Urteil vom Landgericht Dortmund - 22 O 1/07
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden nach einem Streitwert in Höhe
von 21.222,95 € dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des je-
weils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Beklagten, öffentlich bestellte Vermessungsingenieure, erbrachten für die B AG (im Folgenden: Schuldnerin) über
3mehrere Jahre Leistungen. Über die Gebühren für die Vermessungsleistungen
4bestehen Bescheide in Höhe von mehr als 40.000,00 €. Die Beträge wurden gegenüber der Schuldnerin angemahnt.
5Der Zeuge Rechtsanwalt S wurde am 13.03.2006 zum Vorstand der Schuldne-
6rin bestellt, nachdem die bisherigen Vorstände der Gesellschaft wegen des Ver-
7dachts von Wirtschaftsstraftaten in Untersuchungshaft genommen worden waren.
8Die Schuldnerin befand sich zu diesem Zeitpunkt jedenfalls in wirtschaftlichen
9Schwierigkeiten. Der Zeuge S vereinbarte am 22.03.2006 mit dem Beklagten
10zu 2), dass die Beklagten auf die Hälfte der ihnen zustehenden Forderungen verzichteten gegen eine noch am selben Tag erfolgte Barzahlung in Höhe von
1121.222,95 €.
12Am 16.05.2006 stellte der Zeuge S beim Amtsgericht Münster Insolvenzan-
13trag. Am 06.07.2006 wurde das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit
14eröffnet.
15Mit Schreiben vom 31.07.2006 (Anlage K 2 zur Klageschrift, Blatt 10 der Akten)
16nahm der zum Insolvenzverwalter ernannte Kläger die Beklagten auf Rückzahlung des Vergleichsbetrages in Anspruch. Diese antworteten mit Schreiben vom 15.09.2006:
17"...mit Schreiben vom 31.07.2006 fordern Sie Geld von uns zurück, welches
18wir von der B erhalten haben.
19Dieses können wir nicht nachvollziehen. Wir bitten um entsprechende Erläute-
20rung.
21Zum Zeitpunkt der Barzahlung waren wir in der Lage, jederzeit die Zwangs-
22vollstreckung durchzuführen. Zur Vermeidung dieser in die Konten der B
23wurde uns unser Geld ausgezahlt.
24Wir können nicht nachvollziehen, warum wir nunmehr unser Geld Ihnen
25überweisen sollen."
26Der Kläger behauptet, die Beklagten hätten vor der Zahlung bereits mit der Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gedroht. Aus diesem Grund habe sich der Zeuge S mit den Beklagten in Verbindung gesetzt und die katastrophale wirtschaftliche Lage geschildert. Damit habe er die Beklagten zu einem Vergleichsabschluss bewegen können.
27Der Kläger behauptet ferner, die Schuldnerin sei bereits am 22.03.2006 zah-
28lungsunfähig gewesen.
29Der Kläger beantragt,
30die Beklagten zu verurteilen, an ihn als Insolvenzverwalter 21.222,95 € nebst
31Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
32dem 28.09.2006 herauszugeben.
33Die Beklagten beantragen,
34die Klage abzuweisen.
35Sie behaupten, sie seien von einer Zahlungsfähigkeit ausgegangen, nicht zuletzt deswegen, weil sie den Vergleichsbetrag erhalten hätten. Der Zeuge S habe ihnen erklärt, dass ein Sanierungskonzept vorhanden sei, auf Grund dessen es weitaus überwiegend wahrscheinlich sei, dass die Gesellschaft weitergeführt werden könne. Die Beklagten hätten sich auf die Zahlung zur Abgeltung ihrer Forderung eingelassen, weil auf diesem Wege eine umgehende Zahlung erfolgt sei und weitere Auseinandersetzungen mit der Schuldnerin, insbesondere hinsichtlich geltend gemachter Mängel in Bezug auf ihre Leistungen vermieden wurden.
36Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen S.
37Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 13.06.2007, Blatt 37 ff. der Akten, Bezug genommen.
38Entscheidungsgründe:
39Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Zahlung der 21.222,95 € ist weder
40nach § 130, noch nach § 131 InsO anfechtbar.
41I.
42Eine Anfechtung nach § 131 InsO, inkongruente Deckung, scheidet aus.
431.
44Die Beklagten haben die Zahlungen nicht im Wege der Zwangsvollstreckung er-
45langt. Diese hatte am Tag der Zahlung formalrechtlich noch nicht begonnen. Weder die Beauftragung eines Vollziehungsbeamten noch die Vollstreckung in Forderungen hatte begonnen. Dabei wird nicht verkannt, dass die Beklagten als öffentlich bestellte Vermessungsingenieure in der Lage waren, auf einfacherem Wege die Vollstreckungsvoraussetzungen zu schaffen, als ein "normaler" Gläubiger, vgl. § 6 VwVG NW.
462.
47Für die Beurteilung der Anfechtbarkeit ist es allerdings nicht allein wesentlich, ob die Zwangsvollstreckung im formalrechtlichen Sinne schon begonnen hat. Eine Befriedigung oder Sicherung ist auch inkongruent, wenn sie unter dem Druck unmittelbar bevorstehender Zwangsvollstreckung gewährt wurde. Der Schuldner leistet unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung, wenn der Gläubiger zum Ausdruck gebracht hat, dass er alsbald die Mittel der Vollstreckung einsetzen werde, sofern der Schuldner die Forderung nicht erfülle. Ob der Schuldner auf Grund eines unmittelbaren Vollstreckungsdrucks geleistet hat, beurteilt sich aus der objektivierten Sicht des Schuldners (BGH WM 2003, 1278 = NJW-RR 2003, 1201: BGH NJW 2007, 848 m. w. N.). Vorliegend ist dem Kläger
48der Beweis nicht gelungen, die Schuldnerin habe unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung geleistet. Weder nach den Angaben des Beklagten zu 2) noch nach den Bekundungen des Zeugen S wurde die Zwangsvollstreckung aus den Gebührenbescheiden angedroht oder, sei es auch nur konkludent, in Aussicht gestellt. Der Zeuge S hat im Gegenteil - insoweit glaubhaft - bekundet, dass die Initiative zu den Gesprächen mit dem Beklagten zu 2)
49von ihm ausgegangen sei. Schon dies spricht gegen eine aktive Rolle bei einer
50Androhung der Zwangsvollstreckung. Nach den Bekundungen des Zeugen S
51war der Umstand, dass die Beklagten, wie auch der Notar M, erleichtert die
52Voraussetzungen für eine Zwangsvollstreckung schaffen konnten, nicht von Be-
53lang. Er hat dies nachvollziehbar damit begründet, dass ihm von dem G erklärt
54worden sei, diese würden "die Füße stillhalten".
55Die Kammer verkennt hierbei nicht den Inhalt des von dem Beklagten zu 2) ver-
56fassten Schreibens vom 15.09.2006. Dieser legt bei isolierter Betrachtung zu-
57nächst die Annahme nahe, die Beklagten hätten die Zahlung durch Inaussichtstellung der Zwangsvollstreckung erreicht. Hiergegen sprechen jedoch die bereits vorliegend gewürdigten Umstände und die Bekundungen des Zeugen S.
58Im Übrigen lässt der Inhalt des - ganz offenbar vor Weckung des Problembe-
59wusstseins verfassten - Schreibens vom 15.09.2006 auch die Annahme zu, der
60Beklagte zu 2) habe die Entgegennahme des Betrages "rechtfertigen" wollen, wobei er dem Vorwurf des Klägers aus dem Schreiben vom 31.07.2006, Rechtsanwalt S habe zur Vermeidung von angedrohten
61Zwangsvollstreckungsmaßnahmen geleistet, argumentativ entgegentrat. Dies, indem er betonte, ohnehin jederzeit zu der Einleitung der Zwangsvollstreckung in der Lage gewesen zu sein.
62II.
63Auch die Voraussetzungen für eine Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO,
64kongruente Deckung, liegen nicht vor.
65Dabei kann dahinstehen, ob der Schuldner am 22.03.2006 nach
66§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO zahlungsunfähig war (zu den Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit: BGH NJW 2005, 3062). Denn jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagten Kenntnis von einer Zahlungsunfähigkeit oder Kenntnis von Umständen hatten, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, § 130 Abs. 2 InsO.
67Kenntnis bedeutet für sicher gehaltenes Wissen. Der Gläubiger kennt die Zah-
68lungsunfähigkeit - als komplexen Rechtsbegriff - nur, wenn er selbst die Liquidi-
69tät oder das Zahlungsverhalten des Schuldners wenigstens laienhaft so wertet.
70Für eine Kenntnis reicht es aus, wenn der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen und dem Verhalten des Schuldners bei natürlicher Betrachtungsweise selbst den zutreffenden Schluss zieht, dass jener wesentliche Teile seiner ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Zeitraum der nächsten 3 Wochen nicht wird tilgen können. Andererseits genügt weder, dass der Gläubiger die Ungewisse Möglichkeit einer Zahlungsunfähigkeit befürchtet und jene bewusst in Kauf nimmt,
71noch dass er in allgemeiner Form den Vermögensverfall des Schuldners kennt
72und Bedenken gegen dessen weitere Kreditwürdigkeit hat, noch dass er eine Zahlungsstockung des Schuldners und sogar dessen drohende Zahlungsunfähigkeit positiv kennt (Münchener Kommentar, InsO, 1. Aufl., § 130, Rdn. 33 m. w. N.).
73Eine Kenntnis im vorgenannten Sinne kann nach dem Ergebnis der Beweisauf-
74nahme nicht festgestellt werden. Aus anderen Quellen als den Erklärungen des
75Zeugen hatte der Beklagte zu 2) eine solche Kenntnis nicht. Die von anderer Seite erlangte Kenntnis von der Verhaftung von Vorständen der Schuldnerin war ersichtlich nicht ausreichend, um eine solche Kenntnis zu begründen. Auch die allgemeine Annahme des Beklagten zu 2), die Schuldnerin würde insolvent werden, wenn sie die Baugenehmigung nicht erhalten würde, reicht nicht zur Begründung der Kenntnis einer Zahlungsfähigkeit am 22.03.2006 aus.
76Die Erklärungen des Zeugen S gegenüber dem Beklagten sind ihrer Gesamt-
77heit nicht geeignet, die Kenntnis einer Zahlungsunfähigkeit bei dem Beklagten zu 2) zu begründen. Die Erklärung, von jedem Gläubiger einen "Sanierungsbeitrag" einzufordern, lässt zwar auf eine wirtschaftlich schwierige Situation der Schuldnerin zu diesem Zeitpunkt schließen, gleichzeitig wurde dies von dem Zeugen S nach seinen Bekundungen wieder damit relativiert, dass er den Gläubigem jeweils mitteilte, derzeit läge ein Insolvenzfall aus seiner Sicht noch nicht vor. Dafür, dass dies von dem Beklagten zu 2) auch in diesem Sinne aufgefasst wurde, spricht, dass dieser erwartete, weiter für die Schuldnerin tätig werden zu können. Eine solche Erwartung wäre nicht erklärlich, wenn der Beklagte die Schuldnerin - in der Laiensphäre - als zahlungsunfähig eingestuft hätte. Die Motivation für den Beklagten zu 2) mit dem Vergleich auf die Hälfte der Gebührenforderungen zu
78verzichten, musste vorliegend nicht darin liegen, von einem zahlungsunfähigen
79Vertragspartner wenigstens noch einen Teil der Leistung zu erhalten. Wirtschaftlich nachvollziehbar ist nämlich auch das Motiv, einen "Großkunden" zu behalten,
80mag dieser in der Vergangenheit auch Mängel der Leistungen vorgeschoben haben, und diese Mängel dem Streit zu entziehen. Dass, wie der Zeuge S be-
81kundete, die Mängeleinreden der Schuldnerin bei den Gesprächen mit dem Be-
82klagten zu 2) keine Rolle spielten, steht dem nicht entgegen. Denn auch ohne die ausdrückliche Erwähnung in den Gesprächen ist die Angabe des Beklagten zu 2),
83die Erledigung der Mängeleinreden habe für ihn eine Rolle gespielt, nicht zu wi-
84derlegen. Dass den Beklagten in der Vergangenheit Mängel entgegengehalten
85wurden, kann nach der von dem Zeugen S bekundeten Äußerung des G,
86die Beklagten hätten "nur Scheiße gemessen", nicht zweifelhaft seien.
87Nach alledem war zu erkennen wie geschehen.
88Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.
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