Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 251/05
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert
von 6.504,24 € die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Herr C ist Versicherungsnehmer einer bei der Beklagten bestehenden Haftpflichtversicherung unter Geltung der AHB (in der Fassung wie aus der Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 14.10.2005, Bl. 65 ff d.A., ersichtlich). Die Tochter des Herrn C, C2, ist minderjährig. Sie ist mitversicherte Person der bei der Beklagten genommenen Haftpflichtversicherung. Sie löste in der in Berlin-Pankow gelegenen Mietwohnung einen Brand aus. Sie las in ihrem Kinderzimmer "unter der Bettdecke" und vergaß, die Leselampe abzuschalten. Die Decke entzündete sich durch die inzwischen heiß gewordene Klemmlampe. Die komplette Wohnung der Familie C brannte aus. Die Klägerin bewohnte die darüber gelegene Wohnung zur Miete. Durch Verrußung war die Wohnung für die Zeit vom 04.06.2004 bis zum 07.08.2004 unbewohnbar. Die Klägerin wohnte in dieser Zeit mit ihrer Familie (insgesamt 5 Personen) in einem Wohnwagen auf einem Zeltplatz.
3Die Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 17.09.2004 gegenüber den Prozessbevollmächtigen der Klägerin bereit, ohne "Präjudiz" in die Regulierung einzutreten.
4Die Klägerin begehrte die Zahlung fiktiver Kosten für die Anmietung einer Ferienwohnung. Die Beklagte war nur zur Zahlung von 2.000,00 € "pauschal" bereit. Sie hielt hieran mit Schreiben vom 11.11.2004 fest. Da sie mit einer Klageerhebung durch die Klägerin rechnete, informierte sie ihren Versicherungsnehmer Herrn C mit Schreiben vom 11.11.2004 und erteilte ihm Hinweise für sein Verhalten im Falle gerichtlicher Inanspruchnahme. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage zum Schriftsatz vom 06.09.2005 (Bl. 57 d.A.) Bezug genommen. Weitergehend hat die Klägerin behauptet, ihre Prozessbevollmächtigten hätten die Beklagte von einer Einreichung der Klage in der erste Novemberhälfte informiert.
5Ausweislich der Beiakten 23 O ###/04, Landgericht Berlin, ging die Klage vom 03.12.2004 gegen die C2, vertreten durch den Vater C, am 06.12.2004 bei dem Landgericht Berlin ein. Nach Zustellung der Klage an den Herrn C erging ein Versäumnisurteil vom 03.02.2005 und ein Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22.02.2005. Wegen der Zahlungsansprüche aus diesen Titeln pfändete die Klägerin "Ansprüche des Schuldners auf Regulierung des Brandschadens ...", wobei als Schuldnerin jeweils die Mitversicherte C2, vertreten durch ihren Vater angegeben ist, nicht aber der Vater als Versicherungsnehmer.
6Die Beklagte versagte Herrn C mit Schreiben vom 01.03.2005 Versicherungsschutz wegen Obliegenheitsverletzung. Sie berief sich auf §§ 5 und 6 der AHB und bemängelte, dass sie weder über die Klageerhebung noch über die Zustellung des Versäumnisurteils informiert worden sei.
7Die Klägerin macht Ansprüche wie folgt geltend:
8- Für den Zeitraum vom 04.06.2004 bis zum 07.08.2004 je 120,00 € Nutzungsentschädigung für die Wohnung pro Tag (= 7.800,00 €, abzüglich bereits gezahlter 2.000,00 € und 751,00 € wegen ersparter Miete, mithin 5.049,00 €; vgl. auch Versäumnisurteil vom 03.02.2005 und Bl. 6 ff. d. Beiakte.).
- Die Klägerin verlangt zudem die Gebühren und die Kosten für die Zustellung des ersten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses in Höhe von 179,92 €.
- Die Klägerin macht ferner 1.259,20 € wegen des Kostenfest-setzungsbeschlusses in dem Verfahren vor dem Landgericht Berlin geltend.
- Letztlich verlangt die Klägerin noch die Zustellungsgebühren in Höhe von 24,10 € für den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 15.06.2005.
Die Klägerin beantragt,
13- die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.049,00 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.09.2004 sowie weitere 179,92 € zu zahlen,
- an sie 1.455,24 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.07.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie beruft sich auf Obliegenheitsverletzung wegen unterlassener Information über die Klageerhebung, §§ 5, 6 AHB. Sie weist darauf hin, dass der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag nicht der Tochter als Mitversicherte zustehe. Sie meint, fiktive Wohnkosten könnten nicht geltend gemacht werden.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19Die zulässige Klage ist nicht begründet.
20Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin vorliegend einen bestehenden Versicherungsanspruch pfändete mit der Folge, dass in ihrer Hand ein Zahlungsanspruch entstand.
21Grundsätzlich kann ein Geschädigter einen Versicherungsanspruch pfänden mit der Folge, dass in dessen Hand ein Zahlungsanspruch entsteht (Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, § 24, Rdnr. 94 m. w. N.).
22I.
23Vorliegend ist jedoch bereits fraglich, ob in der vorliegenden Konstellation eine solche Pfändung möglich ist. Denn grundsätzlich besteht eine Verfügungsbefugnis der mitversicherten Tochter C2 über den Versicherungsanspruch nicht, § 7 Nr. 1 Satz 2, 1. Halbsatz AHB, welcher zugleich § 75 Absatz 2 VVG abbedingt. Die Tochter ist jedoch im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss jeweils als Anspruchsberechtigte bezeichnet, wenn auch vertreten durch ihren Vater, den Versicherungsnehmer. Ob in einem solchen Fall Ansprüche der Versicherten gegen den Versicherer trotz mangelnder Verfügungsbefugnis im Wege der Pfändung übergehen können, erscheint rechtlich zweifelhaft. Allerdings spricht für die Zulassung der Pfändung in einer solchen Konstellation der Umstand, dass der Geschädigte sonst der Möglichkeit der Pfändung des Haftpflichtanspruches in all den Fällen beraubt wäre, in denen Schädiger nicht der Versicherungsnehmer selbst, sondern der Versicherte war. Vorstehende Frage kann jedoch aus den Gründen zu II. offen bleiben.
24II.
25Denn einem Anspruch der Klägerin steht jedenfalls entgegen, dass die Beklagte wegen einer Obliegenheitsverletzung leistungsfrei geworden ist, §§ 5, 6 AHB i. V. m. § 6 VVG.
26- Der Versicherungsnehmer Herr C hat als gesetzlicher Vertreter seiner Tochter C2 die Obliegenheit des § 5 Nr. 2 AHB verletzt. Denn er hat die gerichtliche Geltendmachung des Schadensersatzanspruches durch die Klägerin nicht an die Beklagte weiter gemeldet. Zwar erlegt § 5 Nr. 2 AHB diese Verpflichtung nur dem selbst in Anspruch genommen Versicherungsnehmer auf, was vorliegend nicht der Fall war, weil sich der Anspruch gegen seine Tochter richtete. Gleichwohl wird in der Rechtsprechung angenommen, dass entgegen des Wortlautes des § 5 Nr. 2 AHB der Versicherungsnehmer auch Verfahren gegen den Mitversicherten anzeigen müsse. Jedoch kann in der besonderen vorliegenden Konstellation dahinstehen, ob dem zu folgen ist (dagegen: Prölss/Martin VVG, 27. Auflage, § 153, Rdnr. 9 m. w. N., auch zu der Auffassung der Rechtsprechung). Denn hier war über § 7 Nr. 1 Satz 1 AHB auch die mitversicherte Tochter verpflichtet, die gerichtliche Geltendmachung der Beklagten anzuzeigen. § 7 Nr. 1 AHB führt in der hier vereinbarten Fassung zu einer Erweiterung des § 5 Nr. 2 AHB auf Prozesse gegen den Versicherten. Die in § 5 Nr. 2 AHB genannte obliegenheits-auslösende gerichtliche Geltendmachung gegen den Versicherungsnehmer unterfällt nach dem Wortlaut zwanglos den "bezüglich des Versicherungsnehmers getroffenen Bestimmungen", § 7 Nr. 1 AHB (unklar dagegen die Einordnung des § 7 Nr. 1 AHB in die Problematik bei Prölss/Martin a. a. O., § 153, Rdnr. 9 a. E.). Im Ergebnis war der Vater, als gesetzlicher Vertreter der Mitversicherten, zur Anzeige verpflichtet. Damit steht auch der Grundsatz, dass Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers nach Eintritt des Versicherungsfalles dem Mitversicherten nicht schaden (Prölss/Martin, a.a.O, § 7 AHB, Rdnr. 4) vorliegend einer Leistungsfreiheit der Beklagten nicht entgegen. Denn die Unterlassung der Anzeige ist der Versicherten zuzurechnen. Die Verletzung der Obliegenheit erfolgte vorsätzlich. Die Vermutung des § 6 VVG, § 6 Absatz 1 Satz 1 AHB ist nicht widerlegt. Zwar ist im Regelfall anzunehmen, dass ein Versicherungsnehmer/Versicherter seinen Versicherungsschutz nicht durch die Verletzung einer Anzeigepflicht gefährden will, jedoch kann diese Annahme im Hinblick auf die eindeutige Belehrung mit Schreiben vom 11.11.2004 Geltung nicht beanspruchen. Denn in diesem Schreiben wurde Herr C ausdrücklich instruiert, wie er sich im Falle einer zu erwartenden Klageerhebung zu verhalten habe. Dies geschah zeitnah vor der Klageerhebung, so dass ihm deutlich gewesen sein muss, dass er zur Anzeige der Klageerhebung verpflichtet war. Diese Verpflichtung ergab sich vorliegend jedenfalls aus seiner Rechtsstellung als gesetzlicher Vertreter der mitversicherten Tochter. Die Obliegenheitsverletzung ist vorliegend auch nicht folgenlos geblieben, denn die Beklagte hat auf Grund der Nichtanzeige der Klageerhebung nicht für eine anwaltliche Vertretung der Versicherten gesorgt. Dementsprechend ist ein Versäumnisurteil ergangen. Es kann auch nicht gesagt werden, dass die Beklagte unabhängig von einer unterlassenen Anzeige der Klageerhebung von der Klageerhebung anderweitig Kenntnis erhielt. Soweit die Klägerin geltend macht, ihre Prozessbevollmächtigten hätten die Beklagte von der Einreichung der Klage in der ersten Novemberhälfte informiert, Seite 3 des Schriftsatzes vom 02.09.2005 unter Hinweis auf die Schreiben vom 01.11.2004 und 10.11.2004), ist dies unbeachtlich. Denn aus der Beiakte ergibt sich, dass die Klage erst am 06.12.2004 bei dem Landgericht Berlin einging. Mit Schreiben vom 01.11.2004 sowie 10.11.2004 konnte sie daher allenfalls von einer beabsichtigten Klageerhebung unterrichtet worden sein. Damit korrespondiert, dass die Beklagte, hierauf reagierend, den Versicherungsnehmer mit Schreiben vom 11.11.2004 instruierte, wie im Falle einer Klageerhebung zu verfahren war. Die Beklagte ist insofern sachgerecht verfahren, als sie endgültige Gewissheit über die angekündigte Klage nur durch ihren Versicherungsnehmer erhalten konnte. Dass eine Klageerhebung sicher bevorstand, musste sich der Beklagten dem- gegenüber nicht aufdrängen, da die Ankündung einer Klage vielfach auch als "Drohmittel" genutzt wird, ohne dass es notwendigerweise zu einer Klageerhebung kommen muss. War die Obliegenheitsverletzung mithin nicht folgenlos, so greifen die Grundsätze der sog. Relevanzrechtsprechung vorliegend nicht. Aber auch dann, wenn man § 6 I dritter Absatz AHB entnimmt, dass unter den dort genannten Voraussetzungen auch eine nicht folgenlos gebliebene Obliegenheitsverletzung die Leistungsfreiheit hindern kann, so ergibt sich nichts Anderes. Denn die Obliegenheitsverletzung war vorliegend abstrakt und konkret geeignet, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu beeinträchtigen. Eine abstrakte Beeinträchtigung der Interessen des Versicherers ergibt sich stets, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherer nicht über eine Klageerhebung informiert und ihn so daran hinderte, auf die Prozessführung Einfluss zu nehmen. Konkret wurde dem Versicherer die Möglichkeit genommen, über eine anwaltliche Vertretung auf den Lauf des Haftpflichtprozesses Einfluss zu nehmen. Dies ist hier insbesondere von Belang, als die Höhe des Schadensersatzanspruches hätte in Zweifel gezogen werden können. Bei streitigem Verlauf hätte die Prüfung zur Höhe ergeben müssen, dass ein weiterer Anspruch der Klägerin nicht zustand. Zwar kann für den Wegfall der Nutzungsmöglichkeit einer Wohnung ein abstrakter Nutzungsausfallschaden zugesprochen werden (vgl. BGH, großer Senat für Zivilsachen, NJW 1987, Seite 50 ff; Palandt, 63. Auflage vor § 249, Rdnr. 20, 25 ff; OLG Hamm, NJW-RR 1993, 1181 ff). Jedoch ist die Nutzungsentschädigung regelmäßig unterhalb des Mietwertes anzusiedeln (OLG Hamm, a.a.O.). Danach wäre wegen der bereits erfolgten Zahlung in Höhe von 2.000,00 € und der ohnehin ersparten Miete kein weitergehender Anspruch mehr gegeben. Letztlich ist auch nicht ersichtlich, dass den Versicherungsnehmer – hier als gesetzlichen Vertreter der mitversicherten Person – kein erhebliches Verschulden trifft. Insoweit ist wiederum darauf zu verweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Schreiben vom 11.11.2004 vor Klageerhebung eine Instruktion für den Fall der Klageerhebung von der Beklagten erhielt.
- In gleicher Weise ist vorliegend die Obliegenheit aus § 5 Nr. 4 Satz 1 verletzt. Zur Überlassung der Prozessführung gehört, dass der Versicherungsnehmer die Prozessführung nicht vereitelt (Prölss/Martin, a.a.O., § 5 AHB, Rdnr. 11). Die Prozessführung durch den Versicherer ist vorliegend vereitelt worden durch die Nichtanzeige der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruches. Im Hinblick auf die Regelung des § 7 Nr. 1 Satz 1 AHB kann vorliegend auch hier dahinstehen, ob die Auffassung von Prölss/Martin (a.a.O., § 153 VVG, Rdnr. 9) zutrifft, wonach nur ein Prozess gegen den Versicherungsnehmer die Anzeigeobliegenheit auslöst.
- Entgegen der Auffassung der Klägerin steht der Leistungsfreiheit auf Grund der vorgenannten Obliegenheitsverletzungen auch nicht entgegen, dass diese etwa erst nach – gegebenenfalls unberechtigter – Leistungsverweigerung der Beklagten erfolgten. Eine Leistungsablehnung in diesem Sinne liegt nicht etwa vor, wenn ein Haftpflichtversicherer es ablehnt, Leistungen an den Geschädigten zu erbringen. Nicht zur Leistungsfreiheit führen nur solche Obliegenheitsverletzungen, die nach der Leistungsablehnung des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer erfolgen, d. h., nach Ablehnung der Erfüllung des dem Versicherungsnehmers zustehenden Befreiungsanspruches. Dieser Befreiungsanspruch ist auf die Befreiung von begründeten Ansprüchen des Dritten und auf die Abwehr unbegründeter Ansprüche des Dritten gerichtet (Beckmann/Beckmann/Matusche, HAO, § 24, Rdnr. 10 m. w. N). Die Beklagte hat es aber nie abgelehnt, die Abwehr unbegründeter Ansprüche zu übernehmen. Mithin lag eine Deckungsablehnung seitens der Beklagten nicht vor.
Nach alledem kann die Klage weder hinsichtlich des Schadens-ersatzanspruches zu 1. des Tatbestandes noch zu den weiteren Positionen Erfolg haben. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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