Urteil vom Landgericht Dortmund - 13 O 66/05
Tenor
Die Klage ist zulässig.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin versorgt in Ostwestfalen-Lippe und in Südniedersachsen länderübergreifend Haushalte, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft mit Strom, Erdgas, Trinkwasser und Wärme.
3Die Beklagten beziehen als Tarifkunden bei der Klägerin Erdgas für ihre Haushalte.
4Die Klägerin erhöhte im Jahr 2004 die Preise für die Versorgung mit Erdgas und Wärme. Ihre Kunden, so auch die Beklagten, erfuhren hiervon durch Presse oder durch Schreiben der Klägerin. Sie erhoben schriftlich zum Teil mit von Verbraucherschützern oder Bürgerinitiativen zur Verfügung gestellten Formschreiben Widerspruch unter Berufung auf § 315 BGB.
5Die Klägerin übersandte ihren Kunden, so auch den Beklagten, Anfang Januar 2005 die Jahresrechnung 2004 mit der Festsetzung von Abschlagszahlungen. Die Beklagten und eine Vielzahl anderer Kunden der Klägerin zahlten auf die Rechnung nicht oder nicht in voller Höhe und widerriefen die erteilten Einzugsermächtigungen ganz oder teilweise. Die Klägerin mahnte vergeblich mit Schreiben vom 22.04.2005.
6Sie verlangt mit der im Juni 2005 zunächst gegen 24 Beklagte erhobenen Klage Zahlung der Erhöhungsbeträge für die Zeit vom 01.10.2004 bis 30.04.2005. Sie nahm die Klage gegen vier Beklagte wegen Forderungsausgleichs zurück und reduzierte die Klageforderung gegen die verbleibenden Beklagten wegen Abrechnungskorrekturen um Beträge zwischen 0,13 und 3,00 €.
7Gegen vier anwaltlich nicht vertretende Beklagte wurde das Verfahren abgetrennt. In den abgetrennten Verfahren ergingen antragsgemäß Versäumnisurteile, die mittlerweile rechtskräftig sind.
8Die Klägerin übermittelte in der Folge den Beklagten die Jahresabrechnung für 2005. Sie errechnete Guthaben für vier Beklagte und erklärte insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die betreffenden Beklagten haben sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen. Sie verlangen im Wege der Widerklage Rückzahlung einbehaltener Beträge. Hinsichtlich eines weiteren Beklagten hat die Klägerin den Rechtsstreit teilweise für erledigt erklärt. Auch dieser Beklagte hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.
9Die Klägerin verlangt von den Beklagten als Streitgenossen Zahlung von insgesamt noch 4.590,73 € (Einzelbeträge von 109,23 bis 897,04 €). Soweit sich die Beklagten der Erledigungserklärung nicht angeschlossen haben, begehrt sie Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Die Beklagten bestreiten eine Berechtigung der Klägerin zur Gaspreiserhöhung nicht nur für den Zeitraum der streitgegenständlichen Forderung, sondern für die Zeit vom 01.01.2003 bis zum 31.07.2006 sowie zur klageweisen Geltendmachung einer Forderung vor der Kammer für Handelssachen als Kartellgericht.
10Die Klägerin hält die Zuständigkeit der von ihr angerufenen Kammer für Handelssachen als Kartellgericht nach § 87 Abs. 1 Satz 2 GWB für gegeben. Das Vorbringen der Beklagten sei der unverhohlene Vorwurf des Missbrauchs wirtschaftlicher Marktmacht und werfe die kartellrechtliche Vorfrage auf, ob die hier streitige Preiserhöhung wegen Verstoßes gegen §§ 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB gemäß § 134 BGB unwirksam sei. Angesichts der heutigen Ausgestaltung der §§ 19, 33 GWB als von jedermann, auch einem Verbraucher, unmittelbar geltend zu machender Norm sei eine Berufung auf § 315 BGB ausgeschlossen. Die unterschiedliche Schutzrichtung des Kartellrechts und des Zivilrechts stehe nicht entgegen, da in einer Konstellation wie der vorliegenden sich die Schutzzwecke des GWB und des § 315 Abs. 3 BGB überschnitten. Ohnehin gebe die speziellere Norm des § 19 GWB dem Verbraucher einen weitergehenden Schutz als ihm die Billigkeitskontrolle nach § 315 GWB je bieten könne, da der Spielraum im Rahmen des § 315 Abs. 3 BGB höher als der Erheblichkeitszuschlag des § 19 Abs. 4 NR. 2 GWB sei. Das Kartellgericht sei aber auch dann zuständig, wenn man einen grundsätzlichen Vorrang des § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB vor § 315 Abs. 3 BGB verneinen wolle. Die Prüfung nach beiden Vorschriften führe regelmäßig zu demselben Ergebnis. Angesichtsdessen sei das Gericht auf Grundlage verfassungsrechtlicher Vorgaben verpflichtet, den Prüfungsmaßstab heranzuziehen, der zu den geringeren Eingriffen in verfassungsrechtlich geschützte Rechte der Parteien führt. Dies sei die Spezialnorm des § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB zumindest dann, wenn, wie von den Beklagten zu Unrecht angenommen, § 315 Abs. 3 BGB eine Offenlegung der Kalkulation verlange und damit in gravierender Weise in das verfassungsrechtlich geschützte Interesse eines Gasversorgungsunternehmens an der Geheimhaltung seiner Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse eingreife.
11Wegen §§ 95 Abs. 1 GVG, 87 Abs. 1 GWB müsse, damit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters nach Artikel 100 GG entsprochen werde, der Rechtsstreit durch die Kammer für Handelssachen entschieden werden. Dieser dafür die fachliche Kompetenz abzusprechen, sei nicht nur fachlich gewagt, sondern ignoriere den Willen des Gesetzgebers, den Kammern für Handelssachen zahlreiche, komplexe zivil- und kartellrechtliche Rechtsstreitigkeiten zur Entscheidung zu übertragen und übersehe die Gleichwertigkeit der Gerichte, einen maßgeblichen Grundsatz geltenden Prozessrechts.
12Da sie eine homogene Gruppe von Kunden für die Klageerhebung ausgewählt habe, könne ihr auch nicht vorgeworfen werfen, nur einen Teil der Zahlung verweigernden Kunden verklagt zu haben.
13Die Beklagten halten gerade dies für die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage von Bedeutung. Sie meinen zudem, die Zuständigkeit der von der Klägerin erkennbar bewusst gewählten Kammer für Handelssachen sei nicht gegeben. Eine kartellrechtliche Angelegenheit liege nicht vor. Es sei herrschende Meinung und verbindliche Rechtsauslegung, dass die Regelung des § 315 BGB mit der zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle bei einseitig diktierten Forderungen einen vollkommen eigenen, vom Kartellrecht völlig unabhängigen Maßstab eröffnet, ohne dass dabei kartellrechtliche Vorfragen zu klären seien. Sie halten die Qualifikation der angerufenen Kammer für Handelssachen für nicht ausreichend, da es sich ausschließlich um eine nach den Maßstäben des Zivilrechts zu beurteilende Zahlungsklage handele und es nicht entscheidend um kaufmännische Sachkunde ginge. Ihnen stehe deswegen aus grundgesetzlicher Rechtsweggarantie ein mit drei Berufsrichtern besetztes Gericht zu.
14Die Beklagten haben zunächst beantragt, durch Vorabentscheidung den von der Klägerin beschrittenen Rechtsweg für unzulässig zu erklären und die Klage an das sachlich und örtlich zuständige Gericht zu verweisen. Sie haben hilfsweise die für die Verhandlung vom 06.04.2006 nach der kammerinternen Geschäftsverteilung herangezogenen Handelsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Dem Befangenheitsgesuch wurde mit Beschluss der Kammer vom 17.08.2006 stattgegeben.
15Mit Beschluss der Vorsitzenden vom 08.09.2006 wurde abgesonderte Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage abgeordnet.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Die Klage ist zulässig.
18Der Rechtsweg zum angerufenen Gericht ist eröffnet. Die Kammer ist als Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit gemäß § 13 GVG zur Entscheidung von Zivilrechtssachen berufen. Hierzu gehören auch Kartellzivilrechtsstreitigkeiten. Einen besonderen Rechtsweg hierfür gibt es nicht. Auch die Beklagten haben dies erkannt und verfolgen den Antrag auf Vorabentscheidung nach § 17 Abs. 3 GVG nicht mehr.
19Die übrigen Zuständigkeitsrügen der Beklagten sind ebenfalls nicht begründet. Die örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit der Kammer ist gegeben. Sie ergibt sich aus § 87 Abs. 1 Satz 3 Abs. 2 GWB in Verbindung mit der VO-NW über die Bildung gemeinsamer Kartellgerichte vom 02.11.1999. Danach sind Landgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zuständig, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung, die nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu treffen sind, abhängt. Dies ist hier der Fall. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Beantwortung kartellrechtlicher Vorfragen ab. Schon die von der Klägerin behauptete Vorrangigkeit einer Preismissbrauchsprüfung nach § 19 GWB ist eine solche kartellrechtliche Vorfrage. Die in Literatur und Rechtsprechung kontrovers diskutierte und entschiedene Frage, in welchem Verhältnis kartellrechtliches Missbrauchsverbot und Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB, da vom Schutzzweck verschieden, aber im Ergebnis zu gleichen Ergebnissen führend, zueinander stehen, erfordern nach dem GWB zu treffende Entscheidungen und sind damit kartellrechtliche Vorfragen im Sinne von § 87 Abs. 1 Satz 2 GWB. Wie die Frage letztlich zu beantworten ist, kann dahinstehen. Allein die Notwendigkeit der Prüfung einer kartellrechtlichen Vorfrage begründet die Sonderzuständigkeit des Kartellgerichts.
20Zur gerichtlichen Überprüfung steht aufgrund konkreten Tatsachenvortrags beider Parteien zudem die Frage, ob eine Preiserhöhung durch die Klägerin wegen eines Kartellrechtsverstoßes im Sinne von § 19 Abs. 1 Abs. 4 GWB nach § 134 BGB unwirksam ist. Ob die Beklagten eine solche Überprüfung wünschen, ist ohne Belang. Die Rechtslage ist im Zivilprozess unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen, wenn entsprechender Sachvortrag zumindest einer der Parteien vorliegt. Die Parteien können durch Beschränkung des Tatsachenvortrags die rechtliche Bewertung durch das Gericht beeinflussen und gegebenenfalls auch beschränken. Es ist ihnen jedoch nicht möglich, das Gericht in der rechtlichen Bewertung des vorgebrachten Sachverhalts zu beschränken.
21Die angerufene Kammer für Handelssachen ist zuständig. Kartellrechtsstreitigkeiten sind geborene Handelssachen gemäß § 87 Abs. 2 GWB. Die von den Beklagten geäußerten Bedenken gegen die Kompetenz einer mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzten Kammer für Handelssachen zur Entscheidung von Zivilrechtsverfahren teilt der Gesetzgeber erkennbar nicht, wie die ausdrückliche Qualifizierung von Kartellrechtsstreitigkeiten als Handelssachen gemäß § 87 Abs. 2 GWB und die gleiches Stimmrecht für alle Mitglieder der Kammer für Handelssachen anordnende Regelung in § 105 Abs. 2 GVG zeigen. Auch sieht der Landesgesetzgeber bis heute keine Veranlassung, die Entscheidung, dem Landgericht Dortmund die Sonderzuständigkeit für eine Entscheidung von Kartellrechtsstreitigkeiten zuzuweisen, zu revidieren. Angesichts dieser eindeutigen gesetzgeberischen Vorgaben besteht keine Veranlassung, sich im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung mit den allerdings nach Inhalt und Diktion bemerkenswerten Ausführungen der Beklagten bzw. ihres anwaltlichen Vertreters inhaltlich auseinander zu setzen.
22Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Leistungsklage ist gegeben. Die Klägerin ist angesichts der Zahlungsverweigerung der Beklagten auf gerichtliche Geltendmachung angewiesen. Sie verfolgt mit der Zahlungsklage finanzielle und damit schutzwürdige Interessen. Anhaltspunkte für ein schikanöses Verhalten der Klägerin werden von den Beklagten nicht dargetan und sind auch nicht ersichtlich. Die bloße Tatsache, dass die Klägerin andere Kunden, die ebenfalls Zahlung unter Berufung auf § 315 BGB verweigern, nicht gerichtlich in Anspruch nimmt, ist dafür nicht ausreichend. Eine allgemeine vertragliche oder gesetzliche Verpflichtung zur Geltendmachung von Zahlungsansprüchen besteht nicht. Auch die Klägerin ist zunächst frei in ihrer Entscheidung, ob und gegebenenfalls welchen ihrer Vertragspartner sie gerichtlich auf Leistung in Anspruch nehmen will. Ein freiwilliger Verzicht auf gerichtliche Durchsetzung von Forderungen - allerdings nur berechtigter - mag im Rahmen einer Missbauchs- oder Billigkeitsüberprüfung von Bedeutung sein. Dies ist aber allein eine Frage materiellen Rechts. Für die Klagbarkeit des behaupteten Anspruchs ist sie ohne jede Relevanz.
23Die Kostenentscheidung verbleibt dem Endurteil.
24Die Berufung wird zugelassen gemäß § 511 Abs. 4 ZPO. Die Zuständigkeitsfrage ist klärungsbedürftig und erfordert, wie die von den
25Parteien vorgelegten Entscheidungen zeigen, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.