Beschluss vom Landgericht Dortmund - VII Qs 12/06
Tenor
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund vom
20.06.2006 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamm
vom 15.03.2006 wird verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen
Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse
auferlegt.
1
Gründe:
2Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
3Die Kammer teilt insoweit die rechtliche Auffassung des Amtsgerichts, dass
4vorliegend von dem Grundsatz, dass eine Pflichtverteidigerbestellung nicht
5rückwirkend nach Abschluss des Verfahrens erfolgen kann, abzuweichen ist.
6Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die vollumfänglich
7zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug
8genommen. Entscheidend ist vorliegend nicht, dem Verteidiger lediglich einen
9Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen. Die Pflichtvertei-
10digerbestellung erfolgt zwar zur Gewährleistung eines prozessordnungs-
11gemäßen Verfahrens und der wirksamen Verteidigung des Beschuldigten,
12wobei diese Interessenlage nach der Einstellung des Verfahrens nicht mehr
13besteht. Die Vorschriften der Prozessordnung über die notwendige Mitwirkung
14und Beiordnung eines Verteidigers im Strafverfahren stellen sich nach der
15Rechtsprechung des BverfG aber als Konkretisierungen des Rechtsstaats-
16prinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung und des
17aus Art. 6 III c MRK folgenden Rechts des Angeklagten auf wirksame
18Verteidigung dar. Wenn ein Verteidiger befürchten muss, trotz Vorliegens der
19tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung
20gegebenenfalls für Tätigkeiten, die er vor Erhalt des formalen Bestellungsakts
21zur Wahrnehmung der Verteidigungsinteressen eines Beschuldigten entfaltet,
22keine Vergütung zu erhalten, weil - objektiv rechtswidrig - trotz rechtzeitiger
23Beantragung seiner Beiordnung diese infolge eines Gerichtsversehens oder
24aus anderen Gründen bis zum Abschluss des Verfahrens unterbleibt, führt dies
25in der Konsequenz dazu, dass derartige, der formalen Bestellung vorgreifende
26Tätigkeiten tendenziell eher unterbleiben, was sich aber strukturell zu Lasten
27des effektiven Rechtsschutzes für den Beschuldigten auswirken würde (vgl.
28auch LG Bremen, Beschl, v. 12.01.2004). In Anbetracht der ausweislich der
29Rechtsprechung des BverfG verbindlichen Vorgabe einer möglichst
30weitgehenden Gleichstellung des Beschuldigten, der auf einen Pflichtverteidiger
31angewiesen ist, mit einem solchen, der sich einen Wahlverteidiger leisten kann,
32ist die Möglichkeit, die Bestellung eines Verteidigers in Fällen wie dem
33vorliegenden nachzuholen, nicht nur geeignet, sondern i.S. der anzustrebenden
34Waffengleichheit, der Wahrheitsfindung und im Interesse der sonstigen
35geschützten Belange des Beschuldigten zur Gewährleistung eines fairen
36rechtsstaatlichen Verfahrens erforderlich.
37Daher sind der Verteidiger und der Angeschuldigte, da die rechtzeitige
38Entscheidung über die Beiordnung durch gerichtsinterne Vorgänge unterblieben
39ist, so zu stellen, als wäre der rechtzeitig gestellte Beiordnungsantrag
40gesetzesmäßig beschieden worden. Wenn die Voraussetzungen des § 140
41StPO - was hier, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, der Fall war -
42vorliegen, folgt aus dem Gebot des fairen Verfahrens, dass die
43Pflichtverteidigerbestellung dann auch erfolgen muss. Hierdurch wird - wie in
44den im angefochtenen Beschluss zitierten Entscheidungen ausgeführt -
45verhindert, dass sich gerichtsinterne Umstände, auf die ein Außenstehender
46keinen Einfluss hat, zu Lasten des Angeklagten auswirken.
47Der 11 Tage vor dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einstellung des
48Verfahrens eingegangene Beiordnungsantrag des Angeklagten hätte daher
49antragsgemäß beschieden werden müssen.
50Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 StPO.
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