Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 116/06
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.774,50 € (i. B.: sechstausendsiebenhundertvierundsiebzig 50/100 EURO) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basis-zinssatz aus jeweils 1.354,94 € seit dem 02.12.2005, 02.01.2006, 02.02.2006, 02.03.2006 und 02.04.2006 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 674,54 € (i. B.: sechshundertvierundsiebzig 54/100 EURO) zu zahlen.
Der Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger beginnend mit dem 01.05.2006 monatlich im Voraus 1.277,50 € (i. B.: eintau-sendzweihundertsiebenundsiebzig 50/100 EURO) zu zahlen, und zwar im Falle fortdauernder bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit des Klägers, längstens aber bis zum 01.09.2029.
Es wird festgestellt, dass die seitens des Klägers bei dem Beklag-ten zur Versicherungsnummer ####### genommene Kapitalversi-cherung nebst Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ab dem 01.05.2006 beitragsfrei ist, und zwar im Falle fortdauernder bedin-gungsgemäßer Berufsunfähigkeit des Klägers.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 63.067,92 € der Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger nahm bei dem Beklagten im Jahre 2001 eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung auf Basis einer Kapitalversicherung. Versichert sind für den Fall der Berufsunfähigkeit des Klägers Beitragsbefreiung von Haupt- und Zusatzversicherung in Höhe von monatlich 77,44 € sowie eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.277,50 €. Wegen der Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen wird auf den in Ablichtung bei den Gerichtsakten befindlichen Versicherungsschein vom 17.09.2001 (Bl. 8 ff. d. A.) sowie das geltende Bedingungswerk (Bl. 16 ff. d. A.) Bezug genommen.
3Der Kläger, der zuletzt den Beruf eines Triebfahrzeugführers im Nahverkehr ausübte, verunfallte am 04.07.2004 und zog sich unfallbedingt u. a. einen komplizierten Bruch des rechten Fußgelenkes zu, der mehrfach operativ versorgt wurde.
4Nachdem der Kläger gegenüber dem Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltend gemacht hatte, anerkannte der Beklagte mit Schreiben vom 02.09.2005 (Bl. 27 d. A.) seine Leistungspflicht ab dem 01.08.2004 und zahlte in der Folgezeit bis November 2005 die bedungene Berufsunfähigkeitsrente an den Kläger.
5Der Kläger hatte im Rahmen der Antragstellung seine berufliche Tätigkeit gegenüber dem Beklagten wie folgt beschrieben: "Eisenbahn fahren und rangieren, bei betrieblichen Störungen das Fahrzeug in unbefestigtem Gelände (Schotter, sehr hohe Stufen) verlassen." (Anlage B5 zum Schriftsatz vom 22.05.2006).
6In einem ärztlichen Entlassungsbericht Dr. med. N pp. vom 29.07.2005 war dem Kläger attestiert worden, dass er aus einer Rehabilitationsmaßnahme am 20.07.2005 arbeitsunfähig entlassen worden sei und unter Fortsetzung von geeigneten Anwendungen eine Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit für 6 Stunden und mehr in seinem zuletzt ausgeübten Beruf und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erwarten sei, so-
7fern körperlich schwere Arbeiten sowie Tätigkeiten, die mit einer erhöhten Unfallgefahr einhergingen, z. B. das Besteigen von Leitern und Gerüsten, umgangen würden. Wegen der weiteren Einzelheiten der ärztlichen Feststellungen Dr. med. N pp. wird auf den in Ablichtung bei den Gerichtsakten befindlichen ärztlichen Entlassungsbericht vom 29.07.2005 (Anlage B6 zum Schriftsatz vom 22.05.2006) verwiesen.
8Am 11.10.2005 erfolgte eine bahnärztliche Untersuchung des Klägers durch Frau Dr. med. O , die am selben Tag Tauglichkeitsgutachten betreffend den Kläger vorlegte, nach dem der Kläger "tauglich mit Bedingungen" sei. Insoweit ist in dem Tauglichkeitsgutachten (Bl. 29 d. A.) u. a. weiter ausgeführt: "Laufen im Schotterbett sollte vermieden werden; nicht tauglich für Kuppeln/Rangieren; keine schweren körperlichen Arbeiten."
9Der Kläger informierte den Beklagten am 11.10.2005 telefonisch, dass er ab dem 17.10.2005 versuchen werde, seine bisherige berufliche Tätigkeit wieder aufzunehmen. Dies nahm der Beklagte zum Anlass, mit Schreiben vom 11.10.2005 die Einstellung von Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zum 01.12.2005 anzukündigen. Der Kläger trat dem mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 23.12.2005 entgegen und forderte den Beklagten zugleich auf, seine ablehnende Entscheidung vom 11.10.2005 zurückzunehmen. Bereits ab dem 09.11.2005 bis fortdauernd war der Kläger nach zwischenzeitlichem Arbeitsversuch wieder arbeitsunfähig erkrankt.
10Der Beklagte hielt mit Schreiben vom 29.12.2005, wegen dessen Einzelheiten auf die bei den Gerichtsakten befindliche Ablichtung (Bl. 33 d. A.) Bezug genommen wird, an seiner Leistungsentscheidung fest. Hierbei verwies der Beklagte darauf, dass seinem Anerkenntnis vom 02.09.2005 der ärztliche Entlassungsbericht vom 29.07.2005 zu Grunde gelegen, dessen positive Prognose sich nach dem Tauglichkeitsgutachten vom 11.10.2005 als zutreffend erwiesen habe. Er verwies zudem auf einen dem Schreiben beigefügten ärztlichen Bericht vom 08.09.2005, nach dem Arbeitsfähigkeit für Ende September prognostiziert werde.
11Mit seiner Klage begehrt der Kläger rückständige Renten und geleistete Beiträge für die Monate Dezember 2005 bis April 2006 sowie nicht anrechenbare vorgerichtliche Kosten für die Inanspruchnahme seines jetzigen Prozessbevollmächtigten nach einem Streitwert von 65.000,00 €. Ferner begehrt er ab Mai 2006 monatliche Rentenleistungen in Höhe von 1.278,23 € und Feststellung der Befreiung von der Beitragspflicht für Haupt- und Zusatzversicherung.
12Der Kläger behauptet, es läge nach wie vor bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vor. Die Prognose vom 29.07.2005 habe sich als unzutreffend erwiesen.
13Der Kläger beantragt,
141.) den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.778,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 1.355,72 € seit dem 01.12.2005, 01.01.2006, 01.02.2006, 01.03.2006 und 01.04.2006 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 674,54 € zu zahlen;
152.) den Beklagten ferner zu verurteilen, an ihn monatlich im Voraus, beginnend mit dem 01.05.2006, 1.278,23 € zu zahlen;
163.) festzustellen, dass die Versicherung des Klägers bei dem Beklagten – Versicherungsnummer ####### – ab dem 01.05.2006 beitragsfrei ist.
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Er behauptet, ab 17.10.2005 bestünde keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit mehr.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.
21E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
22Die zulässige Klage ist im ausgeurteilten Umfang begründet; im übrigen ist sie unbegründet.
23I.
24Die Voraussetzungen, nach denen der Beklagte im Nachprüfungsverfahren nach § 8 seiner Allgemeinen Bedingungen für Berufsunfähigkeitsleistungen nach anerkannter Leistungspflicht seine Leistungen einstellen kann, liegen im Streitfall nicht vor.
25Sinn und Zweck sowie Ausgestaltung des in § 8 der Allgemeinen Bedingungen des Beklagten für Berufsunfähigkeitsleistungen näher ausgestalteten Nachprüfungsverfahrens ergeben, dass eine Mitteilung des Versicherers, mit welcher eine Leistungseinstellung nach anerkannter Berufsunfähigkeit erfolgt bzw. angekündigt wird, nur wirksam ist, wenn in ihr nachvollziehbar begründet wird, warum die einmal anerkannte Leistungspflicht wieder enden soll (vgl. insoweit BGH, VersR 1998, 173, 174; OLG Hamm, OLG-Report 2004, 59). Maßgebend im Nachprüfungsverfahren ist der Vergleich des Gesundheitszustands, wie ihn der Versicherer seinem Anerkenntnis zugrunde gelegt hat, mit dem Gesundheitszustand zu einem späteren Zeitpunkt. Nachvollziehbarkeit der Versichererentscheidung setzt in der Regel voraus, dass mit ihr diese Vergleichsbetrachtung und die aus ihr abgeleiteten Folgerungen aufgezeigt werden. Hierzu gehört, dass der Versicherer darlegt, dass die Gegenüberstellung der Ergebnisse des Gutachtens zum Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers mit den Feststellungen und Bewertungen, die er seinem Anerkenntnis zu Grunde gelegt hat, eine nach den Versicherungsbedingungen maßgebliche Besserung ergeben hat (vgl. insoweit
26BGH, VersR 2006, 102 = NJW-RR 2006, 171; BGH, VersR 1999, 958 = NJW-RR 1999, 1111; OLG Hamm, NJOZ 2004, 490; OLG Düsseldorf, zfs 1999, 387). Die Mitteilung des Versicherers muss also einen Vergleich des Gesundheitszustandes des Versicherungsnehmers, wie ihn der Versicherer bei seinem Anerkenntnis zugrunde gelegt hat mit dem Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers zu dem späteren Zeitpunkt enthalten und die sich aus dieser Vergleichsbetrachtung ergebenden berufsbezogenen Folgerungen darstellen (vgl. hierzu Rixecker, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, § 46 Rn. 194). Kommt es demgegenüber nicht zu einer diese Voraussetzungen erfüllenden – und damit rechtswirksamen – Mitteilung des Versicherers, so besteht die anerkannte Leistungspflicht auch dann fort, wenn sich die maßgeblichen Umstände derart geändert haben, dass sie den Versicherer zur Leistungseinstellung berechtigt hätten (vgl. BGH, VersR 1996, 958, 959; BGHZ 121, 284 = VersR 1993, 562; VersR 1993, 559; VersR 1993, 470; OLG München, VersR 1997, 95).
27So liegt der Fall auch hier; die Begründung des Beklagten vom 29.12.2005 genügt den an sie zu stellenden Anforderungen nicht:
28Der Beklagte hat nach seiner Begründung vom 29.12.2005 seinem Anerkenntnis vom 02.09.2005 den Entlassungsbericht Dr. med. N pp. vom 29.07.2005 (Anlage B6 zum Schriftsatz vom 22.05.2006) zu Grunde gelegt, in dem das Berufsbild des Klägers hinsichtlich der es prägenden Einzeltätigkeiten in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers gegenüber dem Beklagten (Anlage B5 zum Schriftsatz vom 22.05.2006) wie folgt beschrieben ist:
29"Der Patient arbeite überwiegend im Sitzen, er sei für die Steuerung der Lokomotiven zuständig. Die Haltung könne er wiederholt wechseln. Zusätzlich müsse der Patient vor und nach jeder Fahrt die Lokomotiven überprüfen, er bewege sich dabei auf unebenem Gelände. Körperlich schwere Tätigkeiten, z. B. schweres Heben und Tragen von Lasten führe er am Arbeitsplatz nicht durch. Beim Auftreten von Störfällen müsse der Patient die Lokomotive wiederholt verlassen, er bewege sich dann ebenfalls auf unebenem Gelände (...)"
30Soweit der Beklagte nunmehr trotz der Einschränkungen des Tauglichkeitsgutachtens vom 11.10.2005 (Bl. 29 d. A.), nach denen der Kläger das Laufen im Schotterbett vermeiden solle und nicht tauglich für Kuppeln und Rangieren sei, unter Bezugnahme auf dieses Tauglichkeitsgutachten seine künftige Leistungspflicht mit der Schlussfolgerung verneint, dass diese Tätigkeiten "eher Ausnahmesituationen eines Triebfahrzeugführers darstellen und deshalb nicht einen Berufsunfähigkeitsgrad von mindestens 50 % seiner Teiltätigkeiten medizinisch begründen" könnten, setzt sich der Beklagte in Widerspruch zu dem Berufsbild des Klägers, wie er es seinem Leistungsanerkenntnis vom 02.09.2005 selbst zu Grunde gelegt hat.
31Es bedarf insoweit auch keiner Überprüfung und Entscheidung durch die Kammer, ob der Beklagte dieses Berufsbild vormals zu Recht seinem Anerkenntnis zu Grunde gelegt hat und zu Recht von bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit des Klägers ausgegangen ist. Das Nachprüfungsverfahren darf nämlich nicht dazu führen, Fehleinschätzungen des Versicherers bei Aufnahme seiner Leistung zu korrigieren (vgl. Rixecker, a. a. O., § 46 Rn. 202). Entscheidend ist mithin allein, ob sich der Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers gegenüber dem im Anerkenntnis zugrunde gelegten Zustand entscheidend gebessert hat. Dies hat der Beklagte weder in seinem Schreiben vom 29.12.2005 noch im Prozess hinreichend nachvollziehbar begründet.
32Nach alledem hält die Überprüfung der Nachprüfungsentscheidung des Beklagten auf der Grundlage der Begründung vom 29.12.2005 nicht den an sie zu stellenden materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen stand, so dass der Beklagte weiterhin zur Erbringungen von Leistungen auf der Grundlage seines Anerkenntnisses vom 02.09.2005 verpflichtet ist.
33II.
34Für den Inhalt des Anspruchs gilt folgendes:
351.
36Der Beklagte war gemäß dem Klageantrag zu 1.) lediglich zur Zahlung von 6.774,50 € – nämlich Rente und Beitrag für fünf Monate – zu verurteilen. Eine Monatsrente beträgt nach dem vorgelegten Versicherungsschein vom 17.09.2001 bedingungsgemäß 2.500,00 DM = 1.277,50 € bei einem monatlichen Beitrag von 151,55 DM = 77,44 €. Insgesamt ergeben sich hiernach bis April 2006 rückständige Leistungen in Höhe von 1.277,50 € + 77,44 € x 5 = 6.774,50 €.
37Die insoweit aus einem monatlichen Betrag in Höhe von 1.354,94 € zuerkannten Zinsen rechtfertigen sich unter Verzugsgesichtspunkten aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB, da der Beklagte nach Nichtzahlung der jeweiligen monatlichen Rente am Monatsersten als Fälligkeitstag am jeweils darauffolgenden Tag in Verzug geraten ist.
38Hierneben sind die geltend gemachten Anwaltsgebühren, soweit diese die nach RVG nicht anrechenbaren Kosten für die vorgerichtliche Inanspruchnahme des jetzigen Prozessbevollmächtigten betreffen, in Höhe von 674,54 € unter Verzugsgesichtspunkten zu erstatten. Zwar ist der in der diesbezüglichen Klagebegründung angesetzte Gegenstandswert mit 65.000,00 € zu hoch bemessen. Der nämliche Betrag ergibt sich aber, wenn man – nach Dafürhalten der Kammer zutreffend – den Gegenstandswert gemäß § 9 ZPO nach dem 3,5-fachen Jahresbetrag von Rente und Prämie bemisst, mithin einen Gegenstandswert von 56.909,58 € zu Grunde legt.
392.
40Aus den oben I. genannten Gründen folgt gleichsam, dass der Beklagte im Falle fortdauernder bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit des Klägers auch künftig bis längstens 01.09.2029 zur Erbringung von vorschüssigen Leistungen in Höhe von monatlich 1.277,50 € bei gleichzeitiger Befreiung von der Prämienzahlungsverpflichtung für Haupt- und Zusatzversicherung verpflichtet ist.
41III.
42Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
43Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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