Urteil vom Landgericht Dortmund - 15 O 157/92
Tenor
Die Beklagten werden verurteilt, als
Gesamtschuldner an die Kläger als
Gesamtgläubiger 80.000,- DM
(i.W.: achtzigtausend Deutsche Mark)
zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen Kläger und
Beklagte je zu Hälfte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die
Kläger aber nur gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 85.500,- DM und für die Beklagten
gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4.600,- DM
1
Tatbestand
2Die Kläger verlangen als Erben von den Beklagten
3Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalles
4vom 04.04.1990, bei dem der Ehemann und Vater
5der Kläger erheblich verletzt wurde und schließlich
6an seinen Verletzungen verstarb. Am Unfalltage befuhr
7der Verstorbene gegen 3.15 Uhr die bevorrechtigte
8I-Straße in westlicher Richtung und beab-
9sichtigte nach links in die G-straße
10abzubiegen. Von links näherte sich der Beklagte
11zu 1) auf der G-straße und fuhr unter
12Mißachtung des Stoppschildes in den Kreuzungs-
13bereich ein, wo es zum Zusammenstoß beider Fahr-
14zeuge kam.
15Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach
16ist unstreitig. Die Parteien streiten lediglich
17über die Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes.
18Der Verstorbene erlitt durch den Verkehrsunfall
19folgende Verletzungen:
201. Stumpfes Thoraxtrauma mit Rippenserienfraktur 3-6 links,
212. stumpfes Bauchtrauma mit Milzverletzung sowie linksseitiger
22Zwerchfellruptur,
233. schweres Schädelhirntrauma mit im Gehirn gelegener
24Blutung rechts im Schläfenlappen, zentral mit Beteiligung
25des Stammganglien,
264. schwere Beckenfrakturen mit zentraler Hüftluxation sowie
27Frakturen im Bereich des Kreuzbeines, darüber hinaus
28vorderer Beckenringfrakturen sowie einer begleitenden
29Verletzung der Harnblase.
30Die schwere Hirnverletzung war derart, daß der Ver-
31storbene über Monate hinweg nicht bzw. später nur
32bedingt ansprechbar war. Nachdem er sich zunächst
33in der Zeit vom Unfall bis zum 06.11.1990 in ver-
34schiedenen Kliniken aufgehalten hatte, lebte
35er in der Zeit vom 07.11.1990 bis zu seinem Tod
36am 10.10.1991 zu Hause und wurde dort gepflegt.
37Zum Zeitpunkt der Entlassung Ende Oktober 1990
38war der Verstorbene zu keiner subjektiven Beschwerde-
39angabe mehr fähig. Er konnte gerade noch etwas
40den Kopf bewegen und Blickkontakt aufnehmen.
41Er konnte sich nicht verständigen und versuchte
42lediglich erste Mundbewegungen, um Worte zu
43formulieren.
44Wegen der Verletzungen des Verstorbenen im einzelnen
45und dessen Auswirkungen für sein Leben bis zum Tode
46wird auf den Inhalt der Klageschrift nebst Anlagen
47Bezug genommen.
48Die Beklagten haben bisher 40.000,00 DM auf das
49Schmerzensgeld gezahlt. Die Kläger meinen, dies
50sei nicht ausreichend. Vielmehr sei ein Gesamt-
51schmerzensgeld in Höhe von 200.000,00 DM ange-
52messen.
53Die Kläger beantragen,
54die Beklagten als Gesamtschuldner zu
55verurteilen, an sie ein über den bereits
56gezahlten Betrag von 40.000,00 DM hinaus-
57gehendes angemessenes Schmerzensgeld
58zu zahlen.
59Die Beklagten beantragen,
60die Klage abzuweisen.
61Sie bestreiten den Umfang der vom Verstorbenen
62erlittenen Verletzungen nicht. Sie meinen aber,
63daß unter Berücksichtigung der Zeitdauer,
64während der der Verstorbene an den Unfallfolgen
65zu leiden hatte, ein Betrag von 40.000,00 DM
66angemessen sei.
67Im übrigen bestreiten sie mit Nichtwissen die
68Erbenstellung der Kläger.
69Die Kläger haben daraufhin den auf sie ausgestellten
70Erbschein vorgelegt. Wegen des Inhalts dieses Erb-
71scheins wird auf die Fotokopie Bl. 36 d.A. Bezug
72genommen.
73Das Gericht hat zum Umfang der erlittenen Ver-
74letzungen des Verstorbenen eine Auskunft der
75behandelnden Ärzte des Kreiskrankenhauses I²
76und der praktischen Ärzte Q eingeholt..
77Wegen des Ergebnisses der Auskünfte wird Bezug
78genommen auf die Auskunft des Kreiskrankenhauses
79I² vom 22.03.1993, Bl. 60 f d.A., und auf
80die Auskunft der Ärzte Q vom 24. Juni 1993,
81Bl. 75 d.A..
82Wegen des weitere Vorbringens der Parteien wird auf
83die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Be-
84zug genommen.
85Die Akte 42 Js 844/90 der StA Dortmund lag zu
86Informationszwecken vor.
87Entscheidungsgründe
88Die Kläger haben gegen die Beklagten gem. §§ 8231,
89847 BGB, § 3 PflVG i.V.m. § 1922 BGB über die bereits
90gezahlten 40.000,00 DM hinaus einen Anspruch auf
91Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 80.000,00 DM.
92Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat sich die
93Kammer von folgenden Erwägungen leiten lassen:
94In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß dem Schmerzens-
95geld eine doppelte Funktion zukommt. Es soll dem Ge-
96schädigten in erster Linie einen angemessenen Ausgleich
97für seine nicht vermögensrechtlichen Schäden bieten,
98aber auch dem Gedanken Rechnung tragen, daß der Schädiger
99dem Geschädigten Genugtuung schuldet (vgl. BGHZ 18,
100149 ff). Die Ausgleichsfunktion tritt zwar dann
101zurück, wenn der Verletzte, wie im vorliegenden
102Fall, die Schmerzensgeldzahlung subjektiv überhaupt
103nicht als Ausgleich für erlittene Unbill wahrnehmen
104kann und ein solcher Ausgleich auch objektiv gar
105nicht möglich ist, weil sein persönliches Befinden
106und die ihm zuteil weidende sachgemäße Pflege einer
107echten Förderung eigentlich nicht zugänglich sind
108(vgl. OLG Hamm, NJW RR 1988, Seite 1301 unter Hinweis
109auf BGH). Gleichwohl ist nach der neuesten Recht-
110sprechung des BGH in solchen Fällen eine Reduzierung
111des Schmerzensgeldes auf eine lediglich symbolhafte
112Entschädigung nicht mehr gerechtfertigt. Vielmehr
113verlangen danach Beeinträchtigungen von solchem
114Ausmaß, die insbesondere aufgrund von Hirnver-
115letzungen eine Wahrnehmung der Verletzungen ein-
116schränken, mit Blick auf die verfassungsrechtliche
117Wertentscheidung in Art. 1 GG eine stärkere Ge-
118wichtung und verbieten eine lediglich symbolhafte
119Bewertung. Denn ein immaterieller Schaden, wie in
120§ 847 BGB erfaßt, besteht nicht nur in körperlichen
121und seelischen Schmerzen, also in Mißempfindungen
122oder Unlustgefühlen als Reaktion auf die Verletzung
123des Körpers oder die Beschädigung der Gesundheit.
124Vielmehr stellt die Einbuße der Persönlichkeit,
125der Verlust an personaler Qualität infolge schwerer
126Hirnschädigung schon für sich einen auszugleichenden
127immateriellen Schaden dar, unabhängig davon, ob
128der Betroffene die Beeinträchtigung empfindet
129(vgl. BGH DAR1993, S. 228 ff.).
130Danach war für die Kammer bei der Bemessung des
131Schmerzensgeldes allein die vom Verstorbenen erlittenen
132Verletzungen maßgebend, unabhängig davon, ob der
133Verstorbene diese empfunden hat oder nicht.
134Unter Berücksichtigung der im einzelnen unstreitigen
135Verletzungen des Verstorbenen, insbesondere des
136Krankenhausaufenthalts und der sich anschließenden
137Pflegebedürftigkeit war ein Schmerzensgeld im
138Bereich der von den Beklagten bereits geleisteten
139Zahlung bei weitem nicht ausreichend. Hinzu kommt,
140daß bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch
141die grobe Vorfahrtverletzung des Beklagten zu 1),
142die zu dem Verkehrsunfall führte, Berücksichtigung
143finden muß. Nach dem in der Beiakte befindlichen
144Gutachten der DEKRA vom 18.04.1990 ist davon aus-
145zugehen, daß der Beklagte zu 1) unter Mißachtung
146des Stoppschildes ohne anzuhalten in den Kreuzungs-
147bereich eingefahren ist. Denn der Sachverständige
148der DEKRA führt aus, daß aufgrund der erheblichen
149Fahrzeugschäden und der Endstellungen der Fahr-
150zeuge sich bereits ohne konkrete Berechnungen
151feststellen lasse, daß der Lkw des Beklagten zu 1)
152mit einer Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich
153hineingefahren wurde, die bei Beachtung der Be-
154schilderung (Stoppschild) im Kollisionsort durch
155Beschleunigen aus dem Stillstand nicht zu erzielen
156war.
157Insgesamt hält die Kammer daher unter Berücksichtigung
158dieser Gesamtumstände und der Zeitdauer, während der
159der Verstorbene an den Unfallfolgen litt, ein
160Gesamtschmerzensgeld von 120.000,00 DM für angemessen.
161Unter Berücksichtigung des bereits gezahlten Betrages
162verbleibt ein noch zu zahlender Schmerzensgeldbetrag
163von 80.000,00 DM.
164Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 709 ZPO.
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Referenzen
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