Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 311/04
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem
Streitwert von 26.750,00 € der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger nahm bei der Beklagten für den PKW N, den er von der M GmbH geleast hatte, eine Kaskoversicherung. Wegen des Versicherungsscheines und der einbezogenen AKB wird auf die Anlagen zur Klageschrift (Blatt 7 und 10 ff. der Akte) Bezug genommen. Die Leasinggeberin ist im Besitz des Sicherungsscheines.
3Der Kläger behauptet, einer von zwei Schlüsseln für den PKW sei ihm am 08.08.2003 im Kaufhaus X in C gestohlen worden.
4Der Kläger meldete unstreitig einen Schlüsseldiebstahl bei der Polizei. Eine Sicherung der Schlösser des PKW´s nahm er in der Folgezeit nicht vor.
5Der Kläger behauptet, der PKW sei ihm am 22.08.2003/23.08.2003 gestohlen worden. Er habe den PKW am 22.08.2003 gegen 22.30 Uhr auf dem Parkplatz hinter der Polizeidienststelle T, N-Weg abgestellt. Sodann habe er den Zeugen H aufgesucht und bei diesem übernachtet. Am nächsten Morgen, um 9.25 Uhr, habe er wegfahren wollen. Das Fahrzeug sei nicht mehr am Abstellort gewesen.
6Um 9.26 Uhr erstattete der Kläger unstreitig Anzeige bei der Polizei. Dabei gab er den Kilometerstand mit "ca. 67.000 km" an.
7Die Beklagte übersandte ihm ein Formular "Kraftfahrt-Schadenanzeige". Dieses füllte er am 02.09.2003 aus. Über der Unterschriftszeile befindet sich – in Fettdruck – der Hinweis:
8"Mir ist bekannt, dass bewusst wahrheitswidrige oder unvollständige Angaben zum Verlust des Anspruchs auf Versicherungsschutz führen können, auch wenn sie für die Schadenfeststellung folgenlos geblieben sind."
9In die Rubrik "Km-Stand zum Unfallzeitpunkt" trug er – unter Streichung des Wortes "Unfallzeitpunkt" – die Zahl "61.000" ein. In einem ergänzenden Fragebogen der Beklagten – ohne Datum, bei der Beklagten eingegangen am 10.10.2003 – gab er die erfragte Gesamtlaufleistung am Schadentag in Kilometer wiederum mit "61.000" an. In diesem Formular findet sich vor der Unterschriftszeile folgende Belehrung:
10"Wichtiger Hinweis: Bewusst unwahre oder unvollständige Angaben über den Schadenfall führen, auch wenn dem Versicherer hierdurch kein Schaden entsteht, zum Verlust des Versicherungsanspruches."
11Wegen der weiteren Einzelheiten der Formulare wird auf die Anlagen zum Schriftsatz der Beklagten vom 02.09.2004 (Blatt 41 ff. und 44 ff. der Akte) Bezug genommen.
12Tatsächlich hatte das Fahrzeug – welches der Kläger als Neufahrzeug im Herbst 2001 geleast hatte – bereits am 17.03.2003, mithin gut 5 Monate vor dem behaupteten Diebstahl, eine Laufleistung von 81.899 km. Den Kilometerstand zum 17.03.2003 hat der Kläger bei dem D in M3 in Erfahrung gebracht, wo jeweils die Wartungsarbeiten an dem Fahrzeug durchgeführt wurden. Anlass für den Kläger, die Kilometerleistung nachzuvollziehen, war der Umstand, dass die Beklagte zuvor sich mit Schriftsatz vom 02.09.2004 auf eine Obliegenheitsverletzung wegen der Falschangabe der Kilometer berufen hatte (Polizei 67.000 km, gegenüber Beklagter: 61.000 km).
13Der Kläger behauptet, er habe sich hinsichtlich des Kilometerstandes geirrt. Er gehöre nicht zu den Autofahrern, die "besonders" auf den Kilometerstand achten. Dennoch habe er nicht im geringsten damit gerechnet, dass die tatsächliche Laufleistung des gestohlenen Fahrzeugs so erheblich von seiner Vorstellung abwich.
14Er meint, er habe sofort nach Erkennen des Irrtums "reinen Tisch" gemacht, so dass die Beklagte sich nach Treu und Glauben nicht auf eine Obliegenheitsverletzung berufen könne.
15Er beantragt,
16die Beklagte zu verurteilen, an die Firma M2 GmbH, H.-ring, #### N, zu der Leasing-Vertrags-Nummer: 997790
1726.750,00 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2004 zu zahlen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Sie bestreitet das äußere Bild einer Entwendung und beruft sich darauf, dass die Angaben des Klägers unglaubhaft seien.
21Soweit dem Kläger ein Schlüssel entwendet worden sein sollte und dieser danach keine Sicherungsmaßnahmen vornahm, sieht sie darin eine Gefahrerhöhung und meint, sie sei wegen § 61 VVG leistungsfrei.
22Darüber hinaus beruft sich die Beklagte auf eine Obliegenheitsverletzung des Klägers wegen der Falschangabe der Kilometerleistung.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
24Die zulässige Klage ist unbegründet.
25I.
26Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der vom Kläger behauptete Diebstahl des PKW N geschehen ist, denn die Beklagte wäre auch in diesem Falle gemäß § 6 Abs. 3 VVG in Verbindung mit § 7 I (2) Satz 4, VI AKB leistungsfrei geworden.
271.
28Nach letzterer Vorschrift oblag es dem Kläger, bei der Aufklärung des von ihm behaupteten Versicherungsfalles dadurch mitzuwirken, dass er die von der Beklagten begehrten Auskünfte wahrheitsgemäß erteilt. Er hat gegen diese Pflicht verstoßen, da er in dem Formular "Kraftfahrt-Schadenanzeige" und in dem ergänzenden Fragebogen der Beklagten falsche Angaben zur Laufleistung des PKW´s gemacht hat.
292.
30Diese Falschangabe führt zur Leistungsfreiheit der Beklagten, da der Kläger vorsätzlich gehandelt hat. Die Vermutung aus § 6 Abs. 3 VVG hat er nicht widerlegt. Wer sich bei Falschangaben auf einen Irrtum beruft, muss zumindest den Grund seines Irrtums plausibel darlegen können (OLG E Schaden-Praxis 2001, 424 m.w.N., vgl. OLG Hamm, VersR 1985, 535). Soweit ein Versicherungsnehmer sich bewusst ist, die Kilometerleistung nicht zu kennen und er in Kenntnis dieser Ungewissheit eine bestimmte Leistung angibt, macht er eine "Angabe ins Blaue hinein". Dabei nimmt er billigend in Kauf, dass seine Angabe falsch sein kann, er handelt mithin mit bedingtem Vorsatz hinsichtlich der Unrichtigkeit der aufklärungsbedürftigen Tatsache. Insofern steht die Kenntnis der eigenen Ungewissheit der Kenntnis der Unrichtigkeit gleich (OLG Hamm RuS 1995, 208).
31Hieran gemessen hat der Kläger sich auch unter Berücksichtigung seiner Erklärungen im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 14.10.2004 nicht entlasten können. Einen plausiblen Grund für einen Irrtum hat er nicht angeben können. Soweit er zunächst angab, dass er den Kilometerstand nicht kenne, weil er nicht auf den Tacho schaue, entlastet ihn dies nicht, da die Falschangaben zur Kilometerlaufleistung vor diesem Hintergrund ersichtlich als "ins Blaue hinein" abgegeben angesehen werden müssen.
32Soweit er sodann auf Vorhalt seines Prozessbevollmächtigten angab, er habe die digitale Anzeige in Erinnerung gehabt und die Zahl 61.000, so setzt er sich damit in Widerspruch zu seinen vorherigen Angaben. Die nachgeschobene Erklärung war – leicht durchschaubar – von dem Willen getragen, einen Irrtum zu konstruieren. Darüber hinaus bleibt nach dieser – nachgeschobenen – Erklärung offen, warum der Kläger die Kilometerzahl gegenüber der Polizei mit "ca. 67.000" angegeben hatte. Auch die nachgeschobene Erklärung entlastet ihn nach alledem nicht.
33Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger während des Prozesses die falschen Angaben zur Kilometerlaufleistung berichtigte. Zwar kann die Berichtigung falscher Angaben auch geeignet sein, die Vorsatzvermutung zu widerlegen, wenn das Gesamtverhalten des Versicherungsnehmers nach Überzeugung des Tatrichters darauf schließen lässt, dass die Falschangabe auf einem Irrtum beruht (BGH VersR 2002, 173; OLG Hamm VersR 1985, 535 f). Der Berichtigung im Prozess kommt jedoch vorliegend keine Bedeutung im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu, da der Kläger einen Irrtum bereits nicht plausibel erklären konnte. Hinzu kommt, dass der Kläger die tatsächliche Laufleistung des PKW´s erst offenbarte, nachdem ihm die Beklagte – wenn auch nur im Hinblick auf abweichende Angaben bei der Polizei – eine Falschangabe im Prozess vorgeworfen hatte. Da der Kläger in dem ergänzenden Fragebogen (Blatt 44 der Akte) das Autohaus in M3 als die Werkstatt angegeben hatte, in welcher das Fahrzeug gewartet wurde, musste er damit rechnen, dass weitere Nachforschungen durch die Beklagte zum Kilometerstand erfolgen würden.
343.
35Der Kläger ist hinreichend über die Folgen falscher Angaben aufgeklärt worden. Er ist in beiden Formularen hinreichend belehrt worden, dass bewusst unwahre oder unvollständige Angaben zum Anspruchsverlust führen können, auch wenn der Beklagten dadurch keine Nachteile entstehen. Die Belehrung findet sich fett gedruckt direkt über dem Unterschriftenfeld der "Kraftfahrt-Schadenanzeige" und dem ergänzenden Fragebogen und war damit für den Kläger deutlich wahrnehmbar.
364.
37Die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung ist relevant im Sinne der Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Sie war generell geeignet, die berechtigten Interessen der Beklagten zu gefährden. Dem Kläger fiel ein erhebliches Verschulden zur Last (vgl. BGH VersR 1984, 228). Eine Abweichung der Laufleistung von über 20.000 km – die nach dem 17.03.2003 gefahrenen Kilometer sind nicht bezifferbar und kommen noch hinzu – ist generell geeignet, die Interessen der Beklagten zu gefährden, da hierdurch die Wertermittlung und damit die Entschädigungsleistung grob verfälscht wird. Es handelt sich nicht um ein Fehlverhalten, das einem ordentlichen Versicherungsnehmer leicht unterlaufen könnte und für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufbringen müsste.
38II.
39Die Berufung der Beklagten auf die Obliegenheitsverletzung wegen der Falschangabe der Kilometerleistung verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben. Nach der Rechtsprechung des BGH (VersR 2002, 173) kann dem Versicherer die Berufung auf eine Obliegenheitsverletzung wegen Falschangaben verwehrt werden, wenn der Versicherungsnehmer dem Versicherer den wahren Sachverhalt aus eigenem Antrieb vollständig und unmissverständlich offenbart und nichts verschleiert oder zurückhält. Dies gilt jedoch nur, soweit nicht ausgeschlossen werden kann, dass die falschen Angaben bereits zu einem Nachteil für den Versicherer geführt haben oder nicht freiwillig berichtigt worden sind (BGH, a.a.O., m.w.N.).
40Es kann hier nicht festgestellt werden, dass der Kläger die Falschangaben zur Kilometerlaufleistung freiwillig berichtigte. Dem steht bereits entgegen, dass der Kläger die tatsächliche Kilometerlaufleistung erst offenbarte, nachdem ihm von der Beklagten Falschangaben hinsichtlich der Kilometerlaufleistung im Prozess vorgeworfen worden. Hinzu kommt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger "reinen Tisch" machte, weil er ohnehin damit rechnen musste, dass die tatsächliche Kilometerlaufleistung aufgedeckt werden würde. Denn er hatte in dem ergänzenden Fragebogen – wie bereits dargelegt – das Autohaus in M3 genannt, in welchem die Wartungsarbeiten durchgeführt wurden. Es lag mithin nahe, dass weitere Nachforschungen dazu führen würden, dass die tatsächliche Kilometerlaufleistung aufgedeckt werden würde.
41Nach alledem war zu erkennen wie geschehen.
42Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.
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