Urteil vom Landgericht Dortmund - 22 O 35/08
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger nach einem Streitwert in Höhe von 12.140,00 € auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer bei dieser für seinen Pkw Mercedes Benz C 209/500 Coupé (##-## ###) genommenen Fahrzeugvollversicherung in Anspruch.
3Er verunfallte mit dem Fahrzeug in den frühen Morgenstunden des 08.09.2007 in E. Beim Einbiegen vom T-wall in die H-Straße geriet das Fahrzeug links gegen den Bordstein (Mittelinsel) und kollidierte mit einem Ampelmast. An dem Fahrzeug entstand ein erheblicher Sachschaden, der später von dem Gutachter S auf 15.731,51 € brutto geschätzt und vom Kläger als Totalschaden eingestuft wurde. An der Ampel entstand Lackabrieb. Die Lichtschute des Grünlichtes fiel herunter. Der Kläger entfernte sich vom Unfallort, indem er die Fahrt fortsetzte ohne zuvor auszusteigen.
4Wegen der Unfallörtlichkeit wird auf die Google-Ausdrucke, Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.11.2008 (Blatt 75 und 76 d. A.) sowie die Handskizze der Polizeibeamten (Anlage zum Schriftsatz vom 20.08.2008, Blatt 67 d. A.) verwiesen.
5Der Zeuge J meldete das Unfallereignis zeitnah um 5.34 Uhr der Polizei. Der Kläger konnte als Unfallfahrer mangels näherer Angaben zur Identität des Fahrzeuges durch den Zeugen nicht ermittelt werden. Der Kläger meldete auch der Beklagten den Unfall zunächst nicht.
6Erst am 19.09.2007 ging die auf diesen Tag datierende Schadensanzeige des Klägers bei der Beklagten ein. Der Kläger gab die Uhrzeit des Unfalles in der Schadenanzeige mit 8.00 Uhr an.
7Aufgrund eines anonymen Hinweises vom 02.10.2007 konnte die Polizei den Kläger als Fahrer des Unfallwagens identifizieren. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren wegen Unfallflucht am 20.12.2007 gemäß § 153 a StPO ein, nachdem der Kläger auflagegemäß 300,00 € gezahlt hatte.
8Der Kläger behauptet, ein kleines Tier, ein Hund oder eine Katze, sei rechts von seinem Auto aufgetaucht. Er habe nach links ausweichen wollen, sei mit dem Reifen auf die Mittelinsel gekommen und habe die Kontrolle über das Lenkrad verloren. Er habe durch das geöffnete Fenster gesehen, dass die Ampel nicht beschädigt gewesen sei. Weitere Personen hätten sich nicht in seinem Pkw befunden.
9Er habe den Unfall zunächst nicht der Versicherung gemeldet, weil er nicht gewusst habe, ob er den Schaden vielleicht aus eigener Tasche zahlen würde.
10Der Kläger beziffert seinen Schaden wie folgt:
111. Schaden (Totalschaden: Wiederbeschaffungswert
1226.350,00 € abzüglich Restwert 13.910,00 €) 12.440,00 €
132. Kostenpauschale 25,00 €
143. abzüglich Selbstbeteiligung ./. 300,00 €
15Endsumme: 12.165,00 €
16Der Kläger beantragt,
171. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.140,00 € nebst 5 %-
18Punkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.11.2007 zu zahlen,
192. die Beklagte ferner zu verurteilen, an den Kläger 837,52 €
20(Geschäftsgebühr für außergerichtliche Tätigkeit) zu zahlen.
21Die Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Sie beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung (Unfallflucht, verspätete Anzeige des Unfalls beim Versicherer, Falschangaben). Sie behauptet, der Kläger sei betrunken gefahren, habe Mitinsassen des Fahrzeuges nicht als Zeugen angegeben und den Zeitpunkt des Unfalles falsch bezeichnet. Ein Tier habe sich in der Unfallörtlichkeit nicht befunden. Der Kläger sei Schlangenlinien gefahren.
24Die Kammer hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen J. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.11.2008, Blatt 72 ff. d. A., Bezug genommen.
25E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
26Die zulässige Klage ist unbegründet.
27Die Beklagte ist zu Leistungen aus der Fahrzeugversicherung nicht verpflichtet; sie ist sowohl wegen einer dem Kläger anzulastenden Verletzung seiner Aufklärungsobliegenheit (hierzu im Folgenden: I.) als auch wegen Verstoßes gegen die Anzeigeobliegenheit (II.) leistungsfrei.
28I.
29Der Kläger hat seine Aufklärungsobliegenheit mit der Folge der Leistungsfreiheit für die Beklagte verletzt, § 7 I Abs. 2 Satz 3, IV Abs. 4 AKB, § 6 Abs. 3 VVG. Nach ständiger Rechtsprechung stellt das Verlassen der Unfallstelle immer eine Obliegenheitsverletzung dar, wenn der Tatbestand des § 142 StGB objektiv und subjektiv erfüllt ist (BGH VersR 2000, 222; OLG Hamm, VersR 2002, 1297, OLG Brandenburg RuS 2008, 187).
301. Der objektive Tatbestand des § 142 StGB ist erfüllt. Ein Verkehrsunfall im Sinne des § 142 StGB ist gegeben. Allerdings ist nicht jeder regelwidriger Verkehrsvorgang tatbestandlich ein Verkehrsunfall. Ein Unfall in diesem Sinne setzt vielmehr voraus, dass es zu einem nicht völlig belanglosen Personen- oder Sachschaden gekommen ist. An dem erforderlichen Sachschaden fehlt es, wenn wegen der Geringfügigkeit des Schadens mit der Geltendmachung von Ersatzansprüchen vernünftigerweise nicht zu rechnen ist und die Beseitigung des Schadens auch aus Sicherheitsgründen nicht unbedingt erforderlich ist (Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 142, Rn. 8; OLG Karlsruhe, VersR 1995, 528 jeweils m.w.N.). Vorliegend steht der Annahme eines nur belanglosen Sachschadens bereits entgegen, dass die Schadensbeseitigung aus Sicherheitsgründen erforderlich war. Denn vorliegend hatte sich die Schute von dem Grünlicht gelöst. Die Schute (auch: Abschirmblende) schützt als Anbauteil einer Lichtzeichenanlage die Leuchtfelder der Signalanlage vor direktem Sonnenlichteinfall und soll das Entstehen von Phantomlicht verhindern. Fehlt eine solche Abschirmblende, besteht die Gefahr, dass ein Verkehrsteilnehmer das Signal nicht mehr richtig erkennt. Eine damit verbundene Unfallgefahr hätte mithin im Laufe des anbrechenden Tages bei Sonneneinstrahlung bestehen können.
31Demnach bestand bereits unabhängig von der Höhe des Sachschadens ein nicht nur belangloser Sachschaden.
32Daneben stellt der entstandene Schaden aber auch im Hinblick auf den von der Kammer entsprechend § 287 ZPO – in Übereinstimmung mit der Einschätzung der Staatsanwaltschaft – auf 100,00 € geschätzte Sachschaden keine Bagatelle dar. Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ab wann ein solcher Bagatellschaden anzunehmen ist.
33Teilweise wird ein nicht mehr ganz unerheblicher Sachschaden bereits bei etwa 20,00 € angenommen (OLG Brandenburg RuS 2007, 368; weitere Nachweise bei Schönke/Schröder a.a.O. Rn. 10).
34Demgegenüber will Schönke/Schröder (a.a.O. Rn. 9) die Grenze erst bei 150,00 € ansetzen.
35Letztere Wertgrenze hält die Kammer für zu hoch angesetzt. Um Bagatellen aus dem Tatbestand des § 142 StGB auszugrenzen erscheint es ausreichend aber auch angemessen, die Wertgrenze bei 50,00 € zu setzen (vgl. Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 7 AKB Rn. 25; OLG Brandenburg RuS 2008, 187).
36Auch der subjektive Tatbestand einer Unfallflucht ist gegeben. Für diesen ist Vorsatz erforderlich; bedingter Vorsatz genügt. Vorausgesetzt wird, dass der Täter weiß oder damit rechnet, dass ein Unfall vorliegt und er als Verursacher in Betracht kommt. Nicht erforderlich ist die genaue Kenntnis von der Art des verursachten Schadens; es genügt, dass sich dem Täter die Vorstellung aufgedrängt hat, er habe möglicherweise einen nicht ganz belanglose Schaden verursacht. Nicht ausreichend ist hingegen, dass der Täter hätte erkennen können und müssen, dass ein nicht ganz unerheblicher Sachschaden entstanden ist, da insoweit lediglich Fahrlässigkeit vorläge (Schönke/Schröder a.a.O., Rn. 76 m.w.N.). Die Kammer ist vorliegend davon überzeugt, dass der Kläger die Vorstellung hatte, möglicherweise einen nicht ganz belanglosen Schaden verursacht zu haben. Die Kammer ist aufgrund der massiven Schäden an dem Pkw davon überzeugt, dass der Kläger die Vorstellung hatte, dass auch an der Ampel möglicherweise ein nicht unerheblicher Sachschaden eingetreten war. Da dem erheblichen Sachschaden an dem Pkw des Klägers eine entsprechend intensive Kollision mit der Ampel vorausgegangen sein muss, vermag die Kammer dem Kläger seine Behauptung nicht abzunehmen, er habe aufgrund eines Blickes aus dem Seitenfenster auf die Ampel die Überzeugung gewonnen, dass ein erheblicher Schaden nicht vorliege. Dem Kläger war vielmehr bewusst, dass an der Ampel ein weitergehender Schaden entstanden sein konnte, als er den Unfallort verließ. Er hat diese Möglichkeit nicht nur grob fahrlässig verkannt.
37Dass er die Einzelheiten des tatsächlich entstandenen Schadens nicht kannte ist dabei unerheblich. Sie werden von seinem Vorsatz mitumfasst.
38Der Kläger hat sich auch nicht berechtigt oder entschuldigt im Sinne von § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB von der Unfallstelle entfernt.
39Die Obliegenheitsverletzung des Klägers ist schuldhaft erfolgt. Er hat die insoweit greifende Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG nicht widerlegt.
40Die Beklagte kann sich auch unter Berücksichtigung der Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofs (VersR 1994, 228) auf die Leistungsfreiheit berufen, da die Obliegenheitsverletzung generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden. Das Aufklärungsinteresse des Versicherers ist vorliegend tangiert, weil keine Feststellungen mehr zu einer etwaigen Fahruntüchtigkeit des Klägers getroffen werden können. Auch an einem erheblichen Verschulden des Klägers bestehen keine Zweifel.
41II.
42Die Beklagte ist aus einem weiteren Grund leistungsfrei, weil der Beklagte den Versicherungsfall nicht innerhalb einer Woche angezeigt hat, § 7 I Abs. 2 Satz 1, V Abs. 4 AKB in Verbindung mit § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG.
43Der Kläger hat die Anzeigeobliegenheit objektiv verletzt, da er den Versicherungsfall nicht binnen einer Woche der Beklagten angezeigt hat. Der Kläger hat die gesetzliche Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG nicht widerlegt. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist einem Versicherungsnehmer bekannt, dass ein Verkehrsunfall einem Versicherer rasch zu melden ist (OLG Hamm zfs 2005, 193).
44Abweichendes ergibt sich für den Kläger nicht. Er hat zunächst in Teheran ein dem Landschaftsbaustudium vergleichbares Studium absolviert, hat in Deutschland eine kaufmännische Ausbildung durchlaufen und ein Sonnenstudio geführt. Auch die persönliche Anhörung des Klägers ergab keine Anhaltspunkte für eine Weltfremdheit. Vor diesem Hintergrund kann seine Erklärung, er habe den Unfall zunächst nicht bei der Versicherung gemeldet, weil er nicht gewusst habe, ob der den Schaden nicht aus der eigenen Tasche bezahlen würde, nicht ernsthaft dahin verstanden werden, er habe eine Information der Beklagten unterlassen, weil er geglaubt habe, der Schäden liege nicht wesentlich höher als die Summe aus der Selbstbeteiligung und dem Rückstufungsschaden. Naheliegend ist es vielmehr, dass der Kläger eine Unterrichtung der Versicherung zunächst unterließ, um eine Bestrafung wegen der Unfallflucht zu verhindern.
45Die Vorsatzvermutung ist vorliegend auch nicht aus sonstigen Gründen widerlegt. Zwar hat die Rechtsprechung verschiedentlich angenommen, dass ein allgemeiner Erfahrungssatz oder eine tatsächliche Vermutung dafür spreche, dass der Versicherungsnehmer die Obliegenheit zur baldigen Schadensanzeige nicht vorsätzlich verletzt habe (BGH VersR 1979, 1117; VersR 1981, 321; Prölss/Martin, a.a.O., Rn. 54; zurückhaltender OLG Köln RuS 2004, 456: "gewisse Beweiserleichterung"). Die Kammer hält aber mit Rixecker (Anmerkung zum Urteil des OLG Hamm, a.a.O. zfs 2005, 193 f.) dafür, dass im Bereich der Fahrzeugversicherung für diese Annahme kein Raum ist. Regelmäßig wird eine verspätete Information des Versicherers nicht auf nachvollziehbaren redlichen Motiven des Versicherungsnehmers beruhen. Allenfalls bei kleineren Schäden mag es eine Rolle spielen, dass ein Versicherungsnehmer in Betracht zieht, den Versicherungsfall nicht über seine Kaskoversicherung abzuwickeln, weil eine Selbstbeteiligung zu berücksichtigen ist und/oder eine Rückstufung des Vertrages zu besorgen ist.
46Nach alledem war zu erkennen wie geschehen. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte noch wegen weiterer Obliegenheitsverletzungen des Klägers im Hinblick auf Falschangaben zum Unfallhergang und –zeitpunkt leistungsfrei geworden ist.
47Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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