Beschluss vom Landgericht Dortmund - 20 O 99/04 AktG
Tenor
Dem Antragsteller wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
1
Gründe:
2Der Antragsteller ist außenstehender Aktionär der H2 AG, welche ihren Sitz in H hat. Diese schlos s einen Gewinnabführungsvertrag mit der Antragsgegnerin, welcher am 08.04.2004 in das Handeisregister eingetragen wurde. Die Eintragung wurde am 05.05.2004 im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemacht.
3Der Antrag des Antragstellers auf Erhöhung des Ausgleichs und der Abfindung ging
4am 05.07.2004 beim Landgericht Essen ein. Das Landgericht Essen teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 22.07.2004 mit, dass das Landgericht Dortmund für das Verfahren nach §1 Abs. 1 SpruchG ausschließlich zuständig sei und fragte, ob eine Abgabe an das Landgericht Dortmund beantragt wird. Der Antrag des Antragstellers auf Abgabe an das Landgericht Dortmund vom 26.07.2004 ging am 30.07.2004 beim Landgericht Essen ein. De r Vorsitzende der II. Kammer für Handelssachen verfügte am selben Tage die Übersendung der Akten an das Landegericht Dortmund.
5Die Verfügung wurde am 04.08.2004 ausgeführt. Die Akten trafen am 10.08.2004 beim Landgericht Dortmund ein.
6Mit Schreiben vom 06.10.2004, beim Gericht eingegangen am 07.10.2004, beantragt
7der Antragsteiler nach einem Hinweis des Vorsitzenden der zuständigen Kammer,
8Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
9Die Antragsgegnerin beantragt,
10den Antrag zurückzuweisen.
11II.
12Dem Antragsteller ist gemäß § 22 Abs. 2 FGG analog Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
13Der Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung ging erst nach Ablauf der Antragsfrist beim Landgericht Dortmund ein.
14Der Antrag kann gemäß § 4 Abs. 1 S.1 SpruchG nur innerhalb von drei Monaten nach Bekanntmachung der Eintragung des Unternehmensvertrages gestellt werden. Diese Antragsfrist lief am 05.08.2004 ab. Die Frist wurde nicht durch Stellung des Antrags beim Landgericht Essen am 05.07.2004 gewahrt. Fristwahrend ist gem. § 4 Abs. 1 S. 2 SpruchG nur die Einreichung bei einem zuständigen Gericht (KG ZIP 2000, 498, 500).
15Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sieht das SpruchG nicht vor. Gleichwohl
16war im vorliegenden Fall eine Wiedereinsetzung zu gewähren.
17§ 4 Abs. 1 S. 1 SpruchG ist nach herrschender Meinung eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist (Klöcker/Frowein, § 4 SpruchG Rdnr. 7). Bei einer solchen entfällt der Anspruch auf Erhöhung der Kompensation nach Ablauf der Frist. Nach § 13 SpruchG
18wirkt die gerichtliche Entscheidung auch für und gegen die Anteilsinhaber, die keinen
19oder keinen zulässigen Antrag gestellt haben. Liegen also neben dem nicht fristge-
20rechten Antrag eines Antragsteilers weitere zulässige Anträge vor, bleibt der Anspruch des Antragstellers trotz Fristversäumnis bestehen. Nur wenn kein einziger zulässiger Antrag auf Einleitung des Spruchverfahrens gestellt wird, wirkt die Versäumung der Frist auch als materiell-rechtliche Ausschlussfrist milder Folge, dass der Anspruch fortfällt.
21Hier liegen neben dem Antrag des Antragstellers noch weitere zulässige Anträge vor,
22so dass §4 Abs.l S.1 SpruchG nicht als materiell-rechtliche Ausschlussfrist wirkt.
23Aufgrund dessen spricht im vorliegenden Fall auch nichts gegen eine Wiedereinset-
24zung in den vorigen Stand.
25Das entscheidende Argument gegen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist
26das Interesse des betroffenen Rechtsträgers sich auf Bestand einer Abfindung- und
27Ausgleichsregelung verlassen zu können. Dieses Argument kann in diesem Fall jedoch gerade nicht greifen, da unabhängig von einem Antrag des Antragstellers das Spruchverfahren eingeleitet wurde und die Antragsgegnerin deshalb derzeit keine Sicherheit am Bestand einer Regelung erlangen kann.
28Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch zu gewähren, weil die Fristver-
29säumnis allein der Sphäre eines Gerichts zuzurechnen ist. Der Antragsteller hat seinen Antrag etwa einen Monat vor Ablauf der Antragsfrist an das Landgericht Essen gesandt. Bei der Anfrage des Landgerichts Essen, ob der Antrag an das Landgericht Dortmund abgegeben werden solle, wurde kein Hinweis gegeben, dass eine Weiterleitung innerhalb der Antragsfrist nicht gewährleistet werden könne. Aus seiner Sicht hat der Antragsteller mit der Beantragung der Abgabe an das Landgericht Dortmund alles Erforderliche veranlasst, was zur Einleitung des Verfahrens notwendig war. Mit einer Versäumung der Frist brauchte er nicht zu rechnen. In einem solchen Fall ist trotz Vorliegen einer Ausschlussfrist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
30Der gemäß §22 Abs. 2 FGG erforderliche Antrag auf Wiedereinsetzung wurde recht-
31zeitig gestellt.
32Dem Gericht sind die Tatsachen, welche die Verhinderung der Fristwahrung, den
33Mangel an Verschulden und die Zeit des Wegfalls der Verhinderung ersehen lassen,
34durch den Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht worden. Zudem sind diese Tatsachen dem Gericht aus der Akte bekannt, so dass eine Glaubhaftmachung durch den Antragsteller insoweit nicht erfordert ich war.
35Den Antragsteller traf auch kein Verschulden. Verschulden bedeutet das Außeracht-
36lassen der Sorgfalt, die ein Beteiligter normalerweise aufwendet, der sein Verfahren
37gewissenhaft betreibt. Entscheidend ist das dem einzelnen Betroffenen zumutbare
38Maß an Sorgfalt. Bei einer rechtsunerfahrenen Person sind niedrigere Anforderungen
39zu stellen als bei einem Rechtskundigen (Keidel/Kuntze/Winkler/Sternal §22 FGG
40Rdnr. 54).
41Ein Verschulden des Antragstellers kann bei Angehung eines unzuständigen Gerichts nur angenommen werden, wenn eine klare unmissverständliche Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit gegeben ist. Gemäß §2 Abs. 1 SpruchG ist das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk der Rechtsträger, dessen Anteilsinhaber antragsberechtigt sind, seinen Sitz hat. Nach dieser Regelung wäre das Landgericht Essen, in dessen Bezirk H liegt, zuständig gewesen. Dieses ist nur aufgrund der Konzentrationsverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen unzuständig. § 2 Abs. 4 SpruchG ermächtigt die Länder zwar zur Konzentration der örtilchen Zuständigkeit, das tatsächliche Vorliegen einer Konzentrationsverordnung ergibt sich jedoch nicht aus dem Spruchverfahrensgesetz. Für einen juristischen Laien besteht insoweit keine klare Regelung der Konzentration der örtlichen Zuständigkeit, die ihm ohne unzumutbaren Rechercheaufwand zugänglich wäre. Die Kenntnis der Konzentrationsverordnung konnte von dem Antragsteller als rechtsunkundige Person nicht erwartet werden. Das Durchsehen von Kommentaren und Fachliteratur kann zwar von einem Anwalt erwartet werden, nicht jedoch von einer Partei, die juristisch nicht vorgebildet ist und der allein die Auffindung der Literatur erhebliche Probleme bereiten dürfte. Zudem bestand nach
42dem Wortlaut des Gesetzes für den Antragsteller kein Anlass, an der Zuständigkeit des Landgerichts Essen, die nach § 2 Abs. 1 S. 1 SpruchG gegeben wäre, zu zweifeln.
43Darum musste er die Zuständigkeit nicht anhand von Fachliteratur überprüfen.
44Auch wenn man die Einreichung eines Antrags bei einem unzuständigen Gericht stets als verschuldet ansehen will, wäre hier das Verschulden des Antragstellers nicht ursächlich für die Versäumung der Frist. Dem Landgericht Essen wäre es möglich und zumutbar gewesen, die Versäumung der Antragsfrist zu verhindern.
45Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährt den Parteien einen Anspruch auf ein faires Verfahren. Der Richter muss das Verfahren so gestalten, wie die Parteien des Zivilprozesses es von ihm erwarten dürfen (BVerfGE 78, 123, 126, BVerfG NJW 2001, 1343). Den Richter trifft eine Fürsorgepflicht, fristgebundene Schriftsätze an das zuständige Gericht weiterzuleiten.
46Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden,
47dass dies jedenfalls dann gilt, wenn das angegangene Gericht vorher mit der Sache
48befasst war (BVerfGE 93, 99, 114 ff.). Geht ein Schriftsatz so zeitig beim Gericht ein,
49dass die fristgerechte Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres er-
50wartet werden kann, darf die Partei darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch inner-
51halb der Frist beim zuständigen Gericht eingeht.
52Mit dem Übergan g des Schriftsatzes in die Verantwortung des zur Weiterleitung ver-
53pflichteten Gerichts wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei nicht mehr aus
54(BVerfGE 93,99, 115 f.). Aber auch wenn wie im vorliegenden Fall das angegangene
55Gericht nicht mit der Sache befasst war, ist ein etwaiges Verschulden des Antragstel-
56lers nicht ursächlich für die Fristversäumung. Wäre es dem angegangenen Gericht
57nicht zuzumuten gewesen, das zuständige Gericht zu ermitteln und innerhalb der Frist die Sache weiterzuleiten, hätte es nach Ermittlung der Zuständigkeit den Antragsteller auffordern können und müssen, direkt einen neuen Antrag beim Landgericht Dortmund zustellen. Ein solcher wäre aller Wahrscheinlichkeit nach innerhalb der Frist eingegangen. Stattdessen hat das Landgericht Essen jedoch die Abgabe an das zuständige Gericht angeboten. Die fristgerechte Weiterleitung konnte unter diesen Umständen von dem Antragsteller erwartet werden. Ein etwaiges Verschulden seinerseits durch Angehung eines unzuständigen Gerichts war für die Fristversäumung daher nicht ursächlich. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung sind damit erfüllt.
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