Urteil vom Landgericht Dortmund - 4 O 39/07
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 25.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.12.2004 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin Schmer-zensgeld und Schadensersatz für sämtliche aus dem Unfallereignis vom 3.2.2004 beruhenden nicht vorhersehbaren immateriellen und zukünftigen materiellen Schäden zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte und Sozialversicherungsträger übergegangen sind bzw. übergehen.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 1.377,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.12.2004 zu zahlen sowie weitere 594,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.3.2007.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 14 % und der Beklagte
zu 86 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelas-sen, die Vollstreckung des beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand
2Die Klägerin, geb. am ##.##.1990 und jetzt fast 17 Jahre alt, nimmt den Beklagten als Halter des Pferdes F auf Zahlung von Schmerzensgeld, Schadensersatz sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden in Anspruch.
3Die Klägerin ist Eigentümerin des Pferdes M. Zum Unfallzeitpunkt am 3.2.2004 war die Klägerin 13 Jahre alt. Sie hatte bereits seit 8 Jahren Pferdeerfahrung und seit 5 Jahren ihr eigenes Pferd M. Bei dem Pferd M handelt es sich um einen Wallach, Stockmaß 1,40 m. Es war auf dem Hof L untergestellt. Dort hatte die Klägerin auch die Tochter des Beklagten und deren Pferd F kennen gelernt. Bei dem Pferd F handelt es sich ebenfalls um einen Wallach, etwas größer als der M. Die Tochter des Beklagten ist 6 Jahre älter als die Klägerin. Eine Freundschaft bestand nicht.
4Am 3.2.2004 hatte die Klägerin ihr eigenes Pferd M auf den Reitplatz verbracht. Außerdem hatte sie mit der Tochter des Beklagten per SMS Kontakt aufgenommen und gefragt, ob sie das Pferd F zu ihrem Pferd M auf den Reitplatz stellen dürfe. Dies war von der Tochter des Beklagten bejaht worden. Gelegentlich war man in der Vergangenheit schon so verfahren, dass die Pferde nach Rücksprache und ausdrücklicher Erlaubnis zusammen in den Auflauf gestellt wurden.
5Die Klägerin brachte daraufhin auch das Pferd F auf den Reitplatz, wo die Pferde gemeinsam einige Zeit verblieben. Der Ablauf ist zwischen den Parteien streitig. Gegen 16.20 Uhr kam es jedenfalls zu einem Unfall, bei dem eines der Pferde der Klägerin mit dem Huf ins Gesicht trat. Die Klägerin erlitt schwerwiegende Verletzungen. Sie konnte telefonisch ihre Mutter erreichen. Außerdem wurde sie von der Zeugin L2 aufgefunden, die einen Notarzt verständigte, den Zeugen Dr. G.
6Die Klägerin behauptet, um die Pferd zu bewegen, habe sie eine lange Peitsche genommen, die zu diesem Zweck an dem Reitplatz stehe. Sie habe damit gewunken, ohne die Pferde zu berühren. Die Pferd hätte an diesem Tag aber keine Lust gehabt, sich zu bewegen. Daraufhin habe sie den Reitplatz verlassen und habe in den Boxen Arbeiten verrichtet. Gegen 16.20 Uhr habe sie dann die Pferde in den Stall zurückbringen wollen, und zwar zunächst das Pferd F. Deshalb sei sie auf das Pferd zugegangen und habe an dem Halfter den Führstrick befestigt. Plötzlich und unvorhersehbar habe sich das Pferd losgerissen, sich umgedreht und ihr mit dem beschlagenen Huf ins Gesicht getreten. Ihr Pferd M habe derweil ruhig auf der Koppel gestanden. Sie sei zum Tor gewankt und habe die Mutter angerufen und ihr erzählt, von F getreten worden zu sein. Zufällig sei Frau L2 vorbeigekommen. Ihr, den eintreffenden Eltern und auch dem Notarzt habe sie das gleiche berichtet.
7Die Klägerin erlitt eine zentrale Mittelgesichtsfraktur. Die Augenhöhlen, das knöcherne Nasenskeletts und der Oberkiefer wurden gebrochen. Der rechte Tränenkanal wurde zerstört.
8Noch am Unfalltag, dem 3.2.2004 erfolgte eine erste Operation, bei der ein primärer Weichteilverschluss erfolgte. Danach wurde sie 3 Tage intensiv medizinisch behandelt. Nach Abschwellung im Frakturgebiet konnte eine zweite Operation durchgeführt werden. Diese erfolgte am 10.2.2004. Danach wurde sie ebenfalls 2 Tage intensiv medizinisch betreut. Bei diesen Operationen erfolgte eine Reposition und Osteosynthese sowie eine Orbitabodenrekonstruktion beidseitig. Während des gesamten Zeitraumes erfolgte eine schmerztherapeutischer Behandlung. Am 17.2.2004 konnte die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen werden, um sich in der Folgezeit ambulant behandeln zu lassen (Bericht des Klinikums E vom 28.6.2004 Bl. 25 f d.A. sowie zu dem Aufenthalt auf der Intensivstation E-Mail des Dr. S vom 27.3.2007 Bl. 119 d.A.).
9Während der ambulanten Behandlungsphase vom 26.2.2004 bis zum 17.6.2004 erfolgte am 9.3.2004 eine Entfernung der Ober- und Unterkieferschienen (Bericht des Klinikums E vom 28.6.2004 Bl. 25 f d.A.).
10In der Zeit vom 10.2. bis zum 6.5.2004 musste die Klägerin wegen der Beeinträchtigung des Tränenkanals einen Schlauch vom dem rechten Auge in die Nase tragen (Bericht des Klinikums E vom 28.6.2004 Bl. 25 f d.A.).
11Am 25.3.2004 und 9.7.2004 stellte sich die Klägerin bei ihrem Zahnarzt Herrn Q vor. Dieser gab an, dass es aufgrund der Mittelgesichtsfraktur zu einem Abriss der die Zähne 12-21 versorgenden Strukturen gekommen zu sein scheine. Die nervale Inervation der Schneidezähne sei aber wieder zustande gekommen. Auch von einer vasalen Versorgung der Zähne müsse ausgegangen werden. Es bestehe ein leichter Lockerungsgrad, was Schmerzen verursache. Spätschäden könnten nicht ausgeschlossen werden (Attest Q vom 20.9.2004 Bl. 27 d.A.).
12In einer weiteren Operation am 19.7.2004 konnte planmäßig das Osteosynthesematerial entfernt werden (Bericht des Klinikums E vom 28.6.2004 Bl. 25 f d.A.).
13Es verblieb danach eine quer über das Gesicht verlaufende Narbe.
14Am 22.10.2004 erfolgte eine weitere Operation, bei der ein kortiko-spongiöses Transplantat von der Schädelkalotte genommen und damit eine Naserekonstruktion versucht wurde. Zuvor litt die Klägerin unter Panikattacken und Angstzuständen. Die Klägerin wurde 1 Tage intensiv medizinisch und danach bis zum 25.11.2004 auf der Intermediate-Care-Station betreut. Bis zum 3.11.2004 musste sie einen Nasengips und einen Schlauch tragen. Das Nahtmaterial wurde entfernt. Es verblieb ein Epikanthus, d.h. eine sichelförmige Hautfalte im inneren Augenwinkel. Eine Metallentfernung und Narbenkorrektur wurde geplant (Bericht des Klinikums E vom 7.2.2005 Bl. 37 f d.A. sowie zu dem Aufenthalt auf der Intensivstation E-Mail des Dr. S vom 27.3.2007 Bl. 119 d.A.).
15Am 17.3.2005 erfolgte eine weitere Operation, bei der das Metall im Schädel entfernt werden konnte.
16Vom 17.3. bis zum 3.5.2005 musste die Klägerin ein Metallplättchen im Augenwinkel tragen, das mit Hilfe einer Bohrung durch die Nasenwand befestigt war.
17Am 28.9.2005 fand eine weitere Korrektur-Operation statt.
18Am 2.10.2006 fand schließlich eine zweite Operation zur Nasenkorrektur statt (Bericht des Klinikum E vom 21.5.2007 Bl. 129 d.A.).
19Insgesamt musste sie vom 3.2.2004 bis zum 4.10.2005 48 Tage in stationärer Behandlung verbringen und an 24 Tagen ambulant im Krankenhaus behandelt werden (vgl. Bestätigung des Klinikum E vom 16.2.2006 über die Behandlungstermine bl. 43 d.A.). Weiterhin waren zahlreiche weitere Arztbesuche zur Nachbetreuung erforderlich (Augenarzt, Zahnarzt, Kieferorthopäde, Psychotherapeutin).
20Im Jahr 2006, vor der letzten Nasenkorrekturoperation, wurden als subjektive Beeinträchtigungen ein Tränenträufeln rechts, Schmerzen beim Naseschnäuzen, eine verminderte Sensibilität der rechten Wange und eine Empfindlichkeit der Nase und des Mittelgesichtes festgestellt. Objektiv zeigte sich ein leichter Telekanatus, Narben über der Nase mit Tendenz zur Keloidbildung, eine Einsenkung im Bereich des knorpeligen Nasenrückens, eine Hypästhesie der rechten Wange (Bestätigung des Klinikum E vom 16.2.2006 Bl. 43 d.A.).
21Auch jetzt noch klagt die Klägerin über ein fortbestehendes Gefühlsdefizit im Bereich der Wange, über vermehrtes Tränentäufeln rechts und über Spannungsgefühle im Bereich der Bügelschnittnarbe. Bei der klinischen Untersuchung im Juli 2007 zeigte sich eine schräg von der medialen Augenbraue rechts über den Nasenrücken zum linken Nasenabhang verlaufenden Narbe, die im Bereich der Augenbraue rechts und im auslaufenden Anteil zu linken Wagen etwas verbreitert ist. Weiterhin besteht ein leichter Telekanthus rechts mit angedeuteter medialer Hautfalte. Das beklagte vermehrte Tränenträufeln rechts erklärt sich durch die traumabedingte Verletzung des rechten Tränenkanals, der nicht mehr durchgängig ist. Das Tränenträufeln ist ständig vorhanden und in der Intensität abhängig von der Menge der Tränenflüssigkeitsproduktion und somit auch von den Witterungsverhältnissen. Im Bereich der linken Wange ist eine Hypästhesie nachweisbar. Die Sensibilitätsstörung ist 3 ½ Jahre nach dem Unfall als endgültig anzusehen. Es werden noch mehrere Korrektureingriffe empfohlen. Wegen der Vernarbungen sind die Erfolgsaussichten hinsichtlich des Tränenkanals eingeschränkt (vgl. Berichte des Klinikums E vom 27.7.2007 Bl. 158 d.A. und 6.11.2007 Bl. 166 d.A.).
22Die Klägerin behauptet, Spätfolgen seien nicht auszuschließen. Es komme zu Schlafstörungen und Alpträumen. Wegen Panikattacken und Angstzuständen sei auch eine psychotherapeutische Behandlung notwendig gewesen. Sie müsse dauerhaft eine erheblich ästhetische Beeinträchtigung und eine Asymmetrie des Gesichtsfeldes in Kauf nehmen, worunter sie wegen ihres jugendlichen Alters besonders leide.
23Die Klägerin erachtet ein Schmerzensgeld von mindestens 30.000 € für angemessen.
24Ferner verlangt sie die Erstattung von Fahrkosten. Sie behauptet, während der Krankenhausbehandlung seien zur Gesundung regelmäßige Besuche der Eltern zweimal am Tag erforderlich gewesen. Außerdem seien für die Fahrten zum Zahnarzt, zum Kieferorthopäden, zur Psychotherapeutin und zum Augenarzt eine Fahrtstrecke von 5.254 km angefallen, für die sie 0,25 €/km = 1.313.,50 € ersetzt verlangt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Aufstellung der getätigten Fahrten Bl. 13 - 15 d.A. verwiesen.
25Ferner verlangt sie Telefonkosten von 94,10 € erstattet. Diese seien angefallen, um auch in schweren Momenten mit der Familie Kontakt aufnehmen zu können.
26Der Vater der Klägerin habe seine Ansprüche wegen der Fahrt- und Telefonkosten an die sie abgetreten.
27Schließlich verlangt die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.661,70 € erstattet. Der Berechnung zugrunde liegt ein Streitwert von 31.313,50 € und ein 2,5-facher Gebührensatz.
28Mit Schreiben vom 6.12.2004 lehnte die Versicherung des Beklagten eine Haftung ab.
29Die Klägerin meldete die Ansprüche nach dem SGB VII bei der Landesunfallkasse X an, die die Haftung mit Bescheid vom 16.9.2005 ablehnte (Bl. 23 d.A.).
30Die Klägerin beantragt,
31- den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, das jedoch einen Betrag von 30.000 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.12.2004 zu zahlen,
- festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an sie Schmerzensgeld und Schadensersatz für sämtliche auf dem Unfallereignis vom 3.2.2004 beruhenden nicht vorhersehbaren immateriellen und zukünftigen materiellen Schäden zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte und Sozialversicherungsträger übergegangen sind bzw. übergehen,
- den Beklagten zu verurteilen, an sie weitere 1.407,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.12.2004 zu zahlen,
- den Beklagten zu verurteilen, an sie weitere 1.661,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (2.3.2007) zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
33die Klage abzuweisen.
34Der Beklagte bestreitet, dass die Klägerin durch sein Pferd F verletzt worden ist und behauptet, es könne auch das eigene Pferd M gewesen sein. Die Klägerin habe zudem vor dem Vorfall die Pferde mit einer langen Peitsche über den Reitplatz gescheucht.
35Die durch Berichte belegten Schäden werden nicht bestritten. Bestritten werden die Fahrstrecken und die Fahrtkosten.
36Im Übrigen ist der Beklagte der Ansicht, die Tierhalterhaftung sei aus Rechtsgründen ausgeschlossen.
37Das Gericht hat die Klägerin und ihre Eltern angehört und die verbleibenden Verletzungen der Klägerin in Augenschein genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Frau L2, Dr. G, Frau und Herr L, L3. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 31.5.2007 Bl. 130 bis 141 d.A. Bezug genommen.
38Entscheidungsgründe
39Die zulässige Klage ist zum großen Teil begründet.
40Die Klägerin hat gegen den Beklagten gemäß §§ 833, 253 BGB einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden.
41Die Klägerin hat beweisen, dass sie durch einen Huftritt des Pferdes des Beklagten verletzt worden ist. Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Schilderung der Klägerin der Wahrheit entspricht.
42Zunächst hat das Gericht die in Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 31.5.2007 16-jährige Klägerin als Partei gehört. Die Klägerin hat dabei einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Sie hat den Unfall trotz der schweren Verletzungen sachlich geschildert. Ihr ganzen Auftreten zeigt, dass sie – glücklicherweise - bereit ist, den Vorfall als Teil ihres persönlichen Schicksals hinzunehmen und ihr künftiges Leben damit zu meistern. Soweit der Beklagte ihr unterstellt, sie sei von ihrem eigenen Pferd getreten worden, würde dies bedeuten, dass sie wider besseren Wissens eine anderes Pferd und damit einen falschen Halter bezichtigen würde, nur um sich eine Schadensersatzmöglichkeit zu verschaffen. Es sei klar ausgesprochen, dass weder die Klägerin noch die in die im Gerichtstermin anwesenden Eltern diesen Eindruck hinterlassen haben.
43Bereits nach der Anhörung der Klägerin hat das Gericht keine Zweifel daran, dass die Schilderung richtig ist. Hinzu kommen zahlreiche Indizien, die die Schilderung stützen. So kann das Gericht sich in Anbetracht der schweren Verletzungen und nachfolgenden verständlichen Angstzustände nicht vorstellen, dass die Klägerin ihr Pferd M weiter reiten würde, wenn sie von diesem Pferd getreten worden wäre. Welche Eltern, die mit ihrem Kind einen solchen Unfall mit durchleben mussten und es tagtäglich bei der Bewältigung der Folgen unterstützen mussten, würden dem Kind auch weiterhin erlauben, dieses unberechenbare Tier zu reiten? Wohl keine Eltern.
44Hinzu kommt, dass die Klägerin unmittelbar nach dem Vorfall gegenüber verschiedenen Personen angegeben hat, von dem Pferd F des Beklagten getreten worden zu sein. Zu Zeitpunkt des Unfall war die Klägerin 13 Jahre alt. Sie war schwerst verletzt, und zwar so sehr, dass ihre eigene Mutter sie nur an der Kleidung wieder erkannt hat und überhaupt nicht nahe zu ihr gehen konnte, um Beistand zu leisten. Dies ist nicht die Situation, in der ein Kind die Unwahrheit sagt, sondern auf Fragen wahrheitsgemäß antwortet, was sich zugetragen hat.
45Die Mutter und der Vater der Klägerin haben ebenso wieder die Zeugin L2 glaubhaft angegeben, dass die Klägerin ihr unmittelbar nach dem Vorfall gesagt hat, dass F
46sie getreten habe. Auch der Notarzt, der Zeuge Dr. G konnte sich nach Vorhalt des Schreibens des Evangelischen Krankenhauses D vom 4.3.2004 erinnern, dass die Klägerin ihm erklärt habe, nicht von dem eigenen Pferd getreten worden zu sein. Zwar ist das Schreiben nicht von dem Zeugen unterzeichnet, es trägt aber sein Diktatzeichen und er konnte sich nach dem Vorhalt auch positiv erinnern, zumal er wusste, dass ein bekannter Krankenpfleger ebenfalls den Namen L trägt. In der Schocksituation hat die Klägerin also mehrfach angegeben, von dem Pferd des Beklagten getreten worden zu sein.
47Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Zeugin L2 ebenfalls bestätigt hat, dass das Pferd F einen Führungsstrick am Halfter trug, als sie zu dem Reitplatz kam. Auch das spricht für die Schilderung der Klägerin, dass sie gerade dabei war, das Pferd F fortführen zu wollen.
48Dafür, dass die Klägerin durch unsachgemäßem Umgang zu dem Unfall beigetragen haben könnte, haben sich keine Anhaltspunkte ergeben. Sie hat die Pferde mit einer Peitsche im Kreis laufen lassen. Eine solche Peitsche ist nach Angaben der Zeugen L,L3 gerade zu diesem Zweck an dem Reitplatz deponiert. Soweit die Zeugin L ausgesagt hat, die Klägerin habe die Pferd herumgescheucht, konnte daraus nichts geschlossen werden. Sie hat nämlich selbst ergänzt, das sei nichts Besonderes. Die Pferde würden immer so laufen.
49Auch der Enkel und Zeuge L3 hat lediglich gesehen, dass die Pferde etwas zügiger liefen. Was die Klägerin gemacht hatte, konnte er nicht angeben. Im Übrigen hatte er nur flüchtig nach einem Bad aus dem Badezimmerfenster geschaut.
50Damit sind die Voraussetzungen der Tierhalterhaftung nach § 833 BGB erfüllt. Ein Ausschluss der Haftung nach § 833 S. 2 BGB scheidet aus, da es sich bei dem Pferd F nicht um ein Nutztier handelt.
51Soweit sich das Pferd F, als es weggeführt werden sollte, losgerissen, gedreht und getreten hat, hat sich genau die unberechenbare Tiergefahr verwirklicht, vor der § 833 BGB Schutz bieten soll.
52Soweit ein Haftungsausschluss durch Risikoübernahme diskutiert wird, genügt dafür sicherlich nicht der Umstand, dass sich eine Person der Tiergefahr aussetzt. Der Schutzzweck der Norm gebietet nur dann einen Haftungsausschluss, wenn sich jemand einer besonderen Tiergefahr im eigenen Interesse aussetzt, z.B. ein Reiter seine Reitkünste beweisen will, jemand auf eigene Gefahr gehandelt, weil er z.B. gegen Entgelt ein Tier versorgt, oder aus eigenem Interesse Risiken übernommen werden, die über die gewöhnlichen Gefahren hinausgehen, z.B. ein erkennbar böses Pferd geritten wird oder an einer Fuchsjagd teilgenommen wird (vgl. Palandt, BGB, § 833, 1).
53Von all dem kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Es sprach nichts dafür, dass das Pferd F besondere Risiken in sich barg. Es wird auch nach wie vor von der Tochter des Beklagten geritten. Die 13-jährige Klägerin hatte auch kein Bewusstsein, sich einer besonderen Gefahr oder einem ungewöhnlichen Risiko auszusetzen oder gar eine Haftung zu übernehmen. Es liegt insbesondere auch keine Nutzung vorwiegend im eigenen Interesse vor. Die Klägerin hat aus Gefälligkeit und damit ihr Pferd Gesellschaft hat, das Pferd des Beklagten mit auf den Reitplatz gestellt.
54Es liegt ein ganz typischer Fall vor, wie ihn § 833 BGB abdecken will.
55Insbesondere kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beteiligten einen Haftungsausschluss beim Hinausstellen gewollt hätten. Daran mag allein die Versicherung ein Interesse haben, dies entspricht aber weder dem Willen der Eltern der Klägerin noch dem des Beklagten. In beiden Familien sind die Kinder Hobbyreiter. Dafür wird eine Versicherung unterhalten. Damit kann man auch davon ausgehen, dass gegenseitig erwartet wird, dass die Versicherung eintritt, wenn es zu einem Schaden kommt. Ein Grund, zu Gunsten der Versicherung und zu Lasten anderer Hobbyreiter einen Haftungsausschluss zu wollen, ist nicht ersichtlich.
56Die Haftung ist auch nicht über §§ 2, 8, 104 SGB VII ausgeschlossen. Auf den ablehnenden Bescheid der Landesunfallkasse X vom 16.9.2005 Bl. 23 f d.A. wird Bezug genommen. Die Klägerin ist nicht wie eine Beschäftigte tätig geworden sein. Es lag keine fremdwirtschaftliche Zweckbestimmung vor und die Tätigkeit war auch nicht arbeitnehmerähnlich. Es handelte sich um eine Gefälligkeit unter Pferdefreunden, die gelegentlich durchgeführt wurde.
57Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, liegt auch kein Mitverschulden auf Seiten der Klägerin vor, das die Haftung einschränken könnte.
58Aufgrund der schweren Verletzungen, die die Klägerin erlitten hat, erachtet das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 € für angemessen. Dabei ergeben sich die Verletzungen aus den eingereichten ärztlichen Attesten und sind unstreitig.
59Die Klägerin hat eine zentrale Mittelgesichtsfraktur, mit Bruch des Augenbögen, der Nase und des Oberkiefers erlitten.
60In Folge dieser Verletzung waren 7 Operationen, teilweise mit Behandlung auf der Intensivstation erforderlich. Ausweislich der Atteste werden der Klägerin über die durchgeführten Operationen hinaus weitere Korrekturoperationen empfohlen.
61Die entscheidende Richterin ist zugleich als Vorsitzende der Kammer für Arzthaftungssachen tätig. Wenn Behandlungsfehler dazu führen, dass Folgeoperationen notwendig sind, veranschlagt die Kammer regelmäßig pro erforderliche Operation allein wegen der damit verbundenen allgemeinen Risiken und üblichen Folgebeschwerden ein Schmerzensgeld von jeweils 2.000 €. Die Vielzahl der durchgeführten Operationen und die mit dem Schmerzensgeld abzudeckenden weiteren Folgeoperationen zeigen bereits, dass auf ein erhebliches Schmerzensgeld erkannt werden muss.
62Hinzukommt, dass es sich bei den Eingriffen durchweg um gravierende Operationen handelte. Gerade die Öffnung des Schädels ist von der Klägerin verständlicherweise als sehr erschreckend empfunden worden. Sämtliche Eingriffe erfolgten im Gesichtsbereich und damit in einem Bereich, der für die Sinneswahrnehmungen des Menschen zuständig und besonders empfindlich ist.
63Vor und zwischen den Operationen war die Klägerin ebenfalls einer besonderen Leidenszeit ausgesetzt. Dass die Zertrümmerung des Gesichtes und die Rekonstruktion mit erheblichen Schmerzen verbunden war, bedarf keiner näheren Darlegung. Wie die Lichtbilder Bl. 120 d.A. belegen, war das Gesicht der Klägerin anfangs so zugeschwollen, dass die Klägerin im Dunkeln lag, ungewiss über ihr Aussehen, noch dazu mit Schläuchen im Hals und einem Drahtgestell im Mund. Dass dies eine Situation ist, in der Kinder wie Erwachsene in Panik geraten können, ist verständlich. Deshalb sind auch die attestierten Panikattacken nachvollziehbar.
64Über die langen Krankenhausaufenthalte hinaus waren zahlreiche Arztbesuche im Krankenhaus, beim Zahnarzt, beim Kieferorthopäden, beim Augenarzt und bei der Psychotherapeutin erforderlich und werden es teilweise auch künftig sein.
65Während der Behandlungszeit musste die ihre Schulausbildung fortsetzen und mit einem Schlauch vom Tränenkanal in die Nase, mit einem Metallwinkel im Auge (durch die Nase gebohrt) und frischen großen Narben im Gesicht die Schule aufsuchen. Dass dies für ein pubertierendes Mädchen eine große Belastung war, steht ebenfalls außer Frage.
66Das Gericht hat aber erfreulicherweise den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin durch einige Besuche in der psychotherapeutischen Behandlung so stabilisiert worden ist, dass sie mit der Situation leben kann. Gleichwohl ist verständlich, dass es immer wieder zu Erinnerungen und Ängsten kommen kann.
67Es ist ebenfalls erfreulich, dass die plastischen Operationen sehr erfolgreich verlaufen sind. Die Klägerin verfügt wieder über ein adrettes Aussehen. Das Aussehen der Klägerin ist und bleibt allerdings verändert. Am auffälligsten ist die quer über das Gesicht verlaufende Narbe. Die Klägerin wird dadurch nicht nur selbst an den Vorfall erinnert werden, sondern auch von anderen angeschaut und angesprochen werden. Möge es ihr gelingen, dass erforderliche Selbstbewusstsein zu entwickeln, um damit umzugehen. Derzeit sieht es danach aus.
68Verbleiben sind noch andere kleinere Narben durch die Operationen im Augenbereich und die Schläuche. Möglicherweise werden durch Operationen weitere Narben folgen. Verblieben ist insbesondere ein leichter Telekanthus. Das bedeutet, dass das Lid bisschen katzenartig geformt ist. Damit unterscheidet sie sich von ihrem früheren Aussehen.
69Als gravierende Beeinträchtigung wertet das Gericht auch die Zerstörung des rechten Tränenkanals, was ein Tränenträufeln rechts nach sich zieht. Die Tränenflüssigkeit wird nach außen abgeführt. Dieser Zustand ist dauerhaft. Z.B. bei Zugluft und Erkältungen tränt das Auge ständig. Es handelt sich um eine sehr störende Beeinträchtigung, die die Klägerin wird sicher immer wieder Nachfragen Dritter aussetzen wird.
70Als weiterer Dauerschaden liegt eine verminderte Sensibilität an der Wange vor.
71Obwohl also die Korrekturoperationen so gut gelungen sind, sieht man bei näherer Betrachtung, dass dem eine große Leidenszeit vorausgegangen ist und zusätzlich Dauerschäden verblieben sind, von denen ebenfalls gravierende Beeinträchtigungen ausgehen.
72Das ausgeurteilte Schmerzensgeld von 25.000 € erscheint daher angemessen.
73Darüber hinaus hat die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten für die Besuche der Eltern im Krankenhaus und für die Begleitung zu den Ärzten. Es handelt sich dabei um eigene Ansprüche der Geschädigten, sodass es einer Abtretung der Ansprüche durch den Vater nicht bedarf.
74Die Fahrtkosten ergeben sich aus der Aufstellung Bl. 13- 15 d.A.. Die Liste korrespondiert mit der Aufstellung des Klinikums vom 16.2.2006 Bl. 43 d.A. über die Klinikaufenthalte bzw. ambulanten Termine. Die Streckenentfernung ergibt sich aus dem Routenplan Bl. 123 d.A.. Dabei erachtet das Gericht in Anbetracht der schwerwiegenden Verletzungen und des Alters der Klägerin auch einen zweimaligen Besuch am Tag für erforderlich.
75Die Auflistung ist so korrekt geführt, dass das Gericht auch den Angaben der Eltern zu den weiteren Arztterminen glaubt (8 x Psychotherapeutin, 1 x Augenarzt, 2 x Kieferorthopäde, 6 x Zahnarzt). Denn dass solche Nachuntersuchungen bei den gravierenden Verletzungen notwendig waren, liegt auf der Hand. Es sind jeweils zur wenige Kilometer Fahrstrecke eingestellt worden. Ferner glaubt das Gericht die Fahrten zur ambulanten Nachsorge im Klinikum nach der Nasenoperation im Oktober 2006. Die Fahrten sind in der bereits vorher erstellten Liste des Klinikums noch nicht enthalten.
76Gestrichen hat das Gericht lediglich die Fahrten vom 25.7.2004 (40 km) und 23.3.2005 (80 km) zum Klinikum), da sich diese Daten nicht in der Aufstellung des Klinikums finden. Ob hier den Eltern ein Fehler unterlaufen ist oder dem Klinikum konnte nicht geklärt werden. Anstelle des Termins vom 28.7.2004 ist ein aufgeführter Termin vom 30.7.2004 angesetzt worden.
77Da das angesetzte Kilometergeld nicht zu beanstanden ist, ergeben sich
785.134 km x 0,25 € = 1.283,50 € an zu erstattenden Fahrtkosten.
79Ferner kann die Klägerin Erstattung ihrer Telefonkosten in Höhe von 94,10 € verlangen. Bei einem so jungen Mädchen waren die Telefonate zur Genesung erforderlich.
80Insgesamt ergibt dies den Betrag von 1.377,60 €.
81Schließlich hat die Klägerin Anspruch auf Ersatz der entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Da eine Begründung für den 2,5-fachen Gebührensatz nicht gegeben worden und auch nicht ersichtlich ist, ist das Gericht von dem 1,3 fachen Satz (985,40 €) bei einem Streitwert bis zu 30.000 € ausgegangen. Zu erstatten sind eine 0,65 Gebühr zuzüglich 20 € Auslagen zuzüglich 16 % Mehrwertsteuer, insgesamt 594,73 €.
82Auf die Schadensersatzforderungen stehen der Klägerin nach § 288 BGB die zugesprochenen Zinsen zu.
83Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
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