Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 S 49/05
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 26.10.2005
verkündete Urteil des Amtsgerichts Dortmund abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.302,90 €
- i. B.: dreitausenddreihundertzwei 90/100 Euro – nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz auf 1.773,02 € seit dem 04. Juni 2002 und
1.529,88 € seit dem 16. Juli 2002 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage
abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der durch die
Nebeninterventionen entstandenen Kosten trägt die Beklagte
nach einem Streitwert von 3.305,20 €.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung für stationäre Wahlleistungen nach dem Tarif 721 unter Geltung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskostenversicherung (MB/KK 94). Sie leidet seit längerem unter pseudoradikulären Lumboischialgien, einem Reizzustand der Gelenkfacetten L3 – S1, einer interspinalen Ligamentose und segmentalen Lockerung auf der Basis einer Spondylolyse L5 / S1 sowie Schmerzen in beiden Sprunggelenken, im linken Knie und im cervico-thoracalen Übergang in der rechten Schulter. Sie war diesbezüglich jahrelang in orthopädischer Behandlung mit regelmäßiger Krankengymnastik, manual-therapeutischen, physikalischen und schmerztherapeutischen Behandlung sowie diversen Reha-Maßnahmen. Ab dem 23.01.2001 war die Klägerin wegen der vorge-nannten Erkrankungen nahezu durchgehend arbeitsunfähig krank. Von C wurde sie Anfang 2002 zwecks Durchführung einer röntgengesteuerten Proliferationsbehandlung sowie einer therapeutischen Lokalanästhesie in die stationäre Behandlung der Streitverkündeten zu 1. überwiesen. Dort wurde sie dann stationär vom 17.04.2002 bis 09.05.2002 behandelt. Wegen der während dieser Behandlung angewandten Therapie und wegen des Behandlungsverlaufes wird auf den Befundbericht der Streitverkündeten zu 1. vom 21.05.2002 (Bl. 12-13 d.A.) verwiesen.
4Die Klägerin hat in erster Instanz vorgetragen, dass die stationäre Behandlung in der Klinik medizinisch notwendig gewesen sei. Auf Grund ihres Krankheitszustandes sei sie nicht in der Lage gewesen, dass Therapiekonzept ambulant durchzuführen. Im Übrigen wäre eine derartige ambulante Behandlung weder in ihrem Heimatort noch in der näheren Umgebung möglich gewesen. Schließlich verweist sie darauf, dass sie schon 1996 beste Erfahrungen mit der Behandlung in der Klinik der Streitverkündeten zu 1. gemacht habe. Auch damals habe sich nach dem Aufenthalt der Gesundheitszustand deutlich verbessert und die Beklagte habe die Leistungen klaglos übernommen. Auch die jetzige stationäre Behandlung sei erfolgreich verlaufen, da sie mit deutlich verbessertem Allgemeinzustand habe entlassen werden können.
5Mit der Klage hat die Klägerin für 22 Tage stationären Krankenhausaufenthalt den Einzelbettzuschlag á 80,00 € mithin 1.760,00 € sowie 1.529,88 € für die chefärztliche Behandlung als Leistung der Beklagten aus dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag begehrt. Zudem hat sie Erstattung von 15,32 € für Laborleistungen verlangt. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 03.06.2002 Erstattungen abgelehnt.
6Die Klägerin hat der Klinik sowie dem behandelnden Chefarzt den Streit verkündet. Die Streitverkündeten sind dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten.
7Die Klägerin hat beantragt,
8die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.305,20 € nebst 5 % über dem Basiszinssatz aus 1.775,32 € seit dem 04.06.2002 sowie aus 1.526,88 € seit dem 16.07.2002 zu zahlen.
9Die Nebenintervenienten haben sich dem Antrage der Klägerin angeschlossen.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie hat die stationäre Behandlung in der Klinik der Streitverkündeten zu 1. nicht für medizinisch notwendig gehalten. Dazu führt sie aus, dass die Klinik in letzter Zeit mehreren privaten Krankenversicherern dadurch aufgefallen sei, dass dort Behandlungen durchgeführt würden, die auch ambulant durchgeführt werden könnten. Außerdem behalte die Streit-verkündete zu 1. ihre Patienten regelmäßig kurtypisch für mindestens drei Wochen bei sich, so wie dies auch im Falle der Klägerin gegeben sei. Die Behandlungen hätten nach ihrer Auffassung auch in der Praxis C2 im Heimatort der Klägerin durchgeführt werden können. Zudem hat sich die Klägerin auf den Leistungsausschluss nach § 5 Absatz 1 d MB/KK 94 berufen, wonach keine Leistungspflicht für Kur- und Sanatoriumsbehandlungen sowie für Reha-Maßnahmen besteht. Dazu hat sie behauptet, dass es sich bei dem Aufenthalt der Klägerin in der Klinik der Streitverkündeten zu 1. um solche Maßnahmen gehandelt habe. Hinsichtlich der geltend gemachten Laborkosten hat sie eingewandt, dass der 15-prozentige Abzug nach § 6 a GOÄ unterblieben sei.
13Das Amtsgericht hat nach Einholung zweier Sachverständigengutachten C3 und D unter Zugrundelegung des zuletzt genannten Gutachtens der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die medizinische Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung gegeben sei und den Leistungsausschluss wegen Kur- oder Sanatoriumsbehandlung verneint. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt. Sie rügt, das Einwendungen gegen das Gutachten übergangen worden seien. Sie hält an der Auffassung fest, dass die medizinische Notwendigkeit der stationären Behandlung gefehlt habe und beklagt zudem, dass das Amtsgericht den 15-prozentigen Abzug gemäß § 6 a GOÄ von den Laborkosten nicht berücksichtigt habe.
14Die Beklagte beantragt,
15das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 26.10.2005 (127 C 1145/03) abzuändern und die Klage abzuweisen.
16Die Klägerin beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Die Nebenintervenienten haben sich auch in der Berufungsinstanz dem Antrag der Klägerin und Berufungsbeklagten angeschlossen. Sie verteidigen mit der Klägerin das angefochtene Urteil und vertreten weiterhin die Auffassung, dass die stationäre Behandlung der Klägerin medizinisch notwendig war.
19Das Gericht hat den Sachverständigen D im Termin vom 29.06.2006 zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens angehört.
20II.
21Die Berufung der Beklagten hat nur insoweit Erfolg, als sie zu Recht beanstandet hat, dass der 15-prozentige Abzug gemäß § 6 a GOÄ von den Laborkosten in Höhe von 15,32 € unterblieben ist. Insoweit war das angegriffene Urteil abzuändern. Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten erfolglos, weil das Amtsgericht in seiner angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt hat, dass der stationäre Aufenthalt der Klägerin in der Klinik der Streitverkündeten zu 1. im Jahre 2002 medizinisch notwendig war, so dass die Beklagte verpflichtet ist, die vertraglich versprochenen Leistungen in Form des Einbettzimmerzuschlags und der wahlärztlichen Leistungen gemäß §§ 1, 49 VVG i. V. m. §§ 1, 4 MB/KK 94 sowie dem vereinbarten Tarif 721 zu erbringen.
22Die Leistungspflicht der Beklagten richtet sich nach den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung, wie sie in dem Versicherungsschein nebst Versicherungsbedingungen und Tarif ihren Niederschlag gefunden haben. Danach verspricht der Versicherer in § 1 (1) a MB/KK Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. Nach § 1 (2) ist als Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person u. a. wegen Krankheit definiert. Nach § 4 (4) MB/KK 94 hat der Versicherte für medizinisch notwendige stationäre Heilbehandlung die freie Wahl unter den öffentlichen und privaten Krankenhäusern. Daraus kann der verständige Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnis es bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen ankommt, entnehmen, dass er Erstattung der Kosten für einen stationären Krankenhausaufenthalt als Versicherungsleistung von seinem Versicherer verlangen kann, wenn dieser Krankenhausaufenthalt im Rahmen einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung erforderlich war. Als Heilbehandlung ist jede ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch eine Krankheit der versicherten Person verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung oder Linderung der Krankheit abzielt. Dem wird eine ärztliche Tätigkeit, die auf Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet ist, gleichgestellt. Dabei sind die Begriffe ärztliche Leistung und medizinisch notwendige Krankenpflege in einem weiten Sinne zu verstehen, die einerseits dem weit gespannten Leistungsrahmen der MB/KK und andererseits dem allgemeinen Sprachgebrauch Rechnung trägt (BGH, VersR 1987, 278).
23Eine Behandlungsmaßnahme ist medizinisch notwendig, wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Mit dem Begriff der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung wird – für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar – zur Bestimmung des Versicherungsfalles, ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt (vgl. zuletzt BGH, VersR 2006, 535 = NJW-RR 2006, 678). Insoweit hängt die Beurteilung nicht allein von der Auffassung des Versicherungsnehmers oder des ihn behandelnden Arztes ab, sondern von den objektiven medizinischen Befund und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Steht danach die Eignung einer Behandlung, eine Krankheit zu heilen oder zu lindern oder ihren Verschlimmerungen entgegenzuwirken, nach medizinischen Erkenntnissen fest, folgt daraus grundsätzlich auch die Einstandspflicht des Versicherers (BGH, a.a.O.). Medizinisch notwendig kann eine Behandlung aber auch dann sein, wenn ihr Erfolg nicht sicher vorhersehbar ist, ein solcher also nicht feststeht. Es genügt insoweit, wenn die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen. Ob dies der Fall ist, kann nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmt werden.(BGH, a. a. O; BGHZ 133, 208, 215). Gerade wegen der letzt genannten Voraussetzung kommt es nicht auf die von den Parteien zahlreich zu den Akten gereichten Gutachten und Urteile an, die sich zu der Frage der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung verhalten, da diese naturgemäß nicht auf die konkrete Erkrankung der Klägerin und die darauf bezogene Heilbehandlung in der Klinik der Streitverkündeten zu 1. beziehen können.
24Für die Notwendigkeit gerade einer stationären Heilbehandlung lässt sich sagen, dass diese jedenfalls dann gegeben ist, wenn durch eine ambulante Behandlung der erstrebte Erfolg nicht erzielt werden kann. Hat eine stationäre Behandlung (wesentlich) größere Erfolgsaussichten, besteht ebenfalls Versicherungsschutz. Die Kammer hat Zweifel, ob der von Prölss/Martin VVG, 27. Auflage, § 1 MB/KK 94, Rn. 44 vertretenen Auffassung gefolgt werden kann, wonach aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgen soll, dass sich der Versicherungsnehmer auf eine ambulante Behandlung verweisen lassen muss, wenn ambulante und stationäre Behandlung ungefähr gleichwertig sind. Jedenfalls die Begründung dürfte seit BGH, VersR 2003, 581, wonach es in einer unter Geltung der MB/KK 94 genommenen Krankheitskostenversicherung auf Kostengesichtspunkte nicht ankommt, wohl nicht mehr tragfähig sein. Letztlich kann aber die Frage, ob bei einer Gleichwertigkeit von ambulanter und stationärer Behandlung eine Erstattungspflicht des Versicherers nur für die ambulante Behandlung vereinbart ist, offen bleiben, da nach dem Ergebnis der von der Kammer ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme davon auszugehen ist, dass die stationäre Behandlung der Klägerin in der Klinik der Streitverkündeten zu 1. im Jahre 2002 zur Behandlung ihrer Leiden erforderlich war und auch nur stationär durchgeführt werden konnte. Dies hat der ergänzend zu seinem schriftlichen Gutachten angehörte Sachverständige D nach Vorgabe der zuvor genannten Auslegung des Begriffes der medizinisch notwendigen Heilbehandlung und der medizinisch notwendigen stationären Behandlung in der Erläuterung seines Gutachtens noch sehr viel deutlicher zum Ausdruck gebracht, als dies aus seinem schriftlichen Gutachten bereits erkennbar geworden ist. Der Sachverständige hat ausgehend von den von ihm als glaubhaft eingestuften Beschwerden der Klägerin im Frühjahr 2002 die stationäre Behandlung mit dem dabei verfolgten Therapiekonzept als unbedingt geeignet erachtet, die Beschwerden der Klägerin jedenfalls zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegen zu wirken (vgl. OLG Hamm, OLGReport 1998, 321; OLG Köln, VersR 2000, 43). Er hat das Behandlungskonzept der Klinik der Streitverkündeten zu 1. als ein Gesamtkonzept unter Anwendung von Sklerosierungsbehandlung unter Röntgenbildwandlerkontrolle, unter Infiltrationsbehandlung, unter Spritzenbehandlung sowie mit Atemtherapie, Fango und Thermalbädern als einheitliches Gesamtkonzept bezeichnet, welches gerade durch das Zusammenwirken der Einzelkomponenten, Aussicht auf Erfolg verspricht. Nach fundierter Einschätzung des Sachverständigen konnte gerade wegen der Kon-zentration der einzelnen Behandlungen, insbesondere der Spritzenbehandlung die Therapie nicht in einer ambulanten Praxis durchgeführt werden. Zwar wäre es theoretisch möglich gewesen, Einzelstücke der Behandlung in einer ambulanten Praxis durchzuführen. Wegen des Gesamtkonzeptes hätte dies jedoch keinen Sinn gemacht. Der Sach-verständige hat ferner darauf verwiesen, dass durch die Spritzenbehandlung stundelange Lähmungen der unteren Gliedmaßen hätten eintreten können und das auch deshalb die stationäre Heilbehandlung erforderlich war. Im Übrigen hat der Sachverständige darauf verwiesen, dass das Therapiekonzept in der Klinik der Streitverkündeten tagtäglich auch in den Universitätskliniken des Landes verfolgt wird, so dass die Kammer keinerlei Bedenken hat, angesichts der Schwere der Erkrankung der Klägerin im Frühjahr 2002 den stationären Aufenthalt in der Klinik für Manuelle Therapie für notwendig und die während des Krankenhausaufenthaltes durchgeführte Heilbehandlung für medizinisch notwendig zu erachten.
25Die Ausführungen des Amtsgerichts über das vermeintliche Eingreifen des Leistungsausschlusses nach § 5 (1) d MB/KK 94 bei Kur- und Sanatoriumsbehandlungen sowie Reha-Maßnahmen sind mit der Berufung nicht angegriffen worden.
26Der Berufung war somit nur in einem geringen Teil Erfolg beschieden und sie musste im Wesentlichen zurückgewiesen werden.
27Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 2, 97 und 101 ZPO.
28Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst.
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