Urteil vom Landgericht Dortmund - 14 (Schw) T 1/05
Tenor
Der Angeklagte wird wegen Mordes und wegen gefährlicher Körperverletzung zu
lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
verurteilt.
Der Angeklagte trägt die Verfahrenskosten, die notwendigen Auslagen der Nebenkläger und seine Auslagen.
Angewendete Strafgesetze:
§§ 211, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, 223, 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
1
G r ü n d e :
2I.
3Lebenslauf des Angeklagten
4Der Angeklagte wurde am 22.02.1947 in M in der Nähe von L(jetzt L in Polen) geboren und wuchs dort in geordneten Familienverhältnissen auf. Nach seinen Angaben war sein Vater als Meister bei der Eisenbahn tätig, während seine Mutter ein Geschäft leitete. Der Angeklagte wurde altersgerecht eingeschult. Wegen einer Blinddarmoperation und der damit verbundenen längeren stationären Behandlung musste er eine Klasse wiederholen. Abgesehen davon bereitete ihm der Lernstoff keine Schwierigkeiten. Nach seinen Angaben wurde er etwa 1962 aus der 8. Klasse der Volksschule als Jahrgangsbester entlassen. Im Anschluss besuchte er fünf Jahre lang ein von ihm so bezeichnetes Technikum, eine weiterführende Schule, die gleichzeitig eine Berufsausbildung vermittelte. Der Angeklagte erwarb dort nach seinen Angaben das Abitur und absolvierte mit Erfolg eine Ausbildung zum Techniker. Anschließend arbeitete er etwa 8 bis 9 Jahre lang zuvor oder währenddessen leistete er den Militärdienst ab in einem Hüttenwerk, nach der Anfangszeit als Vorarbeiter, und war darüber hinaus nebenberuflich als Bademeister tätig. Weil diese Nebentätigkeit von der Werksleitung nicht weiter hingenommen wurde, gab der Angeklagte diese Arbeitsstelle auf. Nach seinen Angaben war er im Anschluss mehrere Jahre als Inspektor und Oberinspektor im öffentlichen Dienst Polens tätig und dabei u. a. mit der Organisation von Sportveranstaltungen befasst, bevor er aufgrund der niedrigen Entlohnung in eine Brauerei wechselte, in der er angeblich für mehrere Jahre als Brauereimeister tätig war. Anlässlich des Todes seines Vaters, der zu diesem Zeitpunkt in E in Deutschland lebte, im Jahre 1988 siedelte der Angeklagte nach Deutschland über und ließ sich ebenfalls in E nieder, wo auch seine in diesem Verfahren als Zeugin vernommene Schwester N lebte. Zusätzlich zu seiner polnischen Staatsbürgerschaft erwarb er die deutsche Staatsbürgerschaft. Er absolvierte einen Sprachkurs sowie einen Schweißerkurs und war ca. drei Jahre lang in einem Leiharbeitsunternehmen als Schlosser und Schweißer tätig, bevor er dann eine Arbeitsstelle in einem Betrieb fand, der Montage von Fenstern und Türen ausführte. Bei einem Arbeitsunfall vor acht oder neun Jahren er war aus dem 2. Stock eines Hauses gestürzt zog er sich eine Ellbogenfraktur und seine Angaben dazu während des Strafverfahrens wechselten möglicherweise auch Handgelenksbrüche zu. Nach längerer stationärer Behandlung und verschiedenen Rehabilitationsmaßnahmen scheiterten erneute Versuche, als Schlosser zu arbeiten. Der Angeklagte ist seitdem nicht mehr berufstätig. Er lebt seitdem von einer knapp bemessenen Unfall- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente und erhält ergänzende Unterstützung vom Arbeitsamt.
5Der Angeklagte war in Polen zweimal verheiratet. Die erste Ehe ging er im Alter von 25 Jahren ein. Sie wurde bereits nach drei Jahren geschieden. Zu dem aus dieser Ehe stammenden und in Polen lebenden 34-jährigen Sohn hat der Angeklagte noch Kontakt. Ein zweites Mal heiratete der Angeklagte mit 30 Jahren. Aus dieser Ehe gingen ein jetzt 25 Jahre alter Sohn und eine jetzt 24 Jahre alte Tochter hervor, die wie ihre Mutter in Polen leben. Zu ihnen hat der Angeklagte keinen Kontakt mehr. Seit etwa acht Jahren unterhält der Angeklagte wiederum eine Beziehung zu der Zeugin H, mit der er bereits als junger Mann vor seiner ersten Heirat ein Verhältnis hatte, das beendet worden war, nachdem die Zeugin von ihm schwanger geworden war und eine Fehlgeburt gehabt hatte. Die Zeugin hatte danach einen anderen Mann geheiratet und war, als der Angeklagte wieder mit ihr zusammen traf, Witwe. Die Zeugin H bezieht in Polen eine Rente und ist Eigentümerin eines Hauses. Der Angeklagte und seine Partnerin leben seit mehreren Jahren zusammen, und zwar dergestalt, dass sie sich teils im Hause der Zeugin in Polen und teils in der Wohnung des Angeklagten in E in Deutschland aufhalten.
6Der Angeklagte ist seit langem gewöhnt, Alkohol zu trinken. Zum Auftreten von Entzugssymptomen ist es nie gekommen. Ein oder zwei Wochen auf Alkohol zu verzichten, ist dem Angeklagten ohne Weiteres möglich. Nach reichlicherem Alkoholgenuss an einem Tag sieht der Angeklagte am folgenden Tag grundsätzlich vom Konsum alkoholischer Getränke ab. Bewusstseinsverändernde Drogen hat der Angeklagte nie genommen.
7Vor dem erwähnten Arbeitsunfall vor acht bis neun Jahren hat der Angeklagte bei seiner früheren Tätigkeit in der polnischen Brauerei einmal einen Ohnmachtsanfall erlitten, was damals schließlich auf mangelnde Sauerstoffzufuhr in dem Werksraum, in dem sich der Angeklagte aufgehalten hatte, zurückgeführt wurde. Nachdem er Mitte des Jahres 2002 im Hausflur des Mehrfamilienhauses, in dem er seine Wohnung hat, überfallen und dabei auf den Kopf geschlagen worden war, suchte er Anfang 2003 wegen auftretender Angstzustände zweimal einen Neurologen auf, der ihm ein Beruhigungsmittel verschrieb. Der Angeklagte wiegt bei einer Größe von 1,72 m ca. 104 kg, weist also eine Adipositas auf. Er leidet unter Bluthochdruck und einer chronischen Gastritis.
8Strafrechtlich ist der Angeklagte bereits in Erscheinung getreten.
9Ende der 90-er Jahre wurde in einem Umfangsstrafverfahren u. a. gegen ihn ermittelt. Er stand seinerzeit wegen des Umstands, dass er mehrfach Kleintransporter angemietet hatte, mit denen nach Erkenntnissen der Polizei geschmuggelte Zigaretten transportiert worden waren, im Verdacht, sich an wiederholtem organisiertem Schmuggel von jeweils 1.000 Stangen Zigaretten oder mehr beteiligt zu haben. Während der laufenden Ermittlungen, von denen der Angeklagte seinerzeit wohl keine Kenntnis hatte, wurde er Mitte Januar 1999 und Mitte Dezember des Jahres 2000 jeweils im Besitze von 80 Stangen unverzollter Zigaretten betroffen. Im letzteren Fall hatte er vor seiner Festnahme bereits weitere 80 Stangen geschmuggelte Zigaretten weiterveräußert. Das Amtsgericht Dortmund verhängte in dem Verfahren 80 Cs 170 Js 76/02 (14/02) aufgrund der konkret bezeichneten Vorfälle von Januar 1999 und Dezember 2000 durch Strafbefehl vom 04.03.2002 wegen Steuerhehlerei in 2 Fällen eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15,00 € gegen den Angeklagten. Wegen der weitergehenden Vorwürfe wurde das Verfahren, in dem sich der Angeklagte im Sommer 2001 etwas mehr als zwei Monate in Untersuchungshaft befunden und eingeräumt hatte, nicht bei der ersten Anmietung, aber bei späteren Anmietungen davon ausgegangen zu sein, dass die Fahrzeuge von seinen Auftraggebern beim Handel mit geschmuggelten Zigaretten eingesetzt wurden, gemäß § 154 StPO eingestellt.
10II.
11Tatvorgeschichte
12Im Jahre 2002 stand der Angeklagte in Kontakt mit den späteren Tatopfern, dem am ###### geborenen I und dem am ###### geborenen I². Bei ihnen handelt es sich um polnische Brüder - der jüngere hatte seinen Geburtsnamen I ändern lassen -, die mit dem Schmuggel von Zigaretten von Polen nach Deutschland befasst waren. Ob der Angeklagte sie aufgrund früherer Schmuggelgeschäfte kannte oder sie in diesem Jahre kennen gelernt hatte, hat die Kammer nicht festgestellt. Die Brüder suchten Abnehmer für nach Deutschland zu schmuggelnde Zigaretten, woraufhin der Angeklagte sie mit dem Zeugen L³ bekannt machte, der sich auf dieses Geschäft mit den Brüdern einließ.
13Der Angeklagte wurde für seine Vermittlung von den Brüdern entlohnt; möglicherweise erhielt er anstelle eines Geldbetrages oder zusätzlich eine jahrzehntealte halbautomatische Selbstladepistole des belgischen Fabrikats FN, Modell 1910/22, Kaliber 7,65 mm Browning. Sicher festzustellen ist, dass der Angeklagte, der seit seiner Kindheit an Waffen interessiert ist, sich beim Militärdienst in Polen als sehr guter Schütze erwiesen hatte und seit langen Jahren Waffen und Militaria unterschiedlichster Art sammelt, längere Zeit vor dem Tatgeschehen im Besitze der vorbezeichneten funktionsfähigen Pistole war und mindestens gelegentlich damit bei Aufenthalten in Polen geschossen hatte.
14L³ mietete gemeinsam mit einem anderen Mittäter eine Halle bzw. Garage in Essen an und bezog in der Folgezeit nach Deutschland geschmuggelte unverzollte Zigaretten von I und I². Mindestens zwei Lieferungen von jeweils über 1.000 Stangen wurden in D umgeschlagen, von L³ an seine eigenen Abnehmer verbracht und an diese veräußert. Bei Abwicklung eines weiteren Geschäfts wurden die Zigaretten, die zuvor von L³ und seinem Mittäter in D bereits übernommen worden waren, beim Weitertransport von der Polizei beschlagnahmt. Der Zeuge L³ suchte daraufhin umgehend I und I² auf, die sich in Begleitung eines anderen Mannes in der Wohnung des Angeklagten befanden und auf die Bezahlung der Lieferung warteten. Als L³ von der Beschlagnahme berichtete und darauf hinwies, dass er von den Abnehmern jetzt kein Geld mehr erhalten werde und die Lieferung deshalb erst später bezahlen könne, wurde er von I und I² ohne Weiteres aufgefordert, unverzüglich die 17.000,00 € zu beschaffen und die Lieferung zu bezahlen. L³ sah keine Möglichkeit, diese Forderung zu erfüllen, und machte dies auch deutlich, worauf es zu einem Streitgespräch kam, in dessen Verlauf einer der Brüder wohl I ein Küchenmesser nahm und dem Zeugen L³ damit einen Stich in das Bein versetzte, der so heftig war, dass die Spitze der Klinge abbrach und in der Wunde steckenblieb, wo sie sich noch heute befindet. Der Angeklagte war bei dieser Auseinandersetzung anwesend, hatte jedoch mit der Abwicklung des von ihm ursprünglich vermittelten Geschäfts selbst nichts zu tun und hatte sich an der Auseinandersetzung nicht beteiligt. Er schritt andererseits auch nicht ein und ließ seine Besucher gewähren. L³ verließ verletzt die Wohnung. In seiner Angst vor weiteren Angriffen trieb er zunächst einen größeren Teilbetrag mehrere 1.000,00 € auf, die er den Brüdern aushändigte. Bis zum Herbst 2004 wurde er mehrfach in E von den Brüdern I und I² überwiegend wohl in Begleitung eines dritten Mannes aufgesucht und zu weiteren Zahlungen aufgefordert. Auch wenn dabei keine offenen Drohungen geäußert wurden, so verstand der Zeuge L³, was auch der Absicht der Brüder entsprach, das Erscheinen mehrerer Männer und ihr Auftreten als so bedrohlich, dass er, soweit es ihm möglich war, weitere Zahlungen in unterschiedlicher Höhe auf die Restforderung leistete. Dabei spielte nicht nur die bereits erlebte Gewalttätigkeit eine Rolle, sondern auch der Umstand, dass schon die Statur des älteren Bruders I hatte bei einer Größe von etwa 2 m ein Gewicht von ca. 120 kg geeignet war, ihm Angst einzuflößen. Bei einem der Besuche erhielt der Zeuge L³ einen Schlag in das Gesicht, worauf er gegen die Wand des Wohnungsflurs hinter ihm prallte. Verletzungen zog er sich dabei nicht zu. Von November 2004 bis zum September 2005 befand sich der Zeuge L³, der zwischenzeitlich wegen dieser Zigarettengeschäfte verurteilt worden war zur Identität der Lieferanten hatte er im Verfahren keine oder unzutreffende Angaben gemacht in Haft. Während der Haftzeit erhielt seine Ehefrau wohl keinen Besuch von I und I², obwohl etwa 3.000,00 € noch immer ausstanden.
15Der Angeklagte hatte weiterhin ein gutes Verhältnis zu den Brüdern, die ihn in Abständen in E besuchten. Darüber hinaus gab es auch Kontakte zwischen ihnen, wenn sich der Angeklagte in Polen aufhielt. Mehrfach kam es dazu, dass der Angeklagte seine Wohnung zur Übernachtung der Brüder oder ihrer Begleitung zur Verfügung stellte. Den Brüdern ging es bei ihren Aufenthalten in Deutschland unabhängig vom Eintreiben der Forderung gegen L³ - auch - um die Durchführung anderer krimineller Geschäfte. Feststellungen zu ihren Kontakten zum Angeklagten im Einzelnen und dazu, ob der Angeklagte in andere kriminelle Aktivitäten eingebunden war, hat die Kammer nicht getroffen. In einem Fall überließ der Angeklagte, während er sich selbst in Polen aufhielt, I außerdem die Wohnung für einen etwa einwöchigen Urlaub mit Frau und Kind.
16III.
17Tatgeschehen
18Am frühen Morgen des 21.10.2005 erschienen I und der Zeuge I² in Begleitung des Zeugen N² beim Angeklagten. Sie waren aus Polen mit dem Auto angereist, um das Wochenende in E zu verbringen. Sie hatten vor, in E bzw. im Ruhrgebiet kriminelle Geschäfte zu tätigen. U. a. beabsichtigten I und I², die noch ausstehenden 3.000,00 € vom Zeugen L³ einzutreiben. Weitere Einzelheiten bezüglich der beabsichtigten Geschäfte hat die Kammer nicht festgestellt. Ob sie dem Angeklagten ihr Kommen allgemein oder bezogen auf den konkreten Zeitpunkt angekündigt hatten und ob der Angeklagte konkrete Kenntnisse von den beabsichtigten Geschäften hatte, ist offen.
19Der Angeklagte hatte seit mehreren Wochen Besuch von seiner Partnerin, der Zeugin H. Bei der Wohnung des Angeklagten im 1. Obergeschoss des Hauses G in E - eines Hauses mit vier Wohnebenen und insgesamt 12 Mietwohnungen - handelt es sich um eine nicht allzu große 2-Zimmerwohnung mit Küche und Bad. Der Angeklagte empfing seine Besucher herzlich. Als sie darum baten, sich bei ihm ausruhen bzw. frischmachen zu dürfen, weil das Hotel erst um 10:00 Uhr öffne, war er ohne Weiteres damit einverstanden. Ob zu diesem Zeitpunkt über einen Aufenthalt der Besucher in der Wohnung des Angeklagten über das gesamte Wochenende hin gesprochen wurde, ist offen. Auch wenn die Zeugin H möglicherweise bereits zu diesem Zeitpunkt mit dem Aufenthalt der Besucher nicht einverstanden war, so beeinträchtigte dies die Stimmung nicht. Die Besucher hielten sich mehrere Stunden in der Wohnung auf und aßen dort auch. Der Angeklagte hatte Essen von einem Restaurant in der Nähe besorgt. I und I² hatten dem Angeklagten ihrerseits Wodka und auch eine Stange Zigaretten mitgebracht. Als die Besucher im Verlaufe des Nachmittags die Wohnung verließen, ließen sie ihr Gepäck in der Wohnung zurück. Der Angeklagte hatte ihnen zuvor einen Schlüssel für die Haus- und für die Wohnungstür ausgehändigt, so dass die Besucher zu beliebiger Zeit zurückkommen konnten. Wo und unter welchen Umständen im Einzelnen I, I² und N³ die Nacht verbrachten, hat die Kammer nicht festgestellt. Sie kehrten jedenfalls am frühen Samstagmorgen in die Wohnung des Angeklagten zurück. Sie äußerten, sie hätten von einem "P" erfahren, dass der Angeklagte sie zusammen mit L³ betrogen habe. Sie seien gewarnt worden, bei ihnen zu übernachten, weil er seine Gäste bestehle. Der Angeklagte war empört über diesen Verdacht und konnte sich nur vorstellen, dass mit "P" ein Schwager seines Schwagers P², der mit seiner Schwester N verheiratet war, namens S gemeint war, dessen Spitzname "P" lautete. Er rief gegen 8:00 Uhr seine Schwester N und bei der Familie S an, wobei er erfuhr, dass S("P") schon vor zwei Tagen mit dem Lkw zu einem Auslandstransport aufgebrochen sei und deshalb nicht derjenige sein könne, der schlecht über ihn gesprochen habe. Bei diesen Gesprächen weigerten sich die I bzw. I², mit dem Angerufenen zu sprechen. Die Zeugin P² rief später zurück und machte dem Angeklagten Vorwürfe, dass er "so viel Gangster" bei sich habe, die er "rausschmeißen" solle, worauf der Angeklagte erwiderte, dass sie nicht gingen. Die Spannungen blieben bestehen, obwohl die Besucher wieder mehrere Stunden blieben und sich auch eine Zeit lang schlafen legten. Es war dann vor ihrem Aufbruch in die Stadt mindestens die Rede davon dass der Angeklagte seinen Besuchern ein Ultimatum setzte, hat die Kammer nicht festgestellt , dass die Besucher nach ihrer Rückkehr Abends bzw. in der Nacht ihr Gepäck mitnehmen und fahren sollten. Diesmal bekamen sie keinen Hausschlüssel mit. Im Verlaufe des Samstagabends - wohl gegen 20:00 Uhr - tauchten sie einmal an der Wohnung der Zeugen L³ auf. Die anwesende Zeugin L4 ging auf das Klingeln hin zur Wohnungstür und sah I, I² und N² im Flur stehen, worauf sie die Tür nicht öffnete. Etwas später rief der Angeklagte ebenfalls bei der Familie L³ an und warnte in seinem Gespräch mit der Zeugin L4 diese davor, dass sie Besuch der ihr bekannten Männer wegen der ausstehenden Restforderung erhalten könne, worauf die Zeugin erwiderte, dass dieser Besuch schon da gewesen sei und dass sie das nächste Mal die Polizei rufen würde. Wie I, I² und N² die Nacht weiterhin verbrachten, hat die Kammer ebenfalls nicht festgestellt. Sie kehrten jedenfalls erst am Sonntagmorgen zwischen 7:00 und 8:00 Uhr in die Wohnung des Angeklagten zurück. Wenn sie es nicht schon wussten, so merkten sie unmittelbar, dass sie nicht mehr willkommen waren, was sie aber nicht hinderte, wie selbstverständlich zu bleiben, wofür sich I und I² entschieden hatten. Die Brüder hatten beschlossen, in der Wohnung zu bleiben und dort zunächst zu schlafen, bevor sie abfuhren. Ob sie aufgrund der Rollenverteilung bei dem früheren Zigarettengeschäft bzw. anderen kriminellen Geschäften oder aufgrund ihrer zahlenmäßigen und körperlichen Überlegenheit davon ausgingen, dass der Angeklagte und die Zeugin H nichts machen könnten, kann dahinstehen. Sie hatten jedenfalls mitbekommen, dass die Zeugin H mit ihrem Besuch noch weniger einverstanden war als der Angeklagte und nahmen das - sie waren jetzt jedenfalls verärgert - zum Anlass, über die Zeugin grob beleidigend herzuziehen, womit sie aber auch den Angeklagten, der die Zeugin wirklich liebt, besonders trafen. Dabei tat sich besonders der Zeuge I² hervor. Als der Angeklagte gleich zu Beginn darauf hinwies, dass die Zeugin im Schlafzimmer sei, es ihr nicht gut gehe und das Schlafzimmer deshalb nicht betreten werden solle, füllte der Zeuge I² in der Küche einen Topf mit Wasser, ging in das Schlafzimmer und schüttete das Wasser über die im Bett liegende Zeugin. Diese wurde auch selbst nass und brachte das Oberbett und das Kopfkissen, nachdem sie die Bezüge abgezogen hatte, anschließend auf den Balkon, wo sie es zum Trocknen ausbreitete, wobei sie weinte. Der Angeklagte war überaus zornig über dieses Verhalten. Ihm war klar, dass er gegen die Besucher körperlich selbst nichts ausrichten konnte, und fragte dann, was sie denn machen würden, wenn er sich bei einem Besuch gegenüber einer Frau so verhalten würde. Der Zeuge I² machte sich dann über den Angeklagten lustig und erklärte, das sei nur der - in Polen übliche - Osterbrauch gewesen. Den Angeklagten machte dies noch zorniger. Er beschloss gegen 8.00 Uhr, in Gegenwart seiner Besucher einen Notruf abzusetzen, wobei er hoffte, dass schon der Anruf die Besucher zum Gehen veranlassen würde. Er wählte zunächst den Feuerwehrnotruf und wurde von dem Mitarbeiter der Feuerwehr darauf verwiesen, sich an die Polizei zu wenden. Der Angeklagte wählte daraufhin den polizeilichen Notruf. Eine Verbindung kam jedoch nicht zustande, weil die Zeugin H den Anrufvorgang durch Drücken der Hörerauflage unterbrach. I und I² zeigten sich davon im Übrigen unbeeindruckt und einer von Ihnen erklärte dem Angeklagten, dass sie der Polizei sagen würden, dass die Zeugin H zwei Kilogramm Rauschgift in ihrer Scheide geschmuggelt habe, worauf der Angeklagte die Beleidigung zurückgab und erwiderte, dass allenfalls dessen Frau in der Lage sei, darin zwei Kilogramm zu transportieren. Möglicherweise kündigten I und I² auch an, den Angeklagten im Falle des Erscheinens von Polizei der Unterschlagung von zum Verkauf übergebenen Gegenständen zu bezichtigen. Der Angeklagte machte dann keinen weiteren Versuch mehr, die Polizei zu rufen. Obwohl ihm klar war, dass die Brüder wegen ihrer eigenen kriminellen Geschäfte solche Beschuldigungen nicht erheben würden, wollte er in diesem Augenblick keine weitere Eskalation. Die Beleidigungen seitens der Brüder wurden aber fortgesetzt. So wurde der Angeklagte gefragt, was er mit der alten Kuh mit ihrer roten Schnauze – gemeint war wieder die Zeugin H - wolle. Er brauche nur etwas zu sagen, dann könne man ihm etwas Jüngeres aus Polen besorgen. Nach diesen groben Beleidigungen verließ die Zeugin H, die sich inzwischen umgezogen hatte, weinend die Wohnung, wobei sie erklärte, sie werde nicht zurückkommen, bevor die Männer gegangen seien. Obwohl der Angeklagte weiterhin unvermindert wütend über die Brüder war, suchte er nun nach einer Möglichkeit, die Situation zu entspannen. Er rief den Zeugen T, der einen der Brüder von früher kannte, an und bat diesen unter Hinweis darauf, dass er Probleme habe, zu kommen. Dieser sagte zu und ließ sich - er hatte am Vorabend Alkohol in erheblicher Menge getrunken - von seiner Ehefrau bringen. Als sie eintrafen, zog der Angeklagte die Zeugin T² zur Seite und äußerte, dass er Probleme mit "H", der Zeugin H, habe. Sie sei weg und habe geäußert, entweder die Besucher gingen oder sie. Ob und welche konkreten Vorstellungen bezüglich einer Hilfeleistung seitens der Zeugen T beim Angeklagten bestanden, ist offen. Der Angeklagte und alle Besucher setzten sich ins Wohnzimmer um den Tisch herum. Der Zeuge T hatte Wodka mitgebracht, wovon getrunken wurde. Nach einiger Zeit kehrte die Zeugin H zurück. Sie hatte sich jedoch nicht beruhigt. Sie setzte sich nicht mit an den Tisch und äußerte - für alle vernehmlich - mehrfach, dass die Besucher verschwinden sollten. Auch in Gegenwart der Zeugen T kam es wieder zu der beleidigenden Äußerung, dass die Zeugin H Alkoholikerin sei. Der Angeklagte verhielt sich zu dieser Zeit sehr ruhig und reagierte darauf äußerlich nicht, obwohl er weiterhin Wut und Zorn empfand. Zwischendurch entspannte sich die Situation etwas. So wurde beispielsweise - der Zeuge T hatte das Gespräch wohl darauf gelenkt - über Fußball gesprochen. Die Zeugen T brachen um 10:00 Uhr oder etwas später auf. Der Angeklagte hatte erst zum Schluss des Aufenthalts Wodka getrunken. Einige Zeit nach dem Weggang der Zeugen T - der konkrete Zeitpunkt ist nicht festzustellen - legten sich die Männer schlafen. Zuvor - auch insoweit ist kein konkreter Zeitpunkt festzustellen - hatte sich der Zeuge I² weiter unhöflich benommen, indem er in der Küche nach Essbarem geschaut, auch in den Kühlschrank gesehen, von einem Brötchen und Käse etwas abgebissen und sich abfällig über die vorhandenen Lebensmittel geäußert hatte.
20Zu den Verhältnissen in der Wohnung ist nachzutragen, dass hinter der Wohnungseingangstür ein querverlaufender Flur lag, an den sich rechter Hand das Badezimmer anschloss. Rechts neben der gegenüber der Wohnungseingangstür angebrachten Garderobe mit Spiegel befand sich die Tür zum Wohnzimmer, dem einzigen größeren Raum. Von der Wohnzimmertür aus gesehen rechts befanden sich hintereinander jeweils nur vom Wohnzimmer aus zu betreten Küche und Schlafzimmer. Während das Schlafzimmer, über das wiederum ein kleiner in das Gebäude eingezogener Balkon zu erreichen ist, vom Wohnzimmer durch eine Tür abgetrennt war, war die Küche durch einen offenen Rundbogen zu betreten. In dem Rundbogen hing ein aus einer Vielzahl von wohl geflochtenen Schnüren bestehender Sichtschutz, dessen zwei Hälften allerdings wohl des bequemen Durchgangs wegen jeweils miteinander verschlungen worden waren. Die herabhängenden zwei Schnurbündel, die im Übrigen 40 cm oder mehr oberhalb des Fußbodens endeten, behinderten den Blick aus dem Wohnzimmer in die Küche nur unwesentlich. Erst im Bereich etwa des oberen Drittels fächerten die Bündel auf. Wegen der Einzelheiten wird insoweit gem. § 267 Abs.1 Satz 3 StPO auf den Ausdruck des Digitalbildes Nr. 40 der Lichtbildmappe der KTU (Bd. I Bl. 109 d. A.) verwiesen. Den Bereich links von der Wohnzimmertür aus gesehen nahmen im Wesentlichen eine Couch, ein Tisch und ein Sessel ein. Die Couch befand sich mit der Rückenlehne an der links an die Wohnzimmertür anschließenden Wand, die Flur und Wohnzimmer trennte und in Leichtbauweise - wohl aus Rigipsmaterial - ausgeführt und übertapeziert war. Oberhalb der Couch hing, gruppiert um mehrere Bilder herum - eine Vielzahl der Waffen und anderen Sammlerstücke des Angeklagten. Dazu gehörten alte Pistolen - vermutlich Steinschlossmodelle -, Gewehre - wohl Dekorationswaffen - , Handschellen, Orden und über ein Dutzend Hieb- und Stichwaffen, überwiegend oder sogar sämtlich in Scheiden steckend.
21Während sich I mit dem Kopf zur Tür und N² mit dem Kopf zum Schrank auf die ausgezogene Bettcouch im Wohnzimmer legten, klappte der Zeuge I² die Campingliege in der Küche aus und legte sich darauf. Er hatte dort wohl schon am Samstag geschlafen. Der Angeklagte war damit nicht einverstanden und brachte dies auch zum Ausdruck, wodurch sich die Brüder nicht stören ließen. Der Zeuge N² hatte sich an allem nicht beteiligt. Obwohl auch er in der Wohnung blieb, nahm ihm das der Angeklagte, der ihn als untergeordneten Begleiter einstufte, nicht übel. Sein Zorn richtete sich allein gegen die Brüder. Dieser Zorn wurde noch einmal gesteigert, als eine Zeit lang später die Zeugin H die Küche betrat und nach dem Einschalten von Licht vom Zeugen I² barsch angefahren wurde, sie solle das Licht ausmachen und aus der Küche verschwinden, er wolle schlafen. Der Zeuge I² schlief dann wieder ein. Auch I und der Zeuge N² schliefen jetzt. Alle drei waren übermüdet.
22Die Wut und der Zorn des Angeklagten über die Beleidigung seiner Partnerin und damit auch seiner Person hatten jetzt ein solches Maß erreicht, dass er nicht mehr hinnehmen wollte, dass die Brüder in der Wohnung blieben. Er holte nunmehr die im Rahmen der Tatvorgeschichte erwähnte Selbstladepistole,die über zwei Sicherungen verfügt. Zum einen ist dieses Pistolenmodell mit einer Griffstücksicherung ausgestattet, die durch das feste Umschließen des Pistolengriffs mit der Schusshand deaktiviert wird. Zum anderen weist es eine Hebelsicherung auf, die bei Betätigung die Griffstücksicherung und den Verschluss blockiert. Im Magazin der Waffe befanden sich mindestens drei Patronen. Der Angeklagte betätigte die Hebelsicherung, lud die Waffe durch und gab im Sessel sitzend über den Tisch und die dahinter auf der Schlafcouch schlafenden I und N² hinweg einen Schuss in Richtung der Wand ab, wobei ihm klar war, dass das Geschoss die Wand durchdringen und nicht etwa abprallen und als Querschläger im Wohnzimmer herumfliegen würde. Das Geschoss durchschlug tatsächlich die Wand und den auf der anderen Seite befindlichen Spiegel, um schließlich im Wohnungstürblatt gegenüber steckenzubleiben. Hierdurch wachte der Zeuge N² auf und möglicherweise auch kurz I. Falls letzterer kurz wach wurde und äußerte, dass ihn der Angeklagte ruhig in den "Arsch" schießen könne, so hatte er das Geschehen in seiner Schlaftrunkenheit nicht ernst genommen. Er ging in diesem Fall nicht davon aus, dass ihm ein Angriff gegen Leib und Leben seitens des Angeklagten drohe. Der Zeuge I² schlief weiter. Der Zeuge M² stand jetzt auf. Der Angeklagte wies darauf hin, dass er mit einer scharfen Waffe geschossen habe, die sogar durch die Wand schieße. Er sagte weiter, sie hätten noch Zeit bis "halb" - die Wanduhr zeigte etwa 1/4 nach der vollen Stunde -, um aufzustehen. Wenn sie bis dahin nicht aufgestanden seien, werde er die anderen abknallen. Wenn er - der Zeuge N² - keine Schwierigkeiten haben wolle, packe er besser seine Sachen und gehe `raus. Der Zeuge N² nahm diese Ankündigung nicht ernst. Er ging ins Bad und begab sich anschließend wieder auf die Schlafcouch, wo er im Sitzen möglicherweise zwischendurch döste. Zu diesem Zeitpunkt saß der Angeklagte wieder auf dem Sessel auf der anderen Seite des Tisches mit seiner Waffe. Als der Zeuge im Bad war oder danach kurz eingedöst war, bat die Zeugin H den Angeklagten flehentlich darum, mit der Waffe nichts weiter zu machen. Der Angeklagte wartete genau die festgesetzte Viertelstunde ab. Auch die Bitten der Zeugin H hatten ihn nicht beruhigen können. Wut und Zorn beherrschten ihn weiterhin. Seine Partnerin war massiv beleidigt worden, ohne dass er für sie entscheidend hatte eintreten können. Dass die Brüder nicht einmal darauf reagiert hatten, dass er mit der scharfen Waffe durch die Wand geschossen hatte, der Zeuge I² weiter geschlafen hatte und I, wenn er kurz wach gewesen war, wieder eingeschlafen war, empfand er als zusätzliche Demütigung vor seiner Freundin. In dieser Gemütsverfassung entschloss er sich schließlich zum Ablauf der Viertelstunde, sich für die Kränkungen und Demütigungen sowohl seiner Partnerin als auch ihm selbst gegenüber zu rächen, indem er die Schusswaffe gegen die Brüder einsetzte, und dadurch gleichzeitig zu demonstrieren, dass man so nicht mit ihm umspringen könne und er nicht der Mann sei, leere Drohungen auszustoßen. Der Angeklagte hielt das beabsichtigte Handeln nicht für erlaubt. Falls er an Folgen für ihn selbst dachte, so waren ihm solche Folgen in diesem Moment gleichgültig. Dem Angeklagten war bewusst, dass I² von dem Warnschuss gar nichts mitbekommen und beim Schlafengehen bzw. beim Wiedereinschlafen nach dem Vorfall mit der Zeugin H nicht mit einem Angriff gegen Leib und Leben von seiner Seite gerechnet hatte. Ihm war weiter entweder bewusst, dass das auch für I galt, oder ihm war bewusst, dass dieser zwar durch den Schuss kurz wach geworden, ihn aber nicht als ernstzunehmende Warnung vor einem Angriff gegen Leib und Leben verstanden hatte. Der Angeklagte wusste weiter, dass beide Männer, weil sie schliefen, einem schnell nacheinander gegen beide durchgeführten Angriff gegenüber hilflos sein würden und wollte dies jetzt zur Tatbegehung auch ausnutzen. Er stand aus dem Sessel auf - falls er die Hebelsicherung zwischenzeitlich eingelegt hatte, so löste er sie -, trat auf den an der aus seiner Sicht an der linken Küchenwand auf dem Klappbett liegenden Zeugen I² zu, der auf dem Rücken liegend schlief, und feuerte mit der Waffe in seiner rechten Hand, wobei er die Griffstücksicherung drückte, aus geringer Entfernung - die Mündung der Waffe war 40 bis 60 cm von der Körpermitte entfernt - einen Schuss auf den Unterkörper des I² ab, mit dem er ihn mindestens erheblich verletzen und außer Gefecht setzen wollte, wobei er für möglich hielt, dass I² sterben würde, und einen solchen Ausgang in Kauf nahm. Das Geschoss trat im Schrittbereich in den linken Unterbauch ein, nicht weit vom Geschlechtsteil entfernt, durchsetzte den dortigen Darmabschnitt und drang durch die Rectusmuskulatur bis in die Lumbalmuskulatur vor, wo es wenige Zentimeter neben der Wirbelsäule stecken blieb. Der Zeuge I² wurde durch den Schussknall und die Verletzung wach und bewegte sich in seiner Angst, worauf das Campingbett teils einklappte. Der Zeuge N² hatte den Angeklagten in die Küche gehen und schießen sehen. Er begab sich sofort in die Küche. Der Angeklagte ging im Durchgang zur Küche an ihm vorbei, ging zurück ins Wohnzimmer, trat an den auf der Couch liegenden I heran - falls dieser nicht reglos lag, so war er jedenfalls nicht wach und handlungsfähig, was der Angeklagte wahrnahm - und schoss aus 20 bis 40 cm auf dessen Oberkörper, wobei I einen Herzdurchschuss erlitt, der zu erheblichem Blutverlust in die Brusthöhle und fast unmittelbar zu einem Kreislaufzusammenbruch führte, wodurch I binnen kurzem verstarb. Auch in diesem Fall handelte der Angeklagte, um I eine schwere Verletzung zuzufügen und ihn außer Gefecht zu setzen, wobei er dessen Tod mindestens für möglich hielt und auch eine solche Folge in Kauf nahm.
23Im Anschluss flüchteten sowohl die Zeugin H, die jetzt aus dem Schlafzimmer kam, als auch der Zeuge I², der dabei vom Zeugen N² gestützt wurde, aus der Wohnung. Während die Zeugin H das Haus verließ, blieb der Zeuge I², der nicht mehr weiter konnte, im Hausflur auf einer Treppenstufe sitzen. Der Zeuge N² begab sich zurück in die Wohnung, um Hilfe herbeizurufen bzw. den Angeklagten dazu zu bewegen, Hilfe zu rufen. Der Angeklagte riet dem Zeugen N², ein Handtuch auf die Wunde zu drücken, damit die Blutung gestillt werde. Der Angeklagte rief schließlich es war jetzt 13:29 Uhr über Notruf zunächst bei der Einsatzleitstelle der Feuerwehr über deren Notruf an. Als er mitteilte, dass es in seiner Wohnung eine Schießerei gegeben habe, wurde das Gespräch an die Polizei weitervermittelt. Im Weiteren äußerte der Angeklagte, der zu diesem Zeitpunkt sehr aufgeregt war und dessen ohnehin nur unzulängliches Deutsch kaum zu verstehen war, dass er geschossen habe. Er wollte dem Gesprächspartner sagen, dass er jemanden in den Bauch geschossen habe. Verstanden wurde zunächst, dass er in einen Baum geschossen habe. Anschließend rief der Angeklagte – die Reihenfolge hat die Kammer nicht festgestellt – die Zeugin L³ und seine Schwester, die Zeugin N, an. Der ersten erklärte er, dass es kein Problem mehr gebe. Er sagte dazu, er habe die erschossen, oder, er habe auf die geschossen. Als die Zeugin nachfragte, sagte er noch etwas und beendete das Gespräch. Seiner Schwester sagte er ebenfalls nur, dass er zwei Gangster erschossen bzw. auf zwei Gangster geschossen habe. Nachdem seine Schwester weiter erfuhr, dass sie die Zeugin H nicht sprechen könne, weil sie weggelaufen sei, ahnte sie, dass etwas schlimmes passiert war, und machte sich deshalb sofort auf den Weg zur Wohnung des Angeklagten. In der Nähe der Wohnung traf sie die Zeugin H, die ihr berichtete, dass der Angeklagte den Leuten eine Frist gegeben habe, aus der Wohnung zu verschwinden. Er sei nur ausgelacht worden. Der Angeklagte habe eine Pistole in der Hand gehabt, sie habe ihm die Waffe weggenommen und ihn oder die Leute auf Knien gebeten, Ruhe zu geben. Die Leute hätten sie – die Zeugin H - vorher beleidigt. Auf Frage der Zeugin N, warum ihr Bruder nicht die Polizei gerufen habe, antwortete die Zeugin N, dass die Leute ihn damit erpresst hätten, dass sie der Polizei sagen wollten, dass sie – die Zeugin H – mit Drogen zu tun habe, was aber nicht stimme.
24Kurz nach 13.30 Uhr trafen die zunächst eingesetzten Polizeibeamten einer nahegelegenen Polizeiinspektion – unter ihnen PK T² – am Hause G ein, wo sie eine RTW-Besatzung erwartete. Als sich die Beamten vorsichtig der Haustür näherten, erblickten sie den Angeklagten, der aus einem geöffneten Fenster des Hausflures im ersten Stockwerk auf sie herabschaute. Beim Erscheinen der Beamten rief er von sich aus, dass er geschossen habe, und warf die benutzte Selbstladepistole etwas später auf die Aufforderung eines Beamten, seine Hände aus dem Fenster zu halten, hinunter in ein Gebüsch neben der Haustür, so dass sie von den Beamten sofort sichergestellt werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt war das Magazin leer. Beim Hinaufgehen zur Wohnung des Angeklagten stießen die Beamten im Treppenhaus auf den auf einer Treppenstufe sitzenden Zeugen I² und den Zeugen N². Der Angeklagte wurde am geöffneten Flurfenster im ersten Stock angetroffen, von den Beamten zur Eigensicherung zunächst zu Boden gebracht und mit einer Schließacht gefesselt. In der Wohnung fanden die Beamten sodann den reglosen I – teils auf dem Bauch und teils auf der linken Seite liegend – auf der Schlafcouch vor. Durch den inzwischen eingetroffenen Notarzt wurde dann – bei Ableitung eines EKG war keinerlei Herztätigkeit mehr zu verzeichnen – der Tod von I festgestellt. Der Zeuge I² wurde an Ort und Stelle notärztlich versorgt und anschließend in die Städtischen Kliniken E transportiert. Der Zeuge N², die Zeugin H, die in der unmittelbaren Nähe des Hauses wegen ihres aufgeregten Verhaltens aufgefallen war, und der Angeklagte wurden in der Folgezeit vorläufig festgenommen und getrennt zum Polizeigewahrsam verbracht. Währenddessen hatten KOK`in I³und andere Beamte der Kriminalwache mit der Aufnahme des Tatortbefundes begonnen. Im Laufe des Nachmittags waren dann Angehörige der inzwischen gebildeten Mordkommission und der Abteilung für kriminaltechnische Untersuchungen – letztere auch noch am folgenden Tag – mit der Untersuchung der Wohnung, der Anfertigung von Lichtbildern und der Sicherung von Spuren am Tatort und an den Beteiligten befasst. In der Wohnung wurden unter anderem drei Patronenhülsen des Kalibers 7,65 mm – eine innen vor dem Wohnzimmerfenster, eine auf dem Teppich links neben dem Sessel und eine in der Küche unter einem Gewürzregal – gefunden und ebenso wie das in der Wohnungstür steckende Projektil sichergestellt. Darüberhinaus wurden sichergestellt: ein Fallmesser der Bundeswehr, ein Karabinerverschluss, eine einschüssige vermutlich in Eigenbau hergestellte Pistole, ein sechsschüssiger vermutlich ebenfalls privat gefertigter Revolver ohne Schlaghahn, ein Wurfstern, Kartuschenmunition, einige Patronen – allerdings keine des Kalibers und des Fabrikats der verschossenen Munition - und eine geringe Menge Schwarzpulver. Der Angeklagte, der über keine waffenrechtlichen Erlaubnisse verfügt, hat sich inzwischen mit der außergerichtlichen Einziehung dieser Gegenstände, deren Besitz teils verboten, teils erlaubnispflichtig ist, wie auch der Selbstladepistole nebst Magazin einverstanden erklärt.
25Den Beteiligten – mit Ausnahme des Zeugen N²- wurden nachmittags Blutproben entnommen, die – bezogen auf die Entnahmezeitpunkte – folgende Blutalkoholkonzentrationen aufwiesen: die des Angeklagten 1,02 o/oo (15.08 Uhr) und 0,87 o/oo (15.38 Uhr), die der Zeugin H 1,56 o/oo (16.32 Uhr) und 1,47 o/oo (17.02 Uhr) und schließlich die des Zeugen I² 0,73 o/oo (15.30).
26Der Zeuge I² war in kreislaufstabilem Zustand in der Klinik eingetroffen. Die behandelnden Ärzte gingen zunächst wegen zweier Verletzungen im Unterbauch davon aus, dass den Zeugen zwei Schüsse getroffen hatten, stellten dann aber fest, dass diese äußeren Verletzungen auf ein eindringendes Geschoss, das zunächst den Rand einer Hautfalte getroffen hatte, zurückzuführen waren. Nach Eröffnung der Bauchhöhle mittels einer Laparotomie fand sich reichlich Blut darin. Die Bauchhöhle und der Schusskanal wurden gesäubert. Der verletzte Dickdarmabschnitt wurde entfernt und die dabei entstandenen Darmenden wurden miteinander verbunden. Da das Projektil von der Bauchhöhle aus nicht zu tasten war, wurde es mit einem bildgebenden Verfahren lokalisiert und unter Setzung eines Schnittes neben der Wirbelsäule vom Rücken her entfernt. Der Zeuge verblieb einen Tag auf der Intensivstation und wurde dann auf eine normale Station verlegt. Da sich keine Komplikationen ergaben, konnte er bereits am 31.10.2005 aus dem Krankenhaus entlassen werden. Psychische Schäden hat der Zeuge nicht davongetragen. Er muss sich allerdings mit der über 25 cm langen Laparotomienarbe auf seinem Bauch und dem Risiko späterer Komplikationen wie dem Auftreten von Verwachsungen im Bauchraum abfinden.
27Der Angeklagte wurde erstmalig am 24.10.2005 als Beschuldigter vernommen. Die Vernehmung, die unter Mitwirkung des Zeugen KHK T³ und der als Dolmetscherin tätigen Zeugin U² erfolgte, begann vormittags und dauerte etwa drei Stunden. Nach entsprechender Belehrung über den Vorwurf und seine Rechte als Beschuldigter machte der Angeklagte zunächst Angaben zu seinem Lebenslauf und seiner gesundheitlichen Verfassung, bevor er sich zur Person seiner Besucher und zum Tatvorwurf selbst äußerte. Die Brüder I und I² bezeichnete er als Mafiosi bzw. Gangster, die in Begleitung eines "Bodyguards" am Freitag vor dem Wochenende bei ihm erschienen und in E ihren Geschäften nachgegangen seien, von denen er nicht viel wisse. Nach einer in wesentlichen Punkten mit den dazu getroffenen Feststellungen übereinstimmenden Schilderung der Ereignisse am Freitag, Samstag und am Sonntagmorgen gab der Angeklagte zum eigentlichen Tatgeschehen folgendes an: Er sei in das Schlafzimmer gegangen, um seine weinende Freundin zu beruhigen. Er habe ihr gesagt, dass er das in Ordnung bringe. Er habe dann die Pistole, die er drei Jahre zuvor von I bekommen habe, geholt. Die Männer hätten nicht geschlafen, sondern die ganze Zeit seine Freundin beleidigt. Er habe ca. 40 cm über I weg geschossen und dabei gesagt, sie sollten sich jetzt "verpissen". Er habe ihnen Angst einjagen wollen, damit sie verschwänden. Er habe dann gesagt, dass er ihnen eine Viertelstunde Zeit zu verschwinden gebe. Er habe "Glatze" – dem Begleiter – gesagt, wenn sie um 12.30 Uhr – hinsichtlich der Uhrzeit irrte sich der Angeklagte um eine Stunde – noch da seien, seien sie selber schuld. Er habe "Glatze" auch das Loch im Garderobenspiegel und in der Wand gezeigt. "Glatze" habe nur mit den Schultern gezuckt; I habe gesagt, er könne ihn ruhig in den "Arsch" schießen. Er sei dann ins Schlafzimmer gegangen, worauf seine Freundin versucht habe, ihn zu beruhigen. Er habe die Uhr schlagen hören und sei total aufgeregt gewesen. Er sei dann in die Küche gegangen, habe den auf dem Klappbett liegenden I² mit der linken Hand an der Oberbekleidung gezogen, ihn umgedreht und dabei gesagt: "Ich habe dir doch gesagt, ...". Er denke, I² sei klar gewesen, was er damit gemeint habe. Dann habe er geschossen. Er habe ihn auf der rechten Seite treffen, aber nur verletzen wollen. Dann sei er ins Wohnzimmer gegangen. Er habe I auch gesagt: "Ich habe dir doch gesagt, ...", worauf sich dieser aufgerichtet habe und ihm etwas entgegengekommen sei. Dann habe er geschossen, und zwar aus einem Abstand von etwa 40 cm zum Körper des I. Er habe auch I nur verletzen wollen und habe im Glauben, beide lediglich verletzt zu haben, "Glatze" aufgefordert, die beiden mitzunehmen und zu verschwinden. Er sei schon seit seiner Kindheit an Waffen interessiert gewesen und habe bei der Armee sehr gut geschossen, sogar Meisterschaften gewonnen. Deshalb sei er vorher sicher gewesen, dass er sie nur verletzen würde. Auf Vorhalt, dass nach Angabe des Zeugen N² beide Männer bei der Schussabgabe geschlafen hätten, erklärte der Angeklagte, dass das nicht möglich sei. I habe sich bewegt, als er ihn angefasst habe. "Glatze" habe sich die ganze Zeit zwischen dem ersten Schuss und den späteren Schüssen mit den beiden unterhalten. Die Waffe habe nach dem ersten Schuss auf dem Wohnzimmertisch gelegen, so dass "Glatze" oder die beiden anderen sie an sich hätten nehmen können.
28Bei der anschließenden Vorführung vor den Haftrichter zunächst u. a. folgendes an: Die hätten nicht geschlafen. I habe sogar gesagt, er könne ihn in den "Arsch" schießen. Er sei von I auch mit dem Messer bedroht worden. Sie hätten ständig seine Freundin beleidigt und auch damit gedroht, sie zu verletzen. Möglicherweise habe ihn der I² angestoßen, als er gerade auf I geschossen habe. Er – der Angeklagte – habe zuvor gedroht, die Polizei anzurufen. Er habe das um 11.30 Uhr und möglicherweise auch schon um 8.00 Uhr morgens tatsächlich getan. Die Männer hätten gesagt, das solle er ruhig tun; sie hätten genügend Waffen, um sich zu verteidigen. Er habe Angst vor ihnen gehabt. Auf Nachfrage schilderte der Angeklagte das Kerngeschehen noch einmal. Nachdem sein Freund, der ihm die Besucher vom Hals habe schaffen sollen, weg gewesen sei, habe er, während seine Lebensgefährtin in einem anderen Zimmer gewesen sei, einen Warnschuss in die Wand oberhalb des Kopfes von I abgegeben, worauf dieser entgegnet habe, er könne ihm ruhig in den "Arsch" schießen. Er habe ihnen fünfzehn Minuten Zeit zu verschwinden gegeben. Als die Zeit umgewesen sei, sei er zu dem in der Küche auf dem Klappbett liegenden I² gegangen. Er habe ihn umgedreht. I² habe ihn angeschaut; dann habe er den Schuss abgegeben. Es habe nur ein Streifschuss an dessen rechter Seite sein sollen. I² habe sich dann hinter das zusammengebrochene Klappbett gekauert. Er – der Angeklagte – sei in das Wohnzimmer gegangen. Er habe den auf dem Ecksofa liegenden I, der sich jetzt etwas aufgerichtet und auf einen Ellenbogen gestützt hätte, mit einer Hand am Kragen gefasst und aus etwa einem halben Meter Entfernung den Schuss abgegeben.
29Der Angeklagte wurde dann aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Dortmund vom 24.10.2005 in Untersuchungshaft genommen, die bis heute andauert.
30Bei einer ergänzenden Vernehmung am 25.10.2005 wiederholte der Angeklagte, dass er Angst vor den Männern gehabt habe. Er sei ja dabei gewesen, als sie L³ gestochen hätten. Sie hätten auch vor einem halben Jahr, als sie Ärger mit Türstehern in C gehabt hätten, Schusswaffen dabeigehabt. Sonst habe er in Deutschland keine Waffe bei ihnen gesehen. Seine Waffe habe er mit Magazin und acht Schuss vor ungefähr drei Jahren als Geschenk von I bekommen, weil er sie mit L³ zusammengebracht habe. Als er sie am Sonntagmorgen geholt habe, habe er das Magazin herausgenommen, ca. fünf Patronen darin gesehen, das Magazin eingeführt, durchgeladen und den ersten Schuss abgegeben. Danach sei er mit der Waffe in der Hosentasche in den Flur gegangen, habe N² dort das Loch in der Wand gezeigt und ihm gesagt, dass er keine Scherze mache und dass sein letztes Wort sei, dass er ihnen noch fünfzehn Minuten gebe. Er habe keine Reaktion des N² gesehen. Er sei dann ins Schlafzimmer zu seiner Freundin gegangen. Es könne sein, dass er sich zeitlich vertan habe und dass er nach dem ersten Schuss um 13.15 die anderen Schüsse um 13.30 abgegeben habe.
31Bei der am 28.11. und 8.12.2005 von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N³ durchgeführten Exploration äußerte sich der Angeklagte zum Kerngeschehen im wesentlichen wie folgt: Nach dem Vorfall, als sie von I² aus der Küche gewiesen worden sei, sei seine Freundin ins Schlafzimmer gegangen, wohin er ihr gefolgt sei. Sie habe die ganze Zeit geheult. Dann habe er – der Angeklagte -, als er danach im Sessel im Wohnzimmer gesessen habe, bemerkt, dass ein Samuraimesser von der Wand genommen worden sei und sich an der Tür befunden habe. Der Glatzköpfige sei dann aufgestanden und ins Bad gegangen. Da habe er – der Angeklagte – die Pistole, die auf einer Wanduhr gelegen habe, geholt, gesagt, dass sie verschwinden sollten, und habe durch die Wand in einen Spiegel hinein geschossen. I habe dann gesagt, er könne ihm in den "Arsch" schießen. Er habe ihnen fünfzehn Minuten Zeit gegeben, um zu verschwinden. Danach habe er im Schlafzimmer seine Freundin beruhigt, die vor lauter Schreck gezittert habe. Nach fünfzehn Minuten habe die Uhr um 13.30 geschlagen. Zwischendurch habe er durch die nicht zugezogene Schlafzimmertür ein Fragment eines Gesprächs zwischen dem Glatzkopf und I, nämlich den Satz "Das soll er doch mal versuchen" mitbekommen. Dann sei er –der Angeklagte – zur Küche, habe I² am T-Shirt gepackt, hochgezogen und ihm gesagt: "Ich hab`s euch doch gesagt, ...". Da sei der erste Schuss gefallen. Er habe zwischen Rippen und Arm gezielt, um I² nicht zu stark zu verletzen. Daraufhin sei der hochgesprungen, da sei der Schuss gefallen. Er – der Angeklagte – sei dann zu I gegangen, der zu diesem Zeitpunkt auf einem Arm gelegen, aber versucht habe, sich zu erheben, und dabei gefragt habe, ob hier einer geschossen habe. Er habe das bejaht und als er zwischen Rippen und Arm des I gezielt habe, habe ihn I² aus der Küche in den Flur laufend geschubst. Da sei der zweite Schuss gefallen. Auf die Frage, was in ihm vorgegangen sei, als er geschossen habe, gab er an, er habe sich machtlos gefühlt, dass diese "Hurensöhne" einen zum Dreck machen könnten und dabei dächten, dass Geld alles sei, sie alle niedermachen könnten und alles dürften. Er habe auch an die Behauptung gedacht, dass seine Freundin zwei Kilogramm Rauschgift in ihrer Scheide transportiert habe. Er bereue und er bedauere, was passiert sei. Im Vorflur habe ein Elektroschocker gelegen, der aber nicht funktioniert habe. So habe er gedacht, entweder sie oder er. Er habe ja miterlebt, als sie dem L³ das Messer ins Bein geknallt hätten. Er hätte Angst um seine Freundin gehabt. Alleine hätte er gegen drei Männer keine Chance gehabt. Wem hätte denn die Polizei wohl geglaubt, wenn sie ihn als Betrüger dargestellt hätten. Die seien in ihrer Unverschämtheit zu sicher gewesen. Sie hätten vergessen, dass beim Schachspiel manchmal ein einfacher Läufer das Schachmatt mache. Man dürfe die Grenzen dessen, was für einen Menschen erträglich sei, eben nicht überschreiten. Er sei nicht er selbst gewesen. Einem Dummen könne man verzeihen, aber hier habe es sich um berechnetes Verhalten gehandelt. Auf weitere Nachfrage zu den Brüdern gab der Angeklagte u. a. an, dass der I eigentlich ein ganz guter Kerl gewesen sei. Der I² habe sich wie eine Schlange verhalten und ständig gestänkert, wobei sich I unter Alkohol angeschlossen habe. Wenn er überhaupt jemanden hätte umbringen wollen, dann den I². Aber er habe eigentlich niemand umbringen wollen. Er habe nur einen Schreckschuss zwischen Rippen und Arm machen und dadurch ein Brennen bewirken wollen. Durch das Schubsen sei es zur Tötung gekommen. Wegen dieses Geschwürs – das sei I² – sitze er nun. Beide hätten eine Strafe verdient gehabt, aber so eine Strafe habe er ihnen nicht gewünscht. In seiner Machtlosigkeit habe in dem Moment empfunden, dass er sie zerreißen könne. Weder er noch seine Nächsten seien jemals so beleidigt worden. An dem Tag habe er im übrigen nur seine Grippetabletten und etwas wegen seines Blutdrucks genommen.
32In einem von der Kammer beschlagnahmten Schreiben vom 5.2.2006 des Angeklagten an den Zeugen T erklärte der Angeklagte u. a. wieder, dass die Männer ihn, wenn er die Polizei gerufen hätte, beschuldigen hätten können, dass er zum Verkauf gegebene Sachen – es hätte gereicht, wenn sie zwei Rolex-Uhren und eine Kette angegeben hätten – für sich behalten habe und nicht bezahlt habe. Er wäre dann ins Gefängnis gekommen und sie hätten seine Freundin belästigt. Der Zeuge habe doch gesehen, in welchem Zustand sich seine Freundin befunden habe. Er – der Angeklagte – sei, egal wie er sich verhalten hätte, der Verlierer gewesen. Gehöre es nicht zu den Pflichten eines Mannes, seine Familie und die geliebte Person zu verteidigen? Habe er zur Selbstverteidigung denn kein Recht gehabt? Er habe sie am Anfang mit einer Pistole erschrecken wollen, damit sie gingen, deshalb in die Wand geschossen und ihnen gesagt, dass sie fünfzehn Minuten Zeit hätten, die Wohnung zu verlassen, worauf I ihm gesagt habe, er könne ihn ruhig in den "Arsch" schießen. Vom Schlafzimmer aus habe er gehört, dass I dem Gorilla gesagt habe, dass er ihn – den Angeklagten – fertigmachen werde, wenn er versuchen solle, ihm was zu tun. I² habe auch nicht geschlafen, denn fünf Minuten, nachdem I² seine Freundin H aus der Küche geschickt habe, weil ihn das Licht störe, habe er – der Angeklagte – den Warnschuss abgegeben. Er habe beide nur zwischen Rippen und Hand treffen und dann auffordern wollen "abzuhauen".
33In einem Schreiben vom 12.2.2006 an die Zeugin H teilte der Angeklagte u. a. mit, dass er besser daran getan hätte, die Männer zum Abholen der Taschen nicht in die Wohnung zu lassen. Sie hätten in diesem Fall aber behauptet, dass er etwas aus ihren Taschen gestohlen habe und er hätte dann als "Klaubock" dagestanden. Wie habe er wissen sollen, wie das zu Ende gehe. Das seien aber reine Spekulationen. Er habe dem I schon in Polen gesagt, dass dieser ihn weder in Polen noch in Deutschland mit dem I² besuchen solle, weil es immer, wenn I mit seinem Bruder zusammen sei, Konflikte, Unterstellungen und ähnliches gebe. I² habe auch hauptsächlich provoziert. Um I tue es ihm leid.
34In einem weiteren von der Kammer beschlagnahmten Brief vom 2.4.2006 an die Zeugin H schrieb der Angeklagte von seinen Gedanken während des Geschehens selbst und später. Die Übersetzung dieser Passagen lautet wörtlich: "Beim Rasieren hätte ich im Spiegel einen Feigling gesehen. Ob der verstorbene I² – der Angeklagte meinte damit den verstorbenen Ehemann der Zeugin – erlauben würde, Dich zu beleidigen? Bestimmt nicht. So wie ich ihn kannte, hätte er auch scharf reagiert. Und ich, was sollte ich machen? Sollte ich ihnen verzeihen? Was hättest Du dann über mich gedacht? So nicht, H. Sie sollten daran denken, dass man nicht beleidigen darf, umso mehr, da sie gewusst haben, wie viel Du für mich bedeutest. Und sie könnten damit rechnen, dass ich diese Beschimpfungen nicht verzeihen werde. Sie wussten, dass ich so bin wie diese drei Äffchen. Ich sehe nichts, ich höre nichts und ich sage auch nichts. Sie haben aber vergessen, dass ich auch nichts verzeihe. Der Übermut und der Glaube an die Macht des Geldes hat sie vernichtet. Sie dachten, dass man alles kaufen kann und dass sie sich alles erlauben können. Sie haben sich geirrt. Selbst wenn sie `rausgegangen wären, würde ich es ihnen auf irgendeine Art und Weise zurückzahlen. Sie sind verrückt geworden, da sie zuviel Geld gehabt haben. Ich würde dafür sorgen, dass sie es gehabt hätten wie alle anderen, nur den normalen Lohn zur Verfügung." ... " Es hat sich alles anders ergeben und ich muss jetzt auf den Prozess warten. Wenn ich daran denke, dass es wegen dieser Lümmel geschieht, dann platze ich vor Wut. Ich weiß nicht, warum sie so gehandelt haben, was sie geplant und warum sie mich provoziert haben. Denn dass es einfach aus Dummheit war, kann ich nicht glauben. Auf jeden Fall haben sie geschafft, mich zu provozieren. Und es ist tragisch zu Ende gegangen, sowohl für sie als auch für mich, denn ich sitze. Schade, dass es nicht vor hundert Jahren passiert ist. Dann hätte ich so einen Lümmel zu einem Duell bestellt und dann gezeigt, was Respekt bedeutet. Ich hätte so einen nicht einfach erschossen, denn er müsste sich danach erinnern, weshalb er dann so aussieht. Ich verspreche Dir, er könnte nach unserem Treffen bestimmt keine Kinder mehr zeugen."
35IV.
36Grundlage der Feststellungen
37Die Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten beruhen auf seinen Angaben und ergänzend auf der auszugsweisen Verlesung der ihn betreffenden Bundeszentralregisterauskunft.
38Den Feststellungen zur Tatvorgeschichte liegen ebenfalls die Angaben des Angeklagten, die im wesentlichen mit den Bekundungen der Zeugen L³ übereinstimmen, zugrunde. Der Zeuge L³ hat in aller Offenheit bestätigt, dass ihn der Angeklagte mit I², den er vor seiner Vernehmung im Gericht gesehen und wiedererkannt habe, und I zusammengebracht habe, von denen er dann die nach Deutschland geschmuggelten Zigaretten bezogen und weiterveräußert habe. Er hat weiter glaubhaft bekundet, bereits unmittelbar nach der Beschlagnahme einer Lieferung in der Wohnung des Angeklagten in dessen Gegenwart von den Brüdern wegen der Bezahlung der Lieferung unter Druck gesetzt und von einem der Brüder mit dem Messer, dessen Klingenspitze dabei abgebrochen und im Bein steckengeblieben sei, verletzt worden zu sein. Er hat ebenso glaubhaft das Eintreiben weiterer Teilbeträge entsprechend den getroffenen Feststellungen geschildert. Auch die Zeugin L4 war sich sicher, dass der Zeuge I² einer der drei Männer gewesen sei, die sie am Samstagabend aufgesucht hätten. Der Zeuge I² hat zunächst jede Kenntnis von Zigarettengeschäften mit dem Zeugen L³ und seine Beteiligung am Eintreiben von Zahlungen wegen eines solchen Geschäfts in Abrede gestellt, hat dies dann aber auf nachdrückliche Ermahnung des Gerichts nicht aufrechterhalten und hat sich auf das ihm zustehende Auskunftsverweigerungsrecht berufen. Der Zeuge N² hat sich sofort geweigert, dahingehende Fragen zu beantworten. Nach allem hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass die Schilderung der Vorgeschichte durch den Angeklagten insoweit zutrifft. Die Kammer ist aufgrund der Gesamtumstände, wozu insbesondere gehört, dass die Brüder nicht zum ersten Mal in Begleitung eines Dritten nach E kamen und die Behauptung des Zeugen N², er sei nur aus Gefälligkeit mitgefahren, damit man sich bei der Fahrt abwechseln könne, als offensichtliche Ausrede erscheint, weiterhin davon überzeugt, dass beide Brüder in größerem Umfang unredliche Geschäfte betrieben haben. Einzelheiten hierzu waren nicht festzustellen. Der Angeklagte hat ohne Nennung konkreter und überprüfbarer Einzelheiten lediglich Andeutungen dazu gemacht, dass die Brüder mit Rauschgift zu tun gehabt hätten und im Begriffe gewesen seien, bei einem nicht weiter bezeichneten Geschäft einen Millionenerlös zu erzielen.
39Angesichts des Umstands, dass der Angeklagte den Kontakt zu den Brüdern auch nach dem Vorfall, bei dem der Zeuge L³ verletzt worden war, aufrechterhielt und sie bzw. ihre Begleitung weiterhin mindestens gelegentlich in seiner Wohnung übernachten ließ, liegt nahe, dass der Angeklagte bei kriminellen Geschäften Hilfsdienste leistete oder in anderer Weise in solche Aktivitäten eingebunden war. Sichere Feststellungen hierzu waren der Kammer allerdings nicht möglich.
40Die Kammer hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte, wie er angegeben hat, die FN-Selbstladepistole von I erhalten hat. Den Angeklagten kann nämlich zu dieser Behauptung die Vorstellung bewogen haben, dass sich für ihn günstig auswirken könne, wenn er den Toten mit Schusswaffen in Verbindung bringe bzw. ihm sogar eine Mitverantwortung dafür zuweise, dass er – der Angeklagte – unerlaubt die bei dem ihm vorgeworfenen Geschehen benutzte scharfe Waffe besessen habe. Auszuschließen ist der vom Angeklagten behauptete Erwerb – auf das Bestreiten dieses Vorgangs durch den Zeugen I² hat die Kammer nichts gegeben – andererseits auch nicht. Die Kammer ist allerdings davon überzeugt, dass die Angabe des Angeklagten, die Waffe schon länger in Besitz gehabt und mit ihr auch schon geschossen zu haben, zutrifft. Dafür, dass diese Angabe des Angeklagten zutrifft, spricht insbesondere sein besonderes Interesse an Waffen jeglicher Art.
41Hinsichtlich des Vorgeschehens in der Wohnung an den Vortagen und am Sonntagmorgen bis zum Weggang der Eheleute T beruhen die Feststellungen im wesentlichen auf den Angaben des Angeklagten und ergänzend auf den Bekundungen der Zeugen T und H. Die Kammer ist allerdings davon überzeugt, dass die Zeugin H und nicht der Angeklagte, wie er angegeben hat, die Verbindung unterbrach, als er morgens gegen 8.00 Uhr die Polizei anrufen wollte. Denn die Zeugin hat nicht nur bei ihrer Vernehmung durch die Kammer erwähnt, dass sie es gewesen sei, sondern hat dies, wie die Vernehmung der Zeugin T4 ergeben hat, bei ihrer ersten Vernehmung am Tattage – als Beschuldigte – ebenso gesagt und dies auch der Zeugin N , die dies glaubhaft bekundet hat, bei der Begegnung in der Nähe der Wohnung des Angeklagten nicht lange nach dem Tatgeschehen berichtet. Auch wenn, worauf noch einzugehen ist, die Angaben der Zeugin H bei dieser Vernehmung sehr ungeordnet und lückenhaft erfolgten, so ist die Kammer doch von der Richtigkeit dieser Einzelangabe, die konstant wiederholt worden ist und bezüglich derer ein Interesse der Zeugin, die Unwahrheit zu sagen, nicht erkennbar ist, überzeugt.
42Die Kammer ist weiter der sicheren Überzeugung, dass dem Angeklagten klar war, dass die Brüder ihre Ankündigung für den Fall, dass Polizei eintreffen werde, nicht wahrgemacht hätten. Denn es lag für alle Beteiligten auf der Hand, dass der Angeklagte sich im Gegenzuge schon wegen der Geschäfte der Brüder mit dem Zeugen L³ hätte revanchieren können. Auch wenn er selbst als Vermittler tätig gewesen war, hätten seine Besucher auf jeden Fall mit dieser Retourkutsche rechnen müssen, wenn sie den Angeklagten ihrerseits zu Unrecht bezichtigt und dadurch behördliche Maßnahmen gegen ihn provoziert hätten. Dies war so offensichtlich, dass die Kammer keinen Zweifel daran hat, dass der Angeklagte, der intellektuell durchschnittlich ausgestattet ist und zu diesem Zeitpunkt noch keinen Alkohol getrunken hatte, die Ankündigung nicht ernstlich fürchtete, sondern den Willen seiner Freundin respektierte und nach anderen Lösungsmöglichkeiten suchte.
43Zum Kern des Vorwurfs hat sich der Angeklagte zunächst im wesentlichen wie folgt eingelassen: Nach dem Weggang der Zeugen T hätten sich die Männer trotz seines Widerspruchs hingelegt. Sie hätten zehn bis fünfzehn Minuten gelegen, als seine Freundin von I² aufgefordert worden sei, ihn in der Küche in Ruhe schlafen zu lassen. Weitere fünf Minuten später – der Zeuge N² sei gerade zum Bad gegangen – habe er die Waffe, die auf einer Wanduhr gelegen habe, geholt, habe sie durchgeladen und sich an den Tisch gesetzt. Er habe gesagt, dass sie verschwinden sollten, und habe, um sie zu erschrecken, auf die Wand oberhalb des Kopfes von I geschossen. Ihm sei klar gewesen, dass der Schuss durch die Wand gehen würde. I habe erwidert, er könne ihm ruhig in den Arsch schießen. Er habe dem Gorilla das Loch im Spiegel im Flur gezeigt, um ihm klar zu machen, dass es sich um eine scharfe Waffe handele. Er habe gesagt, dass er sie in fünfzehn Minuten nicht mehr sehen wolle. Er sei dann ins Schlafzimmer gegangen und habe seiner weinenden Freundin gesagt, dass die Männer nun gehen müssten, worauf sie ihn davor gewarnt habe, dass sie ihm etwas antun könnten. Er habe es nicht mehr ausgehalten. Er habe sich so gefühlt, als könne er in wenigen Minuten kratzen und beißen. Er sei in einem Zustand gewesen, dass er den Männern den Hals hätte umdrehen können. Nach den fünfzehn Minuten sei er zum Zeugen I² gegangen, der in der Küche gelegen habe. Er habe noch keine Absicht gehabt zu schießen. Er habe nicht daran gedacht, dass die Waffe wieder durchgeladen gewesen sei. Sie weise keinen außenliegenden Hahn auf, weshalb man den Ladezustand nicht sehen könne, und habe auch keine zweite Sicherung. Er habe ihn mit einer Hand angefasst, ihm mit der anderen Hand die Waffe vorgehalten und ihn aufgefordert zu verschwinden. I² habe nicht geschlafen. Er sei hochgesprungen und dabei gegen die Waffe gestoßen, wodurch sich der Schuss gelöst habe. Jetzt habe sich I mit der Äußerung gemeldet, was er – der Angeklagte – denn für einen "Scheiss" mache. Er habe sich auf der Schlafcouch bewegt, als wenn er sich habe umdrehen wollen. Er –der Angeklagte – habe drei Schritte zurück ins Wohnzimmer gemacht. Er habe sich gegen I verteidigen wollen und in dessen Achselgegend gezielt. Hinter sich habe er ein metallisches Geräusch von dem Klappbett gehört. I² habe sich dahinter versteckt, so dass er – der Angeklagte – lediglich dessen Augen und etwas vom Oberkörper gesehen habe. Er habe den beiden dann gesagt: "Wer ist nun durchgeknallt, ich oder ihr?" Jetzt sei I² weggelaufen. Er – der Angeklagte – habe an der nur 80 cm breiten Tür zwischen Wohnzimmer und Flur gestanden. Er habe versucht, I leicht zu verletzen. Er sei ein guter Schütze. Beim Militär – dies bei späterer Nachfrage - habe er problemlos auf 100 Meter eine Apfelsine getroffen. Er habe erfolgreich an Schießwettbewerben teilgenommen, weshalb er Sonderurlaub bekommen habe. Es sei dann zu einem Schubsen gekommen, wodurch sich der Schuss gelöst habe. Der Zeuge N² sei danach aus dem Wohnzimmer gegangen, wobei er ihn aufgefordert habe, die anderen beiden mitzunehmen und zu verschwinden. Er habe nämlich gedacht, dass beide nur leicht verletzt seien. Er sei sicher, dass er bei der polizeilichen Vernehmung gesagt habe, dass er angestoßen worden sei, als er versucht habe, die Körperstelle zu treffen. Er habe das schon gesagt, was im Vernehmungsprotokoll dazu stehe – die entsprechenden Passagen sind dem Angeklagten im einzelnen vorgehalten worden -, es müsse von ihm aber doch auch gesagt worden sein, dass er angestoßen worden sei. Warum das nicht in dem von ihm unterzeichneten Protokoll stehe, könne er sich nicht erklären. Im weiteren Verlauf der Beweisaufnahme - nämlich während der Vernehmung des Sachverständigen Dr. A zur Todesursache - hat der Angeklagte demonstriert, wie er neben dem liegenden I gestanden habe, und hat dazu angegeben, dieser habe versucht aufzustehen und gefragt, ob er bescheuert sei. Er – der Angeklagte – habe ihn am T-Shirt festgehalten, um zu verhindern, dass er aufstehe, und gefragt, wer denn durchgeknallt sei, er oder sie. Er habe die Pistole in einem Abstand von etwa 40 cm gehalten. Er habe versucht, zwischen Arm und Körper zu treffen. Als I² weggelaufen sei, sei es zum Schuss gekommen. Ebenso hat der Angeklagte bei der Vernehmung des Sachverständigen Dr. A – nunmehr zur Verletzung des Zeugen I² - demonstriert, wie er gebückt neben I² gestanden habe. Er hat dazu zunächst angegeben, als I² versucht habe aufzustehen, sei es zum Schuss gekommen. I² habe sich aufrichten wollen. Als er – der Angeklagte – die Waffe zurückgezogen habe, habe sich der Schuss gelöst. Auf weitere Nachfrage in diesem Punkt hat der Angeklagte sodann angegeben, I² sei hochgesprungen und mit dem Körper gegen die Waffe gestoßen, wodurch sich der Schuss gelöst habe. Der Angeklagte hat schließlich an einem späteren Verhandlungstag zur Verdeutlichung der beengten Verhältnisse im Wohnzimmer und damit der Plausibilität seiner Einlassung eine selbst gefertigte Skizze des Wohnzimmers überreicht, in die die behaupteten Positionen und Laufwege – mit Angabe der Dauer in Sekunden - aller Anwesenden während des Geschehens eingetragen waren. Wegen der Einzelheiten wird auf diese Skizze (Anlage 3 zum Tagesprotokoll vom 19.6.2006) gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen.
44Zu der von ihm benutzten Waffe hat der Angeklagte außerdem angegeben, dass das Abzugsgewicht nach dem ersten Schuss vielleicht ein Kilogramm, jedenfalls keine drei Kilogramm, wie im Gutachten des LKA ausgeführt, betrage. Das Gutachten sei auch deshalb falsch, weil darin von zwei Sicherungen die Rede sei. Tatsächlich habe sie nur eine Griffstücksicherung. Bei einem später vertriebenen Modell der Waffe sei deshalb eine zusätzliche Sicherung eingebaut worden.
45In einem weiteren während des Laufs der Hauptverhandlung beschlagnahmten Schreiben des Angeklagten vom 10.5.2006 an den Zeugen T, das dieser übersetzen und dem Verteidiger zur Weitergabe an das Gericht zukommen lassen sollte, hat der Angeklagte ebenso geltend gemacht, dass die Pistole nur eine Sicherung am Griff aufweise, man äußerlich nicht sehen könne, ob sie geladen und schussbereit sei und dass diese Pistole deshalb als gefährlich einzustufen sei. Außerdem hat der Angeklagte in diesem Schreiben noch einmal darauf hingewiesen, dass er, als er in die Küche gegangen sei, nicht die Absicht gehabt habe zu schießen. Der Zeuge I² habe sich schnell umgedreht, als er ihn angefasst und angesprochen habe. Der ganze Vorfall habe drei Sekunden gedauert. In dieser Zeit habe sich der Schuss gelöst. Er – der Angeklagte – habe sich dann umgedreht, als I aus dem Wohnzimmer in polnischer Sprache gefragt habe, ob er einen Knall habe. Er sei hingegangen und habe ihn an der Schulter gehalten, um sein Aufstehen zu verhindern. Er habe zwischen Arm und Rippen treffen wollen, was kein Bluten zur Folge gehabt hätte, aber schmerzhaft – auch bei Bewegungen - wie eine Verbrennung gewesen wäre. Er habe befürchten müssen, dass I ihm die Verletzung seines Bruders nicht verzeihen würde. I habe nach dem Warnschuss schon dem Zeugen N² gesagt, wenn er – der Angeklagte – etwas mache, dann bringe er das "Arschloch" um. I² sei sehr schnell aus der Küche gelaufen und habe ihn dabei angestoßen. Dann sei es zum zweiten Schuss gekommen, wobei er immer noch sicher gewesen sei, die Stelle, auf die er gezielt habe, auch getroffen zu haben. Der Schluss des Schreibens lautet dann übersetzt: "Wie sollte ich auf die fünf Stunden psychischer Misshandlung und Erniedrigung einer geliebten Person reagieren? Habe ich nicht probiert, die Tragödie zu vermeiden? Habe ich nicht die Polizei angerufen? Habe ich nicht den T angerufen? Habe ich nicht auf die Wand geschossen, als ich bis auf die Grenze getrieben wurde? Ich habe deren Selbstsicherheit gesehen und sie meine Machtlosigkeit. Und was haben sie geantwortet, als ich sie ausdrücklich aufgefordert habe, die Wohnung zu verlassen? Die Worte von I: Gut, gut, zuerst schlafen wir und dann reden wir mit dir. Es war für mich zuviel. Ich wundere mich selbst, wieso ich ihnen noch 15 Minuten gegeben habe und nicht sofort explodiert bin. ...Es ist lächerlich, dass dieser Mensch, der den Vorfall provoziert hatte, der zum Tod seines Bruders und zur Tragödie seiner Familie geführt hat, mich noch beschuldigt. Man muss wirklich unverschämt sein."
46Soweit die Einlassung des Angeklagten zum Kerngeschehen von den Feststellungen abweicht, ist er der Begehung beider Taten in der festgestellten Form aufgrund der seitens der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme überführt. Dazu im einzelnen:
47Die Kammer hat sich zunächst pflichtgemäß damit auseinandergesetzt, ob dem Angeklagten darin zu folgen ist, dass er die Waffe in der Hand hatte, als die Schüsse fielen, oder ob auch in Betracht kommt, dass die Zeugin H handelte und der Angeklagte zu ihrem Schutz angab, die Waffe geführt zu haben. Auch wenn eine kriminaltechnische Auswertung der abgenommenen Schmauchspuren der Kammer nicht vorlag, so kommt die letztgenannte Konstellation angesichts der insoweit übereinstimmenden Schilderungen aller – überlebenden - Beteiligten und angesichts des Umstandes, dass eine Absprache zwischen dem Angeklagten und der Zeugin H einerseits und den Zeugen I² und N² andererseits vor ihren Vernehmungen nach Lage der Dinge – unabhängig von tatsächlichen Schwierigkeiten – ausgeschlossen erscheint, nicht in Betracht. Dass der Angeklagte die Waffe führte, steht danach außer Zweifel.
48Die Einlassung des Angeklagten dazu, wie es zur Verletzung des Zeugen I² und zur Tötung des I kam, ist für sich genommen schon nicht plausibel, in Einzelheiten auch widersprüchlich und mit objektiven Befunden nicht zu vereinbaren :
49Die Angaben des Angeklagten, nicht gemerkt zu haben, dass die Pistole schussbereit war, als er sich zu I² in die Küche begab, erscheint nicht nachvollziehbar. Es handelt sich nach dem Gutachten des Dipl. Ing. E² vom LKA NRW vom 9.11.2005 um eine ordnungsgemäß und störungsfrei funktionierende halbautomatische Selbstladepistole, bei der das Abgeben eines Schusses die Beförderung einer weiteren Patrone aus dem Magazin in das Patronenlager und damit weitere Schussbereitschaft bewirkt.
50Der Angeklagte ist Waffensammler, verfügt also über die erforderlichen Kenntnisse und war auch im Umgang mit dieser speziellen Waffe, wie er eingeräumt hat, vertraut, so dass nicht nachzuvollziehen ist, dass er nur 15 Minuten nach Abgabe des Schusses durch die Wand nicht gewusst haben sollte, dass die Pistole durchgeladen war. Schon in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Behauptung des Angeklagten, die Pistole verfüge lediglich über eine Sicherung, nicht zutrifft. Die Kammer hat sich insoweit nicht mit dem bezeichneten Gutachten begnügt, in dem – ohne nähere Ausführungen - eine Hebel- und eine Griffstücksicherung genannt werden, sondern hat daraufhin die Waffe ein zweites Mal in Augenschein genommen und sich vom Vorhandensein beider Sicherungen und ihren Funktionen beim Spannen und Entspannen der Waffe überzeugt. Auf diese augenfällige Demonstration hat der Angeklagte dann lediglich erwidert, die Hebelsicherung sei keine Sicherung im eigentlichen Sinne, sondern diene nur dazu, ein unbeabsichtigtes Losgehen der Waffe, wenn man sie in der Hosentasche trage, zu verhindern, womit er letztlich die Sicherungsfunktion eingestanden hat.
51Unplausibel erscheint der Kammer ferner, dass der Angeklagte beabsichtigt haben will, beide Männer durch einen Streifschuss zwischen Brustkorb und Arm leicht zu verletzen, der - wie er bzgl. des I später im einzelnen ausgeführt hat - lediglich eine Rötung und Schmerzen, aber keine offene Wunde zur Folge gehabt hätte. Abgesehen davon, dass es selbst einem sehr guten Schützen kaum möglich sein dürfte, bei einem streifenden Treffer eine blutende Verletzung zu vermeiden, spricht gegen die Richtigkeit der Einlassung in diesem Punkt bereits, dass der Angeklagte in diesem Fall unmittelbar mit wütenden Reaktionen und Racheakten der Angegriffenen hätte rechnen müssen und auch bei Einsatz der Waffe als Drohmittel mindestens unsicher gewesen wäre, ob er sie sich vom Leibe hätte halten können.
52Zum Hergang des Geschehens, bei dem der Zeuge I² schwer verletzt wurde, hat sich der Angeklagte wechselnd und damit widersprüchlich eingelassen. Während er erst angegeben hat, I² sei beim Hochspringen gegen die Waffe gestoßen, wodurch sich der Schuss gelöst habe, hat er an einem weiteren Verhandlungstag erklärt, als I² hochgesprungen sei, sei er – der Angeklagte - mit dem rechten Arm zurückgegangen, wobei sich der Schuss gelöst habe, um kurz darauf auf Nachfrage des Gerichts dann wieder anzugeben, I² sei mit dem Körper gegen die Waffe gestoßen, als er hochgekommen sei. Gegen diese Version spricht bereits, dass, wie der als Sachverständige gehörte Arzt für Rechtsmedizin Dr. A ausgeführt hat, I² dazu mit dem Unterleib hätte hochkommen und ihn dem Angeklagten hätte entgegenstrecken müssen, weil anderenfalls das Projektil in einem steileren Winkel in den Körper eingedrungen wäre. Darüberhinaus hat der bereits erwähnte Sachverständige E², dessen Gutachten vom 16.5.2006 zu dieser Frage verlesen worden ist, darin ausgeführt, dass eine Schussauslösung lediglich durch einen kräftigen Schlag auf die Rückseite der Waffe bei gleichzeitiger Krafteinwirkung auf Sicherung und Abzug möglich gewesen sei. Eine unbeabsichtigte Schussauslösung durch Stoß, Schlag oder anderweitigen Körperkontakt habe nicht rekonstruiert werden können. Insbesondere hätten Krafteinwirkungen von vorn auf die Laufmündung ohne Betätigung des Abzuges nicht zu einer Schussauslösung geführt. Schließlich ergibt sich aus dem von der Kammer während der Hauptverhandlung eingeholten Gutachten des Sachverständigen ORR N4 vom LKA NRW vom 12.5.06, dass die Mündung der Pistole zwischen 40 und 60 cm von der Jeanshose des Zeugen I² entfernt war, als er getroffen wurde, wonach ohne weiteres klar ist, dass der Schuss nicht durch einen Stoß des I² mit dem Körper ausgelöst worden sein kann, weil dann die Merkmale eines aufgesetzten Schusses gefunden hätten werden müssen.
53Weiter ist nur schwerlich nachzuvollziehen, dass der Angeklagte nach der Verletzung des Zeugen I² keinerlei eigene Reaktion darauf geschildert hat, dass sich der Schuss zu diesem Zeitpunkt unabsichtlich gelöst und den Zeugen möglicherweise schwer verletzt hatte, sondern er sich ohne weiteres zu I zurück in das Wohnzimmer begab. Erst recht ist nicht nachzuvollziehen, dass der Angeklagte das tat, wie er in seiner Einlassung eingangs des Verfahrens geltend gemacht hat, um sich gegen I zu verteidigen. Wer, wie der Angeklagte, über 55 Jahre alt, nur mittelgroß ist und Übergewicht hat, der flüchtet eher entweder vor einem jüngeren Gegner mit einer Größe von 2 Metern und einem Gewicht von über 100 kg oder er versucht, wenn er eine Waffe hat, ihn auf Distanz zu halten. Dass der Angeklagte stattdessen zu I gegangen sein, ihn mit einer Hand am Aufrichten gehindert und dabei auf ihn mit der Absicht gezielt haben will, ihm einen schmerzhaften Streifschuss ohne blutende Verletzung beizubringen, ist vollends unglaubhaft.
54Entscheidend gegen die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten spricht nach der Überzeugung der Kammer, dass der Angeklagte bei seinen ersten Vernehmungen am 24. und 25. Oktober 2005 durch die Polizei bzw. den Haftrichter angeben hat, dass er auf beide Brüder geschossen habe. Der Angeklagte hat in seiner etwa dreistündigen Vernehmung am 24. 10.2005, die die detaillierte Erörterung des gesamten Geschehens zum Gegenstand hatte, angegeben, er habe I² (I²) mit der linken Hand an der Bekleidung gezogen, ihm gesagt, er habe ihm doch gesagt......, und habe dann auf ihn geschossen, wobei er ihn an der rechten Seite habe treffen und verletzen wollen. Im Wohnzimmer habe er, als I (I) sich aufgerichtet habe und ihm etwas entgegengekommen sei, auf ihn geschossen. Beim Haftrichter hat der Angeklagte zwar erwähnt, dass es sein könne, dass I² ihn angestoßen habe, als er gerade auf I geschossen habe, hat dann aber eine zusammenhängende Schilderung abgegeben, wonach er auf beide Brüder geschossen habe. Ein unbeabsichtigtes Auslösen des Schusses auf I² oder das Fehlgehen des Schusses auf I hat bei dieser zusammenfassenden Schilderung ebenso wenig wie bei der weiteren polizeilichen Vernehmung am 25.10.2005 Erwähnung gefunden. Zum Schluss der Vernehmung am 25.10.2005 war es dem Angeklagten lediglich wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass er nicht auf Schlafende geschossen habe.
55Die Behauptung des Angeklagten, er habe schon bei der ersten polizeilichen Vernehmung angegeben, dass der Schuss auf I² sich gelöst habe, als dieser hochgekommen und gegen die Waffe gestoßen sei, und dass er bei dem Schuss auf I vom flüchtenden I² angestoßen worden sei, hat sich als unzutreffende Ausrede erwiesen. Die Kammer hat hierzu den Zeugen T³, der die Vernehmung führte, und die Zeugin U², die dabei dolmetschte, vernommen. Beide Zeugen haben sich an den Gang der Vernehmung erinnern können und mit Bestimmtheit in Abrede gestellt, dass entsprechende Angaben des Angeklagten erfolgt, aber nicht übersetzt bzw. nicht in das Protokoll aufgenommen worden wären. Die Kammer hat diesen Zeugen Glauben geschenkt.
56Schon danach ist die Überzeugung der Kammer begründet, dass der Angeklagte willentlich auf I² und I schoss und, dass er, als er auf letzteren schoss, während der Schussabgabe nicht von I² angestoßen wurde. Dass der Angeklagte solche wichtigen und ihn offensichtlich entlastenden Umstände bei der polizeilichen Vernehmung verschwiegen hätte, ist zur Überzeugung der Kammer auszuschließen. Die Abfolge der Äußerungen des Angeklagten belegt vielmehr, dass der Angeklagte ausgehend von der beiläufig bei der haftrichterlichen Vernehmung geäußerten Vermutung einen Ablauf des Geschehens konstruiert hat, der die schwere Verletzung des I² und den Tod des I eher als das Ergebnis einer Verkettung unglücklicher Umstände und weniger als das Resultat eigenen Handeln erscheinen lässt.
57Die hiernach insoweit gewonnene Überzeugung der Kammer wird zusätzlich durch Angaben der Zeugin H, die sie bei ihren Vernehmungen als Beschuldigte und darauf folgend als Zeugin am Tattage gemacht hat, bestätigt. Die Zeugin hat nämlich, wie die Vernehmung der KHK’in T4, die diese Vernehmung durchführte, ergeben hat, als Beschuldigte angegeben, dass I auf dem Sofa und I² auf dem zusammengeklappten, bzw. eingebrochenen Klappbett gelegen hätten, als sie aus dem Zimmer gekommen sei. I² habe sich gekrümmt und die Hände vor den Bauch gehalten. Er habe im Hausflur auf der Treppe gesessen und sie sei an ihm vorbeigegangen.
58Bei der anschließenden zeugenschaftlichen Vernehmung, die die Zeugin I4 durchführte, hat die Zeugin H dazu noch einmal im einzelnen ausgeführt, nach den Schüssen, deren Anzahl sie nicht angeben könne, sei sie im Schock aus dem Zimmer gelaufen. Der eine habe neben dem Bett gesessen und sich etwas gehalten. Sie habe zuerst nur den in der Küche gesehen. Sie habe dann ihre Jacke geholt und habe den aus der Küche im Treppenhaus gesehen. Bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung hat die Zeugin zunächst angegeben, dass sie nach dem Schießen das Zimmer verlassen und dabei einen Mann auf dem Sofa und einen Mann auf dem Klappbett gesehen habe. Auf Vorhalt ihrer Bekundung bei der Beschuldigtenvernehmung dazu hat sie dann angegeben, dass das Klappbett zusammengeklappt sei, der Mann habe schon auf der Treppe gesessen. Sie hat dann bejaht, dass der Besucher I² noch in der Küche gewesen sei und auf weitere Fragen wegen dieses Widerspruchs erwidert, dass alles so gewesen sei, wie sie es bei der Polizei ausgesagt habe.
59Die Kammer ist, auch wenn die Zeugin in der Hauptverhandlung widersprüchlich dazu ausgesagt hat und jetzt wie auch in den Vernehmungen am Tattage zu einer Darstellung der Geschehnisse in chronologischer Reihenfolge und inhaltlich geordnet nicht imstande war, aufgrund der Angaben der Vernehmungsbeamtinnen, die beide glaubhaft ausgeschlossen haben, der Zeugin insoweit Vorgaben gemacht zu haben, davon überzeugt, dass die Zeugin am Tattage entsprechend ausgesagt hat. Die Angaben der Zeugin als Beschuldigte und Zeugin sind auch trotz ihrer nicht unerheblichen Alkoholisierung verwertbar. Die Zeugin ist dazu vor ihrer ersten Vernehmung befragt worden und hat angegeben, an Alkohol gewöhnt und in der Lage zu sein, der Vernehmung zu folgen. Dass ihre Angaben dann lückenhaft und ungeordnet erfolgten, steht der Bejahung der Vernehmungsfähigkeit nicht entgegen, weil diese Aussagemängel auch bei der Vernehmung durch die Kammer, bei der die Zeugin nicht alkoholisiert war und offensichtlich die Situation begriff, ebenfalls festzustellen waren. Angesichts des Umstandes, dass sich die Bedeutung ihrer Beobachtung des Besuchers I² in der Küche der Zeugin mit Sicherheit nicht erschloss, ist eine absichtliche Falschaussage – erst recht zum Nachteil des Angeklagten - in diesem Punkt auszuschließen. Danach stehen die Angaben der Zeugin bei ihren früheren Vernehmungen in offensichtlichem Widerspruch zur Einlassung des Angeklagten. Wenn, was auch der Angeklagte angegeben hat, beide Schüsse gefallen waren, bevor die Zeugin das Schlafzimmer verließ, und die Zeugin den Zeugen I² auf oder am Klappbett in der Küche sah, ist dies mit der Angabe des Angeklagten, er sei bei der Abgabe des Schusses auf I von I² angestoßen worden, der aus dem Wohnzimmer gelaufen und nicht zurückgekommen sei, keinesfalls zu vereinbaren.
60Die Kammer hat weiter die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte auf beide Brüder schoss, um sie mindestens schwer zu verletzen und dadurch außer Gefecht zu setzen, wobei er wusste, dass dies tödlich für seine Opfer ausgehen könne und er diese Folge mindestens in Kauf nahm. Der Angeklagte befand sich bei der Abgabe beider Schüsse –schon nach seiner eigenen Einlassung bei der polizeilichen und haftrichterlichen Vernehmung und erst recht nach den an anderer Stelle noch zu begründenden Feststellungen – in unbedrängter Lage und nicht in einer dynamischen Kampfsituation. Der Abstand zwischen der Mündung des Laufs und dem jeweils getroffenen Körperteil betrug im Falle des Zeugen I² höchstens 60 cm und im Falle des I sogar höchstens 40 cm, wie die Verlesung des bereits erwähnten Gutachtens des ORR N4 vom 12.5.2006, der die ihm übersandten Kleidungsstücke mit den Schusslöchern sorgfältig auf Schmauchrückstände untersucht und auch zu Vergleichszwecken unterschiedliche Materialproben unter Verwendung von Patronen mit vergleichbarem Zündsatz und der Originalwaffe beschossen hat, ergeben hat.
61Angesichts dessen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Angeklagte, der im Umgang mit Waffen erfahren ist und in seinen Vernehmungen durch die Polizei und den Haftrichter lediglich in Bezug auf I² angegeben hat, dass der Schuss fehlgegangen sei, und zum Grund dafür gar nichts gesagt hat, willentlich auf den Unterbauch des I² und auf die Brust des I schoss. Dass ein Schuss in den Unterleib mit aufsteigendem Schusskanal in Richtung Bauch bzw. ein Schuss in die Brust wegen der empfindlichen und lebenswichtigen Organe und Blutgefäße in der Brusthöhle und im Bauchbereich zu schwersten Verletzungen und ohne weiteres auch zum Tode führen kann, ist so offensichtlich, dass für die Kammer auch außer Zweifel steht, dass dies dem Angeklagten, der auch nicht etwa aufgrund des für ihn nicht ungewöhnlichen Alkoholkonsums in seinen kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt war, bewusst war. Die Kammer ist auch sicher, dass der Angeklagte seine Opfer mit einer schweren Verletzung unmittelbar außer Gefecht setzen wollte, weil er, was sich in dieser Situation aufdrängte, anderenfalls trotz der Waffe – unabhängig davon, ob sich darin noch Patronen befanden – Vergeltungsaktionen der verletzten Opfer gegen seinen Leib und sein Leben befürchten musste. Dass der Angeklagte auch den möglichen Tod seiner Opfer mindestens in Kauf nahm, steht für die Kammer auch deshalb fest, weil kein Umstand ersichtlich ist, aufgrund dessen der Angeklagte darauf hätte vertrauen können, dass es nicht zu einem solchen tödlichen Ausgang komme. Der Schilderung, dass er sich zuvor gefühlt habe, als ob er im nächsten Moment kratzen und beißen könne und dass er den Männern am liebsten den Hals umgedreht hätte, hat die Kammer lediglich bestätigende Bedeutung beigemessen.
62Als der Angeklagte auf I² und I schoss, handelte er zur Überzeugung der Kammer nicht , um sein Hausrecht durchzusetzen und ein sofortiges Verlassen der Wohnung unter Waffengewalt zu erzwingen. Auch wenn es ihm zuvor – auch noch bei Abgabe des Warnschusses – darum gegangen war, seine inzwischen unerwünschten Besucher loszuwerden, um weitere Beleidigungen seiner Partnerin zu unterbinden, so spielte das Hausrecht zum Zeitpunkt, als er sich entschloss, auf die Brüder zu schießen, keine Rolle mehr für ihn. Dafür spricht schon, dass er entschlossen war, die Männer so schwer zu verletzen, dass sie außer Gefecht gesetzt sein würden, wobei er sogar ihren Tod in Kauf nahm und dabei – das steht für die Kammer angesichts der Augenfälligkeit einer solchen Folge lebensgefährdender Schüsse in die Brust bzw. den Unterbauch außer Zweifel – auch eine unmittelbare Immobilität der Brüder für möglich hielt, was mit einer Vorstellung, jemanden zum sofortigen Verlassen der Wohnung zu zwingen, schon kaum vereinbar erscheint. Der Angeklagte handelte vielmehr aus Zorn über die Kränkungen und Demütigungen seiner Partnerin, die er auch als Kränkung und Demütigung seiner eigenen Person empfunden hatte, und in der Absicht, I² und I dieses Verhalten heimzuzahlen und sich deswegen an ihnen zu rächen, wobei sein Zorn durch den Umstand, dass er nicht einmal mit dem Warnschuss Eindruck gemacht hatte, noch einmal gesteigert worden war. Dass ihn diese Motivation antrieb, ergibt sich nach der Überzeugung der Kammer nicht nur daraus, dass die Beleidigungen der Zeugin H durch I² und I auch unter Berücksichtigung des sicherlich nicht als hochstehend zu bezeichnenden sozialen Umfeldes der Beteiligten von Gewicht waren und auch bei einem weniger empfindlichen Mann als dem Angeklagten aggressive Reaktionen auszulösen geeignet waren, sondern entscheidend aus den Äußerungen des Angeklagten selbst bei der Exploration durch die Sachverständige und in seinem zum Ende des Abschnitts III wiedergegebenen Schreiben vom 02.04.06 an die Zeugin H und vom 10.05.2006 an den Zeugen T.
63Aus diesen Ausführungen ergibt sich zur Überzeugung der Kammer in aller Deutlichkeit, dass der Angeklagte auf I² und I schoss, um ihnen ihr vorheriges Verhalten zu vergelten und sich an ihnen zu rächen. Insbesondere gilt dies für das an seine Partnerin gerichtete Schreiben vom 2.4.2006, in dem der Angeklagte – nach den Gesamtumständen zur Überzeugung der Kammer ehrlich gemeint – ausdrücklich geäußert hat, dass er die ihr – seiner Partnerin – zugefügten Beleidigungen nicht verziehen habe und dass er selbst für den Fall, dass sie – die Brüder – die Wohnung verlassen hätten, es ihnen in irgendeiner Weise zurückgezahlt hätte.
64Dass I² und I nicht mit einem Angriff des Angeklagten gegen Leib und Leben rechneten, als sie sich schlafen legten bzw. wieder einschliefen, dass beide schliefen, als der Angeklagte auf I² schoss und dass I allenfalls im Begriff aufzuwachen, aber nicht wach und handlungsfähig war, als der Angeklagte auf ihn schoss, ergibt sich für die Kammer aus folgendem:
65Für die Arglosigkeit der beiden Brüder spricht bereits entscheidend, dass sich alle drei Männer in Anwesenheit des Angeklagten und trotz seines Widerspruchs schlafen legten. Hätten sie einen Angriff des Angeklagten gegen sich erwartet oder auch nur für möglich gehalten, so hätten sie sich gehütet, sich derart zu verhalten, sondern hätten es mindestens vorgezogen, abwechselnd zu schlafen. Trotz ihrer Beleidigungen zuvor mussten sie nicht damit rechnen, dass der Angeklagte sie im Schlaf angriff und haben dies zur Überzeugung der Kammer auch nicht getan. Denn sie kannten den Angeklagten bereits länger und verstanden sich mit ihm gut, wie sich bereits aus den vom Angeklagten geschilderten Kontakten ergibt. Auch wenn es während dieses Besuchs ab Samstagmorgen Spannungen gegeben hatte, sie mitbekommen hatten, dass ihr Besuch inzwischen unerwünscht war, und sie andererseits die Partnerin des Angeklagten an diesem Sonntagmorgen immer wieder grob beleidigt hatten, so hatte sich der Angeklagte doch darauf beschränkt, als Reaktion auf ihr Verhalten die Anrufe gegen 8.00 Uhr zu tätigen und nach dem Weggang des Zeugen T der Absicht der Besucher, sich vor ihrem Aufbruch noch einmal schlafen zu legen, zu widersprechen. Dass er mit fortschreitender Zeit bis aufs Blut gereizt war, hatte er sich äußerlich nicht anmerken lassen.
66Danach ist für die Überzeugungsbildung der Kammer ohne Bedeutung, dass der Zeuge I², nachdem er mehrere Fragen zum Geschehen am Sonntagmorgen unter Berufung auf das Auskunftsverweigerungsrecht nicht beantwortet und dann erklärt hat, dass er keine weiteren Fragen zum Vorgeschehen am Sonntag in der Wohnung beantworten werde, sich dazu, ob er solche Beleidigungen getätigt und mit einem Angriff des Angeklagten als Reaktion darauf gerechnet habe, nicht geäußert hat.
67Dass I auch nicht mit einem Angriff gegen Leib und Leben rechnete, falls er nach dem Warnschuss kurz aufgewacht war und geäußert hatte, der Angeklagte könne ihm in den "Arsch" schießen, steht für die Kammer außer Zweifel. Dafür spricht nicht nur schon der Inhalt der Äußerung, sondern entscheidend, dass I sich ohne weiteres dazu entschloss, liegen zu bleiben und weiterzuschlafen.
68Die drei Männer schliefen auch schon eine Zeitlang, als der Angeklagte durch die Wand schoss. Die entgegenstehende Behauptung des Angeklagten, I² und I hätten sich nach dem Weggang der Zeugen T trotz seines Widerspruchs schlafen gelegt und hätten etwa 10 bis 15 Minuten gelegen, aber noch nicht geschlafen, als er geschossen habe, ist unrichtig. Die Zeugin T² hat insoweit bekundet, dass sie gegen 10.00 Uhr gefahren und bei ihrer Rückkehr nach 20 bis 30 Minuten Fahrt die Kirchglocken zur Messe um 10.30 Uhr gehört hätten, weshalb sie den Zeitpunkt der Rückkehr genau wisse. Da andererseits feststeht, auch in Übereinstimmung mit der Einlassung des Angeklagten, dass der Warnschuss eine Viertelstunde vor den weiteren Schüssen abgegeben wurde und die anschließende Alarmierung der Polizei um 13.29 Uhr erfolgte, so ergibt sich daraus, dass nach dem Weggang der Eheleute T etwa 3 Stunden verstrichen, bis der Angeklagte in die Wand schoss. Angesichts dessen, dass der Angeklagte für diesen Zeitraum, mit Ausnahme des Vorfalls, bei dem seine Freundin aus der Küche gewiesen wurde, keinerlei Aktionen bzw. Interaktion geschildert hat, ist die Kammer davon überzeugt, dass die Besucher längere Zeit auf den Schlafstätten lagen und auch schliefen, wie dies auch die Zeugen I² und N² angegeben haben. Dem Einwand des Verteidigers, I² und I hätten aufgrund des vorherigen Genusses von Kokain bzw. Amphetaminen auf keinen Fall binnen 10 bis 15 Minuten einschlafen können, ist schon entgegenzuhalten, dass die vom Verteidiger zugrunde gelegte Einlassung des Angeklagten zum Zeitraum zwischen der Verabschiedung der Zeugen T und der Abgabe des Warnschusses, wie vorstehend dargelegt worden ist, schon sachlich nicht zutrifft. Die auszugsweise Verlesung des rechtsmedizinischen Gutachtens des Priv. Doz. Dr. A vom 06.01.06 hat im übrigen ergeben, dass die dem Zeugen I² im Krankenhaus entnommene zweite Blutprobe ein Kokainabbauprodukt enthielt. Der hierzu ergänzend vernommene Sachverständige Dr. S² hat unter Darlegung im einzelnen ausgeführt, dass die Einnahme des Kokains wohl schon längere Zeit zuvor und möglicherweise schon in der Nacht erfolgt sei, weil lediglich das Abbauprodukt nachgewiesen worden sei. Es sei prinzipiell nicht möglich, wissenschaftlich begründete Aussagen zu machen, ob und wann nach dem Genuss von Alkohol und Kokain dem Betreffenden das Einschlafen möglich sei. Die Reaktion auf den Konsum hänge sehr von der Konstitution des Betreffenden im Einnahmezeitpunkt und einer Reihe anderer Faktoren ab, so dass ihm eine Festlegung nicht möglich sei. Die Kammer hat gleichwohl der Anregung des Verteidigers folgend ein toxikologisches Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin D vom 29.06.06 den Getöteten betreffend eingeholt, das zum Ergebnis hatte, dass in Mageninhalt, Urin, Blut und Leber keine Rauschgifte bzw. relevante Arzneimittel nachgewiesen wurden. Die Einwendungen des Verteidigers greifen danach nicht durch.
69Hinsichtlich der Einzelheiten des Geschehens, von der Abgabe des Warnschusses bis zum Schießen auf I² und I, ist die Kammer im wesentlichen der Aussage des Zeugen N² hierzu gefolgt. Der Zeuge hat – mit fortschreitender Befragung in seiner Erinnerung immer sicherer werdend – bekundet, dass er überraschend durch einen Schuss wach geworden sei. Der Angeklagte habe mit der Pistole in der Hand im Sessel auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches gesessen. Er habe damit geprahlt, dass er ein Loch in die Wand geschossen habe. I² auf dem Klappbett in der Küche und I auf der Schlafcouch hätten allenfalls die Augen aufgemacht, hätten aber sofort weitergeschlafen. Auch I habe nichts gesagt. Auf seine Frage an den Angeklagten, was er mache, habe dieser erwidert, dass er das gleich sehen werde. Er - der Zeuge - sei gleich aufgestanden. Er habe das Loch in der Wand gesehen. Der Angeklagte habe ihm eine Frist – er meine, es sei eine halbe Stunde gewesen, er könne aber auch gesagt haben "bis halb" – genannt, binnen derer die anderen aufstehen sollten. Wenn sie bis dahin nicht aufgestanden seien, werde er die anderen abknallen. Wenn er – der Zeuge – keine Schwierigkeiten haben wolle, solle er lieber verschwinden. Er habe das nicht ernst genommen. Er sei ins Bad gegangen und habe sich anschließend zur Schlafcouch zurückbegeben. Er wisse nicht, ob er dann die ganze Zeit wachgeblieben sei. Er habe den Angeklagten dann zur Küche gehen und dort schießen sehen, wobei er ihm – dem Zeugen – die Körperseite zugewendet habe. Der Angeklagte habe zuvor mit der Waffe auf I² gezielt. I² habe gelegen, als ob er schlafe. Der Angeklagte habe vorher nichts gesagt. I² sei – er könne das nicht beschreiben – mit dem Bett zusammengerollt. Er – der Zeuge – sei schockiert gewesen und sofort zur Küche gegangen. Der Angeklagte sei an ihm vorbei zurück ins Wohnzimmer gegangen. I habe sich auf der Couch gedreht, aber nicht aufgerichtet. Der Angeklagte habe sich an die Schlafcouch gestellt, mit der Waffe einen Moment auf I gezielt und dann geschossen. Gesagt habe er nichts dabei. Danach habe der Angeklagte ihn aufgefordert, mit den beiden zu verschwinden. Er habe ihm – dem Zeugen – außerdem etwas in der Art gesagt, dass er – der Zeuge – damit nichts zu tun habe. Als der Angeklagte geschossen habe, seien I² und er noch in der Küche gewesen.
70Der Zeuge I² hat u.a. bekundet, von einem Warnschuss habe er nichts mitbekommen. Er sei durch einen Knall und seine Verletzung wach geworden. Er habe den Angeklagten neben seinem Klappbett stehen sehen und er habe Feuer gesehen und insgesamt zwei Schüsse gehört. Er sei zweimal getroffen worden und habe schließlich auch zwei Wunden. Er sei vom Klappbett gefallen. Davon, dass der Angeklagte auf seinen Bruder geschossen habe, habe er nichts mitbekommen. Er habe erst im Krankenhaus von dessen Tod erfahren.
71Die Aussagen der Zeugen N² und I² – des letzteren, soweit er überhaupt etwas mitbekommen hat und mit Ausnahme seiner irrigen Vorstellung, von zwei Schüssen getroffen worden zu sein – sind der Kammer glaubhaft erschienen. Die Aussage des Zeugen N² ist in sich schlüssig und nachvollziehbar. Das gilt auch hinsichtlich seiner Angabe, dass er geglaubt habe, der Angeklagte mache einen Scherz, und dessen Aufforderung nicht ernst genommen habe. Es ist vorstehend bereits einmal ausgeführt worden, dass der Angeklagte seinen Zorn zuvor nicht zu erkennen gegeben, sondern sich unauffällig verhalten hatte. Wenn die Spannung zwischen den Brüdern und dem Angeklagten und seiner Partnerin dem Zeugen auch nicht verborgen geblieben sein kann, so hatte er mit dieser Auseinandersetzung doch nichts zu tun, sondern wurde im weiteren Verlauf davon ausdrücklich ausgenommen. Außerdem waren seit dem Weggang der Zeugen T 3 Stunden vergangen. Auch insoweit ist der Kammer entscheidend erschienen, dass der Zeuge N² sich nicht anders verhielt als vorher.
72Für die grundsätzliche Richtigkeit seiner Schilderung spricht auch, dass die Einlassung des Angeklagten in mehreren Punkten Ungereimtheiten aufweist, die Rückschlüsse darauf zulassen, dass die Aussage des Zeugen im Kern richtig ist. So fällt beispielsweise auf, dass der Angeklagte keinerlei Reaktion der Beteiligten, die nach seiner Behauptung doch wach waren, auf das Holen und Halten der Waffe vor dem Warnschuss geschildert hat. Der Angeklagte hat sich nach seiner eigenen Angabe nach der Abgabe des Warnschusses lediglich mit dem Zeugen N² unterhalten, aber nur eine einzige Äußerung des I behauptet und überhaupt keine Reaktion des I² genannt. Wenn die anderen wach gewesen wären, so wäre zu erwarten gewesen, dass sich der Angeklagte direkt an I² und I gewandt hätte, um die es ihm schließlich ging. Gegen die Richtigkeit der Aussage des Zeugen N² spricht umgekehrt nicht, dass die Kammer für möglich hält, dass I kurz aufwachte und äußerte, dass der Angeklagte ihn ruhig in den "Arsch" schießen könne, denn insoweit erscheint möglich, dass die Äußerung erfolgte, als der Zeuge N² zum Bad ging.
73Die Aussage des Zeugen weist schließlich im Vergleich mit dem Inhalt seiner damaligen Beschuldigtenvernehmung keine Abweichungen im Kerngeschehen auf, die nicht mit Verblassen der Erinnerung erklärbar wären. Auch die Aussage des Zeugen I² zum Verletzungsgeschehen erscheint der Kammer glaubhaft. Sie ist insbesondere deshalb plausibel, weil nachzuvollziehen ist, dass der Zeuge aufgrund seiner Verletzung von dem Geschehen nur wenig mitbekommen hat. Danach hat die Kammer dem Zeugen insoweit Glauben geschenkt, als er bekundet hat, durch einen Knall und die Verletzung wach geworden zu sein.
74Bei dieser Würdigung der Aussagen der Zeugen N² und I² hat die Kammer nicht verkannt, dass beide Zeugen zum Eintreiben des Restbetrages beim Zeugen L³ und zum Vortatgeschehen am Sonntag teils unrichtige Angaben gemacht, teils die Auskünfte verweigert und teils Ausflüchte vorgebracht haben.
75Angesichts der für die Richtigkeit der Angaben zum Kerngeschehen sprechenden Umstände hat die Kammer dem jedoch kein entscheidendes Gewicht beigemessen.
76I² und I waren, weil sie nicht mit einem Angriff gegen Leib und Leben rechneten, als sie sich schlafen legten, in der konkreten Tatsituation hilflos dem Angriff des Angeklagten ausgesetzt.
77Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte dies in der konkreten Tatsituation zur Begehung der Tat auch ausnutzen wollte, indem er schnell nacheinander gegen beide vorging, damit nicht etwa das zweite Opfer erwachte und sich wehren oder flüchten konnte.
78Angesichts dessen, dass sich auch dies zur Verwirklichung des Tatgeschehens ohne weiteres aufdrängte, und der Angeklagte auch dementsprechend handelte, steht dies für die Kammer auch dann außer Zweifel, falls sich der Angeklagte erst unmittelbar vor Ablauf der Frist entschloss, die Pistole gegen die beiden Männer einzusetzen.
79Die Kammer ist schließlich aufgrund der Gesamtumstände und aufgrund des Umstands, dass sich der Angeklagte bei den polizeilichen Vernehmungen darauf selbst nicht berufen hat, der Überzeugung, dass der Angeklagte den möglicherweise todbringenden Einsatz der Waffe nicht für erlaubt hielt.
80Die Feststellungen zur Todesursache betr. I beruhen auf den Ausführungen des hierzu als Sachverständigen vernommenen Arztes für Rechtsmedizin Dr. A.
81Die Feststellungen bzgl. der Verletzung des Zeugen I² und zu seiner stationären Behandlung beruhen auf den Ausführungen des als Sachverständigen vernommenen Oberarztes A², der auf Nachfrage nachvollziehbar dargelegt hat, dass es nur dem Zufall zuzuschreiben und als Glück des Zeugen zu bezeichnen sei, dass das Geschoss nicht das Geschlechtsteil, große Gefäße im Becken, deren Zerreißen ein schnelles Verbluten des Getroffenen zur Folge haben könne, oder die Wirbelsäule getroffen habe.
82V.
83Rechtliche Würdigung und Schuldfähigkeit
84Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte den Tatbestand des Mordes gem. § 211 StGB unter Verwirklichung des Mordmerkmals ‚Heimtücke’ zum Nachteil des I und tatmehrheitlich (§53 StGB) den der gefährlichen Körperverletzung mittels einer Waffe und lebensgefährdender Behandlung gem. §§ 224 Abs.1 Nr.2 und 5, 223 StGB zum Nachteil des Zeugen I² verwirklicht. Bezüglich des Mordmerkmals kann dabei dahinstehen, ob einer in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretenen normativen Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Fälle berechtigter Arglosigkeit zu folgen ist. Denn die Brüder mussten, als sie sich schlafen legten oder auch bezüglich des I im Falle kurzen Erwachens und Weiterschlafens nicht mit einem Angriff gegen Leib und Leben während des Schlafs rechnen.
85Hinsichtlich der zweiten Tat handelte der Angeklagte zwar auch mit – bedingtem – Tötungsvorsatz. Von diesem Versuch ist er jedoch strafbefreiend zurückgetreten, was die Verwirklichung des Tatbestandes der gefährlichen Körperverletzung unberührt lässt.
86Der Angeklagte handelte in beiden Fällen rechtswidrig.
87Zwar war eine andauernde Rechtsgutverletzung, nämlich eine Missachtung seines Hausrechts, seitens des Zeugen I² und des I gegeben, gegen die ihm grundsätzlich ein Notwehrrecht zustand. Der Angeklagte handelte aber nicht zur Verteidigung dieses Rechtsguts, sondern zur Vergeltung der seiner Partnerin zugefügten Beleidigungen, also nicht mit Verteidigungswillen.
88Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, inwieweit diese Beleidigungen ein ihm zustehendes Rechtsgut verletzt hatten bzw. inwieweit er zur Nothilfe berechtigt gewesen war. Zum Zeitpunkt seines Handelns waren diese Angriffe abgeschlossen. Ihre Wiederholung stand angesichts dessen, dass I² und I schliefen, auch nicht unmittelbar bevor. Auf Notwehr kann sich der Angeklagte nicht berufen.
89Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten war bezüglich beider Taten uneingeschränkt gegeben. Unrechtseinsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten waren zum Zeitpunkt der Taten weder aufgehoben noch erheblich vermindert i.S. der §§ 20,21 StGB.
90Die Kammer hat hierzu die Fachärztin für Psychiatrie und Pschyotherapie Fr. Dr. N³ als Sachverständige vernommen, die den Angeklagten bereits während des Ermittlungsverfahrens am 28.11.2005 und 08.12.2005 exploriert und an der Hauptverhandlung teilgenommen hat, als der Angeklagte sich zu Beginn des Verfahrens umfassend zur Sache geäußert hat.
91Die Sachverständige hat im einzelnen ausgeführt, dass der Angeklagte keine zeitstabile krankhafte seelische Störung aufweise. Er leide weder unter einer endogenen Psychose noch unter einer hirnorganischen oder anderen psychischen Erkrankung. Insbesondere sei auch eine hirntraumatische Folge aufgrund des geschilderten Überfalls im Jahre 2002, bei dem er einen Schlag gegen den Kopf erhalten habe, auszuschließen. Der psychische Befund sei bei beiden Untersuchungen regelrecht gewesen. Das von ihr eingeholte testpsychologische Zusatzgutachten, das den Angeklagten als negativ, unzufrieden, leicht kränkbar, dominant-aggressiv bei geringer Frustrationstoleranz beschreibe, habe keinen Anlass zu weiterer Aufklärung gegeben. Hinweise auf das Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit hätten sich bei der Untersuchung nicht ergeben, so dass auch eine solche auszuschließen sei. Die Voraussetzungen für die Annahme einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung lägen ebenfalls nicht vor. Wenn der Vorwurf zutreffe, habe der Angeklagte die Tatsituation aktiv und dem Tatentschluss entsprechend gestaltet. Er habe keine Erinnerungsstörungen geltend gemacht. Seine Introspektionsfähigkeit sei erhalten gewesen. Sie habe auch keine situativen Wahrnehmungsstörungen gefunden. Der Angeklagte habe sich mit der Situation im Rahmen des Tatgeschehens durchgängig reflexiv auseinandergesetzt. Schließlich sei es auch nicht zu einer anschließenden schweren Erschütterung bzw. einem stuporösen Zustand gekommen.
92Zur aktuellen Intoxikation während der Tat sei zu sagen, dass der Angeklagte seit langem kontrollierten Alkoholmissbrauch betriebe, der jedoch nicht zur Entwicklung einer Abhängigkeit geführt habe.
93Die sich bei Rückrechnung ergebende Alkoholkonzentration im Bereich von 1,5 o/oo habe bei dem alkoholgewöhnten Angeklagten allenfalls zu einer leichten Enthemmung geführt. Eine relevante Wechselwirkung zwischen dem konsumierten Alkohol und den Medikamenten gegen Bluthochdruck und Grippe sei angesichts der vorhandenen komplexen Erinnerung an den Ablauf des Tatgeschehens und des Fehlens von Störungen im Gefühlsleben während des Tatvorgeschehens und Tatgeschehens auszuschließen. Es liege danach kein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB vor.
94Diesen im einzelnen auch weiter begründeten Ausführungen hat sich die Kammer nach eigener Prüfung in vollem Umfang angeschlossen.
95VI.
96Strafzumessung
97Wegen des Mordes an I hat der Angeklagte die lebenslange Freiheitsstrafe, die § 211 Abs.1 StGB grundsätzlich als einzige Sanktion für erwachsene voll verantwortliche Täter vorsieht, als Einzelstrafe verwirkt.
98Angesichts dessen, dass die Besucher schliefen und mit ihrem anschließenden Aufbruch nach Polen zu rechnen war, befand sich der Angeklagte auch nicht in einer notstandsnahen, ausweglosen Situation, die ein ausnahmsweises Absehen vom gesetzlichen Strafrahmen ermöglichte.
99Bei der Strafzumessung bezüglich der Tat zum Nachteil des Zeugen I² hat sich die Kammer von folgenden Erwägungen leiten lassen:
100Zu Lasten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass er strafrechtlich, wenn auch wegen Taten geringeren Gewichts, bereits in Erscheinung getreten ist. Der Angeklagte hat den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung in zwei Varianten, nämlich mittels einer Waffe und mittels einer lebensgefährdenden Behandlung, verwirklicht. Er ist weiter dafür verantwortlich, dass der Zeuge I² eine größere Narbe zurückbehalten hat, bzgl. derer auch ein Risiko späterer Komplikationen besteht.
101Zugunsten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass er sich – bei lebensnaher Betrachtung – selbst gestellt und ein Teilgeständnis abgelegt hat. Er ist durch Untersuchungshaft beeindruckt und Erstverbüßer.
102Ganz erheblich hatte sich zu seinen Gunsten auszuwirken, dass ihn die Kränkungen und Demütigungen gegenüber seiner Partnerin zur Tat veranlasst haben. Eine leichte alkoholische Enthemmung ist nicht auszuschließen. Bei Abwägung aller Strafzumessungsgesichtspunkte ergibt sich kein solches Übergewicht der schuldmindernden Faktoren, dass eine Einordnung als minder schwerer Fall in Betracht käme.
103Die Kammer hat unter Zugrundelegung des Normalstrafrahmens nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände auf eine Freiheitsstrafe von
104vier Jahren
105als Einzelstrafe erkannt.
106Beide Einzelstrafen waren gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf
107lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
108zurückzuführen.
109Eine Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gem. § 57 a Abs.1 Nr. 2 StGB kam vorliegend nicht in Betracht, weil die schuldsteigernden Umstände durch schuldmindernde Umstände von erheblichem Gewicht ausgeglichen werden.
110VII.
111Kostenentscheidung
112Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 472 StPO.
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Referenzen
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