Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 S 54/04
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des
Amtsgerichts Dortmund vom 27.08.2004 wird
kostenpflichtig nach einem Streitwert in Höhe
von 799,15 € zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten um die Frage, ob die Beklagte bei der Berechnung des Rückkaufswertes zweier bei ihr genommener Kapital-Lebens-versicherungen die Abschlusskosten im Wege des sogenannten "Zillmer-Verfahrens" in Abzug bringen durfte.
3Der Kläger nahm 1999 bei der Beklagten zwei Kapital-Lebens-versicherungen, denen die "Allgemeinen Bedingungen für die kapital-bildende Lebensversicherung" zu Grunde lagen. § 6 und § 15 der Allgemeinen Bedingungen lauten:
4"§ 6
5Wann können Sie die Versicherung kündigen oder beitragsfrei stellen?
6Kündigung und Auszahlung des Rückkaufswertes
7...
8(3) Nach § 176 WG haben wird nach Kündigung – soweit bereits entstanden – den Rückkaufswert zu erstatten. Er wird nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik auf den Kündigungstermin als Zeitwert Ihrer Versicherung berechnet, wobei ein als angemessen angesehener Abzug in Höhe von 2 % der noch ausstehenden Beitragssumme, mindestens aber 50,-- DM, erfolgt. Nach Erreichen der flexiblen Altersgrenze bzw. innerhalb der Abrufphase beträgt der Abzug 50,-- DM. In der Ablaufphase und bei vorzeitig beitragsfrei gestellten Versicherungen wird kein Storno-abzug genommen. Beitragsrückstände werden von dem Rückkaufs-wert abgesetzt.
9Der Rückkaufswert erreicht jedoch mindestens einen bei Vertrags-schluss vereinbarten Garantiebetrag, dessen Höhe vom Zeitpunkt der Beendigung des Vertrages abhängt. Die Übersicht über die garantierten Rückkaufswerte ist auf dem Versicherungsschein abgedruckt.
10...
11§ 15
12Wie werden die Abschlusskosten erhoben und ausgeglichen?
13Die mit dem Abschluss Ihrer Versicherung verbundenen und auf Sie entfallenden Kosten, etwa die Kosten für Beratung, Anforderung von Gesundheitsauskünften und Ausstellung des Versicherungs-scheines, werden Ihnen nicht gesondert in Rechnung gestellt. Auf den Teil dieser Kosten, der bei der Berechnung der Deckungs-rückstellung angesetzt wird, verrechnen wird nach einem aufsichts-rechtlich geregelten Verfahren Ihre ab Versicherungsbeginn eingehenden Beiträge, soweit diese nicht für Versicherungs-leistungen und Verwaltungskosten vorgesehen sind."
14Nachdem der BGH vergleichbare Klauseln in Lebensversicherungs-verträgen anderer Versicherer mit zwei Urteilen vom 09.05.2001 für unwirksam erklärt hatte (VersR 2001, 839 und 841) führte die Beklagte ein Treuhänderverfahren mit dem Ziel der Klauselersetzung nach § 172 Absatz 2 VVG durch. Mit Schreiben vom 18.02.2002 teilte die Beklagte dem Kläger Änderungen u. a. in Bezug auf die §§ 6 und 15 ihrer Allgemeinen Bedingungen mit. Wegen der Einzelheiten des Schreibens vom 18.02.2002 und der geänderten Bedingungen wird auf die Anlage K 8 zur Klageschrift (Bl. 44 f d.A.) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 06.11.2002 und 03.02.2003 kündigte der Kläger die Kapital-Lebens-versicherungen.
15Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt, die Beklagte zur Auskunft über die Höhe der Rückkaufswerte zu verurteilen, wie sie sich ohne Berücksichtigung der bisher in Rechnung gestellten Abschlusskosten ergeben würden. Er hat weiterhin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die sich aus der Auskunft ergebenden Beträge abzüglich gezahlter 2.562,83 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 24.04.2003 zu zahlen.
16Die Beklagte hat im ersten Rechtszug beantragt, die Klage abzuweisen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass das Klauselersetzungsverfahren, § 172 Absatz 2 VVG, auch auf die kapital-bildende Lebensversicherung Anwendung finde, so dass die Beklagte gemäß den in dem Klauselersetzungsverfahren geänderten Bedingungen die Abschlusskosten gemäß dem "Zillmer-Verfahren" verrechnen durfte. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er macht insbesondere geltend, dass das Klauselersetzungsverfahren auf kapital-bildende Lebensversicherungen keine Anwendung finde. Er berechnet nunmehr den sich ohne Verrechnung der Abschlusskosten nach dem "Zillmer-Verfahren" sich ergebenden Betrag konkret mit 799,15 €.
17Dementsprechend beantragt er nunmehr,
18unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Dortmund vom 27.08.2004 die Beklagte zu verurteilen, an ihn 799,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 24.04.2003 zu zahlen.
19Die Beklagte beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit weiteren Rechtsausführungen.
22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
23Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
24Die Klage hat auch mit dem in zulässiger Weise in zweiter Instanz geänderten Antrag in der Sache keinen Erfolg.
25Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus § 176 Absatz 1 und 3 VVG i. V. m. § 6 (3) der Allgemeinen Bedingungen der abge-schlossenen Kapitallebensversicherungen auf Zahlung eines Rück-kaufswertes zu, der sich ohne Abzug der Abschlusskosten – gemäß dem "Zillmer-Verfahren" – errechnet.
26- Im rechtlichen Ausgangspunkt teilt allerdings die Kammer die Auffassung des Klägers, dass die von der Beklagten ursprünglich verwendeten Klauseln in ihren Allgemeinen Bedingungen für die Rentenversicherung wegen mangelnder Transparenz unwirksam sind, weil der Text der maßgeblichen Bestimmungen, § 6 Absatz 3 und § 15, dem Versicherungsnehmer die Nachteile nicht hinreichend deutlich macht, die sich dadurch ergeben, dass Abschlusskosten durch die Anwendung des "Zillmer-Verfahrens" bereits bei Vertragsbeginn vollständig das Deckungskapital belasten. Nach den im Tatbestand zitierten Entscheidungen des BGH vom 09.05.2001 ist es erforderlich, dass die Klausel wirtschaftliche Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Dem Versicherungsnehmer muss vor Augen geführt werden, dass er bei einer Kündigung in den ersten Jahren sämtliche Beiträge verlieren kann und in den Folgejahren bei einer Kündigung möglicherweise weniger als die eingezahlten Prämien zurückerhält. Über die wirtschaft-lichen Folgen muss der Versicherungsnehmer danach an der Stelle der Allgemeinen Versicherungsbedingungen in den Grundzügen unterrichtet werden, an der die Regelung der Kündigung und Beitrags-freistellung angesprochen ist. Dem genügen die ursprünglich angewendeten Klauseln der Beklagten nicht. Dem Versicherungs-nehmer wird auch hier der wirtschaftliche Nachteil des "Zillmer-Verfahrens" nicht hinreichend deutlich vor Augen geführt. Dazu sind die §§ 6 Absatz 3 und 15 der Allgemeinen Bedingungen der Beklagten bereits räumlich zu weit voneinander getrennt. Über die räumliche Trennung hinaus wird der Zusammenhang zwischen diesen beiden Bestimmungen nicht hinreichend deutlich. Nach alledem sind auch die von der Beklagten verwendeten Klauseln wegen Verstoßes gegen das Transparentsgebot unwirksam, wovon im Übrigen auch die Beklagte selbst ausgeht, weil sie das Klauselersetzungsverfahren nach § 172 Absatz 2 VVG durchgeführt hat.
- Die sich aus der Unwirksamkeit der Klauseln wegen Intransparenz ergebenden Konsequenzen für die Berechnung und Auszahlung des Rückkaufswertes der Versicherung sind in Rechtsprechung und Literatur umstritten. a) Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass dann, wenn die Auswirkungen des "Zillmer-Verfahrens" nicht ausreichend erläutert worden sind, der Vertrag wie ein "Ungezillmerter" abzurechnen ist (Honsell/Schwintowski, Berliner Kommentar zum VVG, § 176 VVG, Rd.-Nr. 23). b) Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass die Feststellung der Unwirksamkeit der in den Versicherungsbedingungen enthaltenen Klauseln über die Errechnung des Rückkaufswertes bei Vertrags-beendigung durch Kündigung oder Anfechtung zu einer Lücke über die Verrechnung der Abschlusskosten führt, die im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung zu füllen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass ein ersatzloser Wegfall der Abschlusskosten wegen deren Bedeutung für die Kalkulation der Versicherungsleistung die Interessen der Beteiligten erheblich berühren würde, so dass unter der Fragestellung, welche Regelung die Parteien getroffen hätten, wenn ihnen bei Vertragsschluss die Unwirksamkeit der Abrechnungs-klausel bekannt gewesen wäre, diese eine Verteilung der Abschluss-kosten auf 10 Jahre in Anlehnung an die Regelungen des § 1 Absatz 1 Nr. 8 AltZertG vereinbart hätten (LG Hildesheim, VersR 2003, 1290 = NJOZ 2003, 3339. c) Schließlich wird ungeachtet der Unwirksamkeit der ursprünglich verwendeten Klauseln wegen Intransparenz die Anwendung des "Zillmer-Verfahrens" bei der Berechnung des Rückkaufswertes jedenfalls dann befürwortet, wenn der Versicherer ein wirksames Klauselersetzungsverfahren nach § 172 Absatz 2 VVG durchgeführt hat (OLG München, VersR 2003, 1024; OLG Braunschweig, NJOZ 2003, 3332 ff. = VersR 2003, 1520; OLG Celle VersR 2005, 535; LG Aachen VersR 2003, 1022; LG Saarbrücken VersR 2003, 1291; LG Wiesbaden VersR 2003, 1232). Dem liegt zu Grunde, dass das "Zillmer-Verfahren" als solches durch den BGH in den zitierten Entscheidungen nicht als sachlich unangemessen beanstandet worden ist (vgl. Römer/Langheid, VVG, 2. Auflage, § 176 VVG, Rd.-Nr. 10), so dass das "Zillmer-Verfahren" bei der Berechnung der Abschlusskosten in der Sache vom Versicherer angewendet werden darf, wenn die damit verbundenen Nachteile dem Versicherungsnehmer hinreichend deutlich erläutert worden sind.
- Die erkennende Kammer schließt sich der unter 2. c) wieder-gegebenen Auffassung an. Jedenfalls dann, wenn durch ein wirk-sames Klauselersetzungsverfahren Versicherungsbedingungen in den Versicherungsvertrag eingefügt werden, die die Verrechnung der Abschlusskosten durch das "Zillmer-Verfahren" hinreichend trans-parent erläutern, besteht kein Anspruch des Versicherungsnehmers auf Auszahlung eines Rückkaufswertes, wie er sich ohne Abzug der Abschlusskosten errechnen würde. Denn auch durch den Wegfall der wegen Intransparenz unwirksamen Klauseln ist eine Regelungslücke entstanden, die grundsätzlich gemäß § 6 Absatz 2 AGBG zu schließen ist. Das Treuhänderverfahren gemäß § 172 VVG stellt die nach § 6 Absatz 2 AGBG anzuwendende Methode zur Findung einer zumutbaren Ersatzregelung dar (OLG Braunschweig VersR 2003, 1520). Diese geht der Methode der ergänzenden Vertragsauslegung vor. Anderenfalls würde es in einer kaum überschaubaren Vielzahl von Fällen zu einer ergänzenden Vertragsauslegung kommen, mit dem Risiko einer Vielzahl voneinander abweichenden Entscheidungen, bis zu deren Rechtskraft Jahre vergehen können. Diese Nachteile sind durch den Gesetzgeber mit Rücksicht auf das Versicherungswesen als Massengeschäft und die dort erforderliche Gleichbehandlung sämtlicher Versicherungsnehmer mit entsprechenden Versicherungs-verträgen durch die Einführung des § 172 Absatz 2 VVG vermieden worden. Diese Norm schafft eine einheitliche Grundlage für sämtliche betroffenen Versicherungsverträge, um wirksame Bestimmungen in einem einzigen Treuhänderverfahren wirksam ersetzen zu können. a) Entgegen der Auffassung des Klägers findet § 172 Absatz 2 VVG nicht nur auf reine Risikoversicherungen, sondern auf alle Arten von Lebensversicherungen Anwendung (OLG München VersR 2003, 1024; OLG Stuttgart VersR 2001, 1141; OLG Braunschweig VersR 2003, 1520; OLG Celle VersR 2005, 535; LG Hamburg VersR 2005, 537; LG Würzburg, VersR 2005, 538; Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 172, Rd.-Nr. 30 m. w. N. – auch zu der Gegenauffassung - ; Brömmelmeyer in Beckmann/Matusche – Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2004, § 42, Rd.-Nr. 72 ff; Höra/Müller-Stein in Münchener Anwaltshandbuch VersR, 2004, § 24, Rd.-Nr. 207). Daran hält die Kammer fest. Weder der Wortlaut des § 172 Absatz 2 VVG noch die Gesetzessystematik sprechen gegen die Anwendung des Klausel-ersetzungsverfahrens auf sämtliche Arten der Lebensversicherung. Die Auslegungsmethode der systematischen Interpretation steht dem hier gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Zwar ist der Gegenauffassung zuzugeben, dass die Abfolge der Absätze 1 und 2 des § 172 VVG eher dafür spricht, dass das Klauselersetzungsverfahren nur für solche Lebensversicherungen der in Absatz 1 genannten Art Anwendung finden soll. Jedoch spricht umgekehrt für eine Einbeziehung sämtlicher Lebensversicherungsarten die Einordnung des § 172 VVG in den dritten Abschnitt, erster Titel. Hierdurch wird nahegelegt, dass das Klauselersetzungsverfahren für alle Arten der Lebensversicherung offen stehen soll. Da auch der Wortsinn nicht entgegen steht, verbleibt es nach der Auffassung der Kammer dabei, dass Sinn und Zweck der Regelung die hier vorgenommene Auslegung gebieten. b) Die Beklagte hat die unwirksamen Klauseln mit ordnungsgemäßer Durchführung des Klauselersetzungsverfahrens durch wirksame Klauseln ersetzt. Diese muss der Kläger gegen sich gelten lassen. aa) Die formell ordnungsgemäße Durchführung des Klauselersetzungs-verfahrens ist von dem Kläger nicht angezweifelt worden. bb) Das Verfahren nach § 172 Absatz 2 VVG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar ist der Schutzbereich des Artikels 2 Absatz 1 GG betroffen, denn das Grundrecht schützt den Einzelnen auch davor, dass die öffentliche Gewalt bereits abge-schlossene Verträge nachträglich einer Änderung unterzieht. Die aus der allgemeinen Handlungsfreiheit folgende Vertragsfreiheit findet jedoch ihre Schranken in § 172 Absatz 2 VVG, der seinerseits einer verfassungsrechtlichen Prüfung Stand hält (OLG Braunschweig VersR 2003, 1520; OLG Celle VersR 2005, 535). cc) § 172 Absatz 2 VVG ist auch nicht europarechtswidrig. Soweit nach der dritten Richtlinie Leben gefordert wird, dass dem Versicherungs-interessenten die Vertragsinhalte vor Abschluss des Versicherungs-vertrages mitzuteilen sind, so wird dieser Regelungsbereich durch § 172 Absatz 2 VVG nicht betroffen. § 172 Absatz 2 VVG ermöglicht es, eine zwar dem Versicherungsinteressenten mitgeteilte, jedoch unwirksame Bestimmung zu ersetzen. Ein solche Regelung zu treffen, ist dem nationalen Gesetzgeber durch die EU-Richtlinie nicht verwährt. dd) Der Kläger muss die aus dem Ersetzungsverfahren hervorgegangenen Klauseln gegen sich gelten lassen. Denn das an die Stelle der nichtigen Klauseln getretene neue Bedingungswerk ist hinreichend transparent. Es benachteiligt den Kläger nicht unangemessen. Insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen. ee) Ein Widerspruchsrecht gemäß § 5 a VVG in direkter oder analoger Anwendung steht dem Kläger nicht zu. Die Voraussetzungen des § 5 a VVG liegen nicht vor. Denn es geht hier nicht um die Nichtübergabe von Versicherungsbedingungen oder das Unterlassen von Verbraucherinformationen, vielmehr steht die Regelung der Folgen intransparenter Versicherungsbedingungen in Rede. Für eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 5 a VVG fehlt es an einer ausfüllungsbedürftigen und lückenhaften Regelung des Klausel-ersetzungsverfahrens (OLG Celle VersR 2003, 1113; OLG Nürnberg VersR 2004, 182).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
28Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Absatz 2 ZPO nicht erfüllt sind.
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