Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 89/05
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Von den bis zum 8. Dezember 2005 entstandenen Kosten des Rechtsstreits tragen Alt- und Neukläger jeweils die Hälfte, die ab dem 9. Dezember 2005 entstandenen Kosten des Rechtsstreits trägt der Neukläger.
Streitwert: 298.263,86 €.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger als Versicherungsnehmer hat bei der Beklagten eine Unfallversicherung unter Geltung der AUB 94 abgeschlossen, in die sein Sohn P – der Altkläger – als versicherte Person einbezogen ist. Für die versicherte Person wurde eine Invaliditätsgrundsumme von 179.463,45 € nebst progressiver Invaliditätsstaffel 300 % sowie eine Unfallrente in Höhe von 3.067,75 € ab einem Invaliditätsgrad von 50 % vereinbart.
3Am 28.05.2002 wurde die versicherte Person bei einem Verkehrsunfall verletzt. Mit Unfallbericht vom 1.6.2002 zeigte der Kläger den Unfall seines Sohnes auf einem von der Beklagten überlassenen Formular an. Dieses Formular enthält eine Belehrung über die Frist des § 7 AUB, ohne auf die Rechtsfolgen einer Fristversäumung hinzuweisen. Da der Sohn des Klägers wegen verschiedener unfallbedingter Brüche stationär vom 28.05.2002 bis 18.07.2002 behandelt wurde, machte der Kläger im November 2002 die vereinbarte monatliche Unfallrente in Höhe von 3.067,57 € mit der Begründung geltend, die unfallbedingte Invalidität liege weit über 50 %. Daraufhin holte die Beklagte ein Gutachten von C ein, welches dieser am 12.06.2003 erstattete. Das Gutachten stellte eine Invalidität von 1/4 Beinwert rechts und 7/20 Beinwert links wegen Gang- und Standstörungen beider Beine sowie Hüftgelenksarthrose fest. Auf dieser Grundlage rechnete die Beklagte mit Schreiben vom 15.08.2003 die Invaliditätsansprüche nach einer Invalidität von 42 %, wegen der progressiven Invaliditätsstaffel erhöht auf 76 %, ab und zahlte und an den Kläger 136.392,22 €. Bereits mit Schreiben vom
46.8.2002 und 23.8.2002 hatte die Beklagte das ebenfalls versicherte Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld abgerechnet, jeweils mit einer Belehrung über die Fristen des § 7 AUB und einem Hinweis auf den Verlust des Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung bei Fristversäumung.
5Da die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit der von der Beklagten geleisteten Invaliditätsentschädigung in Höhe von 136.392,22 € nicht einverstanden war, erklärte sich die Beklagte bereit, im Wege der Neufeststellung eine erneute Begutachtung vornehmen zu lassen. Im Auftrage der Beklagten erstattete Privatdozent T am 13.07.2004 ein neues Gutachten, in dem er die Beeinträchtigung des linken Beines wie der Vorgutachter C mit 7/20 Beinwert und die des rechten Beines statt mit 1/4 nur mit 2/10 Beinwert bewertete. Zusätzlich stellte er eine dauernde Beeinträchtigung der sexuellen Funktion mit 10 % sowie der pulmonalen Funktion mit 5 % fest. Daraufhin begehrten die Prozessbevollmächtigten des Klägers Neuberechnung der Invaliditätsleistung auf der Grundlage dieses Gutachtens. Dieses lehnte die Beklagte ab mit der Begründung, eine Invalidität wegen Störung der Sexualfunktion oder wegen pulmologischer Beeinträchtigung sei nicht fristgerecht ärztlich festgestellt und nicht innerhalb der vereinbarten Fristen zur Entschädigung bei ihr angemeldet worden. Sie hat nach Ablauf des 3. Unfalljahres ein weiteres Gutachten zur Neufeststellung der Invalidität in Auftrag gegeben. In diesem Gutachten vom 2.8.2005 bemisst der Gutachter Privatdozent T die seinerzeitige und voraussichtlich auf Dauer bestehende Invalidität beim Sohn des Klägers auf 7/20 Beinwert für das linke Bein und 1/4 Beinwert für das rechte Bein sowie auf 10 % wegen Beeinträchtigung der sexuellen Funktion und auf weitere 5 % wegen Beeinträchtigung der pulmonalen Funktion.
6Der Kläger meint, die Beklagte könne sich nicht auf den Ablauf der Fristen berufen, weil der Kläger von Anfang an auf Mängel des ersten Gutachtens hingewiesen habe. In der mündlichen Verhandlung vom 26.01.2006 sowie in einem an diesem Tag bei Gericht eingegangenen Schriftsatz trägt er vor, dass sein Sohn bereits bei Aufnahme des Gutachtens durch Herrn C diesem gegenüber mitgeteilt habe, dass eine sexuelle Funktionsstörung vorliege, weil wegen der Schmerzen in den Beinen und Hüften eine Erektion sofort wieder vergehe.
7Mit der Klage macht der Kläger die vereinbarte Unfallrente ab Mai 2002 sowie eine weitere Invaliditätsentschädigung unter Einbeziehung der wegen sexueller und pulmonaler Beeinträchtigungen attestierten weiteren Invalidität nach einem erhöhten Invaliditätsgrad von 114 % geltend.
8Der Kläger beantragt,
91. es wird festgestellt, dass das durch die Beklagte in
10Auftrag gegebene Gutachten des Herrn Privatdozent T vom 13.7.2004 für die Abrechnung der Versicherungsleistung zugrunde zu legen hat,
11hilfsweise beantragt er,
121. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in
13Höhe von 169.425,92 € nebst 5 % Zinsen über dem
14Basiszinssatz aus 68.196,11 € seit dem 15.8.2003
15und nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz
16aus 3.067,57 € seit dem 1.6.2002,
17aus 6.134,14 € seit dem 1.7.2002,
18aus 9.202,71 € seit dem 01.08.2002,
19aus 12.207,28 € seit dem 01.08.2002,
20aus 15.337,85 € seit dem 01.09.2002,
21aus 18.405,42 € seit dem 01.10.2002,
22aus 21.472,99 € seit dem 01.11.2002,
23aus 24.540,56 € seit dem 01.12.2002,
24aus 27.608,13 € seit dem 01.01.2003,
25aus 30.675,70 € seit dem 01.02.2003,
26aus 33.743,27 € seit dem 01.03.2003,
27aus 36.810,84 € seit dem 01.04.2003,
28aus 39.878,41 € seit dem 01.05.2003,
29aus 42.945,98 € seit dem 01.06.2003,
30aus 46.013,55 € seit dem 01.07.2003,
31aus 49.081,12 € seit dem 01.08.2003,
32aus 52.148,69 € seit dem 01.09.2003,
33aus 55.216,26 € seit dem 01.10.2003,
34aus 58.283,83 € seit dem 01.11.2003,
35aus 61.351,40 € seit dem 01.12.2003,
36aus 64.418,97 € seit dem 01.01.2004,
37aus 67.486,54 € seit dem 01.02.2004,
38aus 70.554,11 € seit dem 01.03.2004,
39aus 73.621,68 € seit dem 01.04.2004,
40aus 76.689,25 € seit dem 01.05.2004,
41aus 79.756,82 € seit dem 01.06.2004,
42aus 82.824,39 € seit dem 01.07.2004,
43aus 85.891,96 € seit dem 01.08.2004,
44aus 88.959,53 € seit dem 01.09.2004,
45aus 92.027,10 € seit dem 01.10.2004,
46aus 95.094,67 € seit dem 01.11.2004,
47aus 98.162,24 € seit dem 01.12.2004,
48aus 101.229,81 € seit dem 01.01.2005
49zu zahlen.
502. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine monatliche
51Rente von 3.067,57 € ab dem 01.02.2005 zu zahlen.
52 53Die Beklagte beantragt,
54die Klage abzuweisen.
55Sie macht nach dem vollzogenen Parteiwechsel vom Alt- auf den Neukläger Leistungsfreiheit wegen Versäumung der Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG geltend, nachdem sie zuvor die Aktivlegitimation des Altklägers gerügt hatte. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass die zusätzlich festgestellte Invalidität wegen sexueller und pulmonaler Funktionsbeeinträchtigung wegen Versäumung der Fristen des § 7 AUB nicht zu entschädigen sei.
56Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
57E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
58Die Klage ist unbegründet.
59Dem Kläger steht aus der zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherung über die von der Beklagten gezahlte Invaliditätsentschädigung in Höhe von 136.392,22 € keine weitere Invaliditätsentschädigung wegen unfallbedingter Invalidität seines Sohnes Oliver als mitversicherte Person – weder als Kapitalleistung noch als Unfallrente – zu, da die Beklagte die fristgerecht ärztlich festgestellte und fristgerecht angemeldete Invalidität bedingungsgemäß entschädigt hat und eine weitere Invaliditätsentschädigung sowohl als Kapitalleistung als auch als Rente wegen möglicherweise darüber hinaus bestehender Invalidität auf Grund sexueller und pulmonaler Funktionsbeeinträchtigung wegen Versäumung der Fristen des § 7 AUB zu Recht abgelehnt hat.
601. Auf Leistungsfreiheit wegen Versäumung der Klagefrist des § 12
61Abs. 3 VVG kann sich die Beklagte nach Treu und Glauben nicht berufen, nachdem die Klage fristgerecht vom Anspruchsberechtigten aber nicht verfügungsbefugten Altkläger erhoben worden war und nach Fristablauf ein Parteiwechsel auf den verfügungsberechtigten Versicherungsnehmer und Neukläger stattgefunden hat. Unter diesen Umständen ist die Berufung der Beklagten auf die Leistungsfreiheit nach § 12 Abs. 3 VVG jedenfalls treuwidrig (BGH VersR 1993, 559).
622. Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg.
63a. Der Hauptantrag ist bereits unzulässig, weil damit nicht die Fest-
64stellung eines Rechtsverhältnisses begehrt wird.
65b. Die hilfsweise gestellten Anträge auf Zahlung einer weiteren
66Kapitalinvaliditätsentschädigung sowie der vertraglich vereinbarten Unfallrente für eine Invalidität ab einem Grad von 50 % sind unbegründet. Denn die Beklagte braucht den Kläger nur nach einer Invalidität für das linke und das rechte Bein als Folgen des Unfalles vom 28.05.2002 zu entschädigen. Dies hat sie mit Abrechnungsschreiben vom 15.08.2003 auf der Basis von 1/4 Beinwert rechts und 7/20 Beinwert links vorgenommen. Diese Invaliditätsbewertung wird auch vom Kläger nicht angegriffen und entspricht im Übrigen auch den Invaliditätsgraden, die nach Ablauf des dritten Unfalljahres abschließend durch das Gutachten des Privatdozenten T vom 02.08.2005 ärztlicherseits attestiert worden sind. Die darauf fußende Berechnung der Invaliditätsentschädigung mit 42 % Invaliditätsgrad, durch die vereinbarte progressive Invaliditätsstaffel erhöht auf 76 %, und einer Invaliditätsentschädigung von 136.392,22 € ist unter den Parteien unstreitig.
67Eine weitere Invaliditätsentschädigung, sei es nun als Kapitalleistung oder als Unfallrente wegen weiter festgestellter sexueller und pulmonaler Funktionsbeeinträchtigung steht dem Kläger nicht zu, weil die Invalidität insoweit nicht innerhalb der Frist des § 7 I AUB ärztlich festgestellt worden ist und darüber hinaus Invaliditätsansprüche wegen dieser Funktionsbeeinträchtigungen nicht fristgerecht bei der Beklagten angemeldet worden sind.
68§ 7 I (1) AUB erfordert als Voraussetzung für den Anspruch auf Invaliditätsleistung die schriftliche ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität spätestens vor Ablauf einer Frist von 15 Monaten nach dem Unfall. Diese Anspruchsvoraussetzung ist hinsichtlich der Invalidität auf Grund sexueller und pulmonaler Funktionsbeeinträchtigungen nicht erfüllt, da diese Beeinträchtigungen erstmals im Gutachten T vom 13.07.2004 als Unfallfolge schriftlich festgestellt worden sind. Diese ärztliche Invaliditätsfeststellung liegt weit außerhalb der 15-Monatsfrist des § 7 I (1) AUB, da sich der Unfall bereits mehr als 2 Jahre zuvor am 28.05.2002 ereignet hatte. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es der Beklagten nach Treu und Glauben nicht verwehrt, sich auf den Fristablauf und die Versäumung durch den Kläger zu berufen. Denn unstreitig hat sie den Kläger in zwei Abrechnungsschreiben über die Abrechnung von Krankenhaustagegeld und Krankengeld vom 06.08.2002 und 23.08.2002, also deutlich innerhalb der Fristen, die für die Invaliditätsentschädigung in den AUB vereinbart sind, auf die Erforderlichkeit der Einhaltung der Fristen für die Geltendmachung eines Anspruches auf Invaliditätsentschädigung hingewiesen und auch auf die Folgen aufmerksam gemacht, die mit einem Anspruchsverlust drohen, wenn die Fristen ungenutzt verstreichen. Ein treuwidriges Verhalten der Beklagten kann der Kläger auch nicht aus dem Umstand herleiten, dass die Beklagte nach dem zunächst eingeholten Gutachten C, in dem sich keinerlei Feststellungen zu einer sexuellen oder pulmonalen Funktionsbeeinträchtigung befinden, ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben hat. Denn der Grund für die Einholung des weiteren Gutachtens T lag nicht darin, mögliche der Beklagten bis dato überhaupt nicht bekannte Funktionsbeeinträchtigungen auf pulmonalem oder sexuellem Gebiet prüfen zu lassen. Die Beklagte hat das weitere Gutachten vielmehr aus Anlass des Schreibens der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 08.09.2003 – Anlage A 4 zur Klageschrift – in Auftrag gegeben, weil die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Beeinträchtigungsgrade von 1/4 und 7/20 Beinwert nicht nachvollziehen konnten und darauf hingewiesen haben, dass in naher Zukunft eine linksseitige Hüfttotalendoprothese erforderlich sein wird und dies wie im Übrigen auch nicht die zu erwartenden Beschwerden bei Erstellung des Gutachtens in ausreichendem Maße berücksichtigt worden sei. Das weitere Gutachten ist somit nicht in Auftrag gegeben worden, um eine auch vom Kläger nicht bemängelte unterlassene Feststellung einer Funktionsbeeinträchtigung auf sexuellem und pulmonalem Gebiet überprüfen zu lassen, sondern um die von C vorgenommene Bewertung von 1/4 Beinwert rechts und 7/20 Beinwert links wegen der unfallbedingten Funktionsbeeinträchtigung an den Beinen einer neuerlichen gutachterlichen Überprüfung zugänglich zu machen. Unter diesen Umständen kann der Beklagten kein Verstoß gegen Treu und Glauben vorgeworfen werden, wenn sie sich auf das Fehlen einer Anspruchsvoraussetzung wegen Versäumung der Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität wegen pulmonaler und sexueller Funktionsbeeinträchtigung beruft.
69Im Übrigen hat der Kläger auch die 15-Monatsausschlussfrist zur Anmeldung der Invaliditätsansprüche wegen pulmonaler und sexueller Funktionsbeeinträchtigung seines Sohnes versäumt, ohne dass ein Entschuldigungsgrund ersichtlich wäre. Selbst wenn der Sohn des Klägers die sexuelle Funktionsbeeinträchtigung bereits gegenüber dem ersten beauftragten Gutachter C mitgeteilt hätte, läge darin noch keine Geltendmachung von Invaliditätsansprüchen bei der Beklagten, da der Gutachter insoweit kein Vertreter der Beklagten war. Auch hier ist kein Grund ersichtlich, warum der Beklagten nach erfolgter Belehrung auch über die Frist, innerhalb derer Ansprüche auf Invaliditätsentschädigung geltend gemacht werden müssen, eine Berufung auf den Fristablauf nach Treu und Glauben verwehrt sein sollte. Denn die Beklagte hat erstmals durch das Gutachten des von ihr beauftragten Privatdozenten T vom 13.07.2004 davon erfahren, dass beim Sohn des Klägers eine Invalidität wegen pulmonaler und sexueller Funktionsbeeinträchtigung vorlag bzw. vorliegen könnte.
70Die Klage musste somit mit der Kostenfolge aus §§ 91, 269 ZPO abgewiesen werden. Die bis zur Klagerücknahme des Altklägers entstandenen Kosten hat dieser in einem seinem Kopfteil entsprechenden Anteil zu tragen, während die weiteren Kosten des Rechtsstreits allein vom Neukläger zu tragen sind.
71Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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