Urteil vom Landgericht Dortmund - 3 O 284/98
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger ist selbstständiger Dachdecker-, Klempner-,
3Gas-, Wasserinstallateur- und Zentralheizungsbaumeister.
4Er führte im Auftrag der bauleitenden Architekten
5an dem B-Senioren-Zentrum in Castrop-Rauxel
6Klempnerarbeiten aus. Die dazu erforderlichen Gerüste
7wurden von der Beklagten aufgestellt.
8Am 04.04.1997 nutzte der Kläger zur Durchführung der
9Dachdeckerarbeiten am vorgenannten Objekt eines dieser
10Gerüste. Als er über eine durchgefaulte Bohle dieses
11Gerüstes ging, gab diese nach, der Kläger stürzte und
12verletzte sich erheblich. Unstreitig war die Fehlerhaftigkeit
13der Bohle für die Beklagte erkennbar. Die zuständige
14Bau-Berufsgenossenschaft ließ durch einen Mitarbeiter
15am 15.04.1997 die Unfallsteile besichtigen.
16Auf den abschließenden Unfalluntersuchungsbericht der
17Bau-Berufsgenossenschaft sowie deren Schreiben vom
1814.12.1997 an die Rechtsanwälte des Klägers wird Bezug
19genommen.
20Die Bau-Berufsgenossenschaft erkannte den vorgenannten
21Unfall des Klägers als Berufsunfall an und erbrachte
22darauf an diesen Zahlungen. Sie nahm Rückgriff bei der
23Haftpflichtversicherung der Beklagten, der W,
24die darauf Zahlungen an die Unfallversicherung des Klägers
25leistete. Mit Schreiben vom 17.04.1997 zeigte der
26Kläger der Beklagten den Unfall als Haftpflichtschaden
27an.
28Darüber korrespondierte die W mit den Rechtsanwälten
29des Klägers. Auf die Schreiben der W vom
3024.06.1997, 30.06.1997, 23.07.1997, 03.12.1997,
3122.10.1998, 05.11.1998, 09.02.1999, 08.02.1999 und
3220.12.1999 sowie auf die anwaltlichen Schreiben des
33Kläger an die W vom 12.06.1997, 03.11.1997 und
3417.12.1997 wird Bezug genommen.
35Der Kläger ist der Ansicht, er habe gegen die Beklagte
36aus dem vorgenannten Unfall einen Anspruch auf Zahlung
37von Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,00 DM. Davon
38lässt er sich 10.000,00 DM, die die W unstreitig
39bereits gezahlt hat, in Abzug bringen.
40Der Kläger beantragt,
411. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein
42angemessenes Schmerzensgeld abzüglich hierauf
43bereits geleisteten 10.000,00 DM zu zahlen,
44wobei der noch zu leistende Betrag in das Ermessen
45des Gerichts zu stellen und ab dem
4621.05.1998 mit 8 % zu verzinsen ist;
472. festzustellen, dass die Beklagte darüber
48hinaus zum Ersatz des weiteren immateriellen
49Schadens verpflichtet ist, sofern eine
50dauernde, auf den Unfall vom 04.04.1997 zurückzuführenden
51Verminderung der Erwerbsfähigkeit
52im Tätigkeitsbereich als Dachdecker-,
53Klempner-,Gas-/Wasserinstallateur und
54Zentralheizungsbaumeister von über 30 %
55eintritt;
563. festzustellen, dass die Beklagte über die
57Ersatzpflicht betreffend immaterieller
58Schäden hinaus, auch zum Ersatz etwaiger
59materieller Schäden verpflichtet ist, die
60sich als Folge des Unfalls vom, 04.04.1997
61ergeben.
62Die Beklagte beantragt,
63die Klage abzuweisen.
64Die Beklagte ist der Ansicht, Schmerzensgeldansprüche
65stünden dem Kläger gegen sie nicht zu. Diese seien nach
66§§ 106 Abs. 4, 104 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen.
67Der Kläger erwidert:
68Der Schmerzensgeldanspruch sei nicht nach den Vorschriften
69des SGBVII ausgeschlossen. Die Voraussetzung
70des § 104 SGB VII würde nicht vorliegen. Es fehle an
71einem Mindestmaß an gemeinsamer Organisation und Ver-
72bundenheit sowie ein enger räumlicher und zeitlicher
73Zusammenhang zwischen den Dachdeckerarbeiten des Klägers
74und dem Aufstellen des Gerüstes der Beklagten an
75der UnfallsteIle. Die Parteien hätten dabei auch kein
76gemeinsames Ziel verfolgt. Vielmehr habe lediglich jede
77Partei die jeweils eigene vertragliche Verpflichtung
78gegenüber dem Auftraggeber erfüllen wollen. Die Beklagte
79habe das Gerüst bereits einige Monate vor dem
80Unfall fertiggestellt.
81Außerdem habe der Inhaber der Beklagten den Unfall mit
82dolus eventualis herbeigeführt. Er habe aus Zeit- und
83Materialersparnisgründen und somit mit Gewinnerzielungsabsicht
84bewusst die deutlich verfaulte Bohle so
85eingebaut, dass von oben deren Zustand nicht erkennbar
86gewesen sei. Zudem habe der Inhaber der Beklagten die
87Bohle zu Beweisvereitelungszwecken nach dem Unfall vernichtet.
88Im Übrigen habe die W durch ihre Korrespondenz,
89die von ihr geleisteten Zahlungen. sowie die Erklärungen
90ihres zuständigen Sachbearbeiters den Schmerzensgeldanspruch
91des Klägers anerkannt.
92Auf die Protokolle der öffentlichen Sitzungen vom
9305.11.1998 und 20.07.2000 wird Bezug genommen. Wegen
94des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten
95Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
96E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
97Die Klage ist nicht begründet .
98Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf
99Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz aus dem
100Unfall vom 04.04.1997. Ein solcher Anspruch ist gemäß
101§§ 104 Abs. 1, 106 Abs. 3 und 4 SGB VII ausgeschlossen.
102Denn der Unfall ist dadurch zustande gekommen, dass die
103Parteien vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf
104einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichtet haben.
105Zu solchen Betriebsstätten gehören auch Baustellen. Es
106reicht aus, dass Absprachen über die gemeinsame Nutzung
107des Gerüstes getroffen worden sind, sogar dass Dulden
108solcher Nutzung reicht aus (Jahnke, Versicherungsrecht
1092000, 155 ff. m.w.N.).
110So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat das Gerüst,
111auf dem der Kläger zu Fall gekommen war, auf der Baustelle
112errichtet, auf der auch der Kläger tätig war.
113Unstreitig duldete die Beklagte zumindest, dass der
114Kläger dieses Gerüst zur Durchführung von Dachdeckerarbeiten
115auf dieser Baustelle nutzte. Solange die Beklagte
116das Gerüst der Baustelle zur Verfügung stellte
117und der Kläger diese mit Wissen und Wollen der Beklagten
118für seine Dachdeckerarbeiten auf dieser Baustelle
119nutzte, lag eine gemeinsame Betriebsstätte bezüglich
120des Gerüstes vor. In Ausübung der von der Beklagten
121zumindest geduldeten Nutzung des Gerüstes, nämlich
122zur Durchführung der Dachdeckerarbeiten, ist der
123Kläger unstreitig vom Gerüst gefallen.
124Rechtsfolge ist gemäß § 106 Abs. 4 i.V.m. § 104 Abs. 1
125SGB VII, dass die Haftung der Beklagten gegenüber dem
126Kläger, insbesondere auf Zahlung von Schmerzensgeld,
127ausgeschlossen ist.
128Zu Unrecht ist der Kläger der Ansicht, dass weitere
129Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss nach
130§§ 106, 104 SGB VII erforderlich seien, die nicht vorliegen
131würden. Eine weitere gemeinsame Organisation und
132Verbundenheit sowie ein weitere engerer räumlicher und
133zeitlicher Zusammenhang, als oben dargelegt, ist für
134einen Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 SGB VII
135nicht erforderlich. Solche weitergehenden Voraussetzungen
136sind weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch mit
137dem Willen des Gesetzgebers vereinbar. Der Gesetzgeber
138wollte nämlich mit der Regelung des § 106 Abs. 3 SGB
139VII die Unfallgeschädigten schützen, indem er ihnen in
140weitestgehendem Umfang Ansprüche gegen die Berufsgenossenschaft
141zuspricht. Als Kompendium für diese weitgehenden,
142konkursfesten Ansprüche des Unfallgeschädigten
143gegen die Betriebsgenossenschaft hat der Gesetzgeber
144gewollt, dass der Schädiger selbst nicht, insbesondere
145nicht auf Schmerzensgeld haftet, wenn die Berufsgenossenschaft
146für den Unfall eintreten muss. So
147liegt der Fall hier. Zudem hat die Bau-Berufsgenossenschaft
148den Unfall als Berufsunfall anerkannt.
149Der Anspruchsausschluss nach §§ 106, 104 SGB VII ist
150nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass der Inhaber der
151Beklagten den Unfall vorsätzlich mit dolus eventualis
152herbeigeführt hat. Ein vorsätzliches Verhalten des Inhabers
153der Beklagten hat der insoweit darlegungspflichtige
154Kläger nicht ausreichend substantiiert. Dagegen
155spricht insbesondere der abschließende Unfalluntersuchungsbericht
156der Berufsgenossenschaft, in dem es
157heißt, dass die betroffene Gehbohle an der Oberseite
158keinerlei augenfällige Mängel aufwies, die auf ein Einbrechen
159beim Betreten schließen konnten. Die Lebenserfahrung
160spricht demnach dafür, dass der Inhaber der Beklagten
161beim Verlegen der Bohle nicht erkannte, dass
162diese so morsch war, dass sie beim Begehen durchbrechen
163konnte und die Bohle nur fahrlässig, nicht aber vorsätzlich
164verlegt hat. Dafür, dass der Inhaber der Beklagten
165beim Aufstellen des Gerüstes erkannte, dass die
166Bohle morsch war, und bewusst die morsche Seite nach
167unten verlegte, um die Mangelhaftigkeit der Bohle zu
168verschleiern, gibt es keine Anhaltspunkte.
169ZU Unrecht beruft sich der Kläger darauf, dass die
170W seinen Anspruch auf Schmerzensgeld anerkannt
171habe. Ein solches, die Beklagte verpflichtendes Anerkenntnis
172existiert nicht. Insbesondere aus dem eindeu-
173tigen Wortlaut der Schreiben der W vom
17403.12.1997, 22.10.1998 und 09.02.1999 ergibt sich, dass
175diese Vorschüsse ohne Anerkennung einer Rechtspflicht
176und unter Rückzahlungsvorbehalt leistete. Angesichts
177dieser eindeutigen schriftlichen Erklärungen konnte der
178Kläger nicht darauf vertrauen, dass die W durch
179ihre Zahlungen und mündlichen Erklärungen ihres Sachbearbeiters
180zum Ausdruck brachte, dass sie die Schmerzensgeldansprüche
181des Klägers gegen die Beklagte dem Grunde oder der Höhe nach
182anerkannte.
183Aus diesen Gründen war die Klage abzuweisen, ohne dass
184es auf die weiteren Behauptungen und Ansichten der Parteien
185ankommt.
186Die Nebenentscheidungen richten sich nach den §§ 91
187Abs. 1 Satz 1, 709 Satz 1 ZPO.
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