Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 314/06
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Beklagte für den Schadensfall vom 22.12.2005 Schaden-Nr. ########## Rechtsschutz im Hinblick auf die vom Kläger unter dem 22.06.2006 beim Landgericht Münster eingereichte Klage auf Unfallversicherungsschutz aufgrund des Rechtsschutzversicherungsvertrages mit der Nr. ############## bedingungsgemäß zu gewähren hat.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von bis zu 50.000,00 € die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger, der Inhaber eines Bäckereibetriebes war, nahm bei der Beklagten im Jahre 2004 eine Rechtsschutzversicherung unter Geltung der Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Rechtsschutzversicherung – ARB P 01.02 (nachfolgend: ARB), bestehend aus einer Unternehmens-Rechtsschutz-Kombination mit Privat-Rechtsschutz-Kombination nach § 26 ARB. Hiernach besteht Versicherungsschutz "für die im Versicherungsschein bezeichnete gewerbliche (...) Tätigkeit des Versicherungsnehmers; für den Versicherungsnehmer (...) auch im privaten Bereich und für die Ausübung nichtselbständiger Tätigkeiten". Nach § 26 Abs. 3 ARB umfasst der Versicherungsschutz Rechtsschutz u. a. im Vertrags- und Sachenrecht für den privaten Bereich und die Ausübung nichtselbständiger Tätigkeiten. Nachdem der Kläger die Aufgabe seiner selbständigen Tätigkeit zum 01.08.2006 der Beklagten anzeigte, wird der Rechtsschutzvertrag seit dem 01.08.2006 als Privat-Rechtsschutzkombination nach § 21 ARB fortgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen wird auf den in Ablichtung bei den Gerichtsakten befindlichen Versicherungsschein vom 25.06.2004 sowie das geltende Bedingungswerk (jeweils Anlage K1 zur Klageschrift vom 01.08.2006) verwiesen.
3Der Kläger verunfallte am 03.06.2004 während der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als selbständiger Bäckermeister. Dieserhalb macht er aus einer bei der Q Versicherung (nachfolgend: Q) genommenen privaten Unfallversicherung in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Münster nach Leistungsablehnung vom 22.12.2005 Ansprüche auf Invaliditätsentschädigung geltend.
4Bereits mit Schreiben vom 01.12.2005 hatte die Beklagte Deckungsschutz für die Führung des Prozesses gegen die Q mit der Begründung versagt, dass die bei ihr genommene Rechtsschutzversicherung die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen im gewerblichen Bereich nicht umfasse. An ihrer Deckungsablehnung hielt die Beklagte mit Schreiben vom 08.06.2006 fest.
5Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte sei zur Deckung verpflichtet, da mit der Inanspruchnahme einer privaten Unfallversicherung bereits generell lediglich private Interessen des Versicherungsnehmers verfolgt würden. Überdies behauptet er, er habe seine berufliche Tätigkeit bereits am 03.06.2004 aus Anlass des Unfallereignisses aufgeben müssen. Insoweit ist er der Ansicht, er nehme auch konkret lediglich private Interessen wahr, da gegenüber der Provinzial Leistungen aus der Unfallversicherung erst nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit des Klägers geltend gemacht worden seien.
6Der Kläger beantragt,
7wie erkannt.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie hält an ihrer vorgerichtlichen Leistungsablehnung fest. Sie behauptet, der Kläger habe auch nach dem Unfallereignis als Bäckermeister weiter gearbeitet und sei auch bei Geltendmachung der Ansprüche aus der Unfallversicherung und im Zeitpunkt ihrer Ablehnung durch die Q noch selbständig tätig gewesen, nämlich bis August 2006.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
13Die Klage ist zulässig und begründet.
14I.
15Die Klage ist zulässig. Der gegen einen Rechtsschutzversicherer erhobene Deckungsanspruch ist mit der Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO zu verfolgen, solange der Versicherungsnehmer noch nicht wegen der Kosten in Anspruch genommen worden ist oder der tatsächliche Kostenaufwand noch nicht feststeht (vgl. BGH, VersR 1999, 706 = r+s 1999, 285; OLG Köln, zfs 2002, 495; Mathy, in: Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht, Kap. 34 Rn. 486).
16Ohnehin entspricht es ständiger Rechtsprechung – auch der Kammer –, dass die Feststellungsklage gegenüber einer grundsätzlich möglichen Leistungsklage nicht nachrangig ist, wenn ihre Durchführung unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit eine sinnvolle und sachgemäße Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte erwarten lässt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die beklagte Partei die Erwartung rechtfertigt, sie werde auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, ohne dass es eines weiteren, auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels bedarf, was bei großen Versicherungsunternehmen stets anzunehmen ist (so ausdrücklich zuletzt BGH, Urteil vom 15.03.2006 – IV ZR 4/05; vgl. auch BGH, NJW-RR 2005, 619).
17II.
18Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.
19Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger Deckungsschutz zur Durchsetzung von Ansprüchen aus der privaten Unfallversicherung zu gewähren, da die Geltendmachung von Ansprüchen aus einer privaten Unfallversicherung dem bedingungsgemäß versicherten Bereich des Rechtsschutzes für den privaten Bereich nach §§ 26 Abs. 3, 2d ARB der Beklagten unterfällt.
20Versicherungsbedingungen sind nach gefestigter Rechtsprechung so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss; dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an (vgl. nur BGHZ 84, 268, 272). Der verständige Versicherungsnehmer wird insoweit die durch § 26 Abs. 3 ARB der Beklagten ausschnittsweise gewährte Deckung für den Vertragsrechtsschutz im privaten Bereich dahin verstehen, ob zwischen der Interessenwahrnehmung und seiner selbständigen oder gewerblichen Tätigkeit ein innerer Zusammenhang von nicht untergeordneter Bedeutung besteht, da er nicht annehmen kann, der Versicherer wolle mit seinen Allgemeinen Bedingungen eine Deckungslücke entstehen lassen, die über den erkennbaren Sinnzusammenhang der Klausel, nämlich ungewöhnlich umfangreiche und streitträchtige unternehmerische Aktivitäten mit einem ungleich höheren Risikopotenzial aus dem Versicherungsschutz auszugrenzen (vgl. Mathy, NVersZ 2001, 433, 434 zu den ARB 75), hinausgehen.
21Hieran gemessen hat sich die Auslegung der in Streit befangenen Klausel daran zu orientieren, dass ein bloß zufälliger Zusammenhang der rechtlichen Interessenwahrnehmung des Versicherungsnehmers und seiner gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit nicht genügt (vgl. BGH, NJW-RR 1995, 343 = VersR 1995, 166; OLG Karlsruhe,
22zfs 1993, 208), es mithin nicht ausreicht, dass die Wahrnehmung rechtlicher Interessen durch die gewerbliche oder selbständige Tätigkeit lediglich verursacht oder motiviert ist. Vielmehr bedarf es eines inneren sachlichen Bezugs (vgl. Mathy, a. a. O.).
23Die Frage, in welchen Fällen von Versicherungsvertragsstreitigkeiten ein solcher innerer sachlicher Zusammenhang mit der ausgeübten gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit des Versicherungsnehmers der Rechtsschutzversicherung vorliegt, solche also in Anwendung des § 26 Abs. 3 ARB nicht (mehr) dessen "privaten Bereich" zuzuordnen sind, wird in der Instanzrechtsprechung kontrovers beantwortet, soweit die Bereiche der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, der Krankentagegeldversicherung und – wie im Streitfall – der privaten Unfallversicherung betroffen sind.
24Während für den Bereich der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zunächst die überwiegende Instanzrechtsprechung eine Zuordnung mit ihr im Zusammenhang stehender Streitigkeiten zum Bereich der selbständigen Tätigkeit des Versicherungsnehmers mit unterschiedlichen Erwägungen bejaht hat (vgl. beispielhaft LG Stuttgart, VersR 1990, 418; LG Köln, zfs 1993, 245), verneint inzwischen die überwiegende Rechtsprechung einen Zusammenhang (vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 1996, 1052 = VersR 1997, 569; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1993, 539 = VersR 1993, 827; OLG Köln, VersR 1992, 1220; LG München I, VersR 2005, 1073), allerdings nicht nach einheitlichen Kriterien (vgl. hierzu Mathy, a. a. O., S. 436). Nach den Erwägungen des LG München I (a. a. O.) soll die Geltendmachung von Ansprüchen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung schon deshalb in den privaten Bereich im Sinne der ARB fallen, weil es sich um die Verfolgung von Ansprüchen aus Verbraucherverträgen im Sinne von § 310 Abs. 3 BGB handelt, die nach der gesetzlichen Wertung a priori und zwingend dem privaten Bereich unterfielen (enger und auf einen nicht mehr bestehenden Zusammenhang abstellend, da der Versicherungsnehmer gerade die zuvor ausgeübte Tätigkeit aufgegeben hat, wohl das OLG München im Rahmen der gegen das Urteil des LG München I geführten Berufung; vgl. die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts des Hinweisbeschlusses vom 03.03.2005 in 25 U 1565/05 in VersR 2005, 1073).
25Für den Bereich der Krankentagegeldversicherung bejaht ebenfalls ein Teil der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur aufgrund der Einkommensersatzfunktion der Versicherungsleistung einen inneren Zusammenhang mit der selbständigen Tätigkeit des Versicherungsnehmers der Rechtsschutzversicherung (vgl. LG Düsseldorf, r+s 1993, 186 sowie Obarowski, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, § 37 Rn. 140 m. w. N. in Fn. 189), während nach der Gegenauffassung die Inanspruchnahme einer Krankentagegeldversicherung für sich allein keinen inneren sachlichen Bezug zu einer etwaigen selbständigen Tätigkeit begründen soll, weil eine derartige Versicherung auch von abhängig Beschäftigten abgeschlossen werden kann (so LG Hagen, VersR 1996, 1140).
26Schließlich soll nach vertretener Ansicht bei der privaten Unfallversicherung darauf abzustellen sein, in welcher Sphäre das Unfallereignis eingetreten ist. Verunfalle der Versicherungsnehmer bei Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit, so sei der Streit mit dem Unfallversicherer unternehmensbezogen und damit über den Privat-Rechtsschutz nicht versichert (vgl. OLG Koblenz, NVersZ 1999, 492; OLG München, r+s 1992, 203 und – vorgehend – LG München I, zfs 1990, 200; LG Ellwangen, r+s 2000, 290; AG Koblenz, VersR 1995, 459; Obarowski, a. a. O., Rn. 138 mit Fn. 184).
27Die Kammer hat in einer früheren Entscheidung für den Bereich der Interessenwahrnehmung aus einer Krankentagegeldversicherung einen Zusammenhang zur selbständigen Tätigkeit des Versicherungsnehmers der Rechtsschutzversicherung verneint und zur Begründung ausgeführt, dass der Abschluss einer Krankentagegeldversicherung sowie die Gewährung von Krankentagegeld unabhängig von einer bestimmten Tätigkeit erfolgten und daher einen spezifischen Zusammenhang mit der selbständigen Tätigkeit des Versicherungsnehmers nicht begründeten (Urteil vom 16.12.1999 – 2 O 297/99, veröffentlicht in zfs 2000, 170).
28An dieser Rechtsprechung hält die Kammer fest. Sie greift auch im Falle der Interessenwahrnehmung aus einer privaten Unfallversicherung Platz, ohne dass es darauf ankäme, ob Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung der Unfall oder erst die nachfolgende vermeintlich unzureichende Leistung des Unfallversicherers ist (in diesem Sinne differenzierend wohl Stahl, in: Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 7. Aufl., § 25 ARB 75 Rn. 24 a. E.).
29Wie der Abschluss einer Krankentagegeldversicherung erfolgt der Abschluss einer privaten Unfallversicherung unabhängig von einer bestimmten Tätigkeit. Der Versicherungsnehmer der privaten Unfallversicherung deckt mit ihr das Invaliditätsrisiko ab, gleichviel ob die dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit des Versicherungsnehmers nun durch ein bedingungsgemäßes Unfallereignis im privaten oder beruflichen Bereich entstanden ist. Insoweit geht es dem Versicherungsnehmer in der Unfallversicherung mehr noch als in der Krankentagegeldversicherung um die Absicherung eines privaten Risikos. Ob dies auch für Versicherungsverträge unter Geltung der AUB 61, die Versicherungsschutz für die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Versicherungsnehmers gewähren, gilt, kann offen bleiben, da jedenfalls die vom Kläger bei der Q genommene Unfallversicherung den Regelungen der AUB 02.02 der Q unterworfen ist, die auf eine Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit der versicherten Person abstellen.
30Die von Teilen der Rechtsprechung vorgenommene Abgrenzung danach, ob das bedingungsgemäße Unfallereignis während der Ausübung der beruflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers eingetreten ist, ist demgegenüber zufällig und lässt sich für den verständigen Versicherungsnehmer den maßgeblichen Versicherungsbedingungen nicht entnehmen. Auch dem um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer erschließt sich nicht ohne weiteres, dass derselbe Vertrag mit der dadurch abgesicherten Invalidität je nach dem eher zufälligen Anlass für den daraus begründeten Versicherungsfall einmal dem Privatrechtsschutz und ein anderes Mal dem berufsbezogenen Versicherungsschutz zuzuordnen sein soll.
31Jedenfalls bliebe die vom Kläger im Streitfall vorgenommene Auslegung der ARB der Beklagten, die mit der Auslegung der Kammer übereinstimmt, möglich. Insoweit gilt, dass sich verbleibende Zweifel zu Lasten der Beklagten auswirken, § 305c Abs. 2 BGB. Sie hätte es in der Hand, den Umfang der von ihr zu gewährenden Deckung eindeutig und unmissverständlich in den Bedingungen zu bezeichnen.
32III.
33Der Klage war nach alledem mit der sich aus § 91 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge stattzugeben.
34Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.