillige Härte dar-
50stellen würde, so könnte diese im Zwangsvollstreckungsver-
51fahren abgewendet werden.
52Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Ziff. 3 in Verbindung mit § 8
53AGB trage den Interessen des Heimbewohners deshalb angemessen
54Rechnung, weil die Beklagte sich danach verpflichte, dem
55Bewohner eine anderweitige geeignete Versorgung anzubieten,
56wenn diese in ihrem Hause nicht mehr sichergestellt sei. Nur
57wenn der Heimbewohner sich auf ein solches Angebot nicht
58einlasse, sei die Beklagte zur Kündigung aus wichtigem Grunde
59berechtigt.
60In § 9 Abs. 2 Satz 4 der AGB sieht die Beklagte ebenfalls
61keine unangemessenene Benachteiligung des Heimbewohners. Sie
62müsse berechtigt sein, bei schuldhaften Verstößen des
63Heimbewohners gegen vertragliche Verpflichtungen den Vertrag
64zu beenden und auch gemäß § 9 Abs. 2 Satz 5 AGB Schadenser-
65satzansprüche geltend zu machen.
66Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird
67auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten
68Schriftsätze und der dazu überreichten Anlagen Bezug ge-
69nommen.
70E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
71Die auf § 13 Absätze 1 und 2 Nr. 1 AGBG gestützte Klage ist
72begründet. Die tatsächlichen Voraussetzungen der Klagebe-
73fugnis des Klägers sind unbestritten und gerichtsbekannt.
74Die von dem Kläger beanstandeten Klauseln sind durchweg dazu
75angetan, die Vertragspartner der Beklagten entgegen den
76Geboten von Treu und Glauben unangemessen zu benachteiligen
77(§ 9 Abs. 1 AGBG).
781, Die in § 9 Abs. 2 Satz 1 der AGB enthaltene Klausel ist
79mit dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der
80sie abweicht, nicht zu vereinbaren (§ 9 Abs. 2 Satz 1
81AGBG).
82Der Heimvertrag ist ein gemischter Vertrag, der den
83Helmträger verpflichtet, dem Heimbewohner Unterkunft,
84Verpflegung, Betreuung und Pflege gegen Entgelt zu
85gewähren. Ob sich die Möglichkeiten der außerordentlichen
86Kündigung an den mietrechtlichen oder dienstvertraglichen
87Bestimmungen des BGB messen lassen müssen, ist zwischen
88Rechtsprechung und Literatur umstritten. Während im
89Schrifttum überwiegend die Anwendung der mietrechtlichen
90Schutzgesetze auf Pflegeheimverträge abgelehnt wird, hat
91das OLG Köln (NJW 1980/1395) die Anwendbarkeit des § 624
92BGB abgelehnt. Auch Hensen (Ulmer, Brandner, Hensen, AGBG,
934. Auflage, Köln 1982, Anhang zu §§ 9 bis 11 Randnr. 63)
94will die außerordentliche Kündigung von Altenwohnheimver-
95trägen nicht an den dienstrechtlichen Kündigungsvorschrif-
96ten sondern am mietrechtlichen Kündigungsschutzrecht
97messen. Dagegen wollen Dahlem, Giese, Heimgesetz,
98Köln-Berlin-Bonn-München, § 4 Randnr. 9.2 bei der
99Rechtswahl darauf abstellen, ob dienst- oder mietver-
100tragliche Elemente überwiegen.
101Für die Bewertung der in § 9 Abs. 2 Satz 1 der AGB
102enthaltenen Klausel kann dahinstehen, ob mietrechtliche
103oder dienstvertragliche Rechte zum Prüfungsmaßstab erhoben
104werden. Weder das gesetzliche Mietrecht noch das gesetz-
105liche Dienstvertragsrecht geben dem Vermieter/Dienstver-
106pfllchteten das Recht zur außerordentlichen Kündigung für
107den Fall, daß der Mieter/Dienstberechtigte an der Nutzung
108der Mieträume bzw. Entgegennahme der Dienste vorübergehend
109gehindert ist. Von diesen gesetzlichen Vorschriften weicht
110die Klausel zum Nachteil des Verwendungsgegners unbillig
111ab. Nach der vertraglichen Vorschrift soll der Beklagten
112nämlich auch dann ein Grund zur fristlosen Kündigung
113zustehen, wenn der Bewohner auch nur vorübergehend in der
114Einrichtung der Beklagten nicht mehr versorgt werden kann.
115Das wäre etwa dann der Fall, wenn er sich wegen einer
116Operation für einen von vornherein überschaubaren Zeitraum
117in Krankenhausbehandlung begeben muß. Selbst dann, wenn
118die Tatsache seiner Rückkehr von vornherein feststeht und
119auch der Zeitpunkt seiner Entlassung aus dem Krankenhaus
120absehbar ist, wäre die Beklagte nach ihren AGB berechtigt,
121den Heimvertrag fristlos zu kündigen und eine Aufnahme des
122Bewohners nach der Krankenhausentlassung zu verweigern.
123Eine sachliche Rechtfertigung für eine derartige Handha-
124bung vermag die Kammer nicht zu erkennen.
125Wegen der im Verbandsklageverfahren nach § 13 AGB gebote-
126nen generalisierend-abstrakten Betrachtungsweise kommt es
127nicht darauf an, ob die Beklagte im Einzelfall tatsächlich
128gedenkt, in der vorbezeichneten Weise zu verfahren.
129Entscheidend ist allein, daß ihr die von ihr verwendeten
130AGB bei verbraucherfeindlicher Auslegung die Möglichkeit
131zu einem derartigen Verhalten geben sollen.
1322. Auch die Klausel des § 9 Abs. 2 Satz 2 der AGB ist mit
133wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von
134der diese Bestimmung abweicht, nicht zu vereinbaren und
135stellt eine treuwidrige unangemessene Benachteiligung des
136Verwendungsgegners dar. Die Frage, an welchen gesetzlichen
137Bestimmungen vertragliche Regelungen über die außerordent-
138liche Kündigung von Pflegeheimverträgen zu messen ist,
139entscheidet die Kammer dahin, daß in erster Linie die
140gesetzlichen Bestimmungen des Mietrechts zu Vergleichs-
141zwecken heranzuziehen sind. Die Vorschrift des § 9 Abs. 2
142Satz 2 AGB ist zwar an die Bestimmungen des § 554 Abs. 1
143Nr. 1 und 2 BGB angelehnt. Eine Abweichung von § 554 BGB
144liegt jedoch darin, daß die Vorschriften des § 554 Abs. 1
145Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 nicht übernommen worden sind.
146Danach wird die Kündigung hinfällig, wenn binnen bestimm-
147ter Fristen der Vermieter wegen des Mietzinsanspruchs
148befriedigt wird oder eine öffentliche Stelle sich zu
149seiner Befriedigung verpflichtet. Das Weglassen dieser
150Bestimmungen ist eine wesentliche Abweichung von der
151gesetzlichen Regelung, die sich zum Nachteil des Verwen-
152dungsgegners auswirken kann. Gerade bei einem behinderten
153Heimbewohner, der für die Kosten seiner Heimunterbringung
154grundsätzlich selbst aufkommt, kann es geschehen, daß er
155an der rechtzeitigen Erledigung seiner Angelegenheiten
156vorübergehend gehindert ist. Darüber hinaus besteht die
157Möglichkeit, daß er infolge einer ungünstigen Entwicklung
158seiner Einkommens- oder Vermögensverhältnisse vorüber-
159gehend oder auf Dauer zur Tragung der Unterbringungskosten
160ganz oder teilweise nicht mehr in der Lage ist. Nach den
161genannten Vorschriften des § 554 BGB hätte der Bewohner in
162diesen Fällen die Möglichkeit, eine einmal ausgesprochene
163Kündigung entweder durch Nachzahlung des rückständigen
164Pflegegeldes oder durch Beibringung einer Kostenübernahme-
165erklärung einer öffentlichen Stelle hinfällig werden zu
166lassen. Durch § 9 Abs. 2 Satz 2 AGB sind diese Möglich-
167keiten dagegen ausgeschlossen.
1683. Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 3 AGB verstößt nach
169Ansicht der Kammer gegen § 9 Abs. 2 Satz 2 AGBG. Nach
170dieser Klausel wäre nämlich ein Grund zur fristlosen
171Kündigung zum Beispiel auch dann gegeben, wenn aus einem
172von der Beklagten zu vertretenden Grunde die Beklagte die
173Versorgung des Heimbewohners selbst nicht mehr sicher-
174stellen kann. Die Beklagte würde einen Grund zur frist-
175losen Kündigung daraus ableiten können, daß eine von ihr
176selbst zu vertretene Leistungsstörung vorliegt. Hierin
177liegt eine treuwidrige und unangemessene Benachteiligung
178des Heimbewohners. Wer sich in ein Pflegeheim begibt,
179verlegt seinen Lebensmittelpunkt dorthin. Er hat ein
180berechtigtes Interesse daran, daß er dort langfristige
181gesicherte Unterkunft findet. Dieses Interesse wäre nicht
182gewahrt, wenn die Beklagte aus von ihr zu vertretenden
183Gründen den Heimvertrag jederzeit fristlos beenden könnte.
1844. § 9 Abs. 2 Nr. 4 AGB verstößt gegen § 9 Absätze 1, 2 Nr. 1
185AGBG. Von der gesetzlichen Vorschrift, des § 554 a BGB
186weicht die Klausel insofern ab, als auch ein schuldloses
187Verhalten des Heimbewohners die fristlose Kündigung
188rechtfertigen soll, während nach der zwingenden Vorschrift
189des § 554 a BGB nur eine schuldhafte Pflichtverletzung die
190fristlose Kündigung rechtfertigt. Zieht man die gesetz-
191lichen Vorschriften über das Dienstvertragsrecht als
192Prüfungsmaßstab heran, so ergeben sich ebenfalls Abwei-
193chungen zum Nachteil des Verwendungsgegners. Während nach
194§ 626 Abs. 2 BGB die Kündigung nur binnen zwei Wochen ab
195Kenntnis des Berechtigten vom Kündigungsgrund zulässig
196ist, enthält § 9 Abs. 2 Nr. 4 AGB eine derartige Frist nicht.
1975. Auch § 9 Abs. 2 Satz 5 AGB verstößt gegen § 9 Absätze 1, 2
198Satz 1 AGBG. Nach den gesetzlichen Bestimmungen und
199aufgrund des von der Rechtsprechung entwickelten Instituts
200der positiven Forderungsverletzung müßte der Heimbewohner,
201der schuldhaft Anlaß zu einer fristlosen Kündigung gegeben
202hat dem Heimträger den hieraus entstandenen Schaden
203ersetzen. Der Heimträger hat danach Anspruch auf den
204entgangenen Pflegesatz jedoch abzüglich ersparter Aufwen-
205dungen. Nach der beanstandeten Klausel muß der Heimbe-
206wohner dagegen den Pflegesatz ohne Abzug ersparter
207Aufwendungen fortentrichten. Hierin liegt zugleich ein
208Verstoß gegen §11 Nr. 5 a AGB (Pauschalierung von Scha-
209densersatzansprüchen).
2106. Auch die Vorschrift des § 11 AGB verstößt gegen § 9
211Absätze 1, 2 Satz 1 AGBG in Verbindung mit §§ 145 ff. BGB.
212Wäre § 11 AGB wirksam, so könnte die Beklagte nach
213Abschluß des Vertrages die Heimordnung und die dadurch
214begründeten Nebenpflichten des Bewohners einseitig zum
215Nachteil des Bewohners abändern. Nach den gesetzlichen
216Bestimmungen bedarf eine Veränderung der vertraglichen
217Pflichten des Abschlusses eines Änderungsvertrages. Eine
218einseitige Änderung des Vertragsinhalts durch eine
219Vertragspartei widerspricht dem Leitbild der gesetzlichen
220Regelung und führt zu einer unbilligen Benachteiligung des
221Verwendungsgegners.
222Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
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