Urteil vom Landgericht Dortmund - 14 (Schw) C 1/02
Tenor
Die Angeklagten D2, D3 und
D4 sind des Mordes in zwei Fällen,
tateinheitlich begangen mit versuchtem Mord in
Tateinheit mit schwerer Körperverletzung in ei-
nem weiteren Fall und - ebenfalls tateinheitlich
- wegen gefährlicher Körperverletzung in einem
weiteren Fall schuldig.
Die Angeklagten D2 und D3
sind darüber hinaus des tateinheitlich damit be-
gangenen Ausübens der tatsächlichen Gewalt und
des Führens einer halbautomatischen Selbstlade-
waffe mit einer Länger von nicht mehr als 60 cm
schuldig.
Die Angeklagten D2, D3 und
D4 werden jeweils zu
lebenslanger Freiheitsstrafe
verurteilt.
Die besondere Schwere der Schuld wird hinsicht-
lich des Angeklagten D2 und D4 festgestellt.
Die Ansprüche des D4 als des Leasing-
nehmers des Fahrzeugs Mercedes CLK 230, amtli-
ches Kennzeichen X-XX XXXX, aus der Rückabwick-
lung des mit der Firma M Leasing GmbH, F,
unter Nr. XXX XXX geschlossenen Finanzkaufver-
trages, unterliegen der Einziehung.
Dem Angeklagten D4 wird die Erlaubnis
zum Führen eines Kraftfahrzeuges entzogen.
Sein Führerschein bleibt eingezogen.
Die Straßenverkehrsbehörde wird angewiesen, ihm
vor Ablauf von vier Jahren keine neue Fahrer-
laubnis zu erteilen.
Die Angeklagten tragen als Gesamtschuldner die
Kosten des Verfahrens und die notwendigen Ausla-
gen der Nebenkläger sowie jeweils allein ihre
jeweiligen eigenen notwendigen Auslagen.
Die Kosten und Auslagen des Prozessbeistandes
des Angeklagten D4 trägt der Prozess-
beistand selbst.
Angewendete Vorschriften:
§§ 53 l Nr. 3 a und 3 b WaffenG, §§ 211, 223,
224 l Nrn. 2, 4 und 5, 226 Nr. 3, 22, 23, 25 II,
52, 69, 69 a, 74 I und II, 74 c l StGB.
1
Gliederung
2l. Der Lebensweg der Angeklagten S. 9
31. D4 S. 9
42. D2 S . 15
53. D3
6II.
7A.) Vorgeschichte der Tat S. 21
8- Der ethno-kulturelle Hintergrund
9des Tatgeschehens –
101. Stellung von Familie und Individuum im S. 22
11Herkunftsgebiet des Angeklagten
122. Darstellung des bestehenden Konfliktes S. 26
13der Familien C und D
143. Einfluss der ethno-kulturellen Prägung S. 30
15und der bestehenden Familienfehde auf
16die einzelnen Angeklagten
17B.) Der Tattag S. 38
181. Die Geschehnisse in der Osttürkei S. 38
192. Das Geschehen in der Bundesrepublik S. 39
20am Morgen des Tattages
213. Das eigentliche Tatgeschehen S. 50
224. Folgen der Tat S. 62
23III. Einlassungen der Angeklagten S. 70
241) D4 S. 71
252) D2 S. 74
263) D3 S. 75
27IV. Beweiswürdigung S. 76
28V. Rechtliche Würdigung S. 97
29A) Strafbarkeit S. 97
301.) Taten zum Nachteil C2, C3 S. 97
31und C4
322.) Taten zum Nachteil des Nebenklägers S. 117
33L
343.) Weitere Delikte S. 119
35B.) Schuldfähigkeit S. 120
36- S. 129
1.) Strafzumessung S. 129
382.) Entscheidung zu §57 a l Ziff. 2 StGB S. 130
393.) Weitere Maßregelungen und Folgen S. 140
40VII. Kosten und Auslagenentscheidung S. 142
41G r ü n d e:
42I.
43Der Lebensweg der Angeklagten
44- D4
Der zur Tatzeit 26 Jahre alte Angeklagte D4
46ist als Zweitältester Sohn der Eheleute D5 und
47D6 in dem Dorf I in der Nähe der
48Kreisstadt W in der Osttürkei gelegenen Provinz N
49geboren worden. Sein älterer Bruder ist der Mitange-
50klagte D2. Die Familie ist kurdischer Abstam-
51mung. Bis zu seiner Schulzeit hat er selbst nur Kur-
52disch gesprochen und erst später Türkisch gelernt. Er
53besuchte zunächst die dörfliche Grundschule. Mit
5413 Jahren erschwindelte er von einem seiner Onkel unter
55einem Vorwand einen namhaften Geldbetrag, um damit nach
56Istanbul gehen zu können. Hier hielt er sich einige Ta-
57ge auf, kehrte dann aber wieder zur Familie zurück. Ab
58seinem 13. Lebensjahr lebte er dann in der Kreisstadt
59W bei einem Onkel. Hier holte er den Mittelschulab-
60schluss durch Absolvierung externer Prüfungen nach. Da
61sein Vater von 1989 bis 1998 in Österreich als Gastar-
62beiter arbeitete, vertrat dessen Stelle als Familien-
63oberhaupt der fünf Jahre ältere Bruder D2. Im
64Einvernehmen mit diesem hat der Angeklagte D4
65im Alter von 14 Jahren bereits einen Jeansladen in W
66erworben. Dieses Geschäft führte er, trotz seines
67Alters selbständig und wurde dabei nur durch seinen
68Bruder, der die monatlichen Abrechnungen kontrollierte,
69überwacht. Das Geschäft lief erfolgreich. Dies ermög-
70lichte es ihm, zusammen mit dem ebenfalls geschäftlich
71zwischenzeitlich auch in W erfolgreichen Bruder
72D2, für Mutter und Geschwister eine Eigentumswoh-
73nung zu erwerben und diese nach W nachziehen zu
74lassen.
75Bedingt durch den Jeans-Laden kam der Angeklagte D4 in Kontakt zu den örtlichen Gymnasiasten, die
76vielfach mit der PKK sympathisierten und von denen vie-
77le auch später dann im Laufe der Zeit als Kämpfer "in
78die Berge gegangen sind". So geriet er bei den örtli-
79chen Polizeibehörden in den Ruf selbst mit der PKK zu
80sympathisieren und diese zu unterstützen, obschon das -
81so hat sich der Angeklagte gegenüber dem Sachverständi-
82gen U eingelassen - nicht der Fall gewesen ist. Er
83wurde mehrfach festgenommen und auch gefoltert. Immer
84wieder musste ihn - nach eigenen Angaben - die Familie
85dann freikaufen. Dies veranlasste ihn, obwohl er zwi-
86schenzeitlich verheiratet und seine Frau damals schwan-
87ger war, vor sieben Jahren allein mit einem jüngeren
88Bruder illegal nach Deutschland zu fliehen. Hier wurde
89seinem Asylantrag entsprochen. Er arbeitete zunächst
90längere Zeit bei einer türkischen Brotfirma, später
91acht Monate bei einem kurdischen Landsmann, mit dessen
92Tochter er seinerzeit zusammengewesen ist und der ihm
93die Aufnahme als Partner in das Geschäft - einen Imbiss
94- zugesagt hatte. Nach Trennung von dessen Tochter -
95worauf im Zusammenhang mit der Darstellung der familiä-
96ren Verhältnisse und seiner Vorstrafen noch einzugehen
97sein wird - eröffnete er in E zunächst einen
98"Döner-lmbiss". Später betrieb er in E mit sei-
99nem Bruder D7 sowie dem Mitangeklagten D3
100eine Bäckerei. Als letzgenannter nach einiger Zeit aus-
101schied, trat der Zeuge H dort ein. Zuletzt hatte
102sich der Angeklagte in einen Lebensmittelmarkt in E2
103eingekauft und den gutgehenden Laden letztlich vom
104ursprünglichen Inhaber gegen Überlassung seiner Bäcke-
105reianteile ganz übernommen. Er verfügte über ein monat-
106liches Nettoeinkommen von 2.000,00 €. Im Juni 2002 trug
107er sich mit dem Gedanken, den Laden wieder mit Gewinn
108weiterzuverkaufen, um ein anderes Objekt zu erwerben.
109Seine wirtschaftliche Lage hatte sich in den letzten
110Jahren äußerst günstig gestaltet; so hatte er nicht nur
111ein Haus in der H-straße X in F erwerben
112können, sondern auch im Jahre 2001 einen Merce-
113des-CLK 230 Cabrio. Auf den Kaufpreis von 100.517,54 DM
114hatte er 50.000,00 DM seinerzeit angezahlt. Da er be-
115dingt durch die Inhaftierung seit Juli 2002 weder für
116das Auto noch für das hinsichtlich des Hauserwerbs auf-
117genommene Darlehen hat Raten zahlen können, ist zwi-
118schenzeitlich der Pkw verwertet und auch hinsichtlich
119des Objekts die Zwangsverwaltung eingeleitet worden;
120auf die Einzelheiten wird noch zurückzukommen sein.
121Der Angeklagte ist verheiratet und Vater zweier Kinder,
122die jedoch aus unterschiedlichen Beziehungen stammen.
123Er lebte zur Tatzeit wieder mit seiner Ehefrau D8
124zusammen. Diese hatte er gegen den Widerstand der Fami-
125lie seiner Frau noch in seinem Heimatland geheiratet,
126bevor er sich nach Deutschland abgesetzt hatte. Dies
127geschah 1994 oder 1995. Zuvor hatte er seine Frau ent-
128führt, um so die Zustimmung der Eltern zur Heirat zu
129erzwingen. Denn nach nächtlicher Abwesenheit gilt eine
130Tochter nach dortigem Verständnis als entehrt, so dass
131den Eltern keine andere Wahl bleibt, als dem, hier ge-
132meinsamen Wunsch beider Partner zu entsprechen. Das ge-
133meinsame Kind, eine Tochter, ist erst geboren worden,
134als er sich bereits in Deutschland befand. Auf Betrei-
135ben seiner Schwiegereltern betrieb seine Frau anschlie-
136ßend die Scheidung. Zur Scheidung kam es nicht, da er
137nicht eingewilligt hat und ein Scheidungsverfahren in
138der Türkei angesichts seiner Abwesenheit nicht erfolg-
139reich betrieben werden konnte. Hier in Deutschland
140wandte er sich einer anderen Frau zu, einer E3.
141Diese heiratete er auch nach religiösem Ritus
142und zog mit ihr zusammen. All dies geschah, ohne dass
143er ihr berichtet hatte, dass er bereits verheiratet war
144und aus dieser Ehe ein Kind hervorgegangen war. Aus
145dieser Beziehung entstammt das zweite Kind - ein heute
1464-jähriger Sohn-. Nachdem der Schwiegervater, E4,
147davon erfahren hatte, kam es zu einer körperli-
148chen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklag-
149te lebensgefährlich verletzt wurde und schließlich zur
150Trennung von dessen Tochter. Auf einer Falschaussage in
151dem Verfahren gegen E4 beruht die - später
152unter c) dargestellte - Vorstrafe des Angeklagten.
153Nach der Trennung von E3 hatte er eine weite-
154re Beziehung zu einer Frau namens B. Als er mit die-
155ser bereits zusammenlebte, suchte seine Ehefrau D8
156wieder den Kontakt zu ihm und erklärte, dass es ein
157Fehler gewesen sei, sich dem Wunsche ihrer Familie ent-
158sprechend gegen ihn zu entscheiden und um die Scheidung
159zu bitten. Seine Ehefrau kam im Jahre 2001 oder 2002
160zusammen mit der gemeinsamen Tochter nach Deutschland.
161Zwischenzeitlich hat er sich mit seiner Frau versöhnt
162und - wenn auch erst nach Schwierigkeiten - sich von
163seiner Freundin B getrennt. Seine Ehefrau D8
164hat sich als Prozessbeistand bestellt und stand ihm
165- jedoch nur am ersten Tage bis zur Mittagspause - im
166Prozess zur Seite.
167Der Angeklagte ist bereits mehrfach strafrechtlich in
168Erscheinung getreten:
169a)
170Im Verfahren der Staatsanwaltschaft Bielefeld, Akten-
171zeichen 15 Js 1902/96 trat er erstmals wegen Leistungs-
172erschleichung am 24.07.1996 in Erscheinung. Das Verfah-
173ren wurde durch die dortige Staatsanwaltschaft nach
174§ 45 Abs. 2 JGG eingestellt.
175b)
176Erstmals verurteilt wurde der Angeklagte durch das
177Amtsgericht Dortmund am 15.05.1998. Wegen Fahrens ohne
178Fahrerlaubnis in zwei Fällen, davon in einem Fall in
179Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, verhängte
180das Amtsgericht im Verfahren 83 Cs 22 Js 31/98 einen
181seit dem 13.06.1998 rechtskräftigen Strafbefehl gegen
182ihn, in dem er zu einer Gesamtgeldstrafe von
18330 Tagessätzen zu je 30,00 DM verurteilt wurde. Er war
184am 02.12.1997 und am 26.01.1998 nur im Besitz eines
185türkischen Führerscheins, nicht aber besaß er die er-
186forderliche deutsche Fahrerlaubnis. Gleichwohl fuhr er
187mit einem Pkw an den genannten Tagen und verursachte am
188erstgenannten Tag beim Linksabbiegen einen Verkehrsun-
189fall, als er die Vorfahrt des entgegenkommenden Fahr-
190zeugs missachtete. Zwei Insassen dieses Pkws wurden
191verletzt.
192c)
193Am 20.04.2000 wurde der Angeklagte durch das Amtsge-
194richt Dortmund im Verfahren 84 Ds 79 Js 117/00 wegen
195uneidlicher Falschaussage zu einer Freiheitsstrafe von
196fünf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewäh-
197rung ausgesetzt wurde. Er hätte in dem gegen seinen
198"Schwiegervater" E4 geführten Verfahren, in dem es
199um den Vorwurf des versuchten Totschlags zu seinen La-
200sten durch ihm mit einem Messer zugefügte Stiche ging,
201der Wahrheit zuwider falsch ausgesagt. Er hatte den
202dortigen Angeklagten dadurch stärker zu belasten ver-
203sucht, dass er seine eigene Tatbeteiligung als nur un-
204wesentlich darzustellen versucht hatte. So verschwieg
205er, selbst ebenfalls ein Messer bei der Auseinanderset-
206zung mitgeführt zu haben. Im Bewährungsbeschluss vom .
207gleichen Tage ist ihm eine Geldbuße von 1.200,00 DM
208auferlegt und die Bewährungszeit auf zwei Jahre festge-
209setzt worden. Der Angeklagte hat die Bewährungsauflage
210ebenso gezahlt, wie die Strafe aus dem unter "b) " auf-
211geführten Verfahren. Die Bewährungsstrafe selbst ist
212mit Beschluss des Amtsgerichts vom 24.04.2002 erlassen
213worden. Dieser Beschluss ist seit dem 14.05.2002
214rechtskräftig.
215Festgenommen wurde der Angeklagte am Abend des
21624.06.2002. Auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts
217Dortmund vom 25.06.2002 - Aktenzeichen 79 Gs 827/02 -
218befindet er sich seit demselben Tage in Untersuchungs-
219haft in der Justizvollzugsanstalt Essen. Die Kammer hat
220ihm mit Beschluss vom 30.03.2003 die Fahrerlaubnis nach
221§ 111 a Abs. 1 StPO vorläufig entzogen.
2222. D2
223Der zur Tatzeit 31-jährige Angeklagte ist der ältere
224Bruder des Angeklagten D4 und zugleich Cousin
225des Angeklagten D3.
226Ebenso wie sein jüngerer Bruder ist auch er im Dorf I
227unweit der Kreisstadt W in der Provinz
228N geboren worden. Er hat die örtliche Grundschule
229durchlaufen und - insoweit anders als sein jüngerer
230Bruder - anschließend noch längere Zeit in der elterli-
231chen Landwirtschaft gearbeitet, bis auch er nach W
232übergesiedelt ist. Hier betrieb er erfolgreich eine
233Apotheke sowie eine Tankstelle. Während der seit 1989
234bis 1998 andauernden Abwesenheit seines Vaters fiel ihm
235gegenüber der Familie die Rolle des Familienoberhauptes
236zu. In dieser Eigenschaft hatte er für die jüngeren Ge-
237schwister und seine Mutter Sorge zu tragen, anderer-
238seits waren ihm gegenüber alle weisungsunterworfen und
239rechenschaftspflichtig.
240Auf Grund seiner Stellung war er in die Auseinanderset-
241zung des eigenen Familienclans - die Familie D ge-
242hört zu dem Clan (Asiret) der N2 - mit dem Clan der
243B2, zu dem auch die Familien der C's gehören,
244eingebunden. In der Hierarchie des eigenen Clans wurde
245dabei das Vorgehen im Wesentlichen durch seinen Onkel
246D9, einem älteren Bruder des eigenen Vaters,
247maßgeblich mitbestimmt. Der Streit der beiden Clans so-
248wie die Tötung des Vorgenannten in den frühen Morgen-
249stunden des 24.06.2002 bilden den maßgebenden Hinter-.
250grund der hier abzuurteilenden Tat.
251Anders als sein Bruder D4 lebte D2 bis En-
252de 1999 in der Türkei und reiste erst am 31.12.1999 il-
253legal in die Bundesrepublik ein, wo er einen Asylantrag
254gestellt hat. Nach eigenen Angaben im hiesigen Verfah-
255ren war er in der Türkei niemals für die PKK tätig und
256wurde auch - anders als die Mitangeklagten - niemals
257der Unterstützung dieser Organisation bezichtigt oder
258sonst verfolgt. Grund für seine Flucht nach Deutschland
259war nach eigenem Bekunden vielmehr, dass er es nicht
260hat ertragen können, dass die eigene Sippe trotz wie-
261derholter Übergriffe von Angehörigen der Familie C
262all dies sanktionslos geschehen ließ, anstatt sich da-
263gegen zur Wehr zu setzen. In Deutschland lebte er zu-
264nächst in einer Asylunterkunft in E
265und zuletzt in einer ähnlichen Einrichtung in X.
266Tatsächlich hielt er sich zumeist in den Wohnungen sei-
267nes Bruders D4 - zunächst in E und später in
268F - auf. Einer Erwerbstätigkeit ging er offiziell
269nicht nach. Er arbeitete tatsächlich jedoch im Jahre
2702000 zunächst mit dem Mitangeklagten D3 sowie
271dessen jüngerem Bruder D10 in einer Bäckerei eines
272Landsmannes und später auch gemeinsam mit D4 und
273dessen jüngeren Bruder in der von der Familie betriebe-
274nen Bäckerei. Seinen Unterhalt bestritt er neben der
275bezogenen Sozialhilfe durch finanzielle Unterstützung
276des Bruders D4.
277Er ist Vater von vier Kindern, die ebenso wie seine
278beiden Ehefrauen noch in der Türkei leben.
279Strafrechtlich ist er in der Bundesrepublik noch nicht
280in Erscheinung getreten. Nachdem er am 24.06.2002 vor-
281läufig festgenommen wurde, befindet sich seit dem
28225.06.2002 auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts
283Dortmund vom selben Tage - Aktenzeichen 79 Gs 827/02 –
284in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Dort-
285mund.
2863. D3
287Der zur Tatzeit 29-jährige D3 ist Cousin der
288beiden Mitangeklagten. Wie diese wurde er in dem Dorf
289I als jüngstes von vier leiblichen Ge-
290schwistern geboren. Bereits unmittelbar vor seiner Ge-
291burt hatte sich sein Vater einer anderen Frau zuge-
292wandt, diese geheiratet und war mit zwei seiner leibli-
293chen Geschwister in ein anderes Dorf gezogen. Mit die-
294sen sowie fünf Stiefgeschwistern hatte er auch in den
295folgenden Jahren keinen näheren Kontakt. Er wuchs zu-
296sammen mit einer Schwester in seinem Geburtsort im Hau-
297se seiner Mutter auf. Für sie sorgte der bereits ange-
298sprochene D9. Nach seiner Einschulung mit
299sieben Jahren besuchte er zunächst zwei Jahre lang die
300dörfliche Grundschule. Dann holte sein leiblicher Vater
301ihn und seine Mutter in das Haus der zweiten Ehefrau
302nach. Dies geschah jedoch nur, um die Mutter als Ar-
303beitskraft und ihn als Hirten für die Schafe auszunut-
304zen. Als sein Vater nach vier Jahren das Dorf verließ
305und in die Stadt zog, kehrten er und die leiblichen Ge-
306schwister wieder in seinen Heimatort I zu-
307rück. Als er etwa 15 Jahre alt war, ging er nach Istan-
308bul, wo er bei Bekannten wohnte und zunächst als Tel-
309lerwäscher und später in einer Bäckerei arbeitete. In
310den folgenden Jahren hat er sich den Beruf des Bäckers
311beigebracht und in diesem Handwerk stets während der
312Wintermonate in Istanbul gearbeitet, während er den
313Sommer über in seinem Heimatdorf gelebt hat. Nach sei-
314nem Militärdienst von 1993 bis 1995 wurde er erstmals.
315im Sommer 1995 auf Grund einer Falschbezichtigung der
316Unterstützung von PKK-Kämpfern verdächtigt. Er wurde,
317wie er angegeben hat, nachdem ein Cousin sich der PKK
318angeschlossen hatte, wiederholt verhaftet und auch ge-
319foltert. Dies veranlasste ihn mittels einer Schlepper-
320organisation 1997 nach Deutschland zu fliehen und hier
321Asyl zu beantragen. Seinem Asylantrag wurde - ebenso
322wie dem Gesuch des D4 - entsprochen. Als Bäk-
323ker arbeitete er zunächst bei einem türkischen Lands-
324mann in N3, bis er diese Arbeit wegen Vorkommnis-
325sen in der Türkei - auf die noch zurückzukommen sein
326wird - im Jahre 2000 aufgab. Später betrieb er zeitwei-
327se mit D4 gemeinsam eine Bäckerei, bevor er
328dort wegen finanzieller Unstimmigkeiten ausschied. Zur
329Tatzeit war er arbeitslos.
330D3 ist verheiratet und Vater zweier 1997 und
3311998 geborener Kinder. Seine Frau ist Tochter des be-
332reits mehrfach genannten Onkel D9. Seine Ehe-
333frau, mit der er seit 1990 verlobt und seit 1996 ver-
334heiratet ist, und die beiden Kinder sind erst Anfang
335Juni 2002 - wenige Wochen vor der hier abzuurteilenden
336Tat - nach Deutschland nachgezogen.
337Der Angeklagte ist strafrechtlich bereits zweimal, je-
338doch jeweils nur geringfügig, in Erscheinung getreten:
339a)
340Wegen einer am 25.01.1999 begangenen Urkundenfälschung
341in Tateinheit mit Beförderungserschleichung wurde er
342durch das Amtsgericht Dortmund am 04.06.1999 zur Zah-
343lung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15,00 DM
344verurteilt. Er wurde dabei erwischt, wie er unter Ver-
345wendung eines verfälschten Fahrscheins den öffentlichen
346Personennahverkehr benutzte.
347b)
348Am 13.11.2001 verhängte das Amtsgericht Bochum im Ver-
349fahren 72 Cs 37 Js 696/01 gegen ihn wegen Beihilfe zum
350Verstoß gegen das Ausländergesetz eine Geldstrafe von
35130 Tagessätzen zu je 20,00 DM. Die Strafe ist ebenso
352wie die zuvor genannte Geldstrafe gezahlt worden.
353Auch D3 wurde bereits am Abend des 24.06.2002
354festgenommen und befindet sich auf Grund des Haftbe-
355fehls des Amtsgerichts Dortmund vom 25.06.2002 - Akten-
356zeichen 79 Gs 827/02 seit diesem Tage in Untersuchungs-
357haft in der Justizvollzugsanstalt Bochum.
358Die Feststellungen zur Person beruhen hinsichtlich des
359Angeklagten D4 auf den Bekundungen des Zeugen
360U, demgegenüber der Angeklagte sich in seinen Explo-
361rationen am 25.01. und 18.02.2003 nicht nur zur Sache,
362sondern auch zur Person geäußert hat. Die Angaben zu
363seinen persönlichen Umständen sowie den beruflichen
364Werdegang sind glaubhaft. Die Kammer hat an der Glaub-
365haftigkeit der vom Sachverständigen U in seiner Ei-
366genschaft als Zeuge gemachten Angaben keine Zweifel.
367Darüber hinaus beruhen die Feststellungen hinsichtlich
368der Vorbelastungen des Angeklagten auf dem Inhalt des
369ihn betreffenden Bundeszentralregisterauszugs vom
37026.06.2002 sowie hinsichtlich der Vorverurteilungen un-
371ter Ziff. b) und c) auf dem Inhalt der verlesenen Ent-
372scheidungen selbst.
373Die Feststellungen zur Person des Angeklagten D2
374beruhen auf seinen eigenen Einlassungen, die er
375im Rahmen seiner Einlassung zur Sache zu seinem Lebens-
376weg gemacht hat sowie auf den Bekundungen des Zeugen
377U, der die vom Angeklagten ihm gegenüber im Rahmen
378der Exploration gemachten Angaben als Zeuge gegenüber
379der Kammer wiedergegeben hat. Ergänzend beruhen sie auf
380den Angaben der Mitangeklagten D4 und D3
381gegenüber dem vorgenannten Sachverständigen. Auch inso-
382fern bestehen an der Richtigkeit der Bekundungen des
383als Zeuge gehörten Sachverständigen keine Zweifel. Hin-
384sichtlich des Fehlens von Vorbelastungen beruhen die
385Erkenntnisse auf dem Inhalt des den Angeklagten D2
386betreffenden Bundeszentralregisterauszuges vom
38725.06.2002.
388Die Feststellungen zur Person des Angeklagten D3
389beruhen ebenfalls auf den Bekundungen des Zeugen
390U, demgegenüber der Angeklagte sich in seinen Explo-
391rationen sowohl zur Sache wie auch zu seiner Person ge-
392äußert hat. Die Angaben zu seinen persönlichen Umstän-
393den sowie seinem beruflichen Werdegang sind glaubhaft.
394Die Kammer hat an der Glaubhaftigkeit der gegenüber dem
395Sachverständigen insoweit angegebenen Tatsachen ebenso
396wenig Zweifel, wie daran, dass der als Zeuge gehörte
397Sachverständige U insoweit zutreffend das Gehörte
398der Kammer wiedergegeben hat.
399Die Feststellungen hinsichtlich der Vorbelastungen des
400Angeklagten D3 beruhen auf dem Inhalt des ihn
401betreffenden Bundeszentralregisterauszugs vom
40226.06.2002.
403II.
404A. Vorgeschichte der Tat
405- Der ethno-kulturelle Hintergrund des Tatgeschehens
406Die drei Angeklagten sind sämtlich türkische Staatsbür-
407ger kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie sind in kleinen
408Dörfern Ostanatoliens unweit der Provinzstadt W
409aufgewachsen. Die dortige Situation ist nicht nur durch
410die Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Zen-
411tralregierung und den zumindest um ihre kulturelle Ei-
412genständigkeit ringenden Kurden, sondern auch durch
413fehlende Präsenz staatlicher Institutionen im Bereich
414der zivilen Konfliktlösung gekennzeichnet. Angesichts
415der Defizite des staatlichen Systems, teils aber auch
416wegen eines kulturell bedingt ganz anderen Selbstver-
417ständnisses, besteht daneben ein auf Tradition beruhen-
418des Schlichtungssystem. Das sucht nicht nur Konflikte
419auf allgemeinem strafrechtlichen oder zivilrechtlichen
420Gebiet zu lösen, sondern wird auch eingeschaltet, um
421Konfliktfälle beizulegen, in denen gegen Konventionen.
422verstoßen wird, die durch die örtlichen ethno-
423kulturellen Gegebenheiten vorgegeben sind. Die ethno-
424kulturellen Hintergründe sowie das der Tat vorausgehen-
425de Geschehen gewinnen auch für die Beurteilung der hier
426abzuurteilenden Tat besondere Bedeutung:
4271.)
428Stellung von Familie und Individuum im Herkunftsgebiet
429der Angeklagten
430Das Bild des Einzelnen in seiner Stellung zur Gesell-
431schaft unterscheidet sich im Herkunftsgebiet der Ange-
432klagten gegenüber dem westeuropäischen Verständnis gra-
433vierend. Identitätsstiftendes Merkmal der einzelnen
434Person ist weniger die Zugehörigkeit zu einem bestimm-
435ten Gemeinwesen, sei es einem Dorf, einer Region oder
436gar dem türkischen Staat, sondern vielmehr die Zugehö-
437rigkeit zu einer Familie. Dabei versteht man sich zu-
438gleich als Teil der übergeordneten Einheit, der Großfa-
439milie, sowie der sich aus mehreren Großfamilien zusam-
440mensetzenden Sippe und dem von diesen gebildeten Stamm.
441Entgegen dem westeuropäischen Kulturverständnis ist das
442Menschenbild nicht stark individuell geprägt und nicht
443auf Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Ein-
444zelnen angelegt. Dem Einzelnen kommt nicht als Indivi-
445duum Bedeutung und Anerkennung zu. Vielmehr kommt ihm
446beides im Wesentlichen als Angehöriger einer Familie
447zu. Insoweit ist das Individuum nur insofern geachtete
448Rechtsperson, als es Mitglied einer Kleinfamilie bzw.
449dann der größeren Einheit ist, in dem es bestimmte
450Rechte besitzt, dem aber andererseits auch gewisse
451Pflichten obliegen. Wie somit Achtung dem Einzelnen
452entsprechend der der Familie insgesamt zugebilligten
453Wertschätzung entgegengebracht wird, so wird dazu kor-
454respondierend dem Einzelnen auch als Person die Verfeh-
455lung eines anderen Mitglieds der Familie unmittelbar
456zugerechnet. Verletzt man also als Einzelner durch sein
457Verhalten ein Mitglied einer anderen sozialen Einheit,
458so verletzt man damit zugleich auch deren sämtliche an-
459deren Mitglieder sowie umgekehrt der Angriff auf eines
460der Mitglieder der eigenen Familie zugleich von jedem
461Einzelnen als Angriff auf sich selbst verstanden wird.
462Wegen dieser Wirkung wird die Verletzung der eigenen
463Ehre jeweils als Angriff oder Beleidigung der Familie
464aufgefasst, so dass korrespondierend die Abwehr solcher
465Angriffe zur Verteidigung der Ehre Aufgabe aller Fami-
466lienmitglieder ist. Dabei ist der Begriff der Ehre zen-
467tral. Er ist umfassend und betrifft die der eigenen Fa-
468milie und damit zugleich jedem Einzelnen ihrer Mitglie-
469der entgegengebrachte Achtung, auf der deren Stellung
470in der Gesellschaft beruht. Diese Stellung ist durch
471zurückliegendes Verhalten gemeinsam erworben. Daneben
472wird die Wertschätzung mitbestimmt durch bestehende fi-
473nanzielle Möglichkeiten, geistige Fähigkeit oder auch
474beruflichen Erfolg. Die Ehre des Einzelnen und der Fa-
475milie kann beeinträchtigt werden durch das eigene Ver-
476halten sowie durch verbale und tätliche Angriffe auf
477einzelne Mitglieder oder auch auf deren Eigentum.
478Schwerste Form des Angriffs auf die Ehre stellt der An-
479griff auf die sexuelle Integrität eines der Mitglieder
480dar. Diese Verletzung kann von außen erfolgen - etwa
481durch Frauenraub oder Diebstahl - aber auch durch Mit-
482glieder der eigenen Gruppe - etwa dadurch, dass eine
483Frau der Familie ihre Jungfräulichkeit vorehelich ver-
484liert. Besonders bedeutsam dabei ist, dass der Erfolg
485der Übergriffe von außen wegen der damit offenbar ge-
486wordenen Unfähigkeit der zur Verteidigung der Ehre ver-
487pflichteten Mitglieder der betroffenen Familie, deren
488Achtung insgesamt und damit wiederum die Achtung jedes
489Einzelnen negativ beeinflusst. Daraus resultiert folge-
490richtig die Pflicht des Einzelnen, anderen Mitgliedern
491der Familie beizustehen, wie umgekehrt die berechtigte
492Erwartung besteht, bei einem Angriff auf sich, die Hil-
493fe der Anderen zu erhalten. Dieses Verständnis der un-
494trennbaren Wechselbeziehung von der Achtung der eigenen
495Familie und dem eigenen Ansehen beeinflusst dann konse-
496quentermaßen auch das Erziehungsziel. Die Erziehung
497zielt nicht darauf ab, dass das einzelne Individuum auf
498Grundlage von durch Erziehung verinnerlichten Gewis-
499sensvorstellungen und inneren Überzeugungen selbststän-
500dig entscheidet und handelt. Die Erziehung zielt viel-
501mehr von Anfang an darauf ab, dass sich der Einzelne
502als Teil der Gruppe versteht und darum stets bestrebt
503ist, den Erwartungen der Gruppe an ihn und seine Rolle
504zu entsprechen. Einher geht dies mit einem streng hier-
505archischen System innerhalb der Familie selbst, bei dem
506jeweils der jüngere (Mann) gegenüber dem älteren Re-
507spekt, d.h. Gehorsam, zu zeigen hat, wie er dies von
508jüngeren in gleicher Weise erwarten kann.
509Dieses Verständnis von Einzelnem und Familie ist auch
510für das Verständnis des Wesens der Blutrache unerläss-
511lich. Der zugrundeliegende Gedanke gewinnt nämlich auch
512bei der Blutrache als einem Mittel zur Wahrung der ei-
513genen Ehre bei vorangegangenen Übergriffen Bedeutung.
514Es wirkt hier der Gedanke, dass der Getötete im Jen-
515seits keine Ruhe finden kann, wenn als Reaktion nicht
516der Mörder oder ein naher Verwandter selbst getötet
517wird. Trotz der staatlichen Strafbarkeit wird es als
518vom eigenen Ehrenkodex gefordert angesehen, Selbstju-
519stiz zu üben. Aufgefordert hierzu sind angesichts des
520aufgezeigten kollektiven Selbstverständnisses nicht nur
521der Einzelne, sondern alle Mitglieder der in ihrer Ehre
522verletzten Gruppe. Umgekehrt ist potentielles Ziel der
523Rache wegen der aufgezeigten Sippenhaftung nicht nur
524der Täter, sondern alle (männlichen) Mitglieder der
525Gruppe des Täters. Sich der Aufgabe zur Wiederherstel-
526lung der Ehre nach einem erfolgten Übergriff eines an-
527deren zu entziehen, hat nach dortigem Ehrverständnis
528den eigenen Ehrverlust zur Folge. Da die Ehre der so-
529ziologischen Gruppe stets höher zu bewerten ist, als
530das Leben des Einzelnen, hat jeder Einzelne auch zur
531Hingabe des eigenen Lebens bereit zu sein und damit -
532was hier relevant ist - gegebenenfalls erst recht auch
533langjährige Haftstrafen hinzunehmen.
534Blut, d.h. der Tod eines Mitglieds der anderen Gruppe,
535als Sanktion wird dabei nicht nur gefordert bei der Tö-
536tung, sondern auch bei erheblichen Beleidigungen der
537Ehre der Familie, insbesondere als Reaktion auf Entfüh-
538rungen sowie außer- oder voreheliche sexuelle Beziehun-
539gen zu einem weiblichen Mitglied der eigenen Familie.
540Selbst das Eingreifen staatlicher Ahndung durch Frei-
541heitsstrafen entbindet dabei nach dortigem Selbstver-
542ständnis nicht von der Verpflichtung zur Blutrache, da
543die verletzte Ehre nur durch Blut - nicht aber durch
544Freiheitsstrafe - wiederhergestellt werden kann. Zur
545Vermeidung der Blutrache steht nur das Mittel der
546Schlichtung durch von beiden Parteien akzeptierte
547Schlichter zur Verfügung. Diese suchen dann eine Eini-
548gung zu vermitteln; etwa durch öffentlich bekanntgege-
549bene Zahlung von Blutgeld durch die Familie des Verlet-
550zers oder auch Herstellung einer Blutverbindung durch.
551Verheiratung junger Menschen aus beiden Konfliktpartei-
552en.
5532.)
554Darstellung des bestehenden Konflikts der Familien C und D
555Das soeben gezeichnete Bild der ostanatolischen Gesell-
556schaft ist in ihrer originären Form prägend für die
557dörfliche bäuerliche Lebensweise. Diese bestimmte somit
558die grundlegende Sozialisation in dem kleinen Dorf I,
559in dem alle drei Angeklagten geboren und
560anfangs auch aufgewachsen sind. Wie zurückgeblieben die
561Entwicklung dort war, zeigt sich daran, dass es in dem
562Dorf keine Schule gab, als D2 an sich hätte
563eingeschult werden sollen, sondern erst 1980, als er
564bereits neun Jahre alt war. Die Familie des D2 und
565D4 betrieb eine Landwirtschaft mit Schafhal-
566tung. Gleiches gilt auch für D3 Familie, und
567zwar sowohl während seiner Zeit, als er mit seiner Mut-
568ter noch im seinem Geburtsort lebte, wie auch später,
569als er bei seinem Vater und dessen zweiter Frau in ei-
570nem Nachbarort wohnte. Beide Familie gehörten zur Sippe
571der N2. In den umgebenden Dörfern wohnte eine weit
572größere Zahl von Angehörigen der Familien C, die
573sich der Sippe der B2 zurechneten. Der Clan der B2
574war nicht nur an Zahl größer, sondern wurde auch von
575den Familien der Angeklagten als beherrschend empfun-
576den. Insbesondere empfand man sich gegenüber den im
577Folgenden beschriebenen Übergriffen als ohnmächtig, da
578im dortigen Gebiet der staatliche Einfluss gering war
579und so der Staat nicht als funktionierende Ordnungsin-
580stanz angesehen wurde, aber auch, weil letztlich die
581außerstaatliche traditionelle Schlichtung den Konflikt
582beider Familien nicht beilegen konnte.
583Konflikte zwischen den Angehörigen der Familie der D
584und denen der C bestanden bereits vor 1990
585u.a. um die Nutzung von Weideflächen, die den D's
586gehörten, die aber im Bereich von Dörfern lagen, in de-
587nen nur Angehörige der Familien der B wohnten. Im
588Zuge dieser Auseinandersetzungen kam es zunächst mehr-
589fach zu Schlägereien. Die nachwachsenden Generationen
590wuchsen jeweils im Bewusstsein des zwischen beiden Fa-
591milien existenten latenten Konflikts auf, wobei die
592Mitglieder der C's sich ihrer nach Zahl und wirt-
593schaftlicher Potenz schwächeren Stellungen stets be-
594wusst waren. Es blieb aber nicht bei folgenlosen Aus-
595einandersetzungen. So sind nach unwiderlegt gebliebenen
596Angaben auch Familienangehörige der C's- so in den
59780-ger Jahren ein Onkel väterlicherseits, und 1994 in
598einer nahegelegenen Ortschaft ein D11 - unter
599nicht näher aufgeklärten Umständen erschossen worden.
600Ein weiterer Todesfall ereignete sich 1998, als ein
601Mitglied der Sippe der D von einem Mitglied der
602Familie C mit einem Traktor überfahren worden ist.
603Da das örtliche Oberhaupt der Familie C als Groß-
604grundbesitzer über maßgebenden Einfluss verfügte, sind
605sämtliche Übergriffe staatlicherseits stanktionslos ge-
606blieben. Gleichwohl haben die Angehörigen der Familie
607D nicht mit Rache reagiert. Da man wegen der perso-
608nellen wie wirtschaftlichen Übermacht der C dies
609als nicht erfolgversprechend ansah, versuchte man, Kon-
610flikten möglichst aus dem Wege zu gehen, oder suchte
611eine Beilegung unter Inanspruchnahme des traditionellen
612Schlichtungssystems. Dies führte dazu, dass man noch
613Ende der 90-er Jahre versuchte, den Konflikt der Fami-
614lien dadurch zu lösen, dass man wechselseitig "Cousinen
615austauschte", d.h. ein männliches Mitglied des jeweili-
616gen Clans ein Mädchen der jeweils anderen Familie hei-
617ratete. All dies verhinderte nicht, dass etwa 1998 ein
618Onkel der hier Angeklagten, D12, und ein weite-
619res Familienmitglied durch Angehörige der Familie C
620nach Auseinandersetzungen um Weiderechte entführt,
621eine Woche lang festgehalten und erst nach Zahlung von
622Lösegeld durch ihre Angehörigen wieder freigelassen
623wurden. Zu einer Verschärfung kam es dann im Jahre
6241999, als seitens der Familie C der Vorwurf erho-
625ben wurde, eines ihrer weiblichen Mitglieder, C5,
626sei von D13, einem Vetter der Angeklag-
627ten, vergewaltigt und geschwängert worden. Die Ausein-
628andersetzung verschärfte sich noch dadurch, dass von
629D13 in Abrede gestellt wurde, überhaupt mit dem
630Mädchen geschlafen zu haben und er sich nicht dazu be-
631reit fand, den weitergehenden Streit der Familien be-
632reits im Keim dadurch abzuwenden, dass er sich zu deren
633Heirat bereit fand. Jener bestand vielmehr auf dem
634Nachweis seiner Vaterschaft durch Blutgruppengutachten
635und erklärte sich hierzu auch bereit. Darauf ging die
636Familie C nicht ein; vielmehr verschwanden sowohl
637das Mädchen wie auch das geborene Kind später. Tatsäch-
638lich hat es die seitens der Familie C behaupteten
639Beziehungen nicht gegeben und ist D13 zu Un-
640recht der Beziehung zur unverheirateten C5
641beschuldigt worden. Die Ablehnung, die Vaterschaft an-
642zuerkennen und die zudem verweigerte Heirat durch C5,
643stellten gleichwohl für die Familie der B's
644eine gravierende Ehrverletzung dar, die - nach den Ge-
645setzen der Blutrache - mit Blut, d.h. nur mit dem Tode
646des Ehrverletzers oder zumindestens einem gleichrangi-
647gen Familienangehörigen der Familie D, getilgt wer-
648den konnte. Dies führte dann in der Folgezeit dazu,
649dass aus Angst vor Übergriffen der Familie C die
650Angehörigen der Familie D in der Osttürkei nicht
651nur die ihnen auf dem Gebiet der von den B's be-
652wohnten Nachbardörfern gelegenen Weiden nicht mehr
653nutzten, sondern ihre Dörfer rund 1 1/2 Jahre lang über-
654haupt nicht mehr verließen. Sie suchten nicht einmal
655die nahe Kreisstadt W auf, um dort einzukaufen,
656weil sie jederzeit mit der Ermordung durch Angehörige
657des gegnerischen Familienclans rechnen mussten. Es wur-
658de in der Folgezeit versucht zur Vermeidung von Blut-
659vergießen den Streit der Familien anderweitig zu
660schlichten. Dazu forderte man jedoch seitens der Fami-
661lie C neben einer Geldzahlung eine Blutverbindung
662durch Verheiratung einer damals 13-jährigen Cousine der
663Angeklagten mit einem Mitglied der Familie C. Dies
664lehnten die D's ab, weil als Ehemann der damals be-
665reits 56-jährige C6 ausersehen war. Die
666Forderung wurde von der Familie D auch schon des-
667halb abgelehnt, weil bereits das Ansinnen einer solchen
668Heirat auf Grund der Altersdifferenz sowie der Stellung
669des Mädchens als dritte Ehefrau einerseits sowie der
670Haltlosigkeit der Beschuldigungen andererseits als de-
671mütigend empfunden wurde. Die Annahme eines solchen An-
672gebots hätte das öffentliche Ansehen der Familie D
673noch weiter geschmälert. Nach dem Scheitern dieser
674Schlichtungsbemühungen kam es zu weiteren Übergriffen
675durch Mitglieder der Familie C auf Angehörige der
676D's. So überfielen am 09.11.2001 drei männliche Mit-
677glieder der Familie C, C7, C8 und C9, den Ort I.
678Sie waren mit drei Ka-
679laschnikows sowie Pistolen bewaffnet und zündete das
680Haus des D13 an. Anschließend vereitelten sie
681mit 46 Schüssen Löschversuche der Familie D, so
682dass hoher Sachschaden entstand. Eine Bestrafung der
683Täter unterblieb, weil seitens der C's ihre Betei-
684ligung der Wahrheit zuwider bestritten und als Verleum-
685dung der Familie D bezeichnet wurde. Wenige Tage
686vor der hier abzuurteilenden Tat - am 22.06.2002 - kam
687es dann doch zu einer vermeintlich friedlichen Beile-
688gung des Konflikts in der "Mädchensache". Seitens der
689D's wurden der Familie C - wie von ihr gefor-
690dert - vier Kalaschnikows übergeben. Daraufhin haben
691Mitglieder der Sippe der C's auf den Koran geschwo-
692ren, dass die Angelegenheit nunmehr erledigt sei. Tat-
693sächlich vertrauten die Mitglieder der Familie D
694darauf, dass nunmehr Frieden zwischen den Familien
695herrsche. So fuhren erstmals am Morgen des 24.06.2002
696wieder erwachsene Mitglieder der Familie D nach
697W, u.a. D9, der Onkel aller drei Ange-
698klagten und zugleich Schwiegervater des D3
699war. Dieser war, obschon jünger als der Vater der Ange-
700klagten D4 und D2 faktisch höchster Re-
701präsentant der Familie der D, weil er im hohen An-
702sehen nicht nur innerhalb des eigenen Clans stand, son-
703dern auch öffentlich wegen seiner Stellung als Streit-
704schlichter hoch geachtet wurde.
7053.)
706Einfluss der ethno-kulturellen Prägung und der beste-
707henden Familienfehde auf die einzelnen Angeklagten
708Die Angeklagten hatten in ihrer Jugend die Auseinander-
709setzungen zwischen der eigenen Familie und der der C's
710zwar mitbekommen. Diese waren damals jedoch noch
711nicht so ausgeprägt, wie in den späteren Jahren, als
712die Angeklagten bereits in W bzw. Istanbul beruf-
713lich Fuß gefasst hatten. Sie, als die nicht mehr auf
714dem Land lebenden Mitglieder des Clans der D's, er-
715lebten die Spannungen zwischen den Familien in unter-
716schiedlicher Weise, obwohl sie alle als in W bzw.
717Istanbul lebend unmittelbar selbst in die Auseinander-
718setzungen nicht involviert waren. Selbst zwischen den
719Brüdern D4 und D2 gab es insoweit deutli-
720che Unterschiede.
721Anders als sein jüngerer Bruder war D2 durch
722diese Auseinandersetzungen sehr geprägt. Als ältester
723Sohn des seit 1989 in Österreich arbeitenden Vaters
724blieb er nicht nur bis 1993 auf dem Lande, weil sich
725erst dann der Vater zum Verkauf seines Hofes entschlos-
726sen hatte. Vielmehr war er damals - in einem Alter von
72718 - 22 Jahren - gleichsam als Oberhaupt dieses Zweiges
728der Familie in die sich zunehmend zu verschärfende Aus-
729einandersetzung einbezogen. Von daher war ihm die Un-
730terlegenheit der eigenen Familie angesichts der Stärke
731des gegnerischen Familienverbandes bewusst, der sich
732nicht allein auf die größere Kopfzahl, sondern auch auf
733deren Einfluss auf staatliche Entscheidungsträger
734stützte. Auch nachdem er nach W übergesiedelt war,
735empfand er die Tatenlosigkeit der eigenen Großfamilie,
736die auf das ihr von der Gegenseite angetane Unrecht
737nicht reagierte, sondern stets hinnahm, zurückwich oder
738gar auf Geldforderungen der C's einging, als be-
739schämend. Zurück ging diese Reaktion auf Entscheidungen
740der älteren Familienvorstände, u.a. den Brüdern des Va-
741ters, denen er sich unterzuordnen hatte und dies auch
742tat. Entsprechend dem Selbstverständnis, dass wer auf
743Angriffe auf die eigene Familie nicht reagiert, in der
744Achtung der Öffentlichkeit herabsinkt, empfand er das
745permanente Zurückweichen als beschämend. Dies führte
746dazu, dass, als die Familie D auch auf die Entfüh-
747rung zweier Angehöriger im Jahre 1999 erneut nicht rea-
748gierte, sondern Geld für die Freilassung gezahlt wurde,
749er nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnahm. Er
750sah durch das Verhalten der Familie sein Ansehen in der
751Öffentlichkeit so geschmälert, dass er nicht mehr ins
752Cafe oder unter Leute ging. Allein dieser Ansehensver-
753lust, nicht eine irgend geartete Unterstützung der PKK
754oder darauf gegründete Verfolgung veranlassten ihn
755letztlich zur Flucht in die Bundesrepublik. Das durch
756seine Herkunft geprägte Denken wirkte auch während sei-
757nes Aufenthalts in Deutschland weiter. So tangierte es
758ihn in seinem Selbstverständnis, dass er hier als Asyl-
759bewerber ohne finanzielle Möglichkeiten lebte, während
760sein weit jüngerer Bruder beruflich erfolgreich tätig
761war. Auch litt er darunter, dass er in seiner Rolle als
762älterer Bruder nicht im gleichen Maße in seinen Ent-
763scheidungen uneingeschränkt respektiert wurde, wie es
764dem Verhalten in der Heimat entsprochen hätte. Obwohl
765die Brüder ihm letztlich "Respekt erwiesen"', haben sie
766sich, was in der Heimat undenkbar gewesen wäre, des Öf-
767teren über seine Vorgaben hinweggesetzt. So hat sein
768Bruder D4 seinem entgegenstehenden Wunsch nicht ent-
769sprochen, sondern gegen seinen Rat einen Mercedes CLK
770zum Preise von über 100.000,00 DM erworben. Auch sein
771Bruder D7 hat sich seiner Weisung, wo er zu arbeiten
772habe, zunächst widersetzt. Auch hinsichtlich seiner
773Stellung im Ansehen seiner Landsleute wurde D2
774Denken weiterhin durch die Normen seiner Heimat ge-
775prägt. Obwohl die Übersiedlung der Familie nach F
776sowie die Aufgabe der Arbeit durch Familienmitglieder
777auf seine Veranlassung hin als Reaktion auf die Ge-
778schehnisse in der Heimat um das Mädchen sowie die spä-
779tere Brandlegung erfolgen, empfand er dies als erneutes
780Zurückweichen, was ihn in seiner Ehre verletzte. Beein-
781trächtigt sah er dadurch sein Ansehen unter den hier
782lebenden kurdischen Landsleuten. Gleichwohl veranlasste
783er die hier lebenden Mitglieder seiner Familie dazu,
784erneut zurückzuweichen, weil er sich bewusst war, dass
785ein Zurückschlagen in Deutschland nicht nur strafbar
786ist, sondern hier jede Form von Rache als Vergeltung
787für das in der Heimat lebenden Angehörigen angetane Un-
788recht für falsch hielt.
789Stärker noch als D2 war D3 in dem ostana-
790tolischen Selbst- und Ehrverständnis verhaftet. Obschon
791er bereits mit 15 Jahren aus dem Dorf nach Istanbul ab-
792gewandert war und auch dort beruflich als Bäcker Fuß
793gefasst hatte, war er durch seinen soziokulturellen
794Hintergrund entscheidend geprägt. Dies beruhte nicht
795nur darauf, dass er bis zu seiner illegalen Einreise in
796die Bundesrepublik im Jahre 1997 während der Sommermo-
797nate im Dorfe lebte und bei der Arbeit half, sondern
798auch darauf, dass er lediglich zwei Jahre zur Schule
799gegangen ist. Insbesondere stand er noch fortwährend
800unter einem starken dörflichen Einfluss durch den engen
801Kontakt zu seinem Schwiegervater D9. Dieser
802hatte ihm als Kind und seiner Mutter nicht nur über-
803haupt ein Überleben ermöglicht und war ihm gleichsam
804zum Ersatzvater geworden, sondern war mehr noch nach
805seiner Heirat mit dessen Tochter ihm zum Leitbild ge-
806worden. Von daher bekam er die Auseinandersetzungen mit
807den C's während seiner Zeit in der Türkei trotz
808seiner räumlichen Entfernung nicht nur mit, sondern
809empfand die Ohnmacht der eigenen Sippe vor der Zahl und
810dem Einfluss der stärkeren C's. So brachte er auch
811die eigene Inhaftierung wegen vermeintlicher PKK-
812Unterstützung mit einer Denunziation durch einen zur
813Sippe der C's gehörenden Gruppen Großgrundbesitzer
814in Verbindung. Obschon auch er in Deutschland erkannt
815hatte, dass das System der Vergeltung die Gefahr stän-
816diger wechselseitiger Verfolgung und Unsicherheit für
817alle Beteiligten beinhaltet, lebte er auch hier in der
818Vorstellung, dass das System der Blutrache auch hier
819wirksam werden könnte. So befürchtete er insbesondere
820auch, dass die Geschehnisse in der
821"Mädchenangelegenheit" dazu führen könnten, dass die
822Sache "nach hier übersprang". Dies führte dazu, dass er
823sich bewaffnete, wobei er allerdings anders als D2
824die Waffe nicht stets bei sich trug, sondern in der
825Wohnung des D7, einem Bruder der Mitangeklag-
826ten, in F deponierte. Aber auch er hatte erkannt,
827dass das System der wechselseitigen Rache "nicht rich-
828tig ist".
829Im Gegensatz zu den beiden zuvor Genannten war der Mit-
830angeklagte D4 deutlich weniger durch die
831Strukturen seines ethno-kulturellen Hintergrundes ge-
832prägt. Dies beruhte zum einen darauf, dass er bereits
833seit 1989 als damals 13-jähriger in der Kreisstadt W
834lebte. Schon frühzeitig hatte er sich aus den engen
835Bindungen zu lösen gesucht. So war er mit 13 Jahren -
836wie bereits aufgezeigt - mit von seinem Onkel unter-
837schlagenen Geld nach Istanbul gefahren, um dort sein
838Glück zu machen. Obwohl er nach kurzer Zeit von hier
839wieder zurückkehrte, lebte er in W schon in jungen
840Jahren selbstständig und hatte mit 15 Jahren als Ge-
841schäftsmann bereits Fuß gefasst, und war trotz seines.
842damaligen Alters von nur 19 Jahren geachteter Ge-
843schäftsmann, als 1995 wegen seinen geschäftlichen Be-
844ziehungen zu örtlichen Gymnasiasten in den Ruf eines
845PKK-Unterstützers geriet, mehrfach inhaftiert wurde und
846deshalb dann 1995 illegal nach Deutschland ausreiste.
847Anders als etwa D3 machte er für seine Ver-
848haftung auch nicht den Einfluss der Familie C ver-
849antwortlich. Er erfasste die Bedeutung der Auseinander-
850setzung zwischen den Clans in der Türkei erst, als sein
851- zwischenzeitlich im Dezember 1999 nach Deutschland
852nachgereister - Bruder D2 nach Bekanntwerden
853der "Mädchenangelegenheit" die anderen männlichen Mit-
854glieder der Familie zur Aufgabe ihrer Arbeitsstelle in
855einer Bäckerei veranlasste und darauf hinwirkte, dass
856man sich von E, wo viele C's wohnten, nach
857F zurückzog. Anders als seine beiden Mitangeklagten
858sah er in den Vorkommnissen in seiner Heimat keinen An-
859lass, sich zu bewaffnen oder seine beruflichen Tätig-
860keiten einzuschränken. So arbeitete er durchgehend zu-
861nächst in der Bäckerei, deren Inhaber er war und zu-
862letzt in seinem Lebensmittelladen in E2. Dabei
863setzte er sich über Anweisungen seines älteren Bruders
864D2 hinweg und handelte dabei den Widerspruch
865zu den bereits aufgezeigten streng hierarchischen
866Selbstverständnis seiner Heimat. Insoweit wirkten sich
867hier sowohl das auf langjährigen beruflichen Erfolg zu-
868rückgehende Selbstbewusstsein sowie die Tatsache aus,
869dass er bereits seit 1996 in Deutschland lebte. Aller-
870dings wirkte seine soziale Herkunft auch in der Bundes-
871republik noch nach. So lehnte er sich - wie auch schon
872früher in der Türkei - bei Spannungen zwischen der ihm
873auf Grund seines wirtschaftlichen Erfolges zugewachse-
874nen Rolle und dem, was die kurdische Gesellschaft von
875ihm als jüngeren erwartete, nicht offen gegen gesell-
876schaftliche Forderungen auf. Vielmehr versuchte er sich
877im Familienverbund dem anzupassen, was dort erwartet
878wurde. Soweit er sich anders, als nach seiner Soziali-
879sation an sich geboten, verhielt, versuchte er dies
880möglichst heimlich oder sogar normkonform zu tun. So
881machte er sich bereits bei seiner Flucht mit seiner er-
882sten Ehefrau ein in der Heimat übliches Modell zur
883Überwindung des Widerstandes der Eltern des Partners zu
884Nutze. Auch hier in Deutschland versuchte er Übertre-
885tungen oder nicht normkonformes Verhalten nicht offen-
886bar werden zu lassen. So überging er die Aufforderung
887D2, sich nach der Mädchenangelegenheit beruflich
888nicht mehr zu betätigen, möglichst so, dass dieser sein
889Gesicht nicht verlor oder dies, so beim Erwerb des Mer-
890cedes zum Preise von über 100.000,00 DM, mit dem beruf-
891lichen Erfolg des Bruders erklären konnte.
892Die Regeln der Blutrache als Instrument zur Wiederher-
893stellung der Familienehre und die dafür gegebenen Grün-
894de waren ihm zwar immer noch wohlbekannt. Er wusste
895aber nicht nur um die Strafbarkeit so begründeter Ra-
896cheakte, sondern hielt solche auch für falsch und auch
897moralisch nicht für gerechtfertigt. Soweit er es in der
898Hand hatte, tat er alles, um nicht die eigene Familie
899in solche Auseinandersetzungen hineinzuziehen. So hatte
900er in der Auseinandersetzung mit seinem Schwiegervater
901E4, der ihm im Zuge einer Auseinandersetzung um
902seine - dessen Tochter E3 - verheimlichte
903frühere Heirat in der Türkei eine lebensgefährliche
904Verletzung beigebracht hatte, das damalige Geschehen
905auf sich beruhen lassen. Auch als ihm später von seinem
906ehemaligen Schwager E6 als Racheakt für das
907seiner Schwester Angetane das eigene neue Auto mutwil-
908lig vor einer Diskothek zerkratzt und hoher Schaden zu-
909gefügt wurde, hat er diesen Verdacht gegenüber der Fa-
910milie nicht ausgesprochen. Dies tat er, weil er be-
911fürchtete, dass anderenfalls sich die Familie zur Wie-
912derherstellung der Ehre zu einer Reaktion hätte heraus-
913gefordert fühlen können. Außerdem befürchtete er, dass
914er sich der Mitwirkung an einem Racheakt nicht hätte
915entziehen können. Der scheinbare Widerspruch, einer-
916seits Rache für verfehlt zu halten, andererseits
917gleichwohl sich der Forderung zur Mitwirkung nicht ent-
918ziehen zu können, findet seinen Grund darin, dass er in
919seinem Selbstverständnis noch von seiner Herkunft mit-
920geprägt war. So hatte er mit dem Familienbild und dem
921Selbstverständnis des Einzelnen im Verhältnis zur Fami-
922lie nicht gebrochen. Ihm kam es darauf an, sich. keines-
923falls außerhalb der Familie zu stellen, um nicht den
924Ausschluss aus ihr zu riskieren. Insoweit lebte er al-
925lenfalls vordergründig nach hiesigen Vorstellungen,
926während seine heimatliche Prägung jedenfalls für die
927Bedeutung der eigenen Familie für die eigene Existenz
928entscheidend blieb. Vor die Wahl gestellt, gegen an
929sich von ihm selbst als richtig erkannte staatliche
930hiesige Regeln zu verstoßen, oder eine Ausgrenzung aus
931der Familie zu riskieren, war für ihn klar, dass er
932sich für das ihm von der Familie abverlangte Verhalten
933entscheiden würde.
934B. Der Tattag - 24.06.2002 –
9351. Die Geschehnisse in der Osttürkei
936Im Vertrauen, dass man angesichts des zwei Tage zuvor
937zwischen den Familien geschlossenen und durch Eid auf
938den Koran bekräftigten Friedens nichts zu befürchten
939habe, begab sich der Onkel der Angeklagten, D9,
940der zugleich auch Schwiegervater von D3
941war, erstmals seit Jahren wieder nach W. Hier saß
942er in dem Cafe T, als er von C10, dem
943Bruder der in die Mädchenangelegenheit involvierten C5,
944gegen 7.30 Uhr zunächst mit zwei bis drei
945Schüssen niedergeschossen wurde. Als er nicht sofort
946tot war, schoss dieser auf Aufforderung seines Vater
947C6 das ganze restliche Magazin auf den
948am Boden liegenden leer. D9, der Vater des
949der Vergewaltigung von C5 zu Unrecht bezich-
950tigten D13 und führender Kopf der Familie, ver-
951starb noch am Tatort. Motiv des Schützen war die Wie-
952derherstellung der Familienehre der C's wegen der
953vorangegangenen ihm von seiner Schwester "gestandenen
954Vergewaltigung" sowie die anschließende Ablehnung der
955seitens der Familie daraufhin der Gegenseite angetrage-
956nen Heirat. Wegen dieser Tat wurde C10 zwi-
957schenzeitlich am 17.10.2002 von dem zuständigen Gericht
958in N/Türkei zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren
959und 2.362.194.205 Türkischen Lira Geldstrafe verur-
960teilt. Sein Vater wurde mangels Beweises freigespro-
961chen.
9622. Das Geschehen in der Bundesrepublik am Morgen des
963Tattages
964Die im Ruhrgebiet lebenden Angehörigen der Familien
965C und D wurden bereits kurz nach dem Gescheh-
966nissen in der Türkei über die dortigen Ereignisse tele-
967fonisch informiert.
968So erhielt der in E lebende Bruder des Täters in
969der Türkei, der Zeuge C11, noch am frühen
970Morgen einen Anruf, in dem ihm berichtet wurde, was
971dort geschehen war. Zu diesem Zeitpunkt hatte eines der
972späteren Opfer, der Nebenkläger C4, der nach
973E umziehen wollte und deshalb bei ihm übernach-
974tet hatte, um das Sozialamt in E aufzusuchen und
975die Ummeldung nach hier in die Wege zu leiten, bereits
976das Haus verlassen.
977Ebenfalls am Morgen während eines gemeinsamen Früh-
978stücks ging in der Wohnung des C12, der in
979der E- Nordstadt in der F2-straße XX wohnt,
980ein Anruf aus der Türkei ein, in dem man ihm von dem
981dort Geschehenen berichtete und zugleich C12
982mahnte "vorsichtig zu sein und sich zu schützen". Bei
983ihm hielten sich zu dieser Zeit die mit ihm über den
984Großvater väterlicherseits verwandten späteren Opfer,
985der an diesem Tage 27 Jahre alt gewordene C3
986und der gerade 21-jährige C2, auf. So er-
987fuhren auch diese von dem Geschehen in W.
988Ebenso wie die genannten Mitglieder der Familie C
989wurden auch die Angehörigen der Familie D bereits
990kurz nach den Geschehnissen in W telefonisch infor-
991miert. In einem Gespräch mit Familienmitgliedern
992- nicht D4 - wurde von D14, dem
993jüngeren Bruder des Vaters von D4und D2, auch
994gewarnt, um sich auf weitere Aktionen der Familie C
995einrichten zu können. D2 erreichte ein
996Anruf - zu Gunsten nimmt die Kammer an, dass es der Er-
997wähnte war - in der Wohnung seines Bruders D4, wo er
998übernachtet hatte kurz nach 9.00 Uhr vormittags. Er
999hielt sich zu dieser Zeit allein mit seinem jüngeren
1000Bruder D15 und seiner Schwägerin dort auf. D4
1001war bereits um 6.00 Uhr morgens aufgestanden und
1002hatte sich zum Großmarkt fahren lassen, um Waren für
1003den von ihm in E2 betriebenen Lebensmittelladen zu
1004erstehen. Einen Fahrer benötigte er zu dieser Zeit des-
1005halb, weil gerade ein 1-monatiges Fahrverbot wegen ei-
1006ner Verkehrsordnungswidrigkeit gegen ihn vollstreckt
1007wurde und er deshalb seinen Führerschein bei der Poli-
1008zei in F hatte hinterlegen müssen. Als er etwa ge-
1009gen 10.00 Uhr in E2 in seinem Lebensmittelgeschäft
1010ankam, erhielt er dort kurze Zeit später einen Anruf
1011seines Bruders D16, der ihm weinend von den
1012Vorfällen in der Heimat berichtet hatte. Er sprach so-
1013dann mit seinem Mitarbeiter C13 und kündigte
1014an, dass er "fortgehen müsse und etwa eine Woche lang
1015nicht wiederkomme". Dabei nahm er an, dass er diese
1016Zeit brauchen werde, um gemeinsam mit der Familie zu
1017trauern und die Beileidsbekundungen vieler Bekannter
1018entgegenzunehmen. Dass er schon zu diesem Zeitpunkt
1019daran dachte oder gar damit rechnete, dass er und seine
1020in Deutschland lebenden Angehörigen den Tod würden rä-
1021chen müssen, hat die Kammer nicht feststellen können.
1022D4 ließ sich von einem seiner Angestellten in
1023seinem erst ein Jahr alten Mercedes Benz CLK, amtliches
1024Kennzeichen X-XX XXXX, zu seiner eigenen Wohnung brin-
1025gen. Er glaubte auf Grund des Anrufs seines Bruders,
1026dass sich dort die Familie versammelt habe. Dies war
1027jedoch nicht der Fall. Als er zu Hause eintraf, teilte
1028ihm seine Frau mit, sein älterer Bruder D2 sei mit
1029D15 aufgeregt weggegangen. Daraufhin kehrte er zu
1030seinem Fahrzeug zurück und rief über Handy bei seinem
1031Vetter D3 an, der als Ältester mehrerer Brü-
1032der Oberhaupt eines anderen hier lebenden Zweiges der
1033Familie D war, um mit ihm abzustimmen, wo sich die
1034Familie treffe. D3 war zu dieser Zeit bereits von
1035D2 in C angerufen und über den Mord in der
1036Türkei informiert worden. Absprachegemäß war er nach
1037F gekommen und befand sich zusammen mit D2 be-
1038reits in der Wohnung des D7. Hier hatte er seine
1039Waffe, die er in der dortigen Wohnung deponiert hatte,
1040an sich genommen. Dies geschah, weil er – C3 - und
1041D2 als die beiden ältesten der hier wohnenden Zwei-
1042ge der Familie D entschieden hatten, dass ein wei-
1043teres Zurückweichen mit der Familienehre nicht verein-
1044bar sei. Während hierbei Triebfeder für D2 sein und
1045der Familie Ansehen in der "Öffentlichkeit" seiner hier
1046lebenden kurdischen Landsleute war, war dies für den in
1047seinem Denken durch seine ethno-kulturelle Herkunft
1048noch mehr geprägten D3 neben dem Gedanken der
1049gebotenen Wiederherstellung der Familienehre im Wesent-
1050lichen seine persönliche Betroffenheit, da ihm der Ge-
1051tötete D9 nicht nur Schwiegervater war, son-
1052dern für ihn die Vaterstelle eingenommen hatte. D2
1053und D3 hatten allein - und in Abwesenheit D4 –
1054bereits entschieden, die Sache selbst in die
1055Hand zu nehmen und Rache zu üben. Man wusste um die
1056zahlenmäßige Überlegenheit der C's nicht nur in der
1057Türkei, sondern auch in Deutschland. Man wusste, dass
1058viele ihrer Mitglieder in der E-Nordstadt
1059wohnten. Sie kamen daher überein, dass nur mit einem
1060Überraschungscoup sich sicherstellen lassen würde, er-
1061folgreich zuzuschlagen und sich dann unerkannt wieder
1062vom Tatort zu entfernen. Sie entschieden daher, dass
1063man zusammen mit D4 und dessen schnellen Mercedes
1064nach E fahren und sich dann an denjenigen, auf
1065die man dort zufällig treffe, rächen wollte. Die beiden
1066entschieden zudem, dass nicht länger abzuwarten, son-
1067dern sogleich zuzuschlagen sei. Deshalb veranlassten
1068sie auch die beiden jüngeren Brüder D7 und D15 aus
1069der Wohnung mit hinunterzugehen, um vor dem Haus auf
1070das Eintreffen des D4l zu warten. D3 führte als
1071Waffe eine halbautomatische Pistole der Marke
1072FM Modell 1910, Kaliber 7,65 Browning, mit sich. Gela-
1073den war diese mit Patronen der Hersteller Sellier & Be-
1074lot (Bodenprägung: 7,65 S & B) und Dynamit Nobel
1075(Bodenprägung 7,65 Geco und in einem Fall RWS 7,65).
1076Anders als die Munition der von D2 geführten halb-
1077automatischen Pistole, Marke Tokarew Modell TT 33, Ka-
1078liber 7,65, war der Anzündsatz der von D3
1079verschossenen Munition nicht quecksilber-fulminat-
1080haltig, so dass daraus verschossene Geschosse oder
1081Schmauch keine solchen Bestandteile aufweisen, sondern
1082wegen dessen Zusammensetzung des Zündsatzes bleirizi-
1083nathaltige Rückstände hinterlassen.
1084Die Entscheidung den Tod des Onkels hier in Deutschland
1085durch die Erschießung von Mitgliedern der Familie C
1086zu rächen, war somit wohl schon gefallen, bevor
1087D4 bei D3 anrief, jedenfalls aber, als er
1088vor dem Hause des D7 mit seinem Pkw eintraf. Dabei
1089handelt es sich um eine alleinige Entscheidung der bei-
1090den Angeklagten D3 und D2 ohne Beteiligung der
1091anderen jüngeren Familienmitglieder. Auch waren beide
1092schon entschlossen, C's niederzuschießen, um sie zu
1093töten. Nach beider Überzeugung schied von vornherein
1094aus, Rache nur durch Verprügeln oder "demonstratives
1095Niederschießen" etwa durch Schüsse in die Beine bei be-
1096wusster Vermeidung tödlicher Verletzungen zu üben. Dies
1097schied - ungeachtet der dann drohenden eigenen Gefähr-
1098dung angesichts der Vielzahl der in der E-
1099Nordstadt lebenden Angehörigen der Familie C -
1100nach beider Überzeugung ob des in der Türkei geschehe-
1101nen Mordes von vornherein aus. Dies tat es vor allem
1102deshalb, da man nach eigenem Empfinden durch das eigene
1103Zurückweichen nach den früheren Übergriffen der C's
1104diese nur zu weiteren Übergriffen ermutigt hatte. Hinzu
1105trat bei D3 als Motiv in besonderer Weise
1106auch die tiefe persönliche Betroffenheit, weil der Ge-
1107tötete nicht nur sein Schwiegervater war, sondern ihm
1108auch deshalb in besonderer Weise nahestand, weil er ihm
1109in seiner schweren Jugend beigestanden und ihm die ei-
1110gene Tochter zur Frau anvertraut hatte.
1111Als D4 mit seinem Mercedes vor dem Haus seines
1112Cousins D7 in der B- Straße XXX vorfuhr.,
1113standen D3 und D2 mit den beiden jüngeren Brü-
1114der D7und D15 bereits auf der Straße und warteten
1115auf das Fahrzeug. Alle stiegen bei ihm ein. D4l ging
1116- wie er sich unwiderlegt eingelassen hat - davon aus,
1117man werde nun zu ihm in die in der gleichen Straße ge-
1118legen Wohnung zurückfahren. Deshalb war er trotz des zu
1119dieser Zeit bestehenden Fahrverbots die kurze Strecke
1120von Haus Nr. XXX, wo er selbst mit seiner Familie wohn-
1121te, zu dem in der gleichen Straße liegenden Haus des .
1122Bruders, der in Haus Nr. XXX wohnte, gefahren. Daran,
1123dass man selbst hier in Deutschland etwa Rache nehmen
1124wollte, dachte er nicht. Er war sich zu diesem Zeit-
1125punkt zwar bewusst, dass nach dem Tod des D9 kurz
1126nach dem zuvor in Türkei geschlossenen Frieden "sicher
1127das vergossene Blut gerächt werde". Allerdings ging er
1128davon aus, dass dies in der Türkei geschehen werde.
1129Nachdem er sein Fahrzeug gewendet hatte und sich an-
1130schickte, in Richtung der eigenen Wohnung zu fahren,
1131wies ihn D2 oder D3 - wer von beiden konnte
1132nicht sicher festgestellt werden - an, nach E zu
1133fahren. Dies war für D4 überraschend, wohnte doch in
1134E keiner der engen Familienmitglieder, bei dem
1135man sich zum gemeinsamen trauern hätte versammeln kön-
1136nen, sondern lediglich ein namentlich unbekannt geblie-
1137bener Bekannter. D4 ahnte nun, dass D2 und D3
1138die Sache möglicherweise selbst in die Hand nehmen
1139könnten, um in Deutschland selbst Rache zu üben. Dies
1140hätte er selbst nicht getan; zum einen deshalb, weil er
1141das Leben nach den Grundsätzen der Blutrache für sich
1142selbst nicht wollte, zum anderen auch nicht, weil er
1143die eigene wirtschaftliche Existenz, die er sich in
1144Deutschland aufgebaut hatte, nicht gefährden wollte.
1145Gleichwohl sah er nun keine Möglichkeit, sich der An-
1146weisung, nach Dortmund zu fahren, zu widersetzen. Denn
1147mit einer solchen Entscheidung hätte er sich gegen die
1148Familie gestellt. Er befürchtete - was er unbedingt
1149vermeiden wollte - dann von dieser verstoßen zu werden.
1150Da das Geschehen nun in Gang gesetzt war und er phy-
1151sisch dabei war, gab es für ihn aus eigener Sicht kei-
1152nen Weg zurück, ohne das Gesicht vor der Familie zu
1153verlieren. Hätte er geahnt, dass sein Bruder und sein
1154älterer Vetter die Sache in Deutschland möglicherweise
1155in die Hand nehmen könnten, so hätte er, als er vom Ge-
1156schehen in der Türkei gehört hatte, nicht bei D3
1157angerufen. Vielmehr hätte er sich bei eingehenden Anru-
1158fen verleugnen lassen. Dann hätte er später ohne Ge-
1159sichtsverlust sagen können, er habe nichts mitbekommen
1160und sich so aus dem folgenden Geschehen heraushalten
1161können. Dieser Weg war nun, da er mit im Auto saß, für
1162ihn jedoch verschlossen. Auf der weiteren Fahrt nach
1163E telefonierten die beiden Mitangeklagten teil-
1164weise aus dem Auto. Dass man nun ganz offen über das in
1165E Geplante gesprochen und im Einzelnen Vorgaben
1166gemacht oder gemeinsam einen Plan entworfen hätte, hat
1167die Kammer nicht feststellen können. Jedoch wurde für
1168D4 während der Fahrt immer klarer, was in E
1169passieren würde. Aus den Äußerungen der beiden - teil-
1170weise auch im Rahmen der von ihnen geführten Tele-
1171fonate - wurde ihm nicht nur das Ausmaß ihres Rachebe-
1172dürfnis offenbarer. Er sah, dass beide jeweils sichtbar
1173ihre Waffen im Hosenbund trugen. Auch bekam er ein Te-
1174lefongespräch von D3 mit, dass dieser mit seinem
1175Bruder aus dem Auto heraus führte. Dabei lehnte D3
1176das Angebot des Bruders, ihn in C abzuholen und
1177mitzunehmen mit Hinweis darauf, dass dies nicht nötig
1178sei, ab. Damit schied nun für D4 auch die Mög-
1179lichkeit, dass die beiden Alteren in E mögli-
1180cherweise nur eine Schlägerei anzetteln wollten, wofür
1181bis dahin die Mitnahme der beiden jüngeren, wie er
1182selbst unbewaffneten, Brüder hätte sprechen können, si-
1183cher aus. Das D2 und D3 tatsächlich entschlos-
1184sen waren, selbst in E Rache zu üben und vorhat-
1185ten, in der E- Nordstadt lebende Mitglieder der
1186Familie C zutöten, war ihm vollständig klar, noch
1187ehe sie mit dem Auto E erreicht hatten. Dies war
1188spätestens der Fall, nachdem einer der beiden, ohne
1189dass der jeweils andere widersprochen hätte, das aus-
1190sprach, was bis dahin unausgesprochen allen im Auto vor
1191Augen stand - nämlich, "dass es gut sei, einen von den
1192Ehrlosen (dort) zu finden und zu erschießen". D4
1193widersprach dieser Äußerung weder im Auto, noch gab
1194er irgendwann später zu erkennen, dass er dieser An-
1195sicht nicht teilte. Er gab mit seinem Schweigen und
1196kommentarlosen Weiterfahren nach E vielmehr -
1197das war ihm auch bewusst - den beiden anderen zu ver-
1198stehen, dass er die Mordplanung billigte und bereit
1199war, daran auch mitzuwirken, um den Erfolg - die Tötung
1200der C's aus Rache - zu erreichen. Er war sich dabei
1201der Bedeutung seines Mitwirken für die Durchführung der
1202Tat ebenfalls bewusst; ohne ihn würde sich dieser Plan
1203nicht durchführen lassen. Nun, da er schon dabei war,
1204identifizierte er sich mit dem, was beide für die Fami-
1205lie als richtig empfanden. Er wollte alles in seiner
1206Macht tun, damit man insoweit auch erfolgreich sein
1207würde. Nun war ihm auch klar, warum er nach E
1208hatte fahren sollen. Dort, das wusste er, lebte eine
1209Vielzahl von Mitgliedern der Familie C in der
1210Nordstadt. Dass diese letztlich Ziel der Fahrt sein
1211sollte, war ihm so bewusst, noch bevor D4
1212E erreichte. D2 und D3 erkannten an sei-
1213ner Reaktion, dass D4 die ihm zugedachte für die
1214Tat unerläßliche Rolle übernehmen und an der Tatver-
1215wirklichung als eigene Tat: mitwirken würde. In E
1216fuhr er zunächst zu einem unbekannt geblichenen Bekann-
1217ten. In dessen Wohnung hielt man sich nur kurze Zeit
1218auf. Dann stiegen allein die drei Angeklagten wieder in
1219den von D4 gesteuerten Mercedes und fuhren in
1220Richtung E- Nordstadt. Die Kammer hat nicht
1221feststellen können, dass die beiden jüngeren Brüder D7
1222und D15 an dem folgenden Geschehen in ir-
1223gendeiner Weise mitgewirkt haben, insbesondere nicht
1224etwa dadurch, dass auch sie allein oder mit Dritten
1225ebenfalls in der Nordstadt auf der Suche nach C's
1226herumgefahren sind. Zu Gunsten aller drei Angeklagten
1227geht die Kammer davon aus, dass man sie in der Wohnung
1228zurückgelassen hat, um sie nicht auch noch mit in die
1229Sache hineinzuziehen.
1230Während die drei Angeklagten so um die Mittagszeit in
1231Richtung der E- Nordstadt unterwegs waren, um
1232dort nach beliebigen Mitgliedern der Familie C zu
1233suchen, hielten sich tatsächlich viele Mitglieder der
1234Sippe zu dieser Zeit auf den Straßen E- Nord-
1235stadt auf. Dies taten sie, obschon sie zumeist bereits
1236von dem morgendlichen Geschehen in der Türkei Kenntnis
1237erlangt hatten. So hatte etwa der Bruder des Mörders in
1238der Türkei, der Zeuge C11, etwa am Mittag
1239seine Wohnung verlassen und befand sich in einem Ein-
1240kaufsmarkt der Firma Q unweit des E- Nord-
1241markts. Er tat dies, obschon er nach eigenen Worten,
1242"wenn er in der Türkei gewesen wäre, sein Dorf aus
1243Angst vor Rache nicht verlassen hätte." Etwa zur glei-
1244chen Zeit hatten sich die späteren Opfer C2 und C3
1245aufgemacht, um sich zu dem E- An-
1246walt Dr. U2 zu begeben. Dort hatten sie am Morgen
1247angerufen und ihr Kommen angekündigt. C3 war erst
1248am voraufgegangenen Freitag aus der Abschiebehaft ent-
1249lassen worden und wollte sich in seiner Asylangelegen-
1250heit beraten lassen. C2 sollte ihn auf Grund seiner
1251besseren Deutschkenntnisse begleiten und für ihn über-
1252setzen. Obschon sie am Morgen bereits beim Frühstück
1253von den Geschehnissen in der Türkei gehört hatten, gab
1254es für sie keinen Grund, davon Abstand zu nehmen, dach-
1255ten sie doch nicht im Entferntesten daran, dass ihnen
1256hier etwas passieren würde. Vor dem Eingang der Wohnung
1257des C12 in der F2-straße XX stießen sie auf
1258den Zeugen C13, einen weiteren Verwandten.
1259Dieser erfuhr von ihnen von den Ereignissen des Morgens
1260und ihrem Vorhaben in die Innenstadt zu gehen. Er ent-
1261schloss sich, da er sowieso nichts anderes vorhatte,
1262sie zu begleiten. Hier oder als man sich bereits kurze
1263Zeit auf dem Weg Richtung Nordmarkt befand, gesellte
1264sich zu ihnen der Nebenkläger C4. Dieser hatte
1265am Morgen das Sozialamt besucht und auch eine Einrich-
1266tung, bei der er einen Sprachkurs belegen sollte. Er
1267hatte vor an diesem Tage noch bei seiner Krankenkasse
1268vorzusprechen, meinte jedoch dies wegen seiner mangeln-
1269den Sprachkenntnisse nicht allein zu können und hatte
1270als Übersetzungshelfer C2 ausersehen. Jener
1271erklärte sich auf Nachfragen auch bereit ihm zu helfen,
1272erklärte aber, dass er erst noch zu Rechtsanwalt
1273Dr. U2 müsse. Dieser hat seine Kanzleiräume auf dem
1274Q2-weg in der Fußgängerzone der E- Innen-
1275stadt. Man machte sich nun gemeinsam auf den Weg dort-
1276hin, überquerte von der F2-straße her kommend in Höhe
1277des Nordmarkts die N4-straße und bog von dort
1278in die M-straße - immer in Richtung Innenstadt gehend
1279- ab. Hier erreichte C13 ein Anruf, weshalb
1280er zurückblieb, um zu telefonieren. Die drei Übrigen
1281setzten ihren Weg die M-straße entlang, auf der lin-
1282ken der beiden Bürgersteige gehend, fort. Sie passier-
1283ten eine kleinere Seitenstraße und hatten keinerlei
1284Argwohn, dass ihnen hier und jetzt etwa etwas auf Grund
1285der morgendlichen Geschehnisse in der Türkei passieren
1286könnte. Sie befanden sich auf der M-straße nördlich
1287der Kreuzung I-straße, als sie von den Angeklagten,
1288die die M-straße in Nord-Süd-Richtung herunterfuhren,
1289gesehen und als Angehörige der Sippe der C's er-
1290kannt wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatte C13
1291sein Telefonat zwar beendet. Er hatte aber noch nicht
1292wieder zu ihnen aufgeschlossen und befand sich noch
1293weit hinter ihnen. Die M-straße selbst ist in diesem
1294Bereich zweispurig. Vor dem Bürgersteig befinden sich
1295beidseitig jeweils Parktaschen, in denen die Fahrzeuge
1296quer zur Fahrbahn parken können. Aufgelockert wird al-
1297les dadurch, dass anstelle von Parktaschen beidseits
1298der Straßen auch Bäume gepflanzt sind. Der Gehweg zwi-
1299schen den Parktaschen und der in geschlossener Bauweise
1300sich daran anschließenden mehrgeschossigen Bebauung ist
1301mindestens 2 m breit. Dort, wo Bäume gepflanzt sind
1302oder sich Einfahrten befinden, ist der Bürgersteig etwa
1303doppelt so breit; dies deshalb, weil die Parktaschen
1304hier im Rahmen der Verkehrsberuhigung erst nachträglich
1305eingerichtet worden und die Parkflächen auf beiden Sei-
1306ten jeweils teilweise in den asphaltierten Teil des al-
1307ten Straßenkörpers hineinreichen. In den Erdgeschossen
1308der im nördlich der Einmündung I-straße gelegenen
1309Teil der M-straße stehenden Häuser befinden sich
1310Gaststätten, Kioske oder kleinere Ladengeschäfte. Dies
1311ist auf beiden Straßenseiten sowohl unter- wie oberhalb
1312des Hauses M-straße XX - dem späteren Tatort - der
1313Fall.
1314Als die Angeklagten mit ihrem Fahrzeug durch die M-
1315straße fuhren, hatten sie deren Charakter als Ge-
1316schäftsstraße erkannt. Sie hatten auch wahrgenommen,
1317dass trotz der Mittagszeit an diesem heißen Junitage
1318neben den Mitgliedern der Familie C dort noch an-
1319dere Menschen unterwegs waren. Erkannt hatten die Ange-
1320klagten D2 und D3 die Mitglieder der Fa-
1321milie C, weil sie sie anlässlich der einige Jahre
1322zurückliegenden Hochzeitsfeier kennengelernt hatten.
1323Damals hatten - wie bereits erwähnt - Männer beider Fa-
1324milien wechselseitig jeweils Cousinen der anderen Fami-
1325lie geheiratet, um so die Streitigkeiten der Familien
1326durch Herstellung einer Blutverbindung auf Dauer beile-
1327gen zu können.
13283.) Das eigentliche Tatgeschehen
1329Als D3 oder D2 die späteren Opfer erkann-
1330ten, veranlassten sie D4 nicht sofort den Wa-
1331gen anzuhalten. D2 gab vielmehr seinem Bruder D4
1332die Anweisung, noch bis zur nächsten Ecke zu fahren,
1333und dort nach links abzubiegen, um dann dort anzuhal-
1334ten. Dies tat D4 auch, weil er erkannt hatte, was
1335sein Bruder vorhatte; nämlich das man so ungesehen sich
1336den Opfern würde nähern können. Entsprechend bog er an
1337der nächsten Ecke in die I-straße ab. Dort hielt er
1338das Fahrzeug so am Straßenrand an, dass es von der
1339M-straße aus nicht vor Erreichen des Kreuzungsberei-
1340ches zu sehen war. Nach links bog D4 ab, weil die
1341C's den auf der linken Seite der M-straße gelege-
1342nen Bürgersteig benutzten und Richtung Süden gingen.
1343Sie waren noch so weit von der Ecke M-stra-
1344ße/I-straße entfernt, dass man sie noch vor Errei-
1345chen der Ecke I-straße würde überraschen können,
1346wenn man unmittelbar nach Erreichen der I-straße
1347parken und dann aussteigen würde. So wollten sie si-
1348cherstellen, dass sie von der Ecke I-straße kommend
1349den C's auf deren Bürgersteig unvermittelt gegen-
1350überstehen, sie so überraschen und ihnen damit jedwede
1351Möglichkeit zur Flucht oder gar Gegenwehr nehmen. Dies
1352hatte nicht nur D2 beabsichtigt, als er die Anwei-
1353sung gab, links abzubiegen und dort anzuhalten, sondern
1354alle anderen hatten seine Anweisung - ohne dass es noch
1355eines weiteren Wortes der Absprache bedurft hätte -
1356verstanden, dass sie so ihr gemeinsames Vorhaben über-
1357raschend zuzuschlagen und dann zu fliehen, optimal in
1358die Tat würden umsetzen können. Alle drei Angeklagten
1359verließen das Fahrzeug und eilten die wenigen Meter zur
1360Ecke I-straße/M-straße zurück, um zur Ecke zu ge-
1361langen, noch ehe die C's ihrerseits in den Eckbe-
1362reich gelangt waren.
1363Zu diesem Zeitpunkt stellte sich die Lage an der Ecke
1364M-straße/I-straße wie folgt dar: Aus Richtung I-straße
1365aus gesehen befand sich auf der Straßensei-
1366te, auf der sich die späteren Opfer näherten, an der
1367Ecke die Räume der Gaststätte H3 sowie rund 19 m von
1368der Ecke aus gemessen eine Hofeinfahrt, die zudem zu
1369dieser Gaststätte gehörenden Biergarten führt. An ein
1370kurzes Mauerstück zwischen der Gaststätte und dem Nach-
1371barhaus schließt sich die Haustür des Nachbarhauses und
1372daran anschließend die Schaufensterfront eines Compu-
1373teran- und -verkaufsgeschäfts an. Nördlich folgt dann
1374ein weiteres Restaurant sowie ein Ladenlokal. Vor dem
1375Computergeschäft stand in der Parktasche ein offener
1376Fahrzeuganhänger, etwa in Höhe der beschriebenen Haus-
1377tür. Nördlich von dem Hänger - in Höhe der Fensterfront
1378selbst - stand ein mit Front zu den Häusern geparkter
1379Pkw, Typ Suzuki (amtliches Kennzeichen XX-XX XXXX). Vor
1380dem Ladenlokal auf dem Bürgersteig hielt sich zu dieser
1381Zeit der Nebenkläger, der Zeuge L, der im Be-
1382reich des Eingangs des Ladengeschäfts und des Treppen-
1383hauses Reinigungsarbeiten gerade beendet hatte, auf.
1384Dieser unterhielt sich mit dem Zeugen L2. Auf
1385der anderen, der westlichen Straßenseite, war die eben-
1386falls an der Ecke I-straße/M-straße gelegene
1387Gastwirtschaft namens I³ bereits geöffnet.
1388In ihr befanden sich als Gast der Zeuge I 4 sowie
1389die Wirtin, die Zeugin L3l. Das zur M-straße hin
1390gelegene Fenster, das sich in Höhe der Verlängerung der
1391Theke befand, war wegen der Hitze ganz geöffnet und gab
1392den Blick auf die Straße frei. Die Zeugin L3 saß
1393an der Stirnseite der Theke mit Blickrichtung zum Fen-
1394ster und zur Straße und hatte so durch das offene Fen-
1395ster die gegenüberliegende Straße im Blick. Sie schaute
1396jedoch nicht hinaus, sondern unterhielt sich mit dem
1397Zeugen I 4.
1398In dem nördlich der Gaststätte gelegenen Nachbarhaus
1399- M-straße XX- befindet sich der Kiosk der Familie
1400N5. Der der Familie gehörende Mercedes mit dem amt-
1401lichen Kennzeichen XX-XX XXXX stand auf der gleichen
1402Seite zu einer Parktasche. Diese befand sich etwas
1403oberhalb der gegenüberliegenden Einfahrt zum Biergar-
1404ten. Dabei stand das Fahrzeug mit seiner Front zur
1405Fahrbahn hin. Oberhalb von ihm parkte mit Front zu den
1406Häusern ein Golf mit dem amtlichen Kennzeichen
1407XX-XX XXXX. Die Mitglieder der Familie N5 waren da-
1408bei, den Mercedes zu reinigen. Dabei stand der Vater an
1409der Beifahrerseite, die erst 11-jährige Tochter N6
1410stand hinter dem Fahrzeug und säuberte den Kof-
1411ferraum. Die Mutter, die Zeugin N7, stand ne-
1412ben der geöffneten Fahrertür aufrecht und war ebenfalls
1413mit Reinigungsarbeiten beschäftigt, hatte jedoch freien
1414Blick auf die gegenüberliegende Seite. In dem nördlich
1415des sich an den Kiosk anschließenden "Grill" hielt sich
1416zu dieser Zeit der Zeuge I 5r auf. Angesichts der
1417warmen Witterung waren in den umliegenden Häusern die
1418zur Straße hin gelegenen Fenster teilweise geöffnet,
1419ohne dass hat festgestellt werden können, dass das
1420nachfolgend geschilderte Geschehen von dort aus tat- .
1421sächlich beobachtet worden ist.
1422Als die Angeklagten die kurze Strecke von ihrem Merce-
1423des hin zur Ecke der I-straße/M-straße zurückge-
1424legt hatten, hatten die Angeklagten D2 und D3
1425ihre Pistolen gezogen und hielten diese schussbe-
1426reit. Wie von ihnen erhofft, hatten die C's die Ek-
1427ke zur I-straße noch nicht erreicht, als die Ange-
1428klagten an die Ecke gelangt waren. Als sie nun um die
1429Ecke bogen, ging D3 rechts, D2 in der Mitte und
1430D4l links. Sie befanden sich etwa auf gleicher Höhe,
1431wobei D4 sich ein wenig nach links versetzt hinter
1432ihnen hielt. Als sie so um die Ecke kamen, befanden
1433sich drei Mitglieder der Familie C – C4, C2
1434und C3 - nur wenige Meter oberhalb der Einmün-
1435dung. Die Entfernung betrug nur wenige Schritte, keine
14365 m. Als die C's sie erkannten und ihre Waffe sa-
1437hen, versuchten sie noch, sich umzudrehen und zu flie-
1438hen. Der Zeuge C13 hatte seine Angehörigen
1439auch jetzt noch nicht erreicht, sondern befand sich
1440nördlich von den Zeugen L2 und L. Oh-
1441ne dass die unbewaffneten Mitglieder der Familie C
1442noch hätten reagieren können, fielen die ersten Schüs-
1443se, die zeitgleich mit Rufen und Schreien zu hören wa-
1444ren. Die Kammer hat im Einzelnen nicht feststellen kön-
1445nen, wer was gerufen hat. Die Opfer brachen nicht auf
1446der Stelle zusammen, sondern konnten noch in Richtung
1447Norden weglaufen. Der Nebenkläger und Zeuge C4
1448lief aus Sicht der Täter zur Fahrbahn, wo er parallel
1449zur Straße nach wenigen Metern, nicht weit von der Ecke
1450in der Höhe des ersten Straßenbaumes, zusammenbrach.
1451C3 versuchte, den Kugeln durch Flucht auf
1452dem Gehweg zurück in Richtung Norden zu entkommen,
1453brach dann aber in Höhe der Einfahrt zum Biergarten auf
1454dem Gehweg getroffen zusammen. C2 gelang es
1455noch ein wenig weiter zu laufen. Er erreichte die Stra-
1456ße und brach dort, mitten auf der M-straße etwas
1457nördlich von dem Pkw der Familie N5, ebenfalls ge-
1458troffen, zusammen. D3 und D2 schossen
1459hinter den Fliehenden her, wobei sie zunächst aus dem
1460Stand, unmittelbar an der Ecke stehend, feuerten. Spä-
1461ter lief dann zumindest D3 ein wenig hinter
1462den Fliehenden her und feuerte von dort weiter. Während
1463D3 noch schoss, hielt D2 die Waffe auf den am
1464Boden liegenden Nebenkläger C4 gerichtet, ohne
1465dass aber festgestellt werden konnte, dass er nun aus
1466nächster Nähe nochmals geschossen hätte. Auch hinsicht-
1467lich der übrigen Schüsse hat nicht festgestellt werden
1468können, dass ein Schuss aus nächster Nähe gleichsam als
1469"Fangschuss" zur sicheren Liquidierung abgefeuert wor-
1470den wäre. Wie von allen Angeklagten beabsichtigt, tra-
1471fen die Schüsse die Fliehenden. Während C2 und C3
1472wie beabsichtigt tödlich getroffen wurden und
1473noch am Tatort verstorben, wurde dieses Ziel beim Drit-
1474ten, dem Nebenkläger C4, verfehlt. Dieser wur-
1475de allerdings lebensgefährlich verletzt. Darüber hinaus
1476wurden aber nicht nur diese, sondern wie von allen An-
1477geklagten vorausgesehen und als mögliche Folge auch
1478billigend in Kauf genommen, weitere Personen durch
1479fehlgehende Schüsse verletzt oder erheblich gefährdet.
1480Getroffen wurde der Nebenkläger L. Dabei traf
1481ihn die erste Kugel ins Bein, so dass er zusammenbrach.
1482Dann trafen ihn - nicht ausschließbar erst als er am
1483Boden lag - zwei weitere fehlgegangene Schüsse der An-
1484geklagten in Ober- und Unterarm. Hinsichtlich dieser
1485Schüsse hat die Kammer nicht feststellen können, dass
1486die Angeklagten nicht nur eine Verletzung durch fehlge-
1487hende Geschosse sondern auch den Tod von Passanten bil-
1488ligend in Kauf genommen haben.
1489Weitere Geschosse schlugen u.a. in Hüfthöhe in die Wand
1490zwischen Biergarteneinfahrt und Computergeschäft, zwei
1491Geschosse in der Schaufensterscheibe des Computerge-
1492schäfts ein. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden,
1493dass einer der letztgenannten Treffer zunächst die Be-
1494schädigung an der Mauer verursacht hat. Eine weitere
1495Kugel schlug im linken Vorderreifen des geparkten wei-
1496ßen Suzuki ein, hinter den sich der Zeuge L2
1497durch einen Sprung geflüchtet hatte. Ein weiterer auf
1498einen der Fliehenden gezielter Schuss verfehlte diesen
1499und schlug unmittelbar vor der, wie erstarrt an der
1500Fahrtür stehengebliebene Zeugin N7, 40 cm vor
1501der Frontscheibe auf der Fahrerseite des Kühlers des
1502Mercedes ein. Von dort wurde es nach oben noch weiter
1503in ihre Richtung abgelenkt, verfehlte sie knapp und
1504schlug nur wenig hinter ihr, oberhalb der Regenrinne
1505des geparkten Golfs ein und wurde von dort noch weiter
1506nach oben an einen Mauervorsprung abgelenkt.
1507Neben den genannten Geschossen wurde eines, dass keinen
1508Schaden angerichtet hat, etwa 100 m nördlich vom Tatort
1509- auf der M-straße liegend - später sichergestellt.
1510Die Angeklagten D2 und D3 schossen, bis
1511ihre jeweils neun Patronen fassenden Magazine leer wa-
1512ren. Hinsichtlich beider konnte festgestellt werden,
1513dass sie jeweils mindestens siebenmal auf bzw. hinter
1514den drei Mitgliedern der Familie C herschossen.
1515Die Geschosshülsen der aus der von D3 geführ-
1516ten Pistole, Marke FN Modell 1910, verschossenen Muni-
1517tion, die Geschosshülsenprägungen mit den Bezeichnun-
1518gen 7,65 Geco, Browning oder RWS" aufwiesen, fanden
1519sich später überwiegend - in Blickrichtung der Ange-
1520klagte gesehen - auf der rechten Seite des Bürgerstei-
1521ges nördlich des Eingangs zur Gaststätte H3, zwei
1522jedoch mehrere Meter weiter nördlich in Höhe des dort
1523vor dem Eingang zum Biergarten geparkten Pkw.
1524Die Hülsen aus der von D2 verwendeten To-
1525karew, Modell TT 33, Kaliber 7,62 mit der Hülsenboden-
1526prägung "85 TT" fanden sich sowohl am Straßenrand im
1527Kreuzungsbereich M-/I-straße sowie wenige Meter
1528nördlich davon in Höhe des ersten Straßenbaumes.
1529Neben den bereits beschriebenen drei Mitgliedern der
1530Familie N5, dem Nebenkläger L sowie den
1531Zeugen L2 und L3 hatten auch aus weiterer
1532Entfernung der Zeuge C13 und der etwa 100 m
1533vom Tatort entfernt mit seinem Handy vor einer Teestube
1534telefonierende Zeuge C14 das Geschehen ganz oder
1535teilweise gesehen. Andere Zeugen sind erst durch die
1536Schüsse auf das Geschehen aufmerksam geworden und mach-
1537ten ihre Beobachtungen erst während der Flucht der Tä-
1538ter.
1539Der Angeklagte D4 blieb während der Schüsse
1540seiner Mittäter zunächst ebenfalls an der Ecke um ein-
1541greifen zu können, wenn die anderen - etwa im Falle ei-
1542ner Verletzung - Hilfe gebraucht hätten. Zu diesem
1543Zwecke und auch um seine Identifikation mit der Tat
1544deutlich zu machen, war er,obschon er selbst unbewaff-
1545net war, mit den beiden Bewaffneten zur Ecke gegangen.
1546Nachdem er erkannt hatte, dass die C's sofort flo-
1547hen und keine Gegenwehr von ihnen oder Passanten geübt
1548wurde und das Schießen auch aufgehört hatte, wandte er
1549sich um und lief zum Fahrzeug zurück. Ihm folgten seine
1550Mittäter unmittelbar. Sie wurden als drei hintereinan-
1551der vom Tatort zusammen weglaufende Täter u.a. auch von
1552den Zeugen X2, K, T2n, I 5 und I 4gesehen.
1553Sie waren auf Grund der Schüsse auf das Ge-
1554schehen aufmerksam gemacht worden und eilten ihnen
1555teils hinterher, teils machten sie ihre Beobachtungen
1556als Passanten auf der I-straße aus anliegenden Woh-
1557nungen bzw. Hofeinfahrten. Sie beobachteten u.a., wie
1558die Angeklagten von der M-straße kommend mit teilwei-
1559se noch offen getragener Waffe den Mercedes erreichten.
1560Dort stiegen sie in das Fahrzeug, dessen Türen D4
1561bei Annäherung mit einer Fernbedienung geöffnet
1562hatte, und fuhren mit dem erneut von D4 ge-
1563steuerten Pkw davon. Aus Angst, dass das Kennzeichen
1564hätte notiert worden sein können, entschlossen sich die
1565Angeklagten, den Mercedes unweit des Tatorts abzustel-
1566len. So fuhr D4 nur die I-straße bis zu der das
1567Wohnviertel begrenzenden C-straße - einer der aus
1568E nach Norden herausführenden großen Ausfall-
1569straßen -, fuhr dann auf der jenseitigen Seite der
1570C-straße die I-straße weiter, tiefer hinein in
1571das nächste Viertel. Hier bog er in eine kleinere Sei-
1572tenstraße ein und ließ den Wagen dann nach nochmaligen
1573Abbiegen in einer weiteren Seitenstraße, der E-straße,
1574stehen. Spätestens jetzt entschieden sie, wenn
1575möglich ihre weitere Flucht mit Hilfe des Zeugen H,
1576einem Freund und ehemaligen Geschäftspartner des
1577D4, zu bewerkstelligen. Von diesem wusste
1578D4, dass er im Rahmen seiner täglichen Tour
1579Auslieferungsfahrten auch zu im Norden von E ge-
1580legenen Geschäften, durchgeführt. Nachdem er ihn über
1581das Handy erreichte, hörte, dass er sich im E-
1582Norden befand und auch sein Kommen zusagte, sprachen
1583die Angeklagten spätestens jetzt ihr weiteres Vorgehen
1584ab. Man kam überein, sich zu trennen. Während D4
1585sich nach E2 unmittelbar von dem Zeugen H zu-
1586rückbringen lassen sollte, um dort vorzugeben, die bei-
1587den anderen hätten sich ohne sein Wissen die Schlüssel
1588zum Mercedes von seiner Frau aushändigen lassen, soll-
1589ten sich die beiden anderen zur Wohnung des Zeugen H
1590begeben. Sie sollten auf dessen Rückkehr warten, um
1591sich dann mit seiner Hilfe sofort ins Ausland - nach
1592Holland - abzusetzen. D4 sollte so die Möglichkeit
1593gegeben werden, zumindest noch seine Geschäfte abzuwik-
1594keln, den Laden zu verkaufen oder ggf. sogar ganz
1595unbehelligt von strafrechtlicher Verfolgung hier in
1596Deutschland zu bleiben. Entsprechend dieser Planung be-
1597gaben sich in dem D2 und C3 zur Wohnung
1598des Zeugen H, die sich in dem an der östlichen
1599Stadtgrenze E's gelegenen Ortsteil X3 in der
1600H2-straße befindet.
1601Der Zeuge H erschien kurze Zeit später an dem mit
1602ihm vereinbarten Treffpunkt an der P- Stra-
1603ße, die sich nur wenige Straßen vom Abstellort des Mer-
1604cedes entfernt befindet. Er nahm D4 auf und brachte
1605ihn nach E2. Während der Fahrt erreichte sie ein
1606Anruf D2, der mitteilte, dass sie in H's
1607Wohnung eingetroffen seien und dort auf ihn warteten.
1608Er sagte auch zu, D4 Verwandte zumindest bis in die
1609Nähe von L zu bringen, wo in H2 wei-
1610tere Angehörige lebten. Der Zeuge hatte zwar auf Grund
1611des Blaulichts und der bereits erfolgten Straßenabsper-
1612rungen, die er auf dem Wege zum Treffpunkt mit D4
1613wahrgenommen hatte, eine Ahnung, dass dieser und seine
1614Verwandten etwas mit der Sache zu tun haben könnten. Er
1615sprach D4 jedoch darauf nicht an und unterließ
1616weitere Nachfragen auch als er in seiner Wohnung zurück
1617war, da D2 und D3 ihm auf seine Fragen
1618schlicht mitteilten, "sie hätten sich mit jemanden ge-
1619stritten" . Wunschgemäß fuhr er sie in Richtung L, wo
1620das Fahrzeug in Höhe von Leverkusen Richtung Köln/
1621Frankfurt fahrend auf einem Parkplatz angehalten und
1622die Insassen gegen 18.45 Uhr, ohne Widerstand geleistet
1623zu haben, festgenommen wurden.
1624Unterdessen hatte sich D4, als er nach E2
1625zurückgekehrt war, zunächst in sein Ladenlokal begeben
1626und dann den Zeugen E7, der neben seinem Laden
1627ein Restaurant mit Hotelbetrieb besitzt, aufgesucht und
1628mit ihm zusammen Kaffee getrunken. Er berichtete ihm
1629davon, dass ein Onkel in der Türkei ermordet worden sei
1630und er deshalb wohl wieder in die Türkei zurückgehen
1631werde. Er bot ihm an, seinen Laden zu übernehmen, wobei
1632er sich auf ein bereits früher geführtes Gespräche be-
1633zog, in dem beide schon einmal über die mögliche Abgabe
1634des Ladens gesprochen hatten. Etwas später, kurz nach
163517.00 Uhr, D4 war zwischenzeitlich wieder in
1636seinen Laden zurückgekehrt, bat er den Zeugen H zu
1637ihm ins Lebensmittelgeschäft zu kommen. Er gab vor ei-
1638nen Anruf seiner Frau erhalten zu haben. Diese habe ihm
1639geschildert, seine Brüder hätten sich die Schlüssel für
1640seinen Mercedes besorgt und "irgendwie Scheiße gebaut".
1641Er erläuterte weiter, dass seine Frau ihm gesagt habe,
1642der Wagen stehe jetzt in E. Er bat ihn, für ihn
1643bei der Polizei anzurufen, weil er doch besser Deutsch
1644spreche als er und der Polizei all dies mitzuteilen.
1645Der Zeuge E7 rief so gegen 18.00 Uhr erstmals in
1646E bei der Polizei an, um sich, wie es abgespro-
1647chen war, nach dem Verbleib des Mercedes zu erkundigen.
1648Dort war man wegen des Anrufes sehr erstaunt; dies noch
1649mehr, als der Zeuge E7 auf Nachfrage mitteilte,
1650dass D4 neben ihm stehe. Da von Zeugen das
1651Fluchtfahrzeug als dunklen Mercedes oder BMW mit F
1652Kennzeichen geschildert worden war, hatte man nach
1653diesem gefahndet und das Fahrzeug bereits gegen
165413.30 Uhr an seinem Abstellort aufgefunden und sodann
1655die Fahndung nach dessen Halter, dem Angeklagten D4,
1656eingeleitet. Dem Zeugen E7 wurde zugesagt,
1657kurzfristig eine Polizeistreife zur Klärung vorbeizu-
1658schicken. Auf Grund der Brisanz der Meldung entschied
1659man sich seitens der Polizei zur Sicherstellung einer
1660reibungslosen Festnahme zunächst weitere Kräfte anzu-
1661fordern. So kam es, dass in E2 auch nach geraumer
1662Zeit noch nicht die versprochene Streife eingetroffen
1663war. So entschied D4, nochmals bei der Polizei
1664anzurufen. Er hoffte so, seine Version noch glaubhafter
1665machen zu können, zumal er sich zwischenzeitlich durch
1666den Zeugen E7 hatte versichern lassen, dass er
1667bereit sei, ihm für den Tag ein Alibi zu geben.
1668D4 rief daher selbst nochmals bei der Polizei an,
1669fragte nach seinem Pkw. Er gab dann selbst ungefragt
1670an, er sei den ganzen Morgen in E2 gewesen, was
1671der Zeuge E7, der besser Deutsch spreche und dem
1672er den Hörer deshalb weitergebe, bestätigen könne. Der
1673Zeuge E7 übernahm so das Telefonat und bestätigte
1674die Angaben D4 ungefragt. Als der der Mord-
1675kommission angehörende Zeuge K2, an den das Tele-
1676fonat weitergeleitet worden war, gegenüber dem Zeugen
1677E7 erkennen ließ, dass es sich um einen Vorfall
1678handele, bei dem es um die Tötung und Verletzung mehre-
1679re Personen gehe, räumte der Zeuge dann sofort ein,
1680dass er den Aufenthalt des Angeklagten D4 in
1681E2 erst nach 15.00 Uhr bestätigen könne. Während
1682dieses zweiten Telefonats - es war nunmehr gegen
168319.20 Uhr - waren SEK-Kräfte eingetroffen und nahmen
1684den Angeklagten widerstandslos fest.
1685Alle drei Angeklagten wurden in der Folgezeit erken-
1686nungsdienstlich behandelt. Insbesondere wurden auch die
1687Untersuchungen ihrer Hände und ihres Kopfes sowie der
1688Kleidung mittels REM-Tabs zwecks Untersuchung auf
1689Schmauchspuren veranlasst. Diese Spurenträger wurden
1690acht Stunden nach der Tat gesichert und erbrachten le-
1691diglich bei D3 an Händen, Oberkopf und Be-
1692kleidungsteilen Schmauchspuren, in denen zahlreiche
1693Partikel verschossener Munition mit bleirizinathaltigem
1694Anzündsatz festgestellt werden konnten. Ein solcher
1695bleirizinathaltiger Anzündsatz findet sich - wie be-
1696reits geschildert - bei der Munition, die aus den Hül-
1697sen mit der Prägung Geco, RWS sowie S & B, Kaliber 6,57
1698verschossen wurde. Der Zündsatz dieser Munition unter-
1699scheidet sich von der Munition, die aus der Pistole
1700Marke Tokarew gefeuert wurde. Die dortigen Hülsen Kali-
1701ber 7,62 - Bodenprägung "85 TT" - weisen einen Anzünd-
1702satz auf, der anders als der Vorgenannte quecksilber-
1703fulminathaltig war. Diese Rückstände lassen sich nicht
1704nur im Schmauch und an den Geschosshülsen, sondern
1705teilweise auch an den bei der Tat abgeschossenen Ge-
1706schossen selbst nachweisen.
1707Auf Grund des im Einschussbereich sichergestellten
1708bleirizinathaltigen Schmauchs konnte der bei C3
1709hinter dem linken Ohr mit leicht schräg nach un-
1710ten verlaufendem Schusskanal eingedrungene Schuss D3
1711ebenso zugeordnet werden, wie ein Geschoss,
1712das den Zeugen L traf, sowie weitere, die im
1713Reifen des Suzuki und in den Auslagen des Computerge-
1714schäftes aufgefunden wurden. D2 konnte als
1715Schütze eines der im Körper des Nebenklägers C4
1716sichergestellten Geschosse und ebenfalls bei einem
1717Geschossteil, das den Nebenkläger L getroffen
1718hatte, ebenso ausgemacht werden, wie als Schütze des
1719fehlgegangenen, 100 m nördlich des Tatorts aufgefunde-
1720nen Geschosses. Weitere Geschosse waren auf Grund ihrer
1721Zerlegung und/oder mangels feststellbarer Anhaftungen
1722nicht einem der beiden Schützen individuell zuzuordnen.
17234. Die Folgen der Tat
1724Wie bereits geschildert, blieben auf Grund der Schüsse
1725am Tatort zwei Opfer tot und zwei schwer verletzt zu-
1726rück. Im Einzelnen stellen sich die Treffer und Verlet-
1727zungen wie folgt dar:
1728C3
1729Dieser erlitt sechs Schussverletzungen:
1730- ein Einschuss erfolgte hinter dem linken Ohr,
1731144,5 cm oberhalb der Fußsohlenebene. Bei diesem
1732Schuss, der wie aufgezeigt D3 zugeordnet wer-
1733den konnte, führte der Schusskanal durch die seitliche
1734Halsmuskulatur sowie durch den Mund. Der Ausschuss er-
1735folgt 139 cm über der Fußsohlenebene im Bereich der
1736rechten Wange. Der Schuss führte zur Absprengung der
1737äußeren Knochenlamellen des zweiten und dritten Hals-
1738wirbelkörpers .
1739- Der Einschuss eines weiteren Projektils erfolgte in
1740Höhe von 120,5 cm im Rückenbereich linksseitig. Es kam
1741zu einem Durchschuss durch den sechsten Zwischenrippen-
1742raum sowie den linken Leberoberlappen. Hinzu trat im
1743Ausschussbereich ein Schussbruch der dritten Rippe
1744links, wobei der Ausschuss dann in Höhe von 125,5 cm
1745oberhalb der Fußsohlenebene lag.
1746- Ein weiterer Einschuss erfolgte im rechten Rückenbe-
1747reich, nur 102 cm über der Fußsohlenebene. Dieser
1748Schuss führte zu einem Schussbruch des Querfortsatzes
1749des ersten Lendenwirbelkörpers, sowie zur Zermalmung
1750des oberen Pols der rechten Niere. Die untere Hohlvene,
1751sowie der Leberlappen wurden durchschossen. Der Aus-
1752schuss erfolgte im Bereich des Oberbauches, 109,5 cm
1753oberhalb der Fußsohle.
1754- Ein weiterer Einschuss lag im Bereich des rechten
1755Oberschenkels, 70 cm oberhalb der Fußsohlenebene. Die-
1756ser Schuss durchschlug nahezu waagerecht lediglich die
1757Muskulatur.
1758- Ein weiterer Schuss streifte den linken Oberschenkel
1759in einer Höhe von 76 cm gemessen von der Fußsohlenebe-
1760ne .
1761- Schließlich erlitt C3 noch einen Durch-
1762schuss des Unterarms.
1763C3 verstarb noch am Tatort an den schuss-
1764bedingten Verletzungen. Todesursache war ein Verblu-
1765tungsschock auf Grund massiven Blutverlustes nach in-
1766nen. Blutungsquelle war die Schussverletzung, die die
1767Niere sowie die untere Hohlvene durchschlug. Mit zu dem
1768todesursächlichen Blutverlust trug auch der Durchschuss
1769durch die Lunge auf Grund des zweitbeschriebenen Schus-
1770ses bei.
1771C2
1772C2 erlitt drei Schussverletzungen.
1773- Ein Einschuss erfolgte an der linken Brustwand in Hö-
1774he von 116 cm oberhalb der Fußsohlenebene gemessen. Der
1775Schusskanal führte durch den Oberbauch, verursachte ei-
1776nen Bruch der 9. Rippe, einen Defekt des unteren Milz-
1777pols, eine Zerstörung des Zwölffingerdarms, der ersten
1778Dünndarmschlinge, der Bauchschlagader, der unteren Pol-
1779vene, des rechten Leberlappens sowie ein Defekt an den
1780Zwerchfellkuppen, bevor die Kugel auf der rechten Seite
1781seitlich in der Höhe von 113,5 cm aus der Brustwand
1782wieder austrat. Dieser Schuss war tödlich, verursachte
1783einen Verblutungsschock auf Grund des massiven Blutver-
1784lustes nach innen. Auch C2 starb noch am Tat-
1785ort.
1786- Ein weiterer Einschuss lag im Bereich der rechten Ge-
1787säßbacke, 96 cm oberhalb der Fußsohlenebene. Dieser
1788Schuss führte zu einem Durchschuss des Kreuzbands sowie
1789des kleinen Beckens. Der Ausschuss erfolgte in einer
1790Höhe von 100 cm im Bereich des linken Mittelbauchs.
1791- Ein weiterer Schuss durchschlug den linken Unterarm.
1792C4
1793C4 wurde von drei Kugeln im Bauchbereich ge-
1794troffen. Eine dieser Kugeln durchschlug Teile des Len-
1795denwirbelkörpers, führte jedoch nicht zu einer voll-
1796ständigen Zerreißung sämtlicher nach unten führender
1797Nervenbahnen. Durch ein weiteres Geschoss wurde eine
1798Bauchvene angerissen, was zu erheblichen Blutungen in
1799den Bauchraum hinein führte. Das Leben des Nebenklägers
1800konnte nur durch eine, bedingt durch die geringe Ent-
1801fernung zwischen Tatort und Städtischen Kliniken, in
1802kürzester Zeit mögliche Notoperation gerettet werden.
1803Noch Tage nach der Tat lag er auf Leben und Tod, bis
1804sich sein anfangs nahezu aussichtslos erscheinender Zu-
1805stand auf Grund seiner Konstitution dann doch noch zum
1806Guten hin besserte. Er befand sich vom 24.06. bis
180704.07.2002 auf der Intensivstation der Städtischen Kli-
1808niken in E und wurde dann in das Krankenhaus
1809Bergmannsheil in C verlegt. Hier blieb er statio-
1810när bis zum 28.09.2002. Er ist unterhalb der Lendenwir-
1811belsäule querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl an-
1812gewiesen. Neben der Lähmung beider Beine besteht auch
1813eine vollständige Blasen- und Mastdarmlähmung. Jedoch
1814besteht auf Grund der Tatsache, dass es nicht zu einer
1815gänzlichen Durchtrennung der Nerven gekommen ist,
1816linksseitig eine ganz geringfügige Restbeweglichkeit
1817der unteren Gliedmaßen. Dies ermöglicht ihm kein norma-
1818les Gehen, auch nicht mit Hilfsmitteln und über kurze
1819Strecken. Nur unter Anlegung spezieller Schienen beid-
1820seitig sowie zusätzlicher Benutzung von Unterarmstützen
1821mit gleichzeitiger unterstützender und überwachender
1822Hilfe einer Begleitperson ist es ihm möglich, sich eine
1823kurze Strecke fortzubewegen. Unter Anwendung äußerster
1824Kräfte gelingt es ihm im Rahmen der Bewegungstherapie
1825so Strecken von maximal 50 m zurückzulegen. Eine Besse-
1826rung seines Zustandes durch Nachwachsen von Nerven ist
1827angesichts der seit der Tat nunmehr vergangenen Zeit
1828auszuschließen. Allenfalls ist durch Training eine
1829Steigerung der in der geschilderten Weise zurücklegba-
1830ren Strecken auf 80 m erreichbar. Für Bewegungen im
1831Alltag, innerhalb der Wohnung bringt die Beweglichkeit,
1832da sie das vorherige Anlegen von besonderen Schienen
1833voraussetzt, nichts.
1834Der Nebenkläger L
1835Auch der Zeuge und Nebenkläger L wurde von
1836drei Kugeln getroffen. Während eine Kugel, die ihn am
1837rechten Oberarm traf, lediglich eine letztlich gut ver-
1838heilte Weichteilverletzung verursachte, führten die
1839beiden anderen zu nachhaltigeren Verletzungen. Ein
1840Schuss bewirkte eine Radiustrümmerfraktur im linken Un-
1841terarm. Die hier vorgenommene Behandlung mittels Nage-
1842lung des Knochens und Einbringen einer Platte führte
1843bis zum heutigen Tage noch nicht zu einer vollständigen
1844Heilung. Die Bewegungsfähigkeit des Handgelenks ist im-
1845mer noch eingeschränkt, dem linken Arm fehlt es zudem
1846an grober Kraft. Neben der noch notwendig werdenden
1847weiteren Operation zur Entfernung von Nagel und Platte
1848steht eine zumindest eingeschränkte Beweglichkeit des
1849Handgelenks unabhängig von einem erhöhten Arthroserisi-
1850ko wegen des nicht mehr korrigierbaren geringen Ellebo-
1851genvorschubs als unbehebbare Folge der Schussverletzung
1852sicher zu erwarten.
1853Am gravierendsten sind jedoch die Folgen einer dritten
1854Kugel, die ihr im rechten Unterschenkel getroffen hat.
1855Diese hat zu einem Schusstrümmerbruch des Schienbeins
1856unter Beteiligung auch des Wadenbeines sowie des unte-
1857ren Sprunggelenks des Fußes geführt. Die Zerschmette-
1858rung des Knochens in über 50 Splitter und Fragmente hat
1859angesichts der Lage des Treffers unmittelbar oberhalb
1860des Sprunggelenks gravierendste Folgen nach sich gezo-
1861gen.
1862Dies betrifft nicht nur die Dauer des Heilungsprozes-
1863ses, sondern auch die Spätfolgen der Verletzung. Eine
1864Schienung oder Nagelung von innen war nicht möglich, da
1865es unterhalb des Trümmerbruchs kein Bruchstück gab, an
1866dem mittels Nagels oder einer Platte eine Fixierung der
1867Knochen möglich gewesen wäre. So war eine Behandlung
1868nur durch Anlegung eines externen Fixateurs möglich,
1869durch den so das Fußgelenk und der Rest des Unterschen-
1870kels auseinandergezogen wurde und es so ermöglichte,
1871dass zwischen den Knochenstücken sich eine neue Kno-
1872chenmasse bilden konnte. Dies bedingte zunächst eine
1873strenge Bettruhe und dann erheblichste Bewegungsein-
1874schränkungen, um jedwede Belastung zu verhindern. Dies
1875hat neben einer primären 6-wöchigen stationären Erstbe-
1876handlung, mindestens zweimal je 1-wöchige stationäre
1877Krankenhausaufenthalte zur Vornahme von Nachoperationen
1878notwendig gemacht. Im zurückliegenden Jahr konnte sich
1879der Nebenkläger anfänglich nur im Rollstuhl und nach
1880weitgehender Ausheilung der Unterarmfraktur dann über
1881kurze Strecken mit Hilfe von Unterarmstützen bewegen.
1882Auch heute noch führt eine Belastung seines Beines zu
1883einer Schwellneigung des rechten Fußes. Sowohl die Be-
1884wegungsfähigkeit des oberen als auch des unteren
1885Sprunggelenks sind eingeschränkt. Das Bein ist heute
1886nur wenig belastbar. Ein vollständig normales Gehen
1887wird ihm auch in Zukunft nicht möglich sein. Als irre-
1888parable Spätfolgen sind eine beginnende posttraumati-
1889sche Artrose und eine posttraumatische Inaktivität-
1890sosteoporose zurückgeblieben. Die verbleibenden Bewe-
1891gungseinschränkungen schränken die Lebensqualität des
189235-jährigen Nebenklägers erheblich ein. Er, der im Rah-
1893men von Vereinsarbeit im Fußball eine Jugendmannschaft
1894trainiert hat und als Schiedsrichter im hiesigen Raum
1895ebenfalls ehrenamtlich tätig war, wird in diesem Be-
1896reich nie mehr tätig sein können. Ebenso ist er in sei-
1897nen beruflichen Möglichkeiten nachhaltig eingeschränkt.
1898Der zur Tatzeit arbeitslose Nebenkläger hat bereits
1899jetzt die Möglichkeit verloren, sich wie früher durch.
1900Ausübung von Hausmeister- oder Gärtnertätigkeiten, wie
1901in den letzten Jahren geschehen, einen geringen Neben-
1902verdienst zu verschaffen. Die Bewegungseinschränkungen
1903beeinträchtigen seine Möglichkeiten aber noch weiterge-
1904hender. Er ist, bedingt durch seine gesundheitliche Be-
1905einträchtigung und den Verlust seiner Kontakte im Be-
1906reich des Fußballs sowie den Verlust seiner Arbeits-
1907stellen, heute im Gegensatz zu früher sozial isoliert
1908und leidet psychisch unter diesen Folgen der Tat sehr..
1909Diese soziale Isolierung trägt mit dazu bei, dass er
1910die Tat psychisch heute noch nicht verarbeitet hat und
1911schlicht nicht damit fertig wird, zu verstehen, warum
1912es "gerade ihn getroffen hat". Das damalige Geschehen
1913ist ihm heute auf Grund der mit der Tat verbundenen
1914körperlichen, sozialen und psychischen Folgen allgegen-
1915wärtig .
1916Folgen hatte die Tat auch für die damals 11 ½ -jährige
1917N6, die das Geschehen mit den Toten und um das
1918die eigene Mutter knapp verfehlende Geschoss mitbekom-
1919men hat. Sie leidet psychisch heute noch unter dem da-
1920maligen Geschehen. So ist sie nicht in der Lage, allein
1921in der Wohnung zu bleiben und traut sich nicht einmal
1922die Treppe vom Kiosk in die Wohnung hinaufzugehen, al-
1923lein auf der Straße zu spielen oder Mitschüler zu besu-
1924chen. Zur Aufarbeitung des Geschehens befindet sie sich
1925immer noch in ambulanter psychologischer Behandlung.
1926Auch für die Angeklagten hat das Tatgeschehen weitrei-
1927chende Folgen. Sie befinden sich seit ihrer Festnahme
1928auf Grund der am 25.06.2002 in Untersuchungshaft in un-
1929terschiedlichen Haftanstalten und sind somit voneinan-
1930der, wie auch von ihren Familien, getrennt. Darüber
1931hinaus hat die Inhaftierung für D4 nachhaltige
1932wirtschaftliche Konsequenzen gehabt. Sein in E2
1933gelegener Lebensmittelladen wurde von seinem Bruder D7
1934mit seiner Zustimmung zwischenzeitlich - weit
1935unter Preis - an einen Bekannten, den Bruder des Zeugen
1936E7, verkauft.
1937Hinsichtlich des in der H-straße X in F ge-
1938legenen Hauses, das durch eine Grundschuld der Sparkas-
1939se S in erheblicher Höhe belastet
1940war, ist auf deren Betreiben hin die Zwangsverwaltung
1941eingeleitet worden. Auch seinen Mercedes CLK 230 Cabrio
1942hat er verloren. Er ist, nachdem er infolge seiner In-
1943haftierung die Restkaufpreisraten nicht hat zahlen kön-
1944nen, zwischenzeitlich verwertet worden. Dieses Fahrzeug
1945hatte er im Jahre 2001 zu einem Preise von
1946105.017,54 DM als Neufahrzeug erworben und beim Kauf
1947eine Anzahlung in Höhe von 50.000,00 DM und seit diesem
1948Tage die regulären monatlichen Raten von jeweils
1949951,80 DM geleistet. Bedingt durch die Nichtzahlung der
1950Raten ab August 2002 hat die Firma M Leasing GmbH,
1951die sich in dem mit ihm geschlossenen Vertrag das Ei-
1952gentum bis zur Zahlung der letzten Rate vorbehalten
1953hatte, von dem vorbehaltenen Eigentumsrecht Gebrauch
1954gemacht. Sie hat das Fahrzeug am 16.09.2002 erhalten
1955und dann verwertet. Nach Verwertung des Fahrzeugs und
1956Abrechnung des Finanzkaufvertrages verblieb nach Ab-
1957rechnung der Firma M Leasing GmbH zu Gunsten des An-
1958geklagten D4 lediglich ein Überschuss von
19592.920,77 6. Den Betrag hat die Fahrzeug Leasing GmbH
1960zwischenzeitlich bei der Gerichtskasse eingezahlt. Die-
1961ses Guthaben ist Gegenstand der titulierten Einziehung.
1962Grundlage ist eine auf Grund des Beschlusses des Amts-
1963gerichts Dortmund vom 16.08.2002 - Aktenzeichen
196477 Gs 1198/02 - ausgebrachte Beschlagnahme der Forde-
1965rung des Angeklagten D4 gegen die Firma M
1966Leasing GmbH, insbesondere des Anspruchs auf Rücker-
1967stattung des bereits geleisteten Kaufpreises im Falle
1968der Auflösung des Kaufvertrages.
1969Die Feststellungen zur Sache beruhen auf dem Ergebnis
1970der Beweisaufnahme, wie dieses durch das Hauptverhand-
1971lungsprotokoll dokumentiert worden ist.
1972III.
1973Einlassungen der Angeklagten
1974Von den Angeklagten haben sich unmittelbar in der
1975Hauptverhandlung nur D2 zur Sache, die übri-
1976gen nur gegenüber dem Zeugen und Sachverständigen U
1977in dessen Exploration zur Begutachtung der ethno-
1978kulturellen Hintergründe der Tat eingelassen. Soweit im
1979Folgenden bei den Angeklagten D4 und D3
1980von Einlassungen die Rede ist, betrifft dies ihre Anga-
1981ben, die in die Hauptverhandlung durch Vernehmung des
1982als Zeugen insoweit gehörten Sachverständigen U ein-
1983geführt worden sind. Soweit darüber hinaus der Ange-
1984klagte D4 in der Hauptverhandlung selbst kurze
1985Bemerkungen gemacht hat oder längere Ausführungen im
1986Rahmen seines letzten Wortes abgegeben hat, ist dies im
1987Folgenden besonders herausgehoben.
19881) Einlassung des Angeklagten D4
1989Der Angeklagte D4 hat seine ursprüngliche in
1990der Vernehmung durch den Zeugen E8 abgegebene
1991Einlassung, dass er überhaupt nicht am Tatort in E
1992gewesen sei, sondern sich in E2 beständig
1993aufgehalten habe, fallengelassen und eingeräumt, am
1994Tatort gewesen zu sein. Abweichend hat er sich jedoch
1995im Einzelnen wechselnd, wie folgt eingelassen:
1996Am 23.01.2003 hat er gegenüber dem Zeugen U Folgen-
1997des angegeben:
1998Er habe, als er nach E gefahren sei, nicht daran
1999gedacht, dass "es" an diesem Tage passieren werde und
2000sei davon ausgegangen, Rache werde in der Türkei geübt
2001werden. Auch als er erkannt habe, dass seine Mitange-
2002klagten vorgehabt hätten, hier selbst die Sache in die
2003Hand zu nehmen, sei er davon ausgegangen, selbst nicht
2004mitwirken zu sollen. So habe D3 noch während seiner
2005Fahrt nach E gesagt, dass er D3 und D2
2006nach E bringen und dort rauslassen solle. Er
2007sollte dann zurückfahren und seinen Geschäften nachge-
2008hen. Sie wollten dann ein Auto mieten. Er sei daher
2009auch in E davon ausgegangen, dass er mit der
2010ganzen Sache nichts zu tun haben sollte. Er sei mit
2011seinen Mitangeklagten nur deshalb in die Nordstadt ge-
2012fahren, damit diese billig in einem Telefongeschäft te-
2013lefonieren konnten. Auf dem Weg vom Telefongeschäft zu-
2014rück habe D3 zufällig Mitglieder der Familie
2015C gesehen. D3 habe dann, für ihn völlig über-
2016raschend, ihn aufgefordert die Scheibe herunterzulas-
2017sen, damit er die C's erschießen könne. Erstmals da
2018habe er mitbekommen, dass D3 überhaupt eine Waffe
2019dabei gehabt habe. Er sei dann weitergefahren, worauf-
2020hin ihm sein Bruder und D3 Vorwürfe gemacht
2021hätten. Sein Bruder habe ihm vorgeworfen: "Die erschie-
2022ßen unseren Onkel und du denkst nur an dich selbst, an
2023deine Zukunft und das Geld". Darauf habe er sich der
2024Weisung D2, links abzubiegen und sofort anzuhal-
2025ten, nicht, widersetzen können, worauf es dann zur
2026Tatausführung gekommen sei.
2027Im Hauptverhandlungstermin am 10.02.2003 hat er während
2028der Vernehmung seines Bruder D2 im Rahmen einer
2029Kontroverse, in der es um den exakten Inhalt der Äuße-
2030rung auf der Fahrt nach E ging, erklärt, diese
2031sei von D3 gemacht worden. Sie hat er inhaltlich
2032wie folgt wiedergegeben: "Einer von den Unehrenhaften
2033muss gefunden und erledigt werden".
2034Während seiner weiteren Exploration durch den Zeugen
2035U am 18.02.2003 hat er sich diesem gegenüber dann,
2036teilweise abweichend von seiner ersten Darstellung,
2037teilweise ergänzend wie folgt eingelassen:
2038Als vor der Ankunft in E im Zusammenhang mit der
2039oben beschriebenen Äußerung seitens der beiden Mitfah-
2040rer gesagt worden sei, dass man Rache nehmen müsse, ha-
2041be er geäußert, dass er gehen müsse, weil er sein Ge-
2042schäft noch habe verkaufen wollen. D3 und sein Bru-
2043der hätten dem auch zugestimmt. Man sei dann so ver-
2044blieben, dass er die Angeklagten D3 und D2 noch
2045nach E habe bringen sollen, wo diese dann selbst
2046ein Fahrzeug hätten anmieten wollen. Nach dem Besuch in
2047der Wohnung in E sei man mit dem Wohnungsinhaber
2048zusammen losgefahren, um zunächst zu telefonieren und
2049dann das weitere Auto anzumieten. Auf dem Rückweg vom
2050Telefongeschäft, in das die beiden Mitangeklagten al-
2051lein gegangen seien, sei es noch in Anwesenheit des
2052Wohnungsinhabers zu der beschriebenen Aufforderung des
2053D3 gekommen. Er sei weitergefahren und habe ihn ge-
2054fragt, ob er "verrückt sei", da es doch sein Wagen sei
2055und man sein Kennzeichen aufschreiben werde. Daraufhin
2056habe sein Bruder D2 gegen ihn die beschriebenen
2057Vorwürfe erhoben und zugleich über die Angehörigen in
2058der Türkei geflucht, weil diese die Sache nicht selbst
2059in die Hand genommen hätten. Darauf habe der in dem Wa-
2060gen befindliche Wohnungsinhaber versucht, sie dazu zu
2061bewegen, abzuwarten, bis die älteren Sippenangehörigen
2062eine Entscheidung getroffen hätten. D2 habe dann
2063darauf verwiesen, dass er drei Personen aus der C-
2064sippe gesehen habe und ihn angewiesen, nach links zu
2065fahren und das Fahrzeug anzuhalten. Während sich der
2066Wohnungsinhaber in eine andere Richtung entfernt habe,
2067sei er hinter den beiden Mitangeklagten her zum Tatort
2068gegangen. In dieser Exploration hat er angekündigt, den
2069Wohnungsinhaber namentlich noch benennen zu wollen.
2070Dies hat er auch während des weiteren Verlaufs der
2071Hauptverhandlung nicht getan, obschon die Kammer bei
2072Befragung des Sachverständigen und Zeugen U sowie in
2073der Erörterung mit den Verteidigern nach dem Namen und
2074der ladungsfähigen Anschrift gefragt hatte.
2075In seinem letzten Wort hat er - erneut ohne den Woh-
2076nungsinhaber zu benennen - das Geschehen nach Abfahrt
2077aus der Wohnung in E abweichend dahin darge-
2078stellt, dass man - ohne die Person zu benennen - zu
2079fünf Personen gewesen sei und keine bestimmten Absich-
2080ten gehabt habe. Man sei dann insgesamt zweimal auf
2081Personengruppen von Angehörigen der Familie C ge-
2082troffen. Bei dem ersten Treffen sei es zu der geschil-
2083derten Aufforderung, das Fenster runterzulassen, gekom-
2084men. Er sei aber einfach weitergefahren. Als man dann
2085geraume Zeit später zum zweiten Mal eine Gruppe von An-
2086gehörigen der C's gesehen habe, habe er auf Anwei-
2087sung seines Bruders D2 das Fahrzeug an der nächsten
2088Ecke angehalten.
20892) Einlassung des Angeklagten D2
2090D2, der sich vor Gericht zur Sache selbst zu-
2091sammenhängend eingelassen hat, zur Beantwortung von
2092Fragen zur Sache aber - nachdem er zunächst einige Fra-
2093gen des Vorsitzenden beantwortet hatte - dann nicht be-
2094reit war, hat abweichend von den getroffenen Feststel-
2095lungen angegeben, es habe keine Absprache gegeben, nach
2096E zu fahren, um dort C's zu töten. Vielmehr
2097sei man dort hingefahren, um dort zu trauern und nicht
2098Gefahr zu laufen, unaufrichtigen Beileidsbekundungen
2099ausgesetzt zu sein. Zudem habe man auch "die Jungen zu-
2100sammentrommeln wollen, um eine Entscheidung zu suchen."
2101Ihm selbst sei klar gewesen, dass man nicht immer weg-
2102laufen könne. Es sei aber nicht von vornherein beab-
2103sichtigt gewesen, zu schießen. Auch als man durch die
2104Nordstadt gefahren sei, habe man das nicht vorgehabt,
2105sondern dazu sei es gekommen, als man zufällig eine
2106Gruppe von C's gesehen und D3 diese - wie von
2107D4 geschildert - habe niederschießen wollen. Dann
2108habe es auch für ihn kein Zurück mehr gegeben. Er habe
2109seinen Bruder zwar angewiesen anzuhalten, ihm aber
2110nicht den von ihm geschilderten Vorhalt hinsichtlich
2111seines vermeintlich egoistischen Handelns angesichts
2112der Ermordung des Onkels gemacht.
2113c) Einlassung des D3
2114In seiner polizeilichen Vernehmung gegenüber dem Zeugen
2115C15 sowie der richterlichen Vernehmung gegenüber dem
2116Zeugen H5, jeweils vom 25.06.2002, hat der Angeklag-
2117te angegeben, sich mit den beiden Mitangeklagten erst
2118in E getroffen zu haben und dann an einer Ecke
2119auf die C's getroffen zu sein. Diese hätten ihre
2120Hände an die Hüfte gelegt. Sodann seien die Schüsse ge-
2121fallen und man sei geflohen. Er habe seine Waffe in der
2122Hand gehalten, wisse aber nicht, ob er geschossen habe,
2123glaube dies aber nicht.
2124Gegenüber dem Zeugen U hat er sich in dessen Explo-
2125ration dahin eingelassen, dass die vorgenannte Schilde-
2126rung nicht zutreffe. Er hat eingeräumt, dass, wie fest-
2127gestellt, man sich bereits in der Wohnung des D7 mit
2128D2 getroffen habe und dann später in den Wagen des
2129D4 eingestiegen sei. Auch hat er eingeräumt, sich
2130nicht erst in E die Waffe besorgt zu haben, son-
2131dern, wie festgestellt, die bei D7 deponierte Waffe
2132dort an sich genommen und offen in seinen Hosenbund
2133eingesteckt zu haben. Zu den Gründen, warum man nach
2134Ed gefahren sei, hat er keine Angaben gemacht,
2135sondern nur angegeben "es habe geschehen müssen". Er
2136ist ausdrücklich der Einlassung der Gebrüder D2 und
2137D4 entgegengetreten, wonach er D4 aufgefor-
2138dert habe, die Scheibe runterzulassen um zu schießen.
2139Auch sei es zu dem von D4 bekundeten Vorhalt seines
2140Bruders vor dem Anhalten nicht gekommen. Vielmehr sei
2141es so gewesen, dass D4 die C's gesehen habe,
2142dann um die Ecke gefahren sei und dort angehalten habe.
2143Dann sei es zum Tatgeschehen gekommen, an das er im
2144Einzelnen keine Erinnerung habe.
2145IV.
2146Beweiswürdigung
21471.)
2148Die Feststellungen dazu, wie die Angeklagten im Einzel-
2149nen von den Geschehnissen in der Türkei am Tatmorgen
2150Kenntnis erlangten sowie wo und wie sie zur Fahrt nach
2151E zusammentrafen, beruhen ebenso wie die Fest-
2152stellungen zur Person der Angeklagten sowie ihrem Le-
2153bensweg ebenso wie zu ihrem sozio-kulturellen Umfeld
2154auf ihren eigenen Angaben, die sie gegenüber dem Zeugen
2155U gemacht haben und die dieser in der Hauptverhand-
2156lung bekundet hat. Auf diesen Angaben beruhen auch die
2157besonderen Beziehungen der beiden Familienclans, der
2158C's und der D's, zueinander. Auch die als Zeugen
2159gehörten Angehörigen der Familie C haben diesen
2160zwischen den Familie bestehenden Streit insbesondere
2161auch den, den es im Zusammenhang um die Schwängerung
2162einer Cousine auf der Seite der C's gegeben hat,
2163bestätigt. Die Feststellungen, dass es bisher in
2164Deutschland infolge des in der Türkei bestehenden
2165Streits keine Übergriffe gegeben hat, beruhen auf den
2166übereinstimmenden Angaben der Angeklagten sowie der aus
2167beiden Familie vernommenen Zeugen.
2168Die getroffenen Feststellungen zu den sozio-kulturellen
2169Hintergründen der Tat, den Lebensumständen in der Ost-
2170türkei und den Auswirkungen auf die Lebensbedingungen
2171sowie die Einstellung der Angeklagten beruhen auf den
2172Bekundungen des sowohl als Sachverständigen als auch zu
2173den Anknüpfungstatsachen selbst als Zeuge gehörten
2174Herrn U. Dieser hat der Kammer überzeugend und
2175nachvollziehbar vor Augen geführt, in welcher Weise das
2176die Angeklagten durch ihre Erziehung prägende Persön-
2177lichkeitsbild von dem mitteleuropäischen Selbstver-
2178ständnis abweicht. Ferner hat der Sachverständige der
2179Kammer ebenfalls vor Augen geführt, in welcher Weise
2180die Einbindung in die Familie und der dort dem jeweils
2181Älteren geschuldete Gehorsam auf jeden Einzelnen wir-
2182ken. Die insoweit durch den Sachverständigen vermittel-
2183ten Erkenntnisse hat sich die Kammer daher noch eigener
2184gewissenhafter Prüfung zu eigen gemacht.
2185Die Feststellungen zu der Örtlichkeit des Tatorts, Lage
2186der aufgefundenen Hülse und Geschossteile, zur Beschä-
2187digung an Pkws und Gebäuden beruhen auf den von der
2188Kammer in Augenschein genommenen Lichtbildern sowie auf
2189den Vernehmungen der Zeugen KHK C15, KHK L5 und
2190KK L6.
2191Letzterer hat der Kammer im Einzelnen glaubhaft Kennt-
2192nis von den einzelnen am Tatort aufgefundenen Spuren,
2193insbesondere Hülsen, Geschossen, Geschossteilen sowie
2194weiterer Spuren sowie Kenntnis davon vermittelt, welche
2195Geschosse auch aus den Körpern der Opfer gesichert wer-
2196den konnten. Zudem beruhen die Feststellungen zur Si-
2197tuation am Tatort sowie die eingeleiteten Maßnahmen, zu
2198den Umständen der Sicherstellung des Mercedes des Ange-
2199klagten in der E-straße, auf den Bekundungen der
2200am Tatort eingesetzten Zeugen S2 und M2.
2201Die Feststellungen zu den verwandten Waffen und der je-
2202weils diesen zuzuordnenden Munition beruhen auf den
2203gutachtlichen Äußerungen der Sachverständigen I 6
2204und des Dipl.-Physikers Q2. Der Sachverständige
2205I 6 hat zu der Anzahl der bei Tatausübung benutzten
2206Waffen sowie der dabei verwendeten Munition und ihrer
2207Zuordnung gutachterlich Stellung genommen. Dessen in
2208sich widerspruchsfreie Darlegungen haben zusammen mit
2209den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Physiker
2210Q2, der die von Haut und Kleidung der Angeklagten
2211genommenen Spurenträger (20 REM-Tabs) sowie ein präpa-
2212riertes Hautstück vom Kopfe des C3 auf zu-
2213ordnungsbare Schmauchanhaftungen untersucht hat, haben
2214es der Kammer ermöglicht, die verwandten Waffen und Mu-
2215.nition den Schützen zuzuordnen und - wie geschehen -
2216Einzeltreffer der Angeklagten teilweise persönlich zu-
2217zuordnen. Diese Darlegungen, denen sich die Kammer nach
2218eigener gewissenhafter Prüfung anschließt, ermöglichen
2219- wie geschehen -, es angesichts der bei D3
2220festgestellten Schmauchspuren mit Rückständen eines
2221bleirizinathaltigen Anzündsatzes auch nachzuweisen,
2222dass er - anders als er sich hat erinnern können -
2223ebenfalls geschossen hat. Da die von ihm und D2
2224genutzten Waffen maximal je neun Patronen aufnehmen
2225konnte, ist angesichts der aufgefundenen aus dem Lager
2226der halbautomatischen Selbstladepistolen ausgeworfenen
222714 vorgefundenen Hülsen evident, dass beide geschossen
2228haben. Dass der andere Schütze D2 war, unter-
2229liegt angesichts dessen eigener Einlassung keinem Zwei-
2230fel. Damit steht für die Kammer ebenfalls sicher fest,
2231dass er dabei eine Tokarew-Pistole geführt und daraus
2232Patronen mit dem Kaliber 7,62 TT mit quecksilberfulmi-
2233nathaltigem Anzündsatz abgefeuert hat, so dass ihm
2234ebenfalls im festgestellten Umfang die Treffer bzw.
2235Schüsse zuzuordnen sind.
2236Die Feststellungen zu den Verletzungen im Einzelnen und
2237deren Ursächlichkeit für den Tod der Opfer C3 und
2238C2 beruhen auf dem Gutachten, dass der Obdu-
2239zent, der Sachverständige Dr. med. A, in der
2240Hauptverhandlung erstattet hat. Die Feststellungen hin-
2241sichtlich der Verletzungen und ihrer Folgen beruhen
2242hinsichtlich derjenigen als Zeugen gehörten des Neben-
2243klägers C4 auf den Bekundungen der als Zeugen
2244und Sachverständigen gehörten Dr. I 7 und
2245Dr. N8. Der Erstgenannte hat der Kammer im
2246Einzelnen, als der den Nebenkläger seinerzeit während
2247seiner Behandlung in der Klinik Bergmannsheil betreuen-
2248de Arzt, über die einzelnen Schussverletzungen unter
2249Beiziehung des ihm zur Verfügung stehenden Berichts des
2250in den Städtischen Kliniken operierenden Arztes Aus-
2251kunft gegeben. Insbesondere hat er der Kammer Kenntnis
2252von der Lähmung, deren Intensität und deren Dauerhaf-
2253tigkeit verschafft. Zu den Folgen der Lähmung und des
2254Heilverlaufs sowie zu der Prognose der Verletzung hat
2255die Kammer auch den sachverständigen Zeugen
2256Dr. N8 gehört. Dieser ist im Rahmen der ambulan-
2257ten Nachsorge auch jetzt noch betreuender Arzt des Ne-
2258benklägers. Beide haben übereinstimmend bekundet, dass,
2259wie festgestellt, die Kugel zwar nicht zur vollständi-
2260gen Zerreißung der im Wirbelsäulenbereich gelegenen
2261Nerven geführt hat, was erklärt, dass eine ganz gering-
2262fügige Mobilität linksseitig noch gegeben ist. Sie ha-
2263ben in einander entsprechender Weise dargelegt, dass
2264von einem Gehen im eigentlichen Sinne nicht mehr ge-
2265sprochen werden könne, wenn mit Hilfe der beidseitig
2266befestigten Beinschienen sowie Unterarmstützen der Ne-
2267benkläger mit überwachender und betreuender Hilfe im
2268Rahmen krankengymnastischer Übung einige Meter zurück-
2269legen könne. Sie haben der Kammer durch ihre in sich
2270schlüssige und widerspruchsfreie Darlegung die sichere
2271Überzeugung verschafft, dass eine, für die Lebensfüh-
2272rung relevante Besserung des Zustandes, künftig nicht
2273zu erwarten steht, sondern allenfalls eine geringfügige
2274Steigerung der unter vorgenannten Bedingungen zurück-
2275legbaren Strecke bis 80 m möglich ist. Denn angesichts
2276des bisherigen Verlaufs ist ausgeschlossen, dass hier
2277noch nachwachsende Nerven im relevanten Umfang die ge-
2278schädigten Körperfunktionen wiederherstellen können.
2279Die überzeugenden, in sich widerspruchsfreien Darlegun-
2280gen hat sich die Kammer daher zu Eigen gemacht.
2281Hinsichtlich der Verletzungen des Nebenklägers L
2282und der daraus resultierenden medizinischen Fol-
2283gen beruhen die getroffenen Feststellungen auf den Be-
2284kundungen, die der als Zeuge und Sachverständiger ge-
2285hörte Dipl.-Mediziner E9 gemacht hat. Dieser hat
2286ihn als Oberarzt der Chirurgie des Marienhospitals in
2287E seinerzeit operiert, die Folgeopera-
2288tion durchgeführt und betreut ihn ambulant auch heute
2289noch weiter. Insoweit hat er der Kammer die Verletzun-
2290gen, deren Folgen sowie die noch verbleibenden Schäden
2291widerspruchsfrei und in sich schlüssig dargestellt.
2292Diese macht sich die Kammer nach eigener gewissenhafter
2293Prüfung zu Eigen. Sie bestätigen in vollem Umfang auch
2294die Angaben des als Zeugen geladenen Nebenklägers hin-
2295sichtlich seiner akuten Beeinträchtigungen und fortbe-
2296stehenden Schmerzen. Die Feststellungen zu den darüber
2297hinausgehenden Beeinträchtigungen des Nebenklägers in
2298seiner beruflichen und privaten Lebensgestaltung sowie
2299der psychischen Auswirkungen der Verletzungen beruhen
2300auf den glaubhaften Bekundungen des Nebenklägers
2301selbst. An deren Richtigkeit zu zweifeln sieht die Kam-
2302mer keinen Anlaß. Dieser hat in seiner um Fassung be-
2303mühten, jede überschießende Belastungstendenz vermei-
2304denden Darstellung der Kammer nachvollziehbar und über-
2305zeugend berichtet, wie sich sein Leben durch die Tat
2306verändert hat und diese noch heute nachwirkt.
2307Die Feststellungen zu den Folgen der Tat für die damals
230811 ½ -jährigee Zeugin N6 beruhen auf den Bekun-
2309dungen deren Mutter, der als Zeugin gehörten N7.
2310Diese hat glaubhaft nicht nur das damalige Ge-
2311schehen sowie die Standortposition der Familienangehö-
2312rigen, besonders ihre eigene und die ihrer Tochter, zum
2313Tatzeitpunkt beschrieben. Sie hat auch, ohne dass es
2314für die Kammer auch nur den geringsten Anlass gibt, an
2315der Richtigkeit der Angaben der das Geschehen umfassend
2316beobachtet habenden Zeugin zu zweifeln, ebenfalls ohne
2317überschießende Belastungstendenz, geschildert, wie
2318nachhaltig ihre Tochter auch heute noch unter dem Ge-
2319schehen leidet und dieses trotz fortbestehender psycho-
2320logischer Behandlung noch nicht überwunden hat.
2321Die Feststellungen zum Verhalten der Angeklagten nach
2322der Tat beruhen hinsichtlich der Versuche des Angeklag-
2323ten D4, sich für die Tatzeit ein falsches Ali-
2324bi zu verschaffen sowie hinsichtlich seiner Bemühungen,
2325sich unmittelbar nach der Tat um den Verkauf seines Le-
2326bensmittelgeschäfts zu bemühen, auf den glaubhaften Be-
2327kundungen des Zeugen E7. Jener hat plausibel dar-
2328gelegt, dass er sich zunächst ohne Argwohn auf die Bit-
2329te, bei der Polizei anzurufen, nach dem Mercedes nach-
2330zufragen und dabei auch den Wunsch des Angeklagten
2331D4 entsprechend zu bestätigen, dass jener den
2332ganzen Tag in E2 gewesen sei, eingelassen hat,
2333dann aber, als er von dem Gegenstand des erhobenen Vor-
2334wurfs gehört hat, sofort seine Angaben, wie festge-
2335stellt, relativiert hat. Der Zeuge E7 hat auch
2336bekundet, dass durch den Bruder D7 später wäh-
2337rend der Inhaftierung D4 das Ladengeschäft zu einem.
2338deutlich geringeren als früher von ihm angebotenen
2339Preis veräußert worden ist.
2340Die Feststellungen zu den sonstigen finanziellen Folgen
2341für D4 beruhen auf der insoweit glaubhaften
2342Einlassungen des Angeklagten gegenüber dem Sachverstän-
2343digen U sowie hinsichtlich der Umstände des Erwerbs
2344sowie der Verwertung des Pkw Mercedes CLK, auf den in-
2345soweit verlesenen Urkunden sowie auf den Bekundungen
2346des Zeugen N9.
2347Die getroffenen Feststellungen hinsichtlich der ur-
2348sprünglichen Einlassungen der Angeklagten D4 und
2349D3 in ihren ersten polizeilichen Vernehmungen
2350sowie gegenüber dem Ermittlungsrichter, beruhen auf den
2351Bekundungen der Vernehmungsbeamten, der Zeugen E8
2352und C15 sowie des Zeugen RiAG H6, der die
2353Angeklagten anlässlich der Verkündung des Haftbefehls
2354angehört hat, sowie der hinsichtlich der polizeilichen
2355Vernehmung des D3 als Zeuge und Sachverstän-
2356diger gehörten Herrn T3. Anlass zu Zweifeln daran,
2357dass die Genannten den Inhalt der ursprünglichen Ein-
2358lassung der Angeklagten zutreffend wiedergegeben haben,
2359bestehen nicht. So haben nämlich die Angeklagten in ih-
2360rer Exploration gegenüber dem Sachverständigen einge-
2361räumt, sich zunächst abweichend eingelassen zu haben.
2362Sie sind den diesbezüglichen Darstellungen auch im Ver-
2363laufe der Hauptverhandlung nicht entgegengetreten.
2364Die getroffenen Feststellungen über die Einlassungen
2365der Angeklagten zur Sache im Rahmen der Exploration
2366durch den Sachverständigen U beruhen auf den von
2367diesem als Zeugen gemachten Bekundungen. Dass dieser
2368die Einlassungen zutreffend wiedergegeben hat, steht
2369zum einen deshalb zur sicheren Überzeugung der Kammer
2370fest, weil dessen Bekundungen im Rahmen der Hauptver-
2371handlungen - trotz stets simultan erfolgter Übersetzung
2372- nicht beanstandet oder dem entgegengetreten wurde.
2373Dafür, dass der Zeuge das ihm gegenüber geäußerte unzu-
2374treffend oder verkürzt wiedergegegen hätte, fehlt jeder
2375Anhalt. Dies zumal der Zeuge in seiner Eigenschaft als
2376Sachverständiger erkennbar bemüht war, im Interesse der
2377Wahrheitsfindung bei den Prozessbeteiligten Verständnis
2378für die ethno-kulturelle Vorstellung der Angeklagte zu
2379vermitteln.
23802.)
2381Die von den getroffenen Feststellungen abweichenden
2382Einlassungen der Angeklagten sind nach dem Ergebnis der
2383erfolgten Beweisaufnahme zur sicheren Überzeugung der
2384Kammer vollständig widerlegt. Dies gilt sowohl hin-
2385sichtlich ihrer Einlassungen, die der Angeklagte D2
2386und D4 unmittelbar gegenüber der Kammer in
2387kürzeren oder längeren Einlassungen bzw. im Rahmen des
2388letzten Worts unmittelbar abgegeben haben, wie auch
2389diejenigen, die alle Angeklagte im Rahmen der Explora-
2390tion gegenüber dem Sachverständigen U gemacht haben
2391und die dann über diesen in die Hauptverhandlung einge-
2392führt worden sind.
2393So ist für die Kammer erwiesen, dass der Entschluss
2394nach E zu fahren, um dort in der Nordstadt sich
2395zufällig auf offener Straße aufhaltende Mitglieder der
2396Familie zu töten , bereits in F von D2 und D3
2397gemeinsam gefasst worden ist.
2398Dieser Annahme steht insbesondere nicht entgegen, dass
2399keinerlei Individualisierung der Opfer geplant war. Ei-
2400ner solche Individualisierung der Opfer bedurfte es
2401nämlich nach beider Vorstellungen nicht. Entscheidend
2402war allein, dass die jeweiligen Opfer der Familie C
2403angehörten. Dies haben die beiden Angeklagten über-
2404einstimmend unter Hinweis auf das Wesen der Blutrache
2405eingeräumt. Da sich diese Vorstellung mit dem deckt,
2406was der Sachverständige U in seinen Ausführungen
2407über die gruppenbezogene Vorstellungswelt der Angeklag-
2408ten ausgeführt hat, steht das Fehlen einer personenbe-
2409zogenen Tatplanung der Überzeugung der Kammer nicht
2410entgegen.
2411Die Kammer verkennt dabei auch nicht, dass D2
2412ausdrücklich in Abrede gestellt hat, dass eine solche
2413Planung bereits in F erfolgt sei, sondern angegeben
2414hat, dass sich das Geschehen erst später zufällig in
2415der E- Nordstadt entwickelt habe. Dessen Ein-
2416lassung ist u.a. schon deshalb kaum plausibel, weil er
2417später im anderen Zusammenhang angegeben hat, man habe
2418in E einen Mietwagen mieten wollten und nur des-
2419halb sei man noch mit D4 zusammengewesen. Einen
2420Grund für die Anmietung - und dies gerade in Dortmund -
2421hat er nicht genannt. Schon dies macht seine abweichen-
2422de Einlassung wenig glaubhaft. Ist dies für sich allein
2423nur ein Indiz von geringem Gewicht, so kommt ihm doch
2424indizielle Bedeutung wegen der Darstellung zu, die D3
2425von dem Geschehen gegeben hat. Auch er hat
2426zwar in Abrede gestellt, dass es eine "Entscheidung ge-
2427geben habe, es so oder so zu tun". Er hat aber wieder-
2428holt geäußert, dass es klar gewesen sei, "dass man tun
2429werde, was man zu tun haben müsse." Zwar hat er dann
2430ausdrücklich nicht dazu Stellung genommen, was in F
2431besprochen worden ist, insbesondere warum man überhaupt
2432nach E gefahren ist. Aus seinem Gesamtverhalten
2433und gleich mehreren Äußerungen ist die Kammer sich si-
2434cher, dass der Entschluss tatsächlich schon in F
2435gefasst wurde. So hat er nicht nur eingeräumt, in F
2436die bei D7 deponierten Waffen an sich genommen zu
2437haben bevor man die Wohnung verließ. Er hat darüber
2438hinaus angesichts der ihm zum Zeitpunkt seiner Explora-
2439tion durch den Sachverständigen U bekannten Einlas-
2440sungen der Brüder D2 und D4, die ersicht-
2441lich den Sinn gehabt haben, D4 nach Möglichkeit zu
2442entlasten, gleich an dem Beginn seiner Schilderung die
2443Bemerkung gestellt, dass es ihm bei seiner Einlassung
2444darum gehe, dass "nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen
2445werden und die Familien der Angeklagten sich nicht un-
2446tereinander zerstritten, wenn man sich gegenseitig be-
2447laste" . Insoweit hält die Kammer sein Schweigen dazu,
2448warum man sich entschlossen hat, nach E zu fah-
2449ren, für ein "beredtes Schweigen" und somit ein weite-
2450res Indiz dafür, dass zuvor von ihm und D2, als den
2451beiden ältesten Brüdern der hier lebenden Familienstäm-
2452me, die Entscheidung zuzuschlagen, gefällt worden ist.
2453Noch klarer wird dies, nimmt man seine Aussage zum Ge-
2454schehen kurz vor der eigentlichen Tat hinzu. So hat
2455D3 die von D4 dargestellte Auseinandersetzung
2456vor dem Anhalten ausdrücklich in Abrede gestellt. Weder
2457habe er D4 aufgefordert, die Scheibe herunterzulas-
2458sen, noch habe D4 erst auf Intervention seines Bru-
2459ders D2 und dessen Vorhalt, dass er nur an seinen
2460wirtschaftlichen Erfolg denke, während der Onkel getö-
2461tet worden sei, angehalten. Angesichts dessen, was von
2462ihnen - besonders D2 und D3 - zur Begründung
2463der Fahrt im Weiteren angeführt worden ist, schon die
2464Tatsache, dass man überhaupt nach E gefahren
2465ist, für sich gesehen deutlicher Beleg, dass dies ge-
2466schah, um den Tod des Onkels am frühen Morgen zu rä-
2467chen. Die hierfür gegebene Einlassung D2, man habe
2468allein trauern wollen und sich nicht unredlichen Kondo-
2469lenzbezeugungen aussetzen wollen, glaubt die Kammer
2470nicht. Dafür hätte man doch keinesfalls nach E
2471und so praktisch in die "Höhle des Löwen"' fahren müssen
2472- nämlich dorthin, wo nach Einlassung der Angeklagten
247360 - 70 "Einheiten" der C's wohnten. Nimmt man das
2474von allen Angeklagten für sich in Anspruch genommene
2475Motiv hinzu, dass die Familienehre erfordert habe, Blut
2476mit Blut zu vergelten, ist dies ein weiterer Beleg,
2477dass, wenn man unter diesen Umständen gerade nach E
2478fährt, dies nur nach einem bereits getroffenen
2479Entschluss geschah, Rache zu üben. Dies zumal man doch
2480vorher aus E nach eigenem Bekunden aus Angst vor
2481"den C's" nach F gefahren ist. Belegt wird dies
2482durch weitere Details. So hat D3 im Telefonat D4
2483aufgefordert, zu ihm und D2 zur Wohnung des D7
2484zu kommen. Als D4l dort eintraf, warteten D2 und
2485D3 mit den beiden jüngeren Brüdern bereits vor dem
2486Haus und sind dann sofort eingestiegen. D4 wurde
2487dann, nachdem er Anstalten machte, zur eigenen Wohnung
2488zu fahren, sofort angewiesen, wohin er zu fahren hatte.
2489Auch die Tatsache, dass D3, der ansonsten nicht be-
2490waffnet war wie erwähnt sich in der Wohnung des D7
2491bewaffnet hatte, und so in das Fahrzeug stieg,
2492ist ein weiteres Indiz für den bereits generell ge-
2493fassten Tatentschluss, bei sich bietender Gelegenheit
2494in E C's zu töten. Denn zu diesem Zeitpunkt
2495musste D3 den Angriff der C's auf sich
2496ungleich weniger fürchten als in den Wochen und Tagen
2497zuvor, als er die Waffe noch bei D7 deponiert hatte.
2498Auch die von allen Angeklagten im Termin bestätigte Äu-
2499ßerung des D2 oder D3 auf der Fahrt nach E,
2500"dass einer von den Ehrlosen gefunden und getötet
2501werden müsse", belegt nach Überzeugung der Kammer ein-
2502deutig, dass zu diesem Zeitpunkt, jedenfalls zwischen
2503D3 und D2, bereits abgesprochen war, warum man
2504nach E fuhr: nämlich um zu töten. Dem steht
2505nicht entgegen, dass die Kammer zu Gunsten aller Ange-
2506klagten als wahr unterstellt, das D4 nicht in
2507der Wohnung des D7 war, und auch nicht in einer an-
2508deren Wohnung vor der Abfahrt nach E an diesem
2509Morgen mit den Mitangeklagten zusammen war. Ebenfalls
2510hat die Kammer berücksichtigt, dass es keine Anweisung
2511aus der Türkei gegeben hat, für den Tod des Onkels Ra-
2512che zu üben. Denn dass D4 daran in F mit-
2513wirkte, nimmt auch die Kammer nicht an. Dass die beiden
2514Ältesten ohne vorherige Einschaltung ihrer jüngeren
2515Brüder die Entscheidung trafen, entspricht gerade dem
2516hierarchisch und patriarchalisch geprägten kulturellen
2517Hintergrund der Angeklagten. Auch das Fehlen einer Vor-
2518gabe von Vätern oder Onkel aus der Türkei, die Tat aus-
2519zuführen, steht der Überzeugung der Kammer nicht entge-
2520gen. Wie nämlich der Sachverständige U überzeugend
2521dargelegt hat, ist nach dem kulturellen Hintergrund der
2522Angeklagten an sich zunächst die engere Familie des Op-
2523fers zur Blutrache berufen. Wird aber diese nicht tä-
2524tig, oder hat sie sich in der Vergangenheit nicht dazu
2525in der Lage gezeigt, so ist jedes andere Mitglied der
2526Großfamilie berufen, die "Ehre der Familie" und damit
2527zugleich das Ansehen in der hiesigen kurdischen Öffent-
2528lichkeit in Deutschland wiederherzustellen. Dies war
2529hier der Fall. Wie D2 angegeben hat, haben
2530sich seine Angehörigen in der Türkei trotz vielfältiger
2531Übergriffe der Gegenseite stets als unfähig erwiesen,
2532die Ehre der Familie zu verteidigen. Statt dessen seien
2533sie stets "zurückgewichen". Gerade vor diesem Hinter-
2534grund gibt es für die Kammer keinen Zweifel, dass
2535D2 und D3 am Vormittag des 24.06.2003 die
2536"Sache" in die eigenen Hände genommen haben, wobei bei
2537D3 zudem besonders auch seine persönliche Betrof-
2538fenheit von Bedeutung war.
2539Des Weiteren erachtet die Kammer nach dem Ergebnis der
2540Beweisaufnahme für bewiesen, dass alle drei Angeklag-
2541ten, als sie in der E- Nordstadt auf die Opfer
2542trafen, gezielt auf der Suche nach Angehörigen der Fa-
2543milie C waren, um diese auf Grund gemeinsamen Ent-
2544schlusses als Rache für das am Morgen in W Gesche-
2545hene zu töten. Die Kammer erachtet die gesamte Schilde-
2546rung, insbesondere D4 und D2, dass es
2547sich um ein zufälliges Geschehen gehandelt habe, dass
2548sich infolge des Versuches des D3, aus dem
2549Auto heraus auf zufällig erkannte C's zu schießen,
2550dann entwickelt habe, als widerlegt.
2551Für widerlegt hält die Kammer dabei zu dem, was die An-
2552geklagten über den Ablauf nach Verlassen der Wohnung
2553des Unbekannten in E behauptet haben, nachfol-
2554gende Punkte: So ist die Schilderung des Aufsuchens ei-
2555nes Telefoncafes zum billigeren Telefonieren, wie auch
2556die Einlassung, man habe einen Mietwagen in E
2557anschließend besorgen wollen, falsch. Dies gilt ebenso
2558für die Schilderung D4, dass der Wohnungsinhaber
2559mit dorthin gefahren sei und das Fahrzeug erst verlas-
2560sen und sich getrennt habe, nachdem D3 zuvor habe
2561aus dem Fenster des fahrenden Pkw schießen wollen. Die-
2562se Schilderungen sind aus Sicht der Kammer sämtlich
2563Schutzbehauptungen der Angeklagten, die dazu dienen,
2564D4 möglichst zu entlasten und den Vorwurf,
2565selbst arglistig gehandelt zu haben, zu entkräften.
2566Sämtliche vorgenannten Angaben sind frei erfunden. Die-
2567se Überzeugung beruht darauf, dass der geschilderte An-
2568lass für die Fahrt in die Nordstadt unglaubhaft ist. So
2569gab es bereits gar keinen plausiblen Grund dafür, über-
2570haupt ein Telefongeschäft aufzusuchen. Die von den An-
2571geklagten zur Begründung angegebenen Preisvorteile be-
2572gründen dies ersichtlich nicht. Dass man nämlich ange-
2573sichts der Gesamtumstände in einer von starken Emotio-
2574nen bestimmten Situation auf selten der Angeklagten auf
2575einmal daran denkt, Geld für Telefonate zu sparen, ist
2576schlicht abwegig. Dem widerspricht auch schon die Viel-
2577zahl der mittels Handy geführten Gespräche, die sie
2578nach eigenen Angaben mit Verwandten in der Türkei an
2579diesem Tage geführt haben. Dass man dazu noch in ein
2580Geschäft in die E- Nordstadt fährt, wo viele
2581Angehörige des "gegnerischen C-clans" wohnen, ist
2582auf Grund der gegebenen Umstände schlicht nicht glaub-
2583haft. Dass sie Letzteres wussten, haben sie in ihrer
2584Exploration gegenüber dem Zeugen U bzw. auch D2
2585in der Einlassung gegenüber dem Gericht einge-
2586räumt. Aus gleichen Gründen hält es die Kammer auch für
2587ausgeschlossen, dass sie dorthin gefahren sein wollen,
2588um dort im Anschluss an das Gespräch ein Auto anzumie-
2589ten. Das Letzte wäre allenfalls plausibel, wenn D4
2590als er erkannt hatte, dass an diesem Tag Rache an C's
2591genommen werden sollte, unter Hinweis auf seine
2592Geschäfte sich nicht nur heraushalten wollte, sondern
2593dies auch offen gegenüber seinem Bruder zum Ausdruck
2594gebracht hätte. Darauf hat sich der Angeklagte D4
2595auch berufen und dies hat D2 - anders als
2596D3 - zumindest teilweise bestätigt. Dies beein-
2597trächtigt die Überzeugung der Kammer jedoch nicht. Dass
2598D4l nicht derart offen vor der Familie "gekniffen"
2599hätte, ist nach dem, was er selbst über sein Selbstver-
2600ständnis und sein Verhalten im Familienverbund auf dem
2601Hintergrund seiner ethno-kulturellen Herkunft gesagt
2602hat, evident. Dies widerspricht zudem dem, was D4 er
2603an anderer Stelle wiederholt gesagt hat: dass er sich
2604niemals offen gegen die Familie gestellt hätte, sondern
2605dort, wo er eigene Wege gegangen ist, dies nur heimlich
2606getan hat. Dass die ganze Schilderung vom Telefonge-
2607schäft, Anmietung des Fahrzeugs und auch Mitfahrt des
2608Inhabers unzutreffend und frei erfunden ist, belegt in-
2609diziell auch, dass der Name des Wohnungsinhabers
2610noch der des vor der Tat bereits aufgesuchten Telefon-
2611geschäfts nicht angegeben und auch nicht genannt wurde,
2612wo das Auto hätte angemietet werden sollen. Dies ob-
2613schon insbesondere die Frage nach Lage der Wohnung und
2614Name des Wohnungsinhabers in der Hauptverhandlung von
2615der Kammer mehrfach aufgeworfen wurde, wobei sich das
2616Gericht auch auf die Ankündigung D4 gegenüber
2617dem Sachverständigen U bezogen hat, diesen doch be-
2618nennen zu wollen, wenn man ihm keinen Glauben schenke.
2619Stimmt somit nach Überzeugung der Kammer das Rahmenge-
2620schehen nicht, wie es zu den Geschehnissen am Tatort an
2621der Ecke M-straße/I-straße kam, belegt auch dies,
2622dass es für die Fahrt in die E- Nordstadt nur
2623den einen Grund gab: dass sie erfolgte, um entsprechend
2624dem von vornherein gemeinsam gefassten Entschluss, C's
2625zu suchen und als Racheakt für das morgendliche
2626Geschehen in der Türkei zu töten.
2627Zur Überzeugung der Kammer steht auch fest, dass D4
2628spätestens während der Fahrt nach E und
2629noch vor Eintreffen in der Wohnung des unbekannt Ge-
2630bliebenen in E selbst nicht nur erkannt hatte,
2631dass die beiden älteren Mitangeklagten entschlossen wa-
2632ren, bereits an diesem Tage in E Rache für das
2633in der Türkei Geschehene durch Tötung von C's zu
2634nehmen. Vielmehr ist sie überzeugt, dass es, ohne dass
2635es insoweit einer ausdrücklichen mündlichen Absprache
2636bedurft hätte, zu einem konkludenten Einvernehmen aller
2637drei Angeklagten gekommen ist, diese Tat gemeinsam aus-
2638zuführen und lediglich die beiden jüngeren Brüder her-
2639auszuhalten.
2640Die Kammer ist gewiss, dass der Angeklagte D4,
2641als er, entgegen seiner Vorstellung, von den beiden Al-
2642teren die Anweisung erhielt, nicht zu seiner in der
2643gleichen Straße gelegenen Wohnung, sondern nach E
2644zu fahren, zunächst ahnte und dann auch damit
2645rechnete, dass sie beschlossen hatten, dass hier in
2646Deutschland nunmehr Rache für das Geschehen in der Tür-
2647kei genommen werden sollte. Dass dies auch sofort umge-
2648setzt werden sollte, befürchtete er, weil er nicht nur
2649wusste, dass sein Bruder D2 bewaffnet war. Die Kam-
2650mer ist vielmehr auch überzeugt, dass er die offen im
2651vorderen Hosenbund getragenen Waffe des D3
2652gesehen hatte. Dass D3 die Waffe so offen
2653trug, haben er selbst und auch D2 bekundet.
2654Soweit D4 angegeben hat, dies nicht bemerkt zu
2655haben, glaubt ihm die Kammer dies schlicht nicht. Spä-
2656testens als er - wie er selbst eingeräumt hat - die Äu-
2657ßerung eines der Älteren gehört hat, "einer von den
2658Elendigen müsse gefunden und getötet werden" und dieser
2659Äußerung keiner der Älteren entgegengetreten ist, war
2660ihm klar, warum man nach E fuhr, nämlich um zu
2661töten.
2662Die Kammer ist schließlich auch davon überzeugt, dass
2663der Angeklagte D4 dadurch, dass er dieser Ab-
2664sicht weder jetzt noch später widersprochen hat, son-
2665dern vielmehr nach Absetzen der jüngeren Brüder mit den
2666beiden Mitangeklagten weiter Richtung Nordstadt gefah-
2667ren ist, konkludent zum Ausdruck gebracht hat, dass er
2668deren Ziele und den Plan, in der Nordstadt zuzuschlagen
2669teilte und daran ohne wenn und aber mitzuwirken gewillt
2670war. Dies war ihm bewusst. Auch D2 und D3
2671haben dies unausgesprochen so aufgefasst.
2672Widerlegt ist nach Überzeugung der Kammer nämlich all
2673das, was D4 selbst oder auch im Bestreben, ihn mög-
2674lichst zu entlasten, insbesondere sein Bruder D2
2675hierzu angeführt haben. So haben weder D2
2676noch D3 etwa all das bestätigt, was D4 an-
2677gegeben hat, um sich zu entlasten. D3 hat lediglich
2678angeben, dass der Entschluss zur Tat spontan gefasst
2679worden sei und dass man C's auf der Rückfahrt vom
2680Telefongeschäft gesehen habe. Soweit D4 zudem ange-
2681geben hat, dass man vor Eintreffen in E noch da-
2682von gesprochen habe, ihn wegen seiner finanzielle Er-
2683folge herauszuhalten und ihm so Gelegenheit zu geben
2684seine Geschäfte fortzusetzen oder sein Eigentum regulär
2685zu veräußern, haben dies nicht beide bestätigt. D3
2686hat dies in Abrede gestellt. D2 hat diese Angaben
2687nur pauschal und nicht etwa wie von D4geltend ge-
2688macht, dahin bestätigt, dass D4 sich gegen eine Mit-
2689wirkung offen ausgesprochen habe.
2690Ebensowenig haben beide das bestätigt, was D4 im
2691Einzelnen dazu angegeben hat, wie es zu seinem Anhalten
2692überhaupt gekommen sei. Die Kammer hat keine Zweifel,
2693dass seine Version, dass D3 ihn völlig überraschend
2694aufgefordert habe, die Fensterscheibe herunterzudrehen,
2695damit er die zufällig entdeckten Mitglieder der Familie
2696C aus dem Fahrzeug heraus erschießen könne, nicht
2697zutrifft. Dies hat nicht nur D3 ausdrücklich
2698in Abrede gestellt. Auch D2 hat dies im De-
2699tail nicht bestätigt, sondern nur davon gesprochen, es
2700sei zu einer Kontroverse im Auto gekommen. Er habe ohne
2701weitere Vorhalte gemacht zu haben seinen Bruder aufge-
2702fordert, nach links abzubiegen und anzuhalten. Dieses
2703Geschehen ist auch deshalb wenig plausibel, weil - wie
2704gerichtsbekannt - Mercedes-Fahrzeuge dieses Typs nicht
2705nur im Bereich der Rücksitze Seitenfenster haben, son-
2706dern diese auch von den hinten Sitzenden geöffnet wer-
2707den können. Entscheidender aber ist noch, dass es die
2708Kammer angesichts der von D4 selbst geschil-
2709derten Verhaltensweise, die sein Verhalten im Familien-
2710verbund bestimmt hat, es als ausgeschlossen erachtet,
2711dass er sich etwa, wie geltend gemacht, unter Hinweis
2712auf seine wirtschaftliche Situation von der Tatausfüh-
2713rungen abzusetzen versucht hat.
2714Entgegen seiner Einlassung ist er auch nicht erst durch
2715die Aufforderung seines Bruders D2 und nach dessen
2716Hinweis, "man habe den Onkel erschossen, während er
2717über wirtschaftliche und beruflichen Erfolg denke," zum
2718Anhalten und seiner späteren Mitwirkung bewegt worden.
2719Dem steht bereits entgegen, dass der Angeklagte sich
2720nach seinem Selbstverständnis niemals so offen gegen
2721die Entscheidungen der Älteren aufgelehnt hätte, weil
2722ihm dies, nach eigenem Bekunden gegenüber dem Zeugen
2723U - wie dieser glaubhaft der Kammer vermittelt hat -
2724auf Dauer die Achtung durch die Familie gebracht hätte.
2725Tatsächlich hat dieser Disput so nicht stattgefunden.
2726Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass D4 sich
2727auch hier wieder auf etwas bezieht, was nicht gesagt
2728wurde. Dafür war angesichts der Zeit, die zwischen Er-
2729kennen der C's im Vorbeifahren und Anhalten lag,
2730überhaupt keine Zeit. Dies ist dem Angeklagten dann
2731selbst aufgefallen. Es hat ihn dann veranlasst, in sei-
2732ner weiteren Exploration durch den Zeugen und Sachver-
2733ständigen U anzugeben, dass man nach dem ersten Auf-
2734einandertreffen noch eine geraume Strecke gefahren sei
2735und der Wohnungsnachbar zu beschwichtigen versucht ha-
2736be. All dies, was er in seinem letzten Wort dann noch
2737weiter hat zeitlich auseinander ziehen wollen, haben
2738beide Mitangeklagten nicht bestätigt. Die Kammer ist
2739davon überzeugt, dass all dies nicht geäußert worden
2740ist, sondern D4 hier allenfalls etwas wieder-
2741gegeben hat, was ihn unausgesprochen dazu veranlasst
2742hat, zusammen mit seinen Mitangeklagten, die Tat so
2743auszuführen, wie sie dann auch geschehen ist.
2744Auch soweit die Einlassung des Angeklagten dahin geht,
2745durch sein Verhalten sich lediglich dem Willen der bei-
2746den älteren Familienangehörigen untergeordnet zu haben,
2747die Tat also nicht als Täter gewollt, sondern nur zu
2748deren Tat Beihilfe geleistet zu haben, ist auch dies
2749nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Der An-
2750geklagte wollte die Tat in eigener Täterschaft zusammen
2751mit den Mitangeklagten als eigene. Hierzu leistete er
2752nach gemeinsamer Vorstellung aller Drei auch wesentli-
2753che für die Tatbegehung erhebliche Beiträge.
2754Der Angeklagte wusste um seine tragenden Rolle bei der
2755Tatausführung. Ihm war bewusst, dass die Mitangeklagten
2756mit ihm als Fahrer ein schnelles Fluchtfahrzeug zur
2757Verfügung hatten. Darüber hinaus hat er sie auch be-
2758reits zum Tatort gefahren und das Fahrzeug so abge-
2759stellt, um - wie er auch erkannt hat - einen optimalen,
2760die Gegner völlig überraschenden Angriff zu ermögli-
2761chen. Er hat damit wesentlich zur Durchführung der Tat
2762in deren konkreten Gestaltung beigetragen; einer Tat,
2763die er durch schlichtes Gasgeben und Weiterfahren hätte
2764verhindern können. Er hat auch deshalb mit dem Willen
2765zur täterschaftlichen Begehung gehandelt, weil auch er
2766- wie er eingeräumt hat - angesichts des Geschehens in
2767der Türkei die Vergeltung mit Blut für "erforderlich"
2768hielt, wenngleich er es lieber gesehen hätte, dass an-
2769dere möglichst in der Türkei die Tat ausgeführt hätten.
2770In der gegebenen Situation, als ihm klar war, dass die
2771Älteren hier die Sache in die Hand genommen hatten und
2772es so für ihn keine Möglichkeit gab, ohne Gesichtsver-
2773lust daran nicht mitzuwirken, wollte er die Tat und de-
2774ren Erfolg ganz und gar. Dies macht auch sein Verhalten
2775am Tatort selbst deutlich. Er ist - wie er auch selbst
2776angegeben hat - nicht etwa im Auto geblieben und hat
2777die Rückkehr der beiden Täter abgewartet, sondern ist -
2778wie die beiden Mitangeklagten und etwa die Zeuginnen
2779L3 und N5 bekundet haben, nicht mit Abstand hinter,
2780sondern neben ihnen gegangen, als die Schüsse fielen.
2781Aus Sicht der Kammer dokumentiert sich darin eindeutig,
2782dass er die Tat als sie geschah, als eigene wollte,
2783auch wenn er selbst mangels Waffe nicht geschossen hat.
2784Ergänzend hinsichtlich der Bewertung seines Tatbeitrags
2785hat die Kammer auch berücksichtigt, dass seine Anwesen-
2786heit an der Ecke auch dazu diente, ggf. bereit zu ste-
2787hen, um bei nicht von vornherein ganz auszuschließender
2788Gegenwehr seinen Mittätern beizustehen; sei es in einer
2789körperlichen Auseinandersetzung mit Passanten, sei es
2790im Falle deren Verletzung durch deren Bergung. Den Ta-
2791tentschluss zur Mitwirkung an der Tat der Mitangeklag-
2792ten als Täter fasste er bereits nachdem er auf Grund
2793des Ausspruches von D3 im Auto gewiss war,
2794warum er zur Fahrt nach E bestimmt worden war.
2795Ergänzend wird insoweit auch auf die im Rahmen der
2796rechtlichen Würdigung der Täterschaft noch folgenden
2797Ausführungen (Bl. 109 ff.) Bezug genommen.
2798Ebenfalls hinsichtlich der tatsächlichen Würdigung der
2799objektiven Gegebenheiten sowie der subjektiven Vorstel-
2800lungen bezüglich des Ausnutzens der Arg- und Wehrlosig-
2801keit der Opfer wird auf die ergänzenden Ausführungen im
2802Rahmen der rechtlichen Würdigung bezüglich des Tatbe-
2803standsmerkmals "Arglist'" (Bl. 98 ff.) verwiesen.
2804v.
2805Rechtliche Würdigung
2806A. Strafbarkeit
28071) Taten zum Nachteil des C2, C3 und C4
2808Nach den getroffenen Feststellungen haben sich die An-
2809geklagten wegen vollendeten Mordes zum Nachteil des
2810C3 und C2 (§ 211 StGB) sowie hinsicht-
2811lich des C4 des versuchten Mordes in Tatein-
2812heit mit schwerer Körperverletzung strafbar gemacht
2813(§§ 211, 22, 23 sowie §§ 223, 226 l Nr. 3 StGB).
2814Wegen Mordes waren alle drei Angeklagte zu bestrafen,
2815da jeder von ihnen in seiner Person das Mordmerkmal
2816Heimtücke verwirklicht hat. Jeder von ihnen hat heim-
2817tückisch gehandelt, weil er in feindlicher Willensrich-
2818tung (BGHSt 30, 105 (119)) die Arg- und Wehrlosigkeit
2819der drei Mitglieder der Familie C bewusst zur Tö-
2820tung ausgenutzt hat. Die Opfer waren sämtlich zum Tat-
2821zeitpunkt arg- und wehrlos. Sie versahen sich, als sie
2822auf der M-straße kurz vor der Kreuzung I-straße
2823auf die Angeklagten trafen, keines Angriffs. Sie wurden
2824vielmehr durch deren Angriff völlig überrascht und wa-
2825ren dadurch daran gehindert sich zu verteidigen, zu
2826fliehen, Hilfe herbeizurufen, die Täter umzustimmen
2827oder dem Anschlag in sonstiger Weise zu begegnen oder
2828ihn zu erschweren (vgl. BGHSt. 11, 139 (143); 32, 382
2829(384); 39, 353 (368); BGH 5 StR 478/02, Beschluss vom
283014.01.2003). Entscheidend ist insoweit, dass die sich
2831zum Beginn der mit Tötungsvorsatz ausgeführten Handlung
2832keines Angriffs auf ihr Leben oder ihre körperliche Un-
2833versehrtheit versahen (BGH NStZ 2001, 86). Dass die Op-
2834fer hier in objektiver Hinsicht arglos waren, steht
2835nach den getroffenen Feststellungen für die Kammer au-
2836ßer Zweifel. Sie waren unbewaffnet, redeten miteinander
2837und waren, ohne jedwede Vorsorge vor einem Überfall ge-
2838troffen zu haben, am hellichten Tage auf der Straße zu
2839Fuß unterwegs um aufschiebbare Termine wahrzunehmen. Um
2840solche aufschiebbaren Termine handelt es sich sowohl
2841bei dem Termin des C3 bei dem Rechtsanwalt
2842Dr. U2, zu dem jener in Begleitung des als Dolmet-
2843scher vorgesehenen C2 auf dem Wege war. Es war kein
2844Termin fest vereinbart, sondern man hatte am Morgen le-
2845diglich angerufen, dass man vorbeikommen wolle, weil
2846C3 am Freitag zuvor aus der Abschiebehaft entlas-
2847sen worden sei. Aufschiebbar war auch das, was C4
2848bei seiner Krankenkasse - der AOK - zu besorgen
2849hatte, wofür er ebenfalls C3 als Übersetzungshelfer
2850benötigte, und sich deshalb den beiden angeschlossen
2851hatten. Hätten sie auch nur im Entferntesten damit ge-
2852rechnet, dass ihnen an diesem Tage an diesem Ort Gefahr
2853drohte, hätten sie - davon ist die Kammer überzeugt -
2854sich dieser Gefahr nicht, und erst recht nicht so unge-
2855schützt zu Fuß und unbewaffnet, ausgesetzt. Dass sie
2856unbewaffnet waren, steht fest auf Grund der Bekundungen
2857der am Tatort eingesetzten Polizeibeamten und der so-
2858fort zum Tatort geeilten Zeugen insbesondere des Zeugen
2859T2 und der Zeugin L3, die weder eine Waffe bei
2860den Opfern gesehen noch etwa beobachtet haben, dass an-
2861dere Personen solche nach der Tat mitgenommen hätten.
2862An der Annahme der Arglosigkeit ändert auch der Umstand
2863nichts, dass zumindest C3 und C2 sowie der bei
2864der Tat unversehrt gebliebene Begleiter, der Zeuge C13,
2865von der morgendlichen Ermordung des D9
2866durch ein Mitglied ihrer Familie in der Ost-
2867türkei Kenntnis hatten und dieser dabei auch gemahnt
2868hatte, "sich zu schützen." Mit dem Übergreifen der
2869Blutrache nach Deutschland, insbesondere nach E,
2870hatten die C's, wie für die Kammer auf Grund ihres
2871gesamten Verhaltens evident ist, nicht gerechnet. Die-
2872ser Überzeugung steht auch nicht entgegen, dass sie zu
2873Viert unterwegs waren. Dafür haben die Überlebenden
2874- wie aufgezeigt - plausible Gründe angegeben. Diese
2875sind glaubhaft, so dass die Kammer ausschließt, sie
2876seien nur deshalb gemeinsam unterwegs gewesen, um einen
2877befürchteten Angriff von D's abwehren zu können.
2878Dass die Opfer die Täter und deren Vorhaben im letzten
2879Augenblick erkannten, als sie die drei D's wahrnah-
2880men und bei zweien von ihnen die gezogenen Waffen sa-
2881hen, ist insoweit unerheblich. Zu diesem Zeitpunkt, als
2882die Täter um die Ecke aus der I-straße kommend un-
2883mittelbar wenige Meter vor ihnen standen, hatten sie
2884keinerlei Möglichkeiten mehr, dem Angriff zu begegnen
2885(vgl. BGH Urteil vom 17.08.2001 - 2 StR 159/01; BGH Ur-
2886teil vom 03.09.2002, 5 StR 139/02; Altvater NSTZ 2003,
288721 (23)).
2888Bei den Angeklagten liegen die Voraussetzungen eines
2889heimtückisch begangenen Mordes nicht nur in objektiver
2890Hinsicht vor, vielmehr unterliegt die Verwirklichung
2891auch der subjektiven Tatseite bei allen drei Angeklag-
2892ten keinem Zweifel. Dabei ist sich die Kammer bewusst,
2893dass in subjektiver Hinsicht der Tatbestand des heim-
2894tückischen Mordes voraussetzt, dass die Täter die Arg-
2895und Wehrlosigkeit ihres/ihrer Tatopfer (s) kennen und
2896sich bewusst sind, dass sie diese zur Tat ausnutzen.
2897Dabei reicht es nicht, dass sie allein die Umstände,
2898auf die sich die Würdigung als heimtückisch stützt, in
2899einer äußerlichen nicht ins Bewusstsein drängenden Wei-
2900se wahrgenommen haben. Erforderlich ist vielmehr, dass
2901sie die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit für ihre
2902Tat erfasst haben (BGH 6, 20 (121); 6, 329 (331); BGH,
2903Urteil vom 17.05.2001, 4 StR 520/00). An einer solchen
2904in das Bewusstsein dringenden Wahrnehmung der Arg- und
2905Wehrlosigkeit kann es etwa fehlen, wenn der Täter in
2906hoher Erregung handelt (BGH, Urteil vom 17.05.2001,
2907a.a.O.). Hier haben sich die Angeklagten jedoch viel-
2908mehr nach Überzeugung der Kammer bewusst die Tatumstän-
2909de zu Nutze gemacht. Sie sind in E in die Nord-
2910stadt nicht nur im Bewusstsein gefahren, dass dort vie-
2911le Mitglieder der Sippe der C's als potentielle Op-
2912fer wohnen - nach eigenen Angaben 70 - 80 "Einheiten" -
2913sondern vielmehr dahin gefahren, um den Überraschungs-
2914moment für sich zu nutzen. Wie sie eingeräumt haben,
2915waren sie sich ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit auch
2916in Deutschland wohl bewusst. Sie konnten von daher nur
2917durch einen überraschenden, unerwarteten Angriff er-
2918folgreich Vergeltung üben. Dies war ihnen spätestens
2919klar, als sie von der Wohnung des Unbekannten in E
2920aufbrachen, um in der E- Nordstadt nach
2921C's zu suchen. Dabei gingen sie richtigerweise da-
2922von aus, dass "die C's" sich in ihren Quartieren in
2923der E- Innenstadt sicher fühlen würden. Dies
2924gilt um so mehr, als die D's, als sie noch in E
2925lebten, auf die vor 1999 begangenen Taten und auch
2926auf das spätere Niederbrennen des Hauses des D13
2927nach der Mädchengeschichte in keiner Weise aggres-
2928siv reagiert hatten, sondern stets vor den C's zu-
2929rückgewichen waren, sogar nach der Mädchenangelegenheit
2930von E weggezogen sind. Sie waren sich dessen
2931erst recht bewusst, als sie die späteren Opfer auf dem
2932Gehweg der M-straße sahen, die dort erkennbar ohne
2933irgendwelche Schutzmaßnahmen getroffen zu haben, sich
2934miteinander unterhaltend entlanggingen. Wie die Ange-
2935klagten übereinstimmend angegeben haben, sind sie an
2936diesen ohne anzuhalten vorbeigefahren und dann nach
2937links an der nächsten Möglichkeit abgebogen. Hier haben
2938sie dann - d.h. D4- das Fahrzeug abgestellt. Dabei
2939geschah dies so, dass sie von den auf der M-straße
2940weitergehenden C's nicht gesehen werden konnten.
2941Sie sind dann zurück zur Ecke M-straße, wo sie, wie
2942sie auf Grund ihrer vorherigen Beobachtung wussten, un-
2943mittelbar ihren Opfern gegenüberstehen würden und sie
2944so überraschen mussten. Ihnen war somit klar, dass sie
2945für die C's dort mit bereits gezogenen Waffen völ-
2946lig überraschend auftauchen würden, so dass für diese
2947keine Möglichkeit zur Gegenwehr oder gar zur Flucht ge-
2948geben sein würde. All dies haben die drei Angeklagten
2949erkannt und sich diese Situation bewusst zu Nutze ge-
2950macht, um den Taterfolg sowie die anschließende Flucht
2951aus dem Quartier der C's sicherstellen zu können.
2952Insbesondere handelte dabei keiner um ihnen angesichts
2953des morgendlichen Anrufs des Onkels D14,
2954der nicht nur über die Umstände der Ermordung D9
2955berichtet hatte, sondern vor weiteren Aktionen der Fa-
2956milie C gewarnt hatte, in der Ansicht die C's
2957rechneten mit einem solchen Angriff. Auch handelten sie
2958nicht etwa um so einem Angriff auf sich selbst gar zu-
2959vorkommen .
2960Dies war auch bei dem Angeklagten D3 nicht
2961anders. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass er wegen
2962der besonderen Beziehung, in der er als Schwiegersohn
2963zu dem Getöteten D9 stand auch zu diesem
2964Zeitpunkt in besonderem Maße emotional erregt war. Dies
2965hat aber nicht etwa dazu geführt, dass er die Wehrlo-
2966sigkeit der Opfer und das Ausnutzen der Situation durch
2967sie nicht bewusst wahrgenommen hätte.
2968Neben dem Merkmal Heimtücke haben die Angeklagten
2969D2 und D4 auch das Mordmerkmal einer Tö-
2970tung aus "niedrigen Beweggründen" verwirklicht. Die An-
2971geklagten haben hier mit den von ihnen ausgesuchten Op-
2972fern Menschen getötet, die weder ihnen selbst noch An-
2973gehörigen jemals etwas zu Leide getan haben und deren
2974einzige "Schuld" darin bestand, Mitglieder der Famili-
2975ensippe der C's zu sein, mit denen ihre eigene Fa-
2976milie in der Türkei verfeindet war und von deren Mit-
2977gliedern eines einen Onkel der Angeklagten am Morgen
2978getötet hatte. Unter den hier relevanten Umständen
2979führt auch das hinter dem Tun der Angeklagten D4l und
2980D3 stehende Motiv, aus ihrer Sicht nur den
2981Gesetzen der Blutrache genüge zu tun, nicht zur Vernei-
2982nung des Merkmals niedriger Beweggründe. Solche sind
2983gegeben, wenn nach allgemeiner sittlicher Wertung die
2984Tatmotive auf tiefster Stufe stehen und deshalb beson-
2985ders verachtenswert sind. Bei der Frage, ob dies anzu-
2986nehmen ist, ist eine Gesamtwürdigung der Umstände der
2987Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Per-
2988sönlichkeit, also aller für die Handlungsantriebe maß-
2989geblichen äußeren und inneren Antriebe, vorzunehmen.
2990Entbehrt hiernach bei der Gesamtabwägung das Handlungs-
2991itiotiv ungeachtet der Verwerflichkeit, das jeder vor-
2992sätzlichen und rechtswidrigen Tötung inne wohnt, nicht
2993jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es nicht
2994als niedrig zu qualifizieren (BGH StrV 1989, 130; BGH
2995StrV 2001, 571). Der Maßstab für die Bewertung eines
2996Beweggrundes ist den Vorstellungen der Rechtsgemein-
2997schaft in der Bundesrepublik Deutschland zu entnehmen
2998und nicht etwa den Anschauungen der Volksgruppe, denen
2999sich der Angeklagte zugehörig fühlt, und die die sitt-
3000lichen und rechtlichen Werte der deutschen Rechtsge-
3001meinschaft nicht anerkennt (BGHR StGB § 211 Abs. 2
3002"Niedrige Beweggründe" Nr. 29; BGH, Beschluss vom
300324.04.2001 -1 StR 122/01; BGH NStZ 2002, 370). Die Tö-
3004tung von Menschen, und damit die Verletzung des Rechts-
3005gutes, das in der deutschen Rechtsordnung den höchsten
3006Schutz genießt, geschah hier zum Nachteil von Personen,
3007die an der Auseinandersetzung der Angehörigen der Täter
3008in der Türkei völlig unbeteiligt waren. Diese haben
3009sich an der Auseinandersetzung - auch in Deutschland -
3010in keiner Form beteiligt. Ihre einzige "Mitverant-
3011wortung" bestand darin, dass sie aus Sicht der Ange-
3012klagten zur gegnerischen Familie gehörten. Die Kammer
3013verkennt hierbei nicht, dass nach den Gesetzen der
3014Blutrache die Ehre der eigenen wie die der gegnerischen
3015Familie "körperlich verstanden" wird. Sie sieht, dass
3016nach diesem Verständnis jeder Angriff auf die eigene
3017(Groß-) Familie zugleich als Angriff auf jedes Mitglied
3018verstanden wird und danach entsprechend der Angriff ei-
3019nes jeden Mitgliedes des gegnerischen Familienclans zu-
3020gleich als Angriff des gesamten Clans und damit jedes
3021seiner Mitglieder betrachtet wird. Nach dieser – der
3022Vorstellung der Angeklagten - waren die Opfer nicht im
3023hiesigen Verständnis "Unbeteiligte".
3024Gesehen hat die Kammer auch, dass nach der die Blutra-
3025che prägenden archaischen Sitten- und Wertvorstellung
3026im Falle der Tötung eines Angehörigen, gerade wenn dies
3027wie vorliegend durch Tötung eines besonders angesehenen
3028Exponenten der eigenen Familie und zudem noch unter
3029Bruch des kurz zuvor zwischen den Parteien geschlosse-
3030nen Friedens geschieht, es "eine Frage der Ehre ist",
3031die Tötung durch Blut und damit durch die Tötung eines
3032oder entsprechend der Stellung des Getöteten ggf. auch
3033mehrerer Mitglieder der gegnerischen Familie zu rächen.
3034Dies führt gleichwohl hinsichtlich der Angeklagten
3035D4 und D2 nicht dazu, das Vorliegen nied-
3036riger Beweggründe zu verneinen. Denn die bestehende
3037Verwurzelung eines Angeklagten bedingt durch seine eth-
3038no-kulturelle Herkunft und die ggf. bestehende Verhaf-
3039tung in den Vorstellungen der Blutrache kann ohnehin
3040nur im Ausnahmefall zur Verneinung des Merkmales füh-
3041ren. Dies ist nur dann der Fall, wenn dem Täter bei der
3042Tat die Umstände nicht bewusst waren, die die Niedrig-
3043keit seiner Beweggründe ausmachen oder es ihm nicht
3044möglich war, seine gefühlsmäßigen Regungen, die sein
3045Handeln bestimmen, gedanklich zu beherrschen oder zu
3046steuern (BGH NStZ 2002, 369, 370; BGH NStZ-RR 2000,
3047168, 169). So aber lag der Fall hier nicht. Sowohl
3048D2 wie auch D4 hatten - wie sie eingeräumt
3049haben - erfasst, dass ihre Wertvorstellungen, die ihnen
3050am Tattag die Wiederherstellung der Ehre auch um den
3051Preis der eigenmächtigen Vernichtung von Menschenleben
3052aufgaben, in dieser Form von der Rechtsordnung hier
3053keinerlei Billigung finden. Sie waren trotz ihrer eth-
3054no-kulturellen Prägung und trotz des morgendlichen Ge-
3055schehens zum Zeitpunkt der Tat in der Lage, ihre Reak-
3056tion zu beherrschen und dahin zu steuern dem von ihrer
3057Erziehung her bestehenden Wunsch zu widerstehen, Rache
3058zu üben. Dies macht bereits der zeitliche Abstand zur
3059morgendlichen Information klar. Zwischen dieser und der
3060Tatausführung lagen bei D2 und auch bei D4 meh-
3061rere Stunden. Überdies zeigt auch die Tat ein durchaus
3062überlegtes Vorgehen. Beleg dafür ist nicht zuletzt die
3063Tatausführung selbst, sich in "die Höhle des Löwen"' zu
3064begeben, womit gerade angesichts des früheren Verhal-
3065tens der Familie D, die stets zurückgewichen war,
3066von der Gegenseite nicht gerechnet werden konnte. Es
3067handelt sich hierbei um eine zwar noch zeitnah begange-
3068ne, keinesfalls aber aus einem jähen Affekt heraus be-
3069gangene Tat.
3070Die Kammer gelangt zur Begehung von "niedrigen Beweg-
3071gründen'" selbst dann, wenn sie - ausschließlich zu Gun-
3072sten der Angeklagten - zusätzlich unterstellt, dass
3073hier nicht ein allein von D2 und D3 getroffener
3074Entschluss umgesetzt worden ist, sondern die Tat auf
3075Anweisung und in Erfüllung eines von dem Vater oder an-
3076deren hochrangigen Angehörigen in der Türkei telefo-
3077nisch erfolgten Auftrags ausgeführt wurde. Eine solche
3078Anweisung hatte die Kammer der Beurteilung hier trotz
3079der Wahrunterstellung, es habe eine solche Anweisung
3080nicht gegeben (Bl. 327 PSB), zu Grunde zu legen. Anders
3081nämlich als im Rahmen der Schuldfeststellung wirkt sich
3082die Existenz einer solchen Weisung hier, wie auch spä-
3083ter bei der Erörterung von §§ 20, 21 StGB sowie der
3084Prüfung der Frage der besonderen Schwere der Schuld, zu
3085Gunsten der Angeklagten aus und war daher insoweit der
3086Bewertung zu Grunde zu legen. Auch dann handelt es sich
3087nicht um eine spontane situativ bedingte Tat, so dass
3088von daher das Merkmal niedriger Beweggründe zu vernei-
3089nen gewesen wäre (vgl. NStZ-RR 2000, 168 (169)). Zu be-
3090rücksichtigen ist nämlich, dass angesichts ihrer Sozia-
3091lisation beide von den Regeln der Blutrache keinesfalls
3092so durchdrungen waren, dass sie unter dem Eindruck des
3093Geschehens das Unrecht ihres Tuns etwa nicht gesehen
3094hätten. So hatte D4 die gesamte Familienaus-
3095einandersetzung nicht zum Anlass genommen, sein eigenes
3096Leben zu verändern, sondern war allein dem Wunsche
3097D2 entsprechend zwar nach F gezogen. Er hatte
3098dort aber trotz der "Mädchenangelegenheit'' seinen Le-
3099bensstil nicht geändert und war seinen Geschäften wie
3100gewohnt nachgegangen. Er hielt darüber hinaus - davon
3101ist die Kammer überzeugt - die Gesetze der Blutrache
3102für verfehlt. Dies zeigt auch sein Verschweigen der
3103Einzelheiten des Geschehens mit E4 bzw. die
3104Beschädigung seines Fahrzeugs gegenüber seinen Angehö-
3105rigen. Weil er diese Sache, für falsch hielt, hat er
3106dieses seiner Familie nicht erzählt. Damit wollte er nämlich
3107sofort ausschließen - wie eingeräumt - gerade unterbinden, dass sich einer
3108seiner Angehörigen hätte veranlasst sehen können,
3109selbst für das ihm Angetane Vergeltung zu üben. Auch
3110für D2 gilt nach Überzeugung der Kammer
3111letztlich nichts anderes. Dies obschon er erst seit
31121999 in Deutschland lebte. Dieser hat nämlich nicht nur
3113eingeräumt, dass er um die Strafbarkeit aus Blutrache
3114begangener Taten sowohl in der Türkei wie in der Bun-
3115desrepublik weiß, sondern auch angegeben, dass er stets
3116versucht habe, diesen Gesetzen "zu entkommen"' und alles
3117getan habe, die eigenen Kinder von diesem Denken fern-
3118zuhalten. Er wusste mithin um die Verfehltheit der Re-
3119geln. Wenn er auch das Zurückweichen vor Übergriffen
3120als unehrenhaft empfand und darunter auch litt, so
3121wusste er doch darum, dass all dies nicht rechtfertigt,
3122das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Das war auch
3123am Tattag nicht anders. An diesem Tag hat er sich le-
3124diglich zur Durchsetzung des in den Kreisen in denen er
3125sich bewegte, geltenden Ehrbegriffs in eigenmächtiger
3126selbstsüchtiger Weise über erkannte, hier geltende,
3127Wertmaßstäbe hinweggesetzt. All dies geschah auch bei
3128ihm nicht spontan ohne Plan und Vorbereitung aus der
3129Situation heraus, sondern basierte auf einer in seiner
3130Person seit dem Morgen gereiften Planung, die sich auch
3131bei ihm gerade wegen der Art und Weise sowie dem Ort
3132der Tatausführung keinesfalls als unbedachte, in jäher
3133Erregung vollzogene Tat darstellt. Selbst wenn man auch
3134bei ihm - insoweit (vgl. S. 105) - zu seinen Gunsten
3135unterstellt, dass er einem telefonischen Auftrag aus
3136der Türkei folgte, führt dies nicht zur Verneinung
3137niedriger Beweggründe in seiner Person. Seine berufli-
3138che Tätigkeit als Tankstellen- und Apothekenbetreiber
3139in der Stadt W sowie seine abwägende Reaktion bei
3140allen zurückliegenden Übergriffen machen klar, dass er
3141tatsächlich weit weniger von seiner ethno-kulturellen
3142Herkunft geprägt ist, als er der Kammer und dem Sach-
3143verständigen hat Glauben machen wollen. Ihm ging es im
3144Wesentlichen um das Ansehen der Familie und damit das
3145eigene in der kurdischen "Öffentlichkeit".
3146Die Annahme niedriger Beweggründe scheidet auch nicht
3147etwa deshalb aus, weil sich die Angeklagten D2 und
3148D4 in einer besonderen Drucksituation befunden
3149haben, der sie nicht hätten widerstehen können. Wenn
3150sie zur vermeintlichen Wiederherstellung der
3151Familienehre nicht Unbeteiligte getötet hätten, sondern
3152untätig geblieben wären, hätten sie schlimmstenfalls
3153mit einem Ansehens- und Ehrverlust innerhalb der kurdi-
3154schen Gemeinschaft rechnen und ggf. auch eine Ächtung
3155und Ausstoßung durch ihre Familie in Kauf nehmen müs-
3156sen. Dies aber war für beide angesichts des widerstrei-
3157tenden hohen Wertes des Lebens kein unwiderstehlicher
3158Druck, lebten doch beide in Deutschland nicht in einem
3159dem agrarischen Leben in der Heimat vergleichbaren Ge-
3160meinschaftsverflecht, bei dem das Angewiesensein auf
3161wechselseitige Hilfe überlebensnotwendig ist. D4
3162hatte eine eigene, selbständige Existenz aufgebaut und
3163es mit Luxus-Pkw, Hausbesitz und eigenem Ladengeschäft
3164in kurzer Zeit zu beträchtlichem Wohlstand gebracht.
3165D2 wusste auf Grund des Beispiels des Bruders um
3166die hier gegebenen Möglichkeiten sowie aus der zurück-
3167liegenden Erfahrung als erfolgreicher Geschäftsmann in
3168der Türkei, dass ihm auch ohne große Familie ein Über-
3169leben hier - ungeachtet der ohnehin bezogenen Sozial-
3170hilfe - möglich sein würde.
3171Hingegen hat die Kammer bei dem Angeklagten D3
3172ein Handeln unter Verwirklichung des Merkmals der
3173Tötung aus niedrigen Beweggründen verneint. Bei ihm
3174stand nämlich nicht die Tötung zur Wahrung der Familie-
3175nehre im Vordergrund. Vielmehr hat das Gericht zumin-
3176dest nicht ausschließen können, dass in seiner Person
3177die Tat mehr noch aus Hass wegen elementarer persönli-
3178cher Betroffenheit über den Tod des Onkels in der Tür-
3179kei begangen wurde. Der Getötete war nicht nur Vater
3180seiner Ehefrau und sein Schwiegervater; er war für D3
3181weitaus mehr. Er hat - wie aufgezeigt - seit
3182frühester Kindheit gleichsam für ihn die Rolle eines
3183Ersatzvaters eingenommen, der ihn und die von ihrem
3184Mann verlassene Mutter zunächst geschützt und unter-
3185stützt sowie ihm dann durch sein ganzes Leben hinweg
3186weitergeholfen und schließlich die eigene Tochter zur
3187Frau gegeben hat. Allein entkräftet dies angesichts der
3188hier nicht am Täter, sondern an unbeteiligten Familien-
3189angehörigen (geübten/ Rache den Vorwurf des Vorliegens
3190objektiv gegebener niedriger Beweggründe zwar nicht.
3191Hier kommt jedoch die Persönlichkeit des Angeklagten
3192hinzu. Dieser hat kaum die Schule besucht und ist im
3193sozio-kulturellen Denken seines Herkunftsraums in weit
3194stärkerem Maße verhaftet, als seine beiden Mitangeklag-
3195ten. Bei ihm handelt es sich um einen einfach struktu-
3196rierten, schulisch ungebildeten Menschen, der trotz
3197seiner Tätigkeit in der Großstadt Istanbul während der
3198Wintermonate und trotz seines langen Aufenthalts in
3199Deutschland seinen heimatlichen Wertvorstellungen im
3200weitaus stärkerem Maße verhaftet ist. Angesichts der
3201hier deutlich ausgeprägten Dominanz der ethno-
3202kulturellen Prägung einerseits und der zudem bestehen-
3203den gesteigerten persönlichen Betroffenheit hat die
3204Kammer bei ihm das Vorliegen des Mordmerkmals Tötung
3205aus niedrigen Beweggründen letztlich wegen der nicht
3206sicher feststellbaren subjektiven Merkmale verneint.
3207Nach den getroffenen Feststellungen haben alle drei An-
3208geklagten mittäterschaftlich gemäß § 25 Abs. 2 StGB ge-
3209handelt; auch der Angeklagte D4 ist als Mittä-
3210ter und nicht lediglich wegen Beihilfe zu bestrafen.
3211Zwar haben in der Wohnung in F zunächst nur die An-
3212geklagten D2 und D3 gemeinschaftlich den
3213Plan gefasst, in die E- Nordstadt zu fahren, um
3214dort den Tod des Onkels entsprechend den Gesetzen der
3215Blutrache durch Tötung von zufällig auf der Straße be-
3216findlichen Angehörigen des gegnerischen Clans zu rä-
3217chen. Basis dieses Plans war auch die Ausnutzung des
3218Überraschungsmoments, das plötzliche Auftauchen mit ei-
3219nem Fahrzeug, das Zuschlagen und die anschließende
3220schnelle Flucht aus dem Wohnbereich der C's. Der
3221Angeklagte D4 hat sich dieser gemeinsamen Pla-
3222nung angeschlossen und die ihm dabei zugedachte Rolle
3223übernommen, weil auch er die geplante Tat als eigene
3224wollte und sich auch seiner maßgeblichen Rolle in dem
3225Tatplan bewusst war. Ihm war spätestens nach dem Hin-
3226weis, dass "von den Elenden welche gesucht und getötet
3227werden müssten" klar, was die beiden Mitangeklagten
3228vorhatten. Bereits dadurch, dass er im Wissen um die
3229Absicht, Rache zu üben, kommentarlos die Fahrt nach
3230E fortsetzte und erst Recht nochmals als er dann auch
3231noch nach Zurücklassung der beiden jüngeren Familien-
3232mitglieder in der E Wohnung, in die ihm be-
3233kannten Wohnquartiere der C's in der E-
3234Nordstadt fuhr, hat er - ohne dass es angesichts der
3235Umstände noch einer weiteren Absprache bedurfte - kon-
3236kludent sich dem von ihm erkannten von den beiden Älte-
3237ren gefassten Tatentschluss angeschlossen und die Tat
3238auch als eigene täterschaftlich mit zu begehen. Dass es
3239einer ausdrücklichen Absprache nicht bedarf, sondern
3240eine konkludente genügt, entspricht ständiger Recht-
3241sprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGHSt 37,
3242292). So haben die beiden Mitangeklagten das Verhalten
3243D4 auch aufgefasst. Dies um so mehr, als der
3244Angeklagte D4 sich in keiner Weise gegen das
3245Vorhaben gewendet oder auch nur im Ansatz eine irgend-
3246wie geartete Distanzierung von ihrem Vorhaben zu erken-
3247nen gegeben hat. Die von D4 - und mit Erwähnung ei-
3248ner "Auseinandersetzung" auch von D2 - gege-
3249bene Einlassung, D4 habe sich der Aufforderung des
3250D3, das Fenster runterzulassen um schießen zu kön-
3251nen, widersetzt oder sei im 'Halten erst durch den Vor-
3252halt des älteren Bruders veranlasst worden, ist - wie
3253bereits aufgezeigt - eine Schutzbehauptung und wider-
3254legt.
3255Somit haben alle drei nach den vom Bundesgerichtshof in
3256den Urteilen vom 15.01.1991 (BGHSt 34, 289 f.) und im
3257Urteil vom 18.01.1994 (BGH NStZ 1995, 122 ff.) aufge-
3258stellten Grundsätzen die gesetzlichen Voraussetzungen
3259der Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB er-
3260füllt, indem sie die Tat entsprechend dem konkludent
3261gefassten gemeinschaftlichen Plan in Gang gesetzt, des-
3262sen Verwirklichung gewollt und auch ausgeführt haben.
3263Dies gilt auch, obwohl nicht sämtliche Angeklagten nach
3264dem gemeinschaftlichen Plan und dessen tatsächlicher
3265Ausführung "ein jeder eigenhändig hat töten sollen."
3266Denn die mittäterschaftliche Ausführung setzt nicht
3267voraus, dass ein jeder Mittäter ein gesetzliches Merk-
3268mal verwirklicht. Es genügt vielmehr jede andere Mit-
3269wirkung, durch die der Mittäter den oder die tatausfüh-
3270renden Genossen in dessen Tatentschluss bestärkt oder
3271einen eigenen Tatbeitrag in die gemeinschaftliche Tat
3272einfügt, so dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit
3273des anderen und umgekehrt deren Tun als Ergänzung des
3274eigenen Tatanteils erscheint. Dies war hier nicht nur
3275bezüglich der Angeklagten D2 und D3, son-
3276dern auch bei D4 der Fall. Hinsichtlich der
3277Angeklagten D3 und D2, die beide -wie im
3278Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt - geschossen und
3279auch getroffen haben, ist dies unzweifelhaft der Fall.
3280Insoweit ist ihnen insbesondere auch jeweils die Tötung
3281und/oder Verletzung der von dem jeweils anderen Schüt-
3282zen getroffenen Personen zuzurechnen.
3283Im Ergebnis gilt nichts anderes auch für D4.
3284Dessen Aufgabe war es, die beiden anderen zu fahren und
3285es ihm zudem zu ermöglichen, nach Entdeckung geeigneter
3286Opfer anzuhalten, um ihnen so ein schnelles Verlassen
3287des Fahrzeugs, den überraschenden Einsatz der mitge-
3288führten Waffen und damit die Tötung zu ermöglichen so-
3289wie dann die schnelle Flucht vom Tatort sicherzustel-
3290len. Sein Tatbeitrag ging jedoch noch darüber hinaus.
3291Denn er ist - wie er selbst eingeräumt hat - mit den
3292beiden anderen zum eigentlichen Tatort gegangen. Dies
3293tat er - wie er ebenfalls eingeräumt hat -, um im Falle
3294von auftretenden Problemen, insbesondere bei einer mög-
3295lichen Verletzung eines seiner Angehörigen bei Aufein-
3296andertreffen mit den gegnerischen Clanmitgliedern ggf.
3297Hilfe leisten und so deren Flucht vom Tatort ermögli-
3298chen zu können. Noch deutlicher als die fehlende Di-
3299stanzierung im Auto belegt dieses Mitgehen nach außen,
3300dass er ohne wenn und aber die Tat gewollt hat. Somit
3301hat er, auch wenn er selbst nicht geschossen und auch
3302keine Waffe mit sich geführt hat, einen eigenen ganz
3303wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Tatplans gelei-
3304stet. Bei ihrer Annahme täterschaftlichen Handelns des
3305Angeklagten D4 hat die Kammer durchaus auch
3306gesehen, dass selbst die bestehende Tatherrschaft des
3307Angeklagten, die dieser unmittelbar vor der Tat durch
3308Benutzung des Gaspedals gleichsam nicht in den Händen
3309sondern "im Fuß hatte", es nicht ausschließt, dass er
3310nur zur Tat seiner Mittäter hatte Beihilfe leisten wol-
3311len. Da er nämlich nicht eigenhändig getötet hat, steht
3312der Einordnung der Tat als bloße Teilnahme nicht be-
3313reits der Wortlaut des § 25 Abs. 1 StGB entgegen. So-
3314weit er in diesem Sinne zu seiner Verteidigung sich da-
3315hin eingelassen hat, er habe die Tat nicht gewollt,
3316sich ihr nur deshalb nicht entziehen können, weil er
3317ansonsten sein Gesicht vor der Familie verloren hätte
3318und von ihr verstoßen worden wäre, führt dies hier nach
3319Bewertung der Kammer nicht dazu, dass sein Wille - wie
3320von ihm geltend gemacht - lediglich auf eine Teilnahme-
3321handlung gerichtet war. Da er keine Waffe bei sich
3322führte, konnte von ihm nur das ihm Mögliche verlangt
3323werden. Genau dies hat er durch das Mitgehen zum An-
3324schlagsort aber getan. Alles was er sonst noch ange-
3325führt hat, um eine Distanzierung von der Tat zu bewei-
3326sen, ist - wie bereits mehrfach aufgezeigt - widerlegt.
3327Daher kommt aus Sicht der Kammer gerade durch das Mit-
3328gehen D4 zum Tatort deutlich zum Ausdruck, dass er
3329das folgende Geschehen als gemeinsames Tun betrachtet
3330hat. In dieser Situation, da er sich nämlich nicht wie
3331sonst gelegentlich dem Leben nach den Grundsätzen sei-
3332nes ethno-kulturellen Herkunftsbereichs durch Rückzug
3333oder Verheimlichung hat entziehen können, identifizier-
3334te er sich mit dem Tun und handelte bewusst wie seitens
3335seines sozialen Umfeldes von ihm gefordert. Darüber
3336hinaus hatte er auch ein maßgebliches Interesse am Ta-
3337terfolg. Denn auch er war - wie er selbst eingeräumt
3338hat - zum Zeitpunkt der Tat der Ansicht, dass nach dem
3339Geschehen am Morgen in der Türkei diese Tat nur mit
3340Blut gesühnt werden konnte. Nachdem er - anders als vor
3341Erkennen des Fahrziels E - erkannt hatte, dass
3342dieses nicht von der Familie in der Türkei, sondern
3343durch sie in Deutschland erfolgen sollte, hat er sich
3344der Verwirklichung dieses Vorhabens als eigenes gemein-
3345schaftliches mit seinen Tatgenossen als Täter bereits
3346zu diesem Zeitpunkt und nicht etwa erst unmittelbar vor
3347der Tat in der E- Nordstadt verschrieben.
3348Der Vorsatz aller drei umfasste auch neben der Tötung
3349von C2 und C3 die versuchte Tötung zum
3350Nachteil des Nebenklägers C4. Von dieser Tat
3351sind sie auch nicht etwa zurückgetreten (§ 24 StGB).
3352Denn wie D2 und D3 übereinstimmend bestä-
3353tigt haben, haben beide ihre Waffen leergeschossen. Im
3354Übrigen bestand angesichts des Gesamtgeschehens auf of-
3355fener Straße auch nicht die Möglichkeit für die Täter,
3356die Tat anderweitig noch zu beenden. Insoweit war ihr
3357Versuch fehlgeschlagen.
3358Tateinheitlich haben sie zum Nachteil C4 auch
3359eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 226 Abs. 1
3360Nr. 3 StGB verwirklicht. Er ist auf Grund der nahezu
3361vollständigen Querschnittlähmung auf Dauer an den Roll-
3362stuhl gefesselt und leidet insoweit an einer dauerhaf-
3363ten Lähmung im Sinne der Norm.
3364Die Kammer war an ihrer vorstehenden rechtlichen Bewer-
3365tung auch nicht auf Grund ihr früher - nämlich am
336605.06.2003 - geäußerten Rechtsansicht der Täterschaft
3367bzw. Teilnahme des Angeklagten D4 sowie zur
3368Bewertung des Merkmals niedriger Beweggründe und zur
3369Frage der besonderen Schwere der Schuld gehindert.
3370Nicht nur beim Vortrag der damaligen Rechtsansicht hat
3371die Kammer die Vorläufigkeit ihrer Bewertung betont
3372sondern ausdrücklich im Rahmen des rechtlichen Hinwei-
3373ses am 16.06.2003 offengelegt, dass sie sich nicht nur
3374hinsichtlich der früher in Aussicht genommenen Strafhö-
3375he nicht mehr an ihre vorherige Erklärung gebunden
3376fühlt, sondern insbesondere in der rechtlichen Bewer-
3377tung diese Fragen offen seien. Die abschließende Bera-
3378tung hat teilweise auch unter dem Eindruck der erst
3379nach dem 16.06.2003 stattgefundenen weiteren Beweisauf-
3380nahme zur abschließenden Bewertung geführt. So hat etwa
3381die Kammer erst nach dem 16.06.2003 Kenntnis davon er-
3382langt, dass der Zeuge D17 wegen uneidlicher Fal-
3383schaussage im Termin am 13.03.2003 vor der erkennenden
3384Kammer auf Grund eines eigenen Geständnisses durch das
3385Amtsgericht Dortmund im Verfahren 79 Ds 190 Js 129/03
3386am 17.04.2003 verurteilt wurde. Die Beweisaufnahme
3387hierzu hat zwar nicht bestätigt, dass sämtliche Angaben
3388des Zeugen T4 über den Inhalt des von ihm für den
338924.06.2002 bekundeten Gesprächs eingeräumt worden sind.
3390Der Zeuge T4 hatte diesbezüglich bekundet, ihm habe
3391D17 berichtet, er und seine "Frau", die Zeugin
3392T5, seien in der Wohnung in F gewesen, als
3393"D2 und "D4" die Tat besprochen und dazu aufge-
3394brochen seien. In einem späteren Telefonat sei ihm dann
3395vom erfolgreichen Ausgang berichtet worden; geschossen
3396habe D4 und D2. Der Zeuge D17 und die
3397Zeugin T5, als seine Verlobte, haben in der erneu-
3398ten Vernehmung wegen des noch nicht rechtskräftig abge-
3399schlossenen Verfahrens berechtigt die Aussage verwei-
3400gert. Die von der Kammer weiter gehörten Zeugen, der
3401Haftrichter, der Zeuge L7, wie auch der erken-
3402nende Richter des amtsgerichtlichen Verfahrens, der
3403Zeuge L8, sowie der als Dolmetscher in diesem
3404Verfahren tätige Zeuge N9 haben lediglich bekun-
3405det, dass der Zeuge D17 als Angeklagter - wenn
3406auch pauschal - in diesem Verfahren eingeräumt hat, im
3407hiesigen Verfahren am 13.03.2003 über den Inhalt des
3408Telefonats am 26.06.2002 falsche Angaben gemacht zu ha-
3409ben. Da der Zeuge T4 nicht selbst in F in der
3410Wohnung des D7 gewesen ist, sondern hinsichtlich
3411dieser Geschehnisse nur das berichtet hat, was ihm der
3412Zeuge D17 berichtet haben soll, erachtet die Kam-
3413mer die von ihm bekundeten Einzelheiten als nicht mit
3414hinreichender Sicherheit für erwiesen. Dies beruht zum
3415einen darauf, dass T4 selbst der Wahrheit zuwider
3416ausgesagt hat, sich nicht selbst an das BKA in Mecken-
3417heim gewandt zu haben, um eine Aussage zu machen. Zum
3418anderen kann die Kammer auch nicht ausschließen, dass
3419die Zeugen – D17 im Telefonat gegenüber T4
3420oder später T4 selbst - hier Details ausgeschmückt
3421oder gar erfunden haben. Für erwiesen hält die Kammer,
3422dass D17 tatsächlich in F gewesen ist und dort
3423in der Wohnung des D7 tatsächlich davon gesprochen
3424wurde, was zu tun sei und er daher mitbekommen hat,
3425dass die beiden Älteren - zwar D2 nicht mit D4,
3426wohl aber D2 und D3 - den Ent-
3427schluss gefasst haben, nach E zu fahren, um dort
3428Rache zu üben. Vor diesem Hintergrund hat die Kammer
3429angesichts der bewiesenen Äußerungen auf der Fahrt nach
3430E keine Zweifel, dass der Angeklagte D4
3431sich nach Erkennen des Tatplans diesem im Sinne gemein-
3432schaftlichen Handelns angeschlossen hat. Auch hat - das
3433räumt die Kammer offen ein - zudem der bis dahin nicht
3434hinreichend gewürdigte Umstand Bedeutung gewonnen, dass
3435der Angeklagte C4 tatsächlich nicht am Auto
3436geblieben ist, sondern mit zum Tatort selbst gegangen
3437ist und für seine Anwesenheit dort einen weiteren plau-
3438siblen Grund genannt hat: bereit zu sein ggf. im Falle
3439der Gegenwehr oder gar der Verletzung von seinen Mittä-
3440tern eingreifen zu können. Hierbei haben auch die poli-
3441zeilichen Einlassungen des D3 - wenn auch nur
3442untergeordnet - eine Rolle gespielt, die durch Verneh-
3443mung des Zeugen C15 noch eingeführt worden sind. Die-
3444ser hatte nämlich in seinen ersten Vernehmung stets von
3445einer "gemeinsam begangenen Tat" gesprochen. Dem misst
3446die Kammer Bedeutung bei, weil er trotz Kenntnis des
3447Gewichts des ihnen gemachten Vorwurfs nicht zwischen
3448der Rolle D2 und D4 unterschieden hat. Dieser
3449Umstand ist deshalb relevant, weil er auch in dieser
3450Vernehmungssituation sich daraus, etwa bezüglich der
3451Rolle des H, um eine sehr differenzierte Darstel-
3452lung dessen Mitwirkung bemüht hat. Die Kammer ist sich
3453zwar bewusst, dass es hierfür auch einen anderen Grund
3454gegeben haben kann; nämlich dass er angesichts der ge-
3455meinsamen Anwesenheit des D4l am Tatort keinen Grund
3456für eine weitere Differenzierung gesehen hat.
3457Gleichwohl haben alle Umstände zusammengenommen dazu
3458geführt, dass sie ihre früher bestehenden Bedenken,
3459D4 mittäterschaftliches Handeln nachweisen zu kön-
3460nen, in einem Ausmaß ausgeräumt sieht, dass vernünftige
3461Zweifel an der Täterschaft auch dieses Angeklagten nach
3462sicherer Überzeugung der Kammer nicht mehr bestanden
3463haben.
34642. Taten zum Nachteil des Nebenklägers L
3465Zum Nachteil des Nebenklägers L haben sich
3466die Angeklagten der mittäterschaftlich begangenen ge-
3467fährlichen Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1
3468StGB schuldig gemacht, wobei sie die Alternativen des
3469§ 224 Abs. 1 Ziff. 2, 4 und 5 verwirklicht haben. Sie
3470haben diesen unter vorsätzlichem Einsatz einer Waffe
3471(§ 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB) mit anderen Beteiligten ge-
3472meinschaftlich (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) durch drei
3473Treffer verletzt, wodurch sie nicht nur Körper und Ge-
3474sundheit ganz erheblich geschädigt haben, sondern dies
3475auch mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
3476geschah (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Dabei ist unbeacht-
3477lich, dass der Nebenkläger sich auf Grund sofortiger
3478Versorgung der Blutungen tatsächlich nicht in akuter
3479Lebensgefahr befand. Die Schüsse, die ihn trafen, be-
3480gründen angesichts ihrer Lage - einer davon im Oberarm-
3481bereich unweit des Rumpfes - sowie auch wegen der um-
3482fassenden Defekte des Unterschenkels mit der erhebliche
3483Verblutungsgefahr sowie dem Infektionsrisiko angesichts
3484der hier konkreten Umstände die abstrakte Gefahr für
3485das Leben des Nebenklägers. Alle drei handelten hin-
3486sichtlich seiner Verletzungen auch vorsätzlich. Dem
3487steht insbesondere nicht entgegen, dass es sich bei ihm
3488um einen an der Fehde der Familie Unbeteiligten gehan-
3489delt hat. Wer - wie die Angeklagten - auf Grund gemein-
3490sam gefassten Planes am hellichten Tage auf einer offe-
3491nen Geschäftsstraße jeweils ihre Magazine leerfeuert
3492und dabei aus der Bewegung heraus auch noch auf teil-
3493weise flüchtende Opfer schießt, nimmt billigend in
3494Kauf, dass die Schüsse fehlgehen und so unbeteiligte
3495Passanten treffen können. Dies gilt für sie auch des-
3496halb, da sie vor der Tat die M-straße durchfahren
3497hatten. Sie wussten daher um die Örtlichkeit, dass es
3498sich um eine Geschäftsstraße handelte und dass eine
3499Vielzahl von Menschen sich auch dort aufhielten, die
3500durch ihre Tat auch gefährdet werden können. Die Ver-
3501wirklichung dieses Risikos nahmen sie bei Ausführung
3502ihres Vorhabens billigend in Kauf. Es handelt sich also
3503auch insoweit keineswegs um eine Exzesstat der Schüt-
3504zen, die den jeweils anderen - insbesondere D4
3505- nicht hätte zugerechnet werden können. Denn auch er
3506war sich - davon ist die Kammer überzeugt - angesichts
3507der ihm bekannten Umstände dieses Risikos bewusst. Auch
3508er nahm dies billigend in Kauf.
3509Diese Tat zum Nachteil des Nebenklägers L
3510steht mit den Taten zum Nachteil der Mitglieder der Fa-
3511milie C wegen des gegebenen engen zeitlichen und
3512situativen Zusammenhangs in Tateinheit (§ 52 StGB).
35133. Weitere Delikte
3514Die Angeklagten D2 und D3 haben sich dar-
3515über hinaus auch nach §§ 53 Abs. 1 Nr. 3 a und b WaffG
3516a. F. strafbar gemacht. Sie haben in Kenntnis, dass dies
3517in Deutschland ohne die erforderliche Erlaubnis straf-
3518bar ist, entgegen § 28 Abs. 1 WaffG die tatsächliche
3519Gewalt über eine halbautomatische Selbstladewaffe mit
3520einer Länge von nicht mehr als 60 cm – D3 die über
3521eine halbautomatische Pistole der Marke FM Browning
35227,65 mm, D2 die Gewalt über eine solche der Marke
3523Tokarew TT 33 Kaliber 7,62 - ausgeübt und diese entge-
3524gen § 35 Abs. 1 S. 1 WaffG auch geführt.
3525Wegen des Charakters des Delikts war dieses D4
3526trotz der gemeinschaftlichen Tatausführung unter
3527Verwendung dieser Waffen nicht mittäterschaftlich zuzu-
3528rechnen (BGH NStZ 1997, 604, 605). Auch diese Delikts-
3529verwirklichung steht zu den übrigen von D2 und D3
3530verwirklichten Straftatbeständen in Tatein-
3531heit (§ 52 StGB; vgl. Steindorf, Waffenrecht,
35327. Auflage, § 53 WaffG, Rdn. 40 ff. (40, 42 m.w.N.)).
3533B. Schuldfähigkeit
3534Bei der Begehung der Tat waren die Angeklagten sämtlich
3535uneingeschränkt schuldfähig.
3536Die Beweisaufnahme hat keine Umstände ergeben, die die
3537Annahme, begründen, ihre Schuldfähigkeit sei im Sinne
3538des § 20 StGB ausgeschlossen oder auch nur im Sinne des
3539§ 21 StGB erheblich vermindert gewesen. Dafür, dass die
3540Angeklagten bei Tatbegehung unter dem Einfluss von Dro-
3541gen oder Alkohol gestanden haben, gibt es nicht den ge-
3542ringsten Anhaltspunkt. Hierauf haben sich die Angeklag-
3543ten weder in ihren Vernehmungen gegenüber den Zeugen
3544C15 und E8, noch in ihrer Exploration durch
3545den Sachverständigen U, jemals berufen.
3546Auch sonstige Umstände, die die Einsichts- und/oder
3547Steuerungsfähigkeit eingeschränkt haben könnten, liegen
3548nicht vor.
3549Die Angeklagten sind physisch und psychisch gesund. An-
3550haltspunkte für hirnorganische Störungen oder auch nur
3551eine unterdurchschnittliche Intelligenz haben sich
3552nicht gezeigt. Dies zeigt bereits der Lebensweg, den
3553alle drei Angeklagten weitgehend selbständig bewältigt
3554haben sowie auch die Art und Weise ihrer Artikulation
3555gegenüber, dem - auch diesbezüglich als Zeugen gehörten
3556- Sachverständigen U sowie gegenüber den Verneh-
3557mungsbeamten C15 und E8 und - soweit gesche-
3558hen - dem Gericht. Daher bedurfte es angesichts des
3559Fehlens jedweder Anhaltspunkte für einen krankhaften
3560Zustand nicht der zusätzlichen Hinzuziehung eines
3561psychiatrischen Gutachters zur Beurteilung dieser Fra-
3562gen (vgl. BGH, Beschluss vom 19.02.2002, NStZ 2002, 490
3563(491); BGH StrV 1996, 4).
3564Anlass zur näheren Überprüfung der Schuldfähigkeit be-
3565stand aus Sicht der Kammer jedoch im Hinblick auf die
3566Tat selbst, bei der aus fremdem Kulturkreis herrührende
3567Mechanismen der Blutrache nach dem Ergebnis der Beweis-
3568aufnahme zum Tragen gekommen sind. Daher hat das Ge-
3569richt zur Frage der Schuldfähigkeit ein ethno-
3570psychologisches Sachverständigengutachten bereits im
3571Zwischenverfahren in Auftrag gegeben und den Sachver-
3572ständigen Dipl.-Psychologen U, der sich mit
3573der Erstellung von forensisch psychologischen und eth-
3574nologischen Gutachten befasst und hierzu bereits um-
3575fangreich veröffentlicht hat, gehört. Dieser ist in
3576seinem Gutachten in fachpsychologischer Hinsicht zum
3577Ergebnis gelangt, dass die zeitlich umfangreichen - zu-
3578meist mehrere Termine währenden - Explorationen bei
3579keinem der Angeklagten irgendwelche Anhaltspunkte für
3580das Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung, von
3581Schwachsinn oder einer anderen seelischen Abartigkeit,
3582insbesondere für keine sonstige schwere psychische Per-
3583sönlichkeitsstörung, ergeben haben. Der Sachverständige
3584hat ausgeführt, dass Anlass zu vertiefter Betrachtung
3585das Merkmal des § 20 StGB "Vorliegen einer tiefgreifen-
3586deren Bewusstseinsstörung" gegeben habe. Auch dies sei
3587letztlich im Ergebnis zu verneinen. Es habe nämlich
3588hier insbesondere kein affektiver Ausnahmezustand als
3589Reaktion auf massive und außergewöhnliche Ereignisse
3590vorgelegen, also insbesondere keine tiefgreifende Be-
3591wusstseinsstörung in Form einer akuten Belastungsstö-
3592rung (ICD-10: F 43.0). Dazu habe auch nicht die Mittei-
3593lung der am Morgen des Tattages in der Türkei erfolgten
3594Tötung des Onkels bzw. Schwiegervaters D9 bei
3595einem der drei Angeklagten geführt. Dies gelte auch un-
3596ter Berücksichtigung ihrer ethno-kulturellen Herkunft
3597und der darauf hinsichtlich ihres Denkens und Handelns
3598zurückgehenden Auswirkungen.
3599Im Einzelnen hat der Sachverständige hinsichtlich der
3600Angeklagten ausgeführt:
3601Hinsichtlich des D4 zeige dessen genaue Fähig-
3602keit zur Schilderung der Abläufe, des eigenen damaligen
3603Denkens sowie auch der Fähigkeit zur Wiedergabe der Äu-
3604ßerungen seiner Mittäter, wie auch von Details der ei-
3605genen körperlichen Wahrnehmung, dass eine massive, sein
3606Bewusstsein beherrschende Erregung damals nicht vorge-
3607legen habe. Auch ein für eine Affekttat charakteristi-
3608sches jähes Einsetzen des Affekts mit einem ebenso
3609schnellen Abflauen nach Ende seien angesichts seiner
3610eigenen Angaben nicht feststellbar. Auch fehle es an
3611einem seelischen Zusammenbruch, dem für eine tiefgrei-
3612fende Erschütterung eine gewisse indizielle Bedeutung
3613beizumessen sei. Daher belege das Fehlen sämtlicher für
3614eine Affekttat sprechenden Indizien, dass bei ihm kei-
3615nerlei tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorgelegen ha-
3616be.
3617Bezüglich des D2 spreche gegen eine ihn über-
3618raschende, seine Steuerungsmöglichkeiten überschreiten-
3619de affektive Situation, dass er selbst angegeben habe,
3620dass er die Waffe bewusst bei sich getragen habe. Auch
3621die Auswahl des Tatortes am. Wohnort der Familien der
3622C's in E spreche ebenso wie die sonstigen
3623Umstände für ein bewusst und geplant herbeigeführtes
3624Handeln. Auch die bei ihm erhaltene Introspektionsfä-
3625higkeit hinsichtlich einzelner Teile der Tat sowie ih-
3626res Ablaufes - wer geschossen und wer wo gegangen ist -
3627sowie die weitere planvolle Gestaltung von Tatablauf
3628und anschließender Flucht sprächen deutlich gegen eine
3629Störung seiner Bewusstseinsleistungen. Auch die von
3630D2 auf Befragen verneinten Umstände, die auf
3631einen seelischen Zusammenbruch nach der Tat als Anzei-
3632chen einer solchen schweren Erschütterung hätten dienen
3633können, belegten weiter, dass auch bei ihm keine tief-
3634greifende Bewusstseinsstörung in medizinisch-psycho-
3635logischer Sicht vorhanden gewesen sei.
3636Im Ergebnis gelte Letzteres auch hinsichtlich des Ange-
3637klagten D3. Bei ihm sei das Erregungsniveau
3638bei Tatbegehung im Vergleich zu seinen Mittätern zwar
3639deutlich höher anzusetzen. Dies belegten nicht nur sei-
3640ne Äußerungen "es habe zwingend etwas passieren müssen,
3641nachdem die C's einen der ihren erschossen hätten",
3642sondern auch seine größere persönliche Betroffenheit.
3643Aber auch bei ihm führe selbst die Berücksichtigung des
3644Umstandes, dass ihm der Getötete als Schwiegervater und
3645Ersatzvater in seiner Jugend besonders nahe gestanden
3646habe, nicht dazu, eine massive, sein gesamtes Bewusst-
3647seinsfeld beherrschende Erregung anzunehmen. Denn auch
3648D3 habe eine Vielzahl von Details beschrie-
3649ben, die offenbar machten, dass seine Introspektionsfä-
3650higkeit zum Tatzeitpunkt im Wesentlichen erhalten war.
3651Denn er erinnere sich nicht nur, wie man zum Tatort ge-
3652fahren, wie man zum engeren Tatort gemeinsam gegangen
3653und der baldigen Begegnung mit den Angehörigen der Fa-
3654milie C entgegengesehen habe. Bei ihm sei insbe-
3655sondere auch die Erinnerung an das Tatumfeld präsent;
3656insbesondere, dass dort noch andere Menschen gewesen
3657seien. Auch seine Fähigkeit von eigenen physischen Emp-
3658findungen, etwa dem Rückschlag der Waffe, sowie den Re-
3659aktionen von Außenstehenden zu berichten, zeige ebenso
3660wie seine Erinnerung an seine eigenen Überlegungen
3661- das er sich etwa gefragt habe, warum er nach der Tat
3662die Waffe immer noch in der Hand gehalten habe -, dass
3663auch bei ihm kein tiefgreifender Affektzustand vorhan-
3664den gewesen sei. Dies mache auch sein Verhalten nach
3665der Tat mit der kognitiv gesteuerten geordneten Flucht
3666deutlich. Daher seien auch bei ihm keine Indizien vor-
3667handen, die etwa eine schwere Erschütterung nach der
3668Tat belegten und damit einen Hinweis hätten enthalten
3669können, dass bei ihm die Tatausübung im Zustande tief-
3670greifender Bewusstseinsstörung im Sinne des § 20 StGB
3671erfolgt sei.
3672Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt,
3673dass aus gutachterlich-fachpsychologischer Sicht auch
3674unter Berücksichtigung der ethno-psychologischen Ge-
3675sichtspunkte insgesamt keine Beeinträchtigung gegeben
3676sei, die hinsichtlich der in §§ 20, 21 StGB aufgenomme-
3677nen Kriterien zu einer erheblichen Beeinträchtigung des
3678Hemmungs- und/oder Steuerungsfähigkeit geführt hätten.
3679Die Kammer hat keine Veranlassung, an den von dem Sach-
3680verständigen erhobenen Befunden und den daraus gezoge-
3681nen Folgerungen zu zweifeln. Der Sachverständigen ist
3682nach eigenem Bekunden in der Begutachtung der Frage der
3683Schuldfähigkeit forensisch erfahren und hat sich sowohl
3684forensisch als auch literarisch gerade mit der Bewer-
3685tung ethno-kultureller Einflüsse auf die strafrechtlich
3686relevate Einsichts- und Steuerungsfähigkeit von hier
3687lebenden Mitbürgern ausländischer Herkunft befasst. Von
3688daher ist der aus der Türkei stammende Sachverständige
3689auch zur Beurteilung dieser Fragen besonders von aus-
3690ländischen Angeklagten, die erst nach Volljährigkeit
3691aus einem Land, das nicht dem europäischen Kulturkreis
3692zugehörig ist, nach Deutschland gekommen sind, beson-
3693ders kompetent. Dies gilt auch unter Berücksichtigung,
3694dass hier die Angeklagten nicht wie er selbst aus der
3695Westtürkei stammen, sondern Kurden sind.
3696Die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen und
3697Wertungen macht sich daher die Kammer nach eigener ge-
3698wissenhafter Prüfung zu Eigen.
3699Hinzuweisen ist dabei darauf, dass, soweit vorstehend
3700die Existenz rationaler Überlegungen bei Umsetzung des
3701Vorhabens und das festgestellte planvolle, zielstrebige
3702Vorgehen angesprochen worden sind, dies nur zwei von
3703vielen Indizien gewesen sind, die gegen einen tiefgrei-
3704fenden Affekt sprechen. Deren Mitberücksichtigung ste-
3705hen insbesondere die Entscheidungen des Bundesgerichts-
3706hofs (in BGHSt 24, 22 (26) und BGH StrV 2000, 17) nicht
3707entgegen. Denn hierbei ging es nicht um die Auswirkun-
3708gen eines Defekts im Sinne der Merkmale des § 20 StGB,
3709sondern um die dieser Prüfung vorgelagerte Frage, ob
3710überhaupt ein solcher Defekt vorliegt. Bei ihrer Ent-
3711scheidung, das Vorliegen von Schuldausschließungs- oder
3712Schuldminderungsgründen im Sinne der §§ 20, 21 StGB zu
3713verneinen, hat die Kammer auch die Ausführungen des
3714Sachverständigen zu den besonderen kultureilen Dynami-
3715ken und den dadurch auf die Angeklagten ausgeübten
3716Handlungsdruck mitbedacht. Die Kammer hat dabei insbe-
3717sondere auch nicht verkannt, dass der Bundesgerichtshof
3718in einer Entscheidung vom 24.06.1998 -3 StR 219/98
3719(letzter Satz)- mit einem vergleichbaren ethno-
3720kulturellen Hintergrund - allerdings ohne das konkret
3721in einem dieser Fälle das Vorliegen von § 20 oder 21
3722StGB bejaht worden wäre, - darauf hingewiesen hat, dass
3723in solchen Fällen stets bedacht werden müsse, inwieweit
3724die Voraussetzungen verminderter Schuldfähigkeit nach
3725§ 21 StGB wegen Störung der Steuerungsfähigkeit im kon-
3726kreten Fall zu prüfen sei. Die Kammer hat dabei insbe-
3727sondere noch mal sich mit dem letzten Satz des Gutach-
3728tens des Sachverständigen auseinandergesetzt, in dem
3729dieser nach vorheriger Verneinung erheblicher vermin-
3730derter Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgeführt
3731hat: "unter Zugrundelegung kultureller Dynamiken und
3732dem daran immanenten Handlungsdruck könne er die Ver-
3733minderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht
3734ausschließen".
3735Diese wertende Aussage wollte der Sachverständige U,
3736wie er in seiner mündlichen Darlegung ausgeführt hat,
3737dahingehend verstanden wissen, dass zwar, aus seiner
3738fachpsychologischen Sicht gesehen, kein gesetzliches
3739Merkmal des § 20 StGB, das eine erhebliche Einschrän-
3740kung der Hemmungsfähigkeit bei den Angeklagten hätte
3741bewirken können, erfüllt sei. Auf Grund ihrer ethno-
3742kulturellen Einbindung in das Wertesystems ihrer Heimat
3743in Verbindung mit dem Vorgeschehen in der Türkei als
3744Motiv der Tat habe der auf ihnen lastende Handlungs-
3745druck ihre Hemmungsfähigkeit aber erheblich tangiert.
3746Dieser Umstand führt jedoch bei korrekter rechtlicher
3747Würdigung nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung
3748der Hemmungsfähigkeit der Angeklagten i.S.d. §§ 20, 21
3749StGB. Dazu gilt Folgendes: Die Kammer steht auf dem
3750Standpunkt, dass eine über den Gesetzeswortlaut der
3751§§ 20, 21 StGB hinausgehende Anwendung dieser gesetzli-
3752chen Regelungen - etwa im Wege einer generell im Straf-
3753recht zulässigen Analogie zu Gunsten der Angeklagten -
3754sich verbietet. Auf Grund welcher Kriterien eine Ein-
3755schränkung der Hemmungsfähigkeit beachtlich ist, ist in
3756§ 20 StGB abgeschließend festgestellt. Die dort festge-
3757schriebenen gesetzlichen Merkmale - krankhafte seeli-
3758sche Störung, tiefgreifende Bewusstseinsstörung,
3759Schwachsinn oder schwere andere seelische Abartigkeit -
3760sind wie zuvor dargelegt sämtlich nicht gegeben. Dass
3761der Gesetzgeber etwa Tätern, bei denen keines dieser
3762Merkmale vorliegt, sondern die sich - wie die Angeklag-
3763ten zugegebenermaßen - in einer mehr oder weniger er-
3764heblichen inneren Konfliktlage befanden, die Vergünsti-
3765gungen der §§ 20, 21 StGB zukommen lassen wollte, ist
3766nicht ersichtlich. Es ist auch nicht zur Erlangung wer-
3767tungsgerechter Entscheidungen geboten. Denn dem vom
3768Sachverständigen dargetanen Handlungsdruck kann auch
3769ohne eine solche Analogie Rechnung getragen werden. Dies
3770ist auch im Rahmen der Beurteilung einer Tat, die wie
3771die vorliegende mit der in § 211 StGB vorgesehenen ab-
3772soluten Strafandrohung belegt ist, der Fall. Über die
3773Rechtsfolgenlösung des BGH oder auch im Rahmen der Ent-
3774scheidung zur Frage der "besonderen Schwere der Schuld'"
3775i.S.d. § 57 a I 1 StGB ist generell eine wertungsge-
3776rechte Lösung im Einzelfall möglich.
3777Im Übrigen war hier auch aus tatsächlichen Gründen für
3778eine analoge Anwendung - ließe man diese entgegen der
3779Ansicht der Kammer im Bereich des §§ 20, 21 StGB zu -
3780kaum Raum.
3781Denn die auch von der Kammer gesehene und ihr durch die
3782Darlegungen des Sachverständigen vermittelte Verhaftung
3783der Angeklagten in dem durch ihre ethno-kulturelle Her-
3784kunft geprägten Denken begründet hier jedenfalls keine
3785einer erheblichen Beeinträchtigung gleichgewichtige Re-
3786duzierung ihrer Einsichts- und/oder Steuerungsfähig-
3787keit. Die Angeklagten standen - das war ihnen klar und
3788das haben sie auch eingeräumt - vor der Wahl sich für
3789die hiesige Werteordnung und deren Vorgaben zu ent-
3790scheiden oder bewusst gegen diese "Spielregeln" zu ver-
3791stoßen und den eigenen zu folgen. Diese Entscheidung
3792ist aber nicht unter Umständen erfolgt, als das deshalb
3793eine Affekttat oder eine dieser Situation gleichgewich-
3794tige Lage zu bejahen wäre, sondern als bewusste "Wert-
3795entscheidung" gegen die hiesige Werteordnung von ihnen
3796getroffen worden. Berücksichtigt man zudem, dass nach
3797den Ausführungen des Sachverständigen hier den Tätern
3798allein eine Ausgrenzung aus ihren Familien oder ein An-
3799sehensverlust in der kurdischen Bevölkerungsgruppe
3800drohte, sie aber im Falle einer Weigerung nicht etwa
3801selbst um ihr Leben hätten fürchten müssen, erreicht
3802der bei Tatbegehung wirkende Handlungsdruck keinesfalls
3803ein Ausmaß, das eine Gleichstellung mit anderen Fall-
3804gruppen des § 20 StGB und damit hier eine analoge An-
3805wendung des § 21 StGB gebietet.
3806VI.
38071) Strafzumessung
3808Die Angeklagten waren nach §§ 52 Abs. 2 StGB nach dem
3809Straftatbestand des § 211 StGB zu bestrafen, da dieses
3810Delikt die schwerste Strafe vorsieht.
3811Hier hat die Kammer angesichts der dort vorgesehenen
3812absoluten Strafandrohung zunächst geprüft, ob nicht die
3813beschriebenen ethno-psychologischen Umstände, die mit
3814tatauslösend geworden sind, ein Absehen von der Verhän-
3815gung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe gemäß den
3816Grundsätzen ermöglicht, die der Große Senat für Straf-
3817sachen im Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom
381819.05.1981 (BGHSt 30, 105 ff.) generell aufgestellt und
3819auf die er sich in der Entscheidung vom 02.09.1981 (BGH
38203 StR 35/81) in einem Verfahren mit besonderem ethno-
3821kulturellen Hintergrund nochmals ausdrücklich bezogen
3822hat.
3823Gleichwohl sieht die Kammer hier keinen Fall gegeben,
3824in dem von der Verhängung der lebenslangen Freiheits-
3825strafe abzusehen ist. So sahen sich die Angeklagten
3826keinerlei existenzieller Gefährdung ihres Lebens für
3827den Fall einer Weigerung ausgesetzt. Deshalb und auch,
3828weil sie selbst - wie sie eingeräumt haben - schon vor
3829der Tat Blutrache an der Vortat Unbeteiligten "an sich"
3830für verfehlt gehalten haben, lag hier keine Fallgestal-
3831tung vor, in der wegen des Zusammentreffens von ethno-
3832kultureller Herkunft und affektiv aufgeladener Stimmung
3833wegen des morgendlichen Geschehens in der Türkei die
3834Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als un-
3835verhältnismäßig erscheint. Dies gilt auch unter Einbe-
3836ziehung der, sogleich im Rahmen der Erörterung der Fra-
3837ge der besonderen Schwere der Schuld für jeden der An-
3838geklagten gesondert angeführten weiteren die Tat- und
3839die Täterpersönlichkeit prägenden Umstände.
3840Die Kammer hat daher hinsichtlich aller Angeklagten auf
3841eine
3842lebenslange Freiheitsstrafe
3843als tat- und schuldangemessen erkannt.
38442.)
3845Entscheidung zu §57 a l Ziff. 2 StGB
3846Die Kammer hatte ferner in Ausfüllung der Entscheidung
3847des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 86, 288) über
3848die Tatsache zu befinden, die für die spätere Bewertung
3849des Vorliegens "besonderer Schwere der Schuld des Ver-
3850urteilten" im Sinne des § 57 a l Ziff. 2 StGB durch die
3851Strafvollstreckungskammer erheblich sind.
3852Dies hat hinsichtlich der Angeklagten zu unterschiedli-
3853chen Ergebnissen geführt.
3854Hinsichtlich des Angeklagten D3 hat die Kam-
3855mer unter zusammenfassender Würdigung der Tat und der
3856Täterpersönlichkeit die Schuld des Angeklagten nicht
3857dahin bewertet, dass sie als "besonders schwere" im
3858Sinne der Norm einzustufen ist.
3859Dabei verkennt die Kammer nicht, dass hier eine Viel-
3860zahl schuldsteigernder und daher für eine solche Bewer-
3861tung sprechender Umstände vorliegen.
3862Dabei ist insbesondere gesehen worden, dass nicht nur
3863zwei Personen ermordet worden sind, sondern zwei weite-
3864re schwerste Verletzungen davongetragen haben. Einer
3865- C4 - wird sein Leben lang an den Rollstuhl
3866gefesselt bleiben und nur kleinste Strecken und dies
3867auch nur mit Anlegung von besonderen Gehschienen zu-
3868rücklegen können. Bei dem anderen, dem Nebenkläger L,
3869ist die Gehfähigkeit bis jetzt noch nicht
3870wiederhergestellt, so dass er nur an Krücken gehen
3871kann. Er wird nie wieder sein Bein voll belasten kön-
3872nen, was die berufliche und persönliche Lebensgestal-
3873tung auf Dauer erheblich beeinträchtigen wird. Zudem
3874leiden beide psychisch nachhaltig an dem Geschehen. Zu
3875berücksichtigen waren neben den verwirklichten Tatbe-
3876ständen aus dem Bereich der Tötungs- und Körperverlet-
3877zungsdelikte in allerdings nur ganz geringem Maße auch,
3878dass er sich zudem des Verstoßes gegen das WaffG schul-
3879dig gemacht hat. Gegen D3 sprechen die Ge-
3880samtumstände der Tatbegehung: Die Tat wurde am hellich-
3881ten Tage auf offener, belebter Straße ausgeführt, wobei
3882eine Gefährdung einer Vielzahl Unbeteiligter ein-
3883schließlich deren Verletzung in Kauf genommen wurde.
3884Dies hat nicht nur zu den aufgezeigten Verletzungen des
3885unbeteiligten Nebenklägers L geführt, sondern
3886wirkt bei vielen der Augenzeugen auch heute noch - wie
3887von D3 aber auch den anderen Angeklagten auch als
3888voraussehbare Folge der Tat in Kauf genommen - nach;
3889teils als allgemeine Verängstigung wie etwa bei dem
3890Zeugen L2 und der Zeugin L3, teils aber,
3891wie bei der damals 12-jährigen N6, so sehr,
3892dass sie heute noch ambulanter psychologischer Behand-
3893lung zur Aufarbeitung des damals Erlebten bedarf. Auch
3894die planmäßige Durchführung der Fahrt nach E,
3895das Suchen nach Opfern in deren Wohngebiet und die Art
3896des "Zuschlagens" sprechen für einen doch schon mit be-
3897sonderer krimineller Energie vollzogenen Tatplan und
3898damit ebenfalls für die Annahme besonderer Schwere der
3899Schuld. Demgegenüber sprechen bei ihm - anders als bei
3900seinen beiden Mittätern - doch letztlich durchgreifende
3901Gründe gegen die Annahme einer besonderen Schwere der
3902Schuld.
3903Für ihn spricht, dass er sich nicht erst gegenüber dem
3904Sachverständigen U, sondern bereits im Ermittlungs-
3905verfahren hinsichtlich seiner eigenen Tatbeteiligung im
3906Wesentlichen geständig eingelassen hat. Er ist auch in
3907besonderer Weise haftempfindlich. Er hat bisher Straf-
3908haft noch nicht verbüßen müssen, ist strafrechtlich nur
3909zweimal verhältnismäßig geringfügig in Erscheinung ge-
3910treten und ist bereits durch die Untersuchungshaft und
3911die damit verbundene Trennung von Frau und den beiden
3912Kindern, die erst wenige Wochen vor der Tat nach
3913Deutschland übergesiedelt sind, deutlich beeindruckt.
3914Gesehen hat die Kammer auch die ausländerrechtlichen
3915und durch den Asylstatus bedingten Konsequenzen, auf
3916Grund derer der Angeklagte als anerkannter Asylbewer-
3917ber, anders als andere ausländische Täter, nicht auf
3918eine frühzeitige Haftentlassung gemäß § 456 a StPO wird
3919hoffen können. Auch war er mit zur Tatzeit 29 Jahren
3920noch relativ jung, so dass ihn die Strafverbüßung in
3921seinen "besten Jahren'" treffen wird. Wenngleich die Tat
3922als Reaktion auf das morgendliche Geschehen in der Tür-
3923kei durchaus durch eine gut durchdachte Planung gekenn-
3924zeichnet ist, ging sie nicht auf eine lang ausgeklügel-
3925te Planung, sondern auf einen an diesem Tag als Reakti-
3926on auf den Mord in der Türkei gefassten Entschluss zu-
3927rück.
3928Von letztlich maßgebender Bedeutung für die Ablehnung
3929besonderer Schwere der Schuld waren bei ihm die Hinter-
3930gründe der Tat. Hier musste die besondere persönliche
3931Beziehung, zu der der Angeklagte D3 zu seinem
3932in der Türkei Getöteten stand, besonders berücksichtigt
3933werden. Es handelte sich bei dem Getöteten nicht nur um
3934ein "normales sehr respektiertes Familienoberhaupt",
3935-sondern um jemand, der ihm als Schwiegervater und
3936gleichsam Ersatzvater seit frühester Jugend besonders
3937verbunden war. Dies hat zwar bereits bei ihm zur Ver-
3938neinung des Merkmals des Vorliegens niedriger Beweg-
3939gründe geführt, erschöpft sich in dieser Wirkung aber
3940nicht. Diese persönlichen Umstände müssen bei ihm neben
3941den ethno-kulturellen Einflüssen, ohne die die Tat an
3942diesen Opfern nicht denkbar gewesen wäre, in einer ge-
3943genüber seinen Mitangeklagten gesteigerten Weise mitbe-
3944rücksichtigt werden. Im Bereich des § 57 a StGB, bei
3945dem es um die persönliche Schuldbewertung geht, muss
3946der im Vergleich zu anderen Tätern doch anders gelager-
3947ten Vorwerfbarkeit der Tötung mehrerer aus mitteleuro-
3948päischer Sicht völlig Unbeteiligter Rechnung getragen
3949werden. Auch wenn D3 selbst zum Tatzeitpunkt die
3950Übergriffe auf am Tatgeschehen unbeteiligte Angehörige
3951für "nicht richtig hielt", lebte er doch noch in der
3952durch das "kollektive Denken" geprägte Vorstellungs-
3953welt, nach der man - also die Opfer - als Sippenangehö-
3954rige für das von anderen Familienmitgliedern begangene
3955Unrecht einzustehen habe. Insoweit war der ihm aus der
3956Tötung "Unbeteiligter" zu machende persönliche Schuld-
3957vorwurf von geringem Gewicht. Insoweit ist - anders als
3958bei Subsumtion des Merkmals niedriger Beweggründe -
3959nicht allein auf die hiesigen Wertvorstellungen abzu-
3960stellen. Ebenfalls war insoweit mitzuberücksichtigen,
3961dass die Kammer zu seinen Gunsten - auch zu unterstel-
3962len hatte, dass der Tatplan letztlich doch auf eine An-
3963weisung der "älteren" Sippenangehörigen in der Türkei
3964zurückging. Anders als bei der Bewertung des Schuld-
3965spruchs selbst, wo zu Gunsten der Angeklagten von einer
3966solchen Anweisung nicht ausgegangen worden ist (Bl. 327
3967PSB), gebietet es der Grundsatz des "in dubio pro reo"
3968hier vom Vorliegen einer solchen Anweisung auszugehen,
3969da sie die persönliche Vorwerfbarkeit in einem milderen
3970Licht erscheinen lässt. Berücksichtigt man auch noch
3971die bei D3 nahezu gänzlich fehlende Schulbil-
3972dung und seine einfach strukturierte Persönlichkeit, so
3973ermöglicht all dies trotz der gegenüber den Normalfäl-
3974len eines Mordes deutlich nach oben abweichenden Schwe-
3975re der Tat gleichwohl eine besondere Schwere der Schuld
3976im Sinne des § 57.a StGB zu verneinen.
3977Hinsichtlich des Angeklagten D2 hat die Kam-
3978mer bei Abwägung von Tat- und Täterpersönlichkeit im
3979Rahmen der Frage der Bewertung der Tat als besonders
3980schwere im Sinne des § 57 a StGB zunächst dieselben
3981Überlegungen gewichtet, wie dies bereits bei D3
3982aufgezeigt worden ist. Dies gilt hinsichtlich der
3983Zahl der Getöteten sowie des Umfangs und der Schwere
3984der Gesundheitsschäden der Verletzten ebenso wie zur
3985Gefährdung Dritter, zur Verwirklichung auch des Waffen-
3986delikts und zur in der Tatausführung sichtbar geworde-
3987nen Skrupellosigkeit.
3988Zu seinem Nachteil hat die Kammer darüber hinaus aber
3989berücksichtigt, dass er nicht nur ein sondern zwei
3990Mordmerkmale erfüllt hat. Anders als D3 hat er auch
3991aus niedrigen Beweggründen gehandelt. Die zu dieser Be-
3992wertung führende Gesamtbetrachtung, nicht das bloße Faktum
3993einer verwirklichten zweiten Tatbestandsalternative ist da-
3994bei das zu seinen Lasten wirkende. Zu seinen Gunsten
3995ist bei der gebotenen Gesamtabwägung zu sehen, dass er
3996seit seiner Übersiedlung nach Deutschland am 31.12.1999
3997strafrechtlich überhaupt noch nicht in Erscheinung ge-
3998treten ist. Auch er ist durch die erstmals verbüßte Un-
3999tersuchungshaft deutlich beeindruckt und wird durch die
4000erstmalige Verbüßung von Strafhaft wegen seiner Haf-
4001tempfindlichkeit im gesteigerten Maße getroffen. Auch
4002bei ihm hat die Kammer gesehen, dass er mit 31 Jahren
4003seine "besten Jahre" in Haft, getrennt von Frau und
4004Kindern, wird verbringen müssen. Auch bei ihm hat die
4005Kammer berücksichtigt, dass er jedenfalls dann nicht
4006mit einem vorzeitigen Absehen von der Vollstreckung
4007nach § 456 a StPO rechnen kann, sollte seinem noch im
4008Asylverfahren anhängigen Antrag auf Anerkennung als
4009Asylberechtigter trotz seiner im hiesigen Verfahren ab-
4010gegebenen Einlassungen, nie für die PKK tätig gewesen
4011zu sein, noch entsprochen werden.
4012Zu seinen Gunsten hat die Kammer auch seine, jedenfalls
4013den eigenen Tatbeitrag am Tatort einräumende geständige
4014Einlassung berücksichtigt. Auch bei ihm hat die Kammer
4015in die Bewertung - wie bei D3 ausführt - die
4016besonderen ethno-psychologischen Hintergründe der Tat
4017mitberücksichtigt und dabei - ebenfalls - nur hier und
4018zu seinen Gunsten - unterstellt, dass er nicht aus ei-
4019genem Entschluss, sondern auf Anweisung der "Älteren",
4020unter Umständen sogar seines eigenen Vaters, nach einem
4021Anruf aus der Türkei sich zur Tat entschlossen hat.
4022Trotz der aufgeführten zu seinen Gunsten sprechenden
4023Umstände hat die Kammer diese für nicht ausreichend er-
4024achtet, bei ihm das Vorliegen besonderer Schwere der
4025Schuld zu verneinen. Anders als bei D3 fehlt
4026es bei ihm an einer besonderen vergleichbaren herausge-
4027hobenen persönlichen Betroffenheit als zusätzliches
4028entlastendes Merkmal. Die Wiederherstellung des Anse-
4029hens und der Ehre der Familie und die besonderer Bedeu-
4030tung dieser Werte in seinem ethno-kulturellen Selbst-
4031verständnis, die auch bei ihm die Kammer als das seinen
4032Tatentschluss erst auslösende Handlungsmotiv zugrunde
4033legt, führt bei ihm bei Abwägung der für und gegen ihn
4034sprechenden Umstände von Tat- und Täterpersönlichkeit
4035nicht zur Verneinung besonderer Schwere der Schuld.
4036Denn anders als D3 ist er nicht einfach
4037strukturiert und deutlich weniger als dieser in seinem
4038Herkunftsdenken verhaftet. Nach Überzeugung der Kammer
4039war er weit weniger in seinem heimatlichen Denken ver-
4040haftet, als er der Kammer und dem Sachverständigen hat
4041Glauben machen wollen. Wie er selbst eingeräumt hat,
4042hat auch er das System der Blutrache "an sich" zum
4043Zeitpunkt der Tat bereits als verfehlt angesehen und
4044die entsprechende Forderung nach Vergeltung auch an
4045Dritten als unbillig erachtet. Nach eigenem Bekunden
4046war Triebfeder seines Handelns, sich Achtung und Anse-
4047hen in den Augen seiner kurdischen Landsleute zu erhal-
4048ten. Dass er dies über das Lebensrecht der Opfer ge-
4049stellt hat, führt angesichts des Ausmaßes des durch die
4050Tat begangenen Unrechts auch vor dem Hintergrund der
4051ihm zugute zu haltenden Umstände aus Sicht der Kammer
4052dazu, dass seine Schuld als "besonders schwer" im Sinne
4053des § 57 a Abs. 1 Ziff. 2 StGB zu bewerten ist.
4054Auch hinsichtlich des Angeklagten D4 hat die
4055Kammer das Vorliegen besonderer Schwere der Schuld im
4056Sinne des § 57 a Abs. 1 Ziff. 2 StGB bejaht.
4057Auch bei ihm wirken zu seinem Nachteil die angeführten
4058Folgen der Tat. Auch in seiner Person sind zwei Mord-
4059merkmale verwirklicht. Zu seinen Lasten wirkt auch,
4060dass er bereits dreimal strafrechtlich in Erscheinung
4061getreten ist, u.a. auch gegen ihn im Jahre 2000 eine -
4062zwischenzeitlich allerdings erlassene - Bewährungsstra-
4063fe verhängt worden ist.
4064Zu seinen Gunsten hat die Kammer berücksichtigt, dass
4065er im Unterschied zu seinen beiden Mittätern sich kei-
4066nes Verstoßes gegen das WaffG schuldig gemacht hat.
4067Auch hat die Kammer gesehen, dass er von den bereits
4068zur Tat entschlossenen Mittätern zur Mitwirkung zu ei-
4069nem Zeitpunkt veranlasst wurde, als er dieses ohne Ge-
4070sichtsverlust nicht hätte ablehnen können. All dies ge-
4071schah auch zeitlich erst kurz vor der Tatbegehung. Zu
4072seinen Gunsten war zudem in Rechnung zu stellen, dass
4073er nicht selbst geschossen hat und nicht einmal eine
4074Waffe hatte. Eine besondere Haftempfindlichkeit als be-
4075ruflich erfolgreich tätiger Betreiber eines Lebensmit-
4076telladens, den er zwischenzeitlich hat verkaufen müs-
4077sen, hat die Kammer ebenso berücksichtigt, wie den Ver-
4078lust des Pkw bzw. dessen für verfallen erklärten Rück-
4079zahlungsanspruch nach Verwertung des Pkw durch die Fir-
4080ma M Leasing GmbH. Ihn trifft die Haft als zur Tat-
4081zeit erst 26-Jähriger besonders hart, wird durch die
4082langjährige Haftzeit er nicht nur von seiner Familie
4083getrennt, sondern letztlich alles zerstört, was er sich
4084an wirtschaftlicher Existenz in Deutschland aufgebaut
4085hat.
4086Berücksichtigt hat die Kammer zu seinen Gunsten auch,
4087dass er sich der an ihn gestellten Anforderung gemein-
4088sam mit seinen Mittätern die Tat auszuführen, als Jüng-
4089ster angesichts des patriarchalischen Familiensystems
4090noch weniger als seine Mittäter hat entziehen können.
4091Auch bei ihm geht die Kammer - ausschließlich zu seinen
4092Gunsten hier im Rahmen des Strafausspruchs - davon aus,
4093dass der Tat sowohl ein Auftrag der Familie aus der
4094Türkei zugrunde lag und überdies auch die Aufforderung
4095durch die beiden Älteren zusätzlich erfolgte. Nur in
4096einem geringen Maße hat die Kammer die teilgeständige
4097Einlassung gegenüber dem Zeugen und Sachverständigen
4098U bei ihm berücksichtigt. Hinsichtlich seines eige-
4099nen Teilbeitrages war er seit der geständigen Einlas-
4100sung des Mittäters D3 in der polizeilichen Verneh-
4101mung bereits überführt. Seine Einlassung war im Wesent-
4102lichen auf Bagatellisierung des eigenen Tatbeitrages
4103gerichtet und ist in diesem wesentlichen Teil unrichtig
4104gewesen. Gesehen hat die Kammer auch hinsichtlich der
4105Folgen der Tat, dass D4 angesichts seines Sta-
4106tus als anerkannter Asylbewerber nicht mit einer vor-
4107zeitigen Strafentlassung nach § 456 a StGB rechnen
4108kann.
4109Auch bei ihm hat die Kammer zu seinen Gunsten seine
4110ethno-kulturelle Prägung mitbedacht. Insoweit wird auf
4111die bei den beiden Mittätern gemachten Ausführungen Be-
4112zug genommen. Allerdings misst die Kammer dieser Prä-
4113gung ein noch geringeres Gewicht bei als bereits bei
4114seinem Bruder D2 beschrieben. Er selbst hat Blutra-
4115che stets als durch nichts gerechtfertigt erachtet wie
4116er im Bezug auf die zu seinem eigenen Nachteil begange-
4117nen Tat des Landsmanns E4 gegenüber dem Sachver-
4118ständigen U ausdrücklich erklärt hat. Ihm ging es
4119allein darum, sich nicht außerhalb des Familienverbun-
4120des zu stellen, um nicht ausgegrenzt zu werden. Dies
4121ist vor dem Hintergrund seiner ethno-kulturellen Her-
4122kunft zwar eine durchaus gravierende Folge. Anders als
4123sein Bruder D2 handelte er nicht auch etwa zusätz-
4124lich deshalb, weil er glaubte die Familienehre nach au-
4125ßen wiederherstellen zu müssen. Anders als D3
4126war er auch nach seinem Intellekt, seiner geschäftli-
4127chen Erfahrung und Einbindung in die hiesige Lebens-
4128wirklichkeit sich stets bewusst, wie sehr er sich mit
4129seinem Tun gegen die Werte der Gesellschaft stellt, die
4130ihm Gastrecht und Lebensgrundlage nach seiner Flucht
4131gewährt hat.
4132Wer wie er trotz der intellektuellen Fähigkeiten und
4133langjährigen geschäftlich integriertem Leben in
4134Deutschland sich wie der Angeklagte D4 gegen
4135den zentralen Wert der hiesigen Gesellschaft - das un-
4136antastbare Lebensrecht eines jeden Menschen - stellt,
4137allein um den Ausschluss aus der Familie zu vermeiden,
4138handelt auch bei Berücksichtigung der übrigen für und
4139gegen ihn sprechenden Umstände in Tat- und Täterpersön-
4140lichkeit mit besonderer Schwere der Schuld im Sinne des
4141§ 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB. Dies gilt auch, obschon der
4142Kammer bei dieser Bewertung klar vor Augen steht, dass
4143er auf Anweisung Dritter gehandelt und nicht selbst ge-
4144schossen hat und, wenn er dies ohne Gesichtsverlust
4145hätte tun können, sich von allem lieber ferngehalten
4146hätte.
41473.) Weitere Maßregeln und Folgen
4148Gemäß § 69 StGB war dem Angeklagten D4 die
4149Fahrerlaubnis zu entziehen. Der Angeklagte hat bei der
4150Tat sein Kraftfahrzeug eingesetzt. Die Tat war nach der
4151Tatplanung nur möglich, weil so das plötzliche Zuschla-
4152gen und die rasche Flucht ermöglicht werden konnte. Die
4153Benutzung des Mercedes CLK 230 stand somit im unmittel-
4154baren Zusammenhang mit der Tatausführung. Hinzu kommt,
4155dass ihm im Juni 2002 wegen des damals wirkenden Fahr-
4156verbots im Sinne des § 44 StGB das Führen von Kraft-
4157fahrzeugen verboten war. Von daher ist er zum Führen
4158von Kraftfahrzeugen auch unter Berücksichtigung der
4159neueren Rechtsprechung (vgl. Tröndle/Fischer, StGB
416050. Auflage, § 69 StGB Rdn. 10 m.w.N.) charakterlich
4161ungeeignet.
4162Die Sperrfrist zur Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis
4163hat die Kammer gemäß § 69 a StGB auf
4164vier Jahre
4165festgesetzt.
4166Die festgesetzte Sperrfrist ist notwendig, reicht aber
4167auch aus, um die charakterlichen Defizite aufzuarbei-
4168ten .
4169Die Tenorierung trägt dem Umstand Rechnung, dass dem
4170Angeklagten, der zur Tatzeit seinen Führerschein wegen
4171des Fahrverbotes in F hinterlegt hatte, die Fahrer-
4172laubnis bisher nicht wieder ausgehändigt worden ist.
4173Der Anspruch des Angeklagten aus der Rückabwicklung des
4174mit der Firma M Leasing GmbH F unter Nr. XXXXXXX
4175geschlossenen Finanzkaufvertrages betreffend des Fahr-
4176zeugs Mercedes CLK 230, amtliches Kennzeichen
4177X-XX XXXX, war gemäß §§ 74, 74 a StGB einzuziehen.
4178Der Angeklagte D4 hat das vorbezeichnete Fahr-
4179zeug zur Ausführung der Tat genutzt. Dessen Einziehung
4180selbst kam nicht mehr in Betracht. Zum Zeitpunkt der
4181Entscheidung durch die Kammer war der Angeklagte, der
4182ursprünglich ein Anwartschaftsrecht an dem Pkw aus ei-
4183ner mit der genannten Gesellschaft geschlossenen Fi-
4184nanzkaufvertrag hatte, nicht Eigentümer. Auch dieses
4185Anwartschaftsrecht ist nunmehr erloschen. Denn wegen
4186unterbliebener Zahlung der monatlichen Raten durch
4187D4 hat die Firma M Leasing GmbH von ihrem
4188Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht und das Fahrzeug zwi-
4189schenzeitlich verwertet. Dadurch hat der Angeklagte vor
4190der Entscheidung im Sinne des § 74 c StGB die Einzie-
4191hung des Pkw vereitelt. Daher war sein Guthaben aus der
4192Rückabwicklung des vorgenannten Vertrages jedenfalls
4193nach § 74 c Abs. 1 StGB als Wertersatz einzuziehen, so-
4194fern man nicht diesen Betrag schon deshalb der Einzie-
4195hung nach § 74 StGB selbst unterwirft, weil dieses als
4196Surrogat anstelle des Pkw bzw. des daran bestehenden
4197Anwartsrechts getreten ist. Von der Einziehung wird da-
4198her insbesondere der Betrag von 2.920,77 € erfasst, den
4199die Firma M Leasing GmbH als den von ihr errechneten
4200Restanspruch des Angeklagten bei der Gerichtskasse
4201Dortmund eingezahlt hat. Insoweit umfasst die Einzie-
4202hung auch einen ggf. sich aus der Überprüfung der Ab-
4203rechnung ermittelnden höheren Rückzahlungsanspruch ge-
4204gen die Firma M Leasing GmbH.
4205VII.
4206Die Kosten- und Auslagenentscheidungen beruhen auf
4207§§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 S. 1 StPO.
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