Urteil vom Landgericht Dortmund - 15 O 14/94
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin
13.937,08 DM nebst 4 % Zinsen seit dem
15.01.1994 abzüglich am 28.02.1994 gezahlter
6.533,54 DM zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 9.000,00 DM vorläufig vollstreckbar .
1
Ta t b e s t a n d
2Die Klägerin verlangt Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalles
3vom 09.12.1993 gegen 20.45 Uhr. Am Unfalltage befuhr ihr
4Sohn, der Zeuge Q mit ihrem Fahrzeug die B-Straße
5in südlicher Richtung. Im Bereich des Hauses der Handwerksförderung
6führt parallel der B-Straße eine Zufahrt zum Haus
7der Handwerksförderung, die rechts und links mit Parkmöglichkeiten
8versehen ist. Rund 100 m südlich des Hauses der Hand-
9werksförderung führt diese Parkspur wieder im spitzen Winkel auf
10die B-Straße. Diesen Parkstreifen befuhr der Beklagte zu 1.)
11mit seinem Pkw und beabsichtigte nach rechts in die B-Straße
12einzufahren. Der Sohn der Klägerin, der zunächst den linken der
13zwei Richtungsfahrbahnen befahren hatte, wechselte kurz vor der
14Einmündung, wobei zwischen den Parteien der genaue Ort des
15Spurwechsels streitig ist, auf die rechte Fahrbahn. Dort kam es
16mit dem auf die B-Straße einfahrenden Pkw des Beklagten zum
17Zusammenstoß.
18Die Klägerin behauptet, ihr Sohn habe bereits 40 bis 50 m vor
19der Einmündung von der linken auf die rechte Fahrspur überge-
20wechselt und dabei diesen Spurwechsel durch Setzen des Blinkers
21angezeigt. Kurz eher er die Einmündung des Parkstreifens erreicht
22hätte, sei der Beklagte plötzlich aus der Einfahrt herausgezogen.
23Ihr Sohn habe noch versucht auszuweichen. Dies sei
24ihm jedoch nicht gelungen, so daß es zur Kollision gekommen
25sei.
26Die Klägerin macht einen Gesamtschaden in Höhe von 13.937,08 DM
27geltend. Wegen der Schadenspositionen im einzelnen wird auf den
28Inhalt der Klageschrift, Blatt 3 d.A. Bezug genommen. Zum Beweis für den entstandenen Nutzungsausfall hat die Klägerin ein Schreiben des
29Sachverständigen V vom 24.03.1994 nebst Bildern zu den
30Akten gereicht. Wegen des Inhalts wird auf Blatt 19 und 20 d.A.
31Bezug genommen.
32Nach Zustellung der Klage hat der Beklagte am 28.02.1994
336.533,54 DM bezahlt.
34Die Klägerin beantragt nunmehr,
35den Beklagten zu verurteilen, an sie
3613.937,08 DM nebst 4 % Zinsen seit dem
3715. Januar 1994 abzüglich am 28.02.1994
38gezahlter 6.533,54 DM zu zahlen.
39Der Beklagte schließt sich hinsichtlich des gezahlten Betrages
40der Erledigung des Rechtsstreits an und beantragt im übrigen,
41die Klage abzuweisen.
42Er bestreitet, daß der Sohn der Klägerin bereits 40 bis 50 m
43vor der Einmündung des Parkstreifens unter Betätigung des
44Fahrtrichtungsanzeigers von der linken auf die rechte Fahrspur
45gewechselt hat. Er behauptet vielmehr, der Sohn der Klägerin
46sei erst unmittelbar vor der Einmündung auf den rechten Fahrstreifen
47übergewechselt, ohne dabei den rechten Blinker zu betätigen.
48Er meint, damit habe der Sohn der Klägerin den Unfall
49mitverursacht. Durch die zwischenzeitlich erfolgte Zahlung habe
50die Klägerin genug erhalten. Im übrigen bestreitet der Beklagte
51den von der Klägerin geltend gemachten Nutzungsausfall.
52Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen
53Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
54Das Gericht hat zum Hergang des Verkehrsunfalles Beweis erhoben
55durch Vernehmung der Zeugen L, Q, Q2 und L2.
56Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen
57auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. August 1994,
58Blatt 42 ff d.A.
59Die Akte der Staatsanwaltschaft Dortmund 23 Js 4/94 lag auszugsweise
60in Fotokopie zu Informationszwecken vor.
61E n t s c he i d u n g s g r ü n d e
62Die Klage ist in vollem Umfange begründet.
63Die Klägerin kann über die ihr nach Zustellung bereits gezahl-
64ten 6.533,54 DM hinaus von dem Beklagten gemäß §§ 7, 17 StVG
65Zahlung weiterer 7.403,54 DM verlangen. Denn der Beklagte ist
66der Klägerin aufgrund des Verkehrsunfalles vorn 09.12.1993 auf
67der B-Straße zum vollen Schadensersatz verpflichtet.
68Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des
69Gerichts fest, daß der Beklagte allein den Unfall schuldhaft
70verursacht hat. Der Beklagte hat beim Einfahren auf die B-Straße
71aus dem Parkplatzbereich die Vorfahrt des fließenden
72Verkehrs mißachtet und damit gegen seine Pflichten aus § 10
73StVO verstoßen. Insoweit kann auch dahingestellt bleiben, auf
74welcher Fahrbahn der Zeuge Q zunächst mit dem Fahrzeug der
75Klägerin fuhr. Denn das Vorfahrtsrecht des fließenden Verkehrs
76erstreckt sich über den gesamten Fahrbahnbereich, auf dem der
77bevorrechtigte Verkehr fließt. Der Unfall ereignete sich auch
78in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren des Beklagten.
79Denn dieser hat selbst angegeben, er sei erst etwa 30 bis 40 cm
80in die Fahrbahn eingefahren, als es zum Zusammenstoß gekommen
81sei.
82Demgegenüber trifft den Fahrer des klägerischen Pkw kein Ver-
83schulden am Zustandekommen des Unfalls. Zwar hat der Zeuge Q
84unstreitig vor dem Zusammenstoß mit dem Fahrzeug der Klägerin
85von der linken auf die rechte Fahrspur gewechselt. Gleichwohl
86diesen Fahrstreifenwechsel hat der Fahrer des klägerischen Pkw durch
87den Zusammenstoß nicht schuldhaft mitverursacht. Dabei geht das
88Gericht davon aus, daß durch die Pflichten eines Fahrzeugführers
89beim Spurwechsels nach § 7 (5) StVO lediglich der fließende
90Verkehr, und zwar der gleichgerichtete Fließverkehr, nicht
91aber auch der ruhende Verkehr geschützt wird (vgl. Jagusch/
92Henschel, 32. Aufl., Rn. 17 zu § 7 StVo und Anmerkung Hamann
93in VersR 86, Seite 667). Da der Beklagte aus dem ruhenden
94Verkehr in den fließenden Verkehr einfahren wollte, kann daher
95schon aus diesem Grunde im Verhältnis zwischen den Parteien ein
96etwaiges Verschulden des Zeugen Q beim Spurwechsel mit dem
97klägerischen Fahrzeug keinen schuldhaftenden Mitverursachungsbeitrag
98begründen. Vielmehr muß der Anfahrende grundsätzlich
99auch mit der Möglichkeit rechnen, daß ein Fahrzeug, das er auf
100der Überholfahrspur wahrnimmt auf die rechte Fahrspur überwechseIt.
101Damit kann dahingestellt bleiben, ob der Fahrer Q seinen
102Fahrstreifenwechsel rechtzeitig und deutlich angekündigt hat.
103Im übrigen ist das Gericht jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
104davon überzeugt, daß der Spurwechsel des klägerischen
105Pkw bereits abgeschlossen war, als es zum Zusammenstoß der
106Fahrzeuge kam. Die Zeugen Q und Q2 haben übereinstimmend
107bekundet, der Fahrer des klägerischen Pkw habe bereits
108vollständig die Fahrspur gewechselt gehabt, als es zum Zusammenstoß
109mit dem Fahrzeug des Beklagten gekommen sei. Dies hat
110auch der Zeuge L2 bestätigt. So hat der Zeuge zunächst ausgesagt,
111in dem Augenblick, als der Beklagte angefahren sei, habe
112der Zeuge Q mit dem Mercedes von der linken auf der
113rechten Fahrspur übergewechselt. Später hat der Zeuge jedoch
114auf Vorhalt bestätigt, daß sich der Mercedes im Unfallzeitpunkt
115nicht mehr in schräger Fahrposition befunden hat. Damit ist
116davon auszugehen, daß sein Fahrstreifenwechsel bereits abgeschlossen
117war. Wie dem Gericht aus anderen zahlreichen Verfahren
118bekannt ist, erfordert ein Fahrstreifenwechsel etwa eine
119Zeitspanne von drei Sekunden. Da der Beklagte eine solch große
120Zeitspanne vom Zeitpunkt des Entschlusses zum Anfahren bis zum
121Erreichen der Kollisionsstellung - nach seinen Angaben war er
122erst 30 bis 40 cm in die Fahrbahn eingefahren zum Zeitpunkt der
123Kollision - nicht benötigte, geht das Gericht davon aus, daß
124der Beklagte bei aufmerksamer Beobachtung des herannnahenden
125Verkehrs den Spurwechsel des Kläger-Pkw hätte erkennen müssen. Andererseits
126ist daher davon auszugehen, daß der Beklagte mit seinem
127Pkw noch an der Einmündung stand, als der Zeuge Q mit
128dem klägerischen Pkw seinen Spurwechsel einleitete. Damit konnte er
129bei seinem Fahrspurwechsel darauf vertrauen, der Beklagte
130werde sein Vorrecht beachten. Daher ist der Klägerin aufgrund
131des Spurwechsels ihres Sohnes kein Mitverschulden anzulasten.
132Auch ein Mitverschulden aufgrund überhöhter Geschwindigkeit
133scheidet von vornherein aus. Der Zeuge Q hat angegeben,
134mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h gefahren zu sein.
135Anhaltspunkte für eine höhere Geschwindigkeit ergeben sich nach
136dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht. Eine etwa bestehende Betriebsgefahr
137der Klägerin tritt jedenfalls angesichts der Vorfahrtsverletzung
138des Beklagten zurück. Eine andere Haftungserteilung
139ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der vom
140Beklagten zitierten Entscheidung des OLG Köln, VersR 86, Seite 666.
141In der zitierten Entscheidung hatte der aus dem ruhenden Verkehr auffahrende Verkehrsteilnehmer bereits eine Strecke von 10 bis 15 m zurückgelegt, als es zur Kollision kam. Damit liegt dieser Entscheidung ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde und es verbleibt dabei, daß die alleinige Haftung den Beklagten trifft. Dieser ist der Klägerin daher zum vollen Schadensersatz verpflichtet.
142Neben den unstreitigen Schadenspositionen kann die Klägerin
143auch vollen Ersatz des von ihr geltend gemachten Nutzungsaus-
144falles verlangen. Die Klägerin hat durch die Bestätigung des Sach-
145verständigen V vom 24.03.1994 nachgewiesen, daß sie ihr
146Fahrzeug hat reparieren lassen. Der Sachverständige schätzt die
147angefallene Reparaturzeit auf sechs Arbeitstage. Dies ergibt
148unter Hinzurechnung eines Wochenendes acht Werktage. Aufgrund
149des unfallbedingten Schadens am rechten Vorderrad war das
150Fahrzeug der Klägerin nach der Kollision nicht verkehrssicher.
151Da sie vor Entscheidung des Reparaturauftrages zunächst die Begutachtung
152durch einen Sachverständigen abwarten durfte, steht
153ihr insgesamt ein Nutzungsausfall für 10 Kalendertage zu. Damit
154ergibt sich ein Gesamtschaden in Höhe von 13.9327,08 DM.
155Die Zinsforderung folgt aus §§ 284, 288 BGB.
156Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.