Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 21/08
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer bei dieser genommenen Unfallversicherung in Anspruch, der die AUB 2000 zugrunde liegen.
3Ziffer 5.1, 5.1.1 der AUB 2000 lautet:
4"Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle:
5Unfälle der versicherten Person durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, sowie durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper der versicherten Person ergreifen.
6Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn diese Störungen oder Anfälle durch ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis verursacht waren."
7Am 26.03.2007 stürzte die Zeugin I, Ehefrau des Klägers und mitversicherte Person, als sie eine Blumenampel aufhängen wollte. Wegen der Einzelheiten der Unfallörtlichkeit wird auf die Anlage A 1 zum Schriftsatz des Klägers vom 23.06.2008, Bl. 55 ff. der Akten, Bezug genommen.
8Die Einzelheiten des Unfallherganges sind zwischen den Parteien streitig.
9Unstreitig erlitt die Klägerin Trümmerbrüche am rechten und linken Handgelenk, die nicht folgenlos ausheilten.
10Die Zeugin füllte die Seite 1 des Unfallberichtes für die Beklagte vom 14.04.2007 aus. In die Spalte "bekannte oder mutmaßliche Unfallursache" trug sie ein: "schwindelig geworden". Als Tätigkeit bei Unfalleintritt gab sie an: "Blumenampel aufhängen". Die unter Ziffer 3. geforderte Schilderung des Unfallherganges gab sie wie folgt ab:
11"Beim Aufhängen einer Blumenampel im Vorhaus wurde mit plötzlich schwarz v. d. Augen, wodurch es zu dem schweren Sturz kam. Ich schlug mit dem Kopf gegen den Türpfosten – Platzwunde neben li. Auge, anschließend 3 Steinstufen hinunter. Hierbei brach ich mir das re. Handgelenk + das linke Handgelenk (Trümmerbruch + mehrere Blutergüsse)."
12Die unter Ziffer 13. gestellte Frage: "Bestehen oder bestanden unabhängig von den Folgen des jetzigen Unfalls Krankheiten oder Gebrechen?" beantwortete sie mit "nein".
13Aufgrund der Angaben der Klägerin zum Unfallhergang im Unfallbericht lehnte die Beklagte Leistungen aus der Unfallversicherung unter Berufung auf den Ausschlussgrund Bewusstseinsstörungen mit Schreiben vom 16.07.2007 ab. Darauf antwortete die Zeugin I mit Schreiben vom 19.07.2007 wie folgt:
14"Ich bin entsetzt und unendlich traurig über ihren heute erhaltenen Brief mit der Unterstellung einer Bewusstseinsstörung. Noch nie in meinem Leben habe ich unter einer solchen Störung gelitten.
15Es geht aus meiner Darstellung des Unfallherganges auch hervor, dass ich mit dem Kopf gegen den Pfeiler schlug. Dies, und das ist mein Fehler, habe ich nicht mitgeteilt, ist durch das Abrutschen meines Fußes von der Treppe passiert. Nur durch das Aufschlagen mit dem Kopf an den Pfeiler wurde mir schwarz vor den Augen.
16So etwas kann jedem passieren. Ich habe ständig Schmerzen in den Händen und nie wieder wird meine linke Hand wieder so einsatzfähig wie zuvor. Die Platte musste schon entfernt werden, zwei Finger sind noch immer taub und in der rechten Hand habe ich noch zwei Schrauben. Viel würde ich dafür geben, wenn dieser Unfall nicht passiert wäre.
17Ich bitte Sie nun ganz herzlich Ihre Entscheidung nochmals zu überdenken.
18Es liegt mir nichts an der erzwungenen Mithilfe für eine Zahlung durch ein Gericht, ich hoffe einfach auf die Glaubwürdigkeit meiner Darstellung und Ihrer Gerechtigkeit.
19Bewusstseinsstörungen habe ich noch nie gehabt, das kann ich Ihnen versichern."
20Die Beklagte lehnte weiterhin Leistungen aufgrund des Ausschlusses ab.
21Der Kläger behauptet, die Zeugin habe sich beim Einhängen der Blumenampel strecken müssen. Hierbei sei sie auf der Stufe der Treppe abgerutscht. Dabei sei sie mit dem Kopf gegen einen hölzernen Türpfeiler gestoßen. Dieser Anstoß sei so heftig gewesen, dass es der Zeugin schwarz vor den Augen geworden sei. Sie sei dann 3 Steinstufen hinabgestürzt und habe sich die Handgelenke gebrochen.
22Der Kläger meint, die Unfalldarstellungen seien nicht widersprüchlich. Der geschilderte Unfallhergang im Unfallbericht vom 14.04.2007 sei von der Beklagten falsch interpretiert worden. Die Darstellungen unterschieden sich lediglich in ihrem Umfang.
23Der Kläger beantragt,
24die Beklagte zu verurteilen, an ihn Leistungen aus der Unfallversicherung Nr. ########## wegen des Unfalls der Frau I vom 26.03.2007, 19.50 Uhr, Am T ##, in A zu erbringen.
25Die Beklagte beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Sie behauptet, die Darstellung des Unfalls in dem Unfallbericht sei zutreffend. Sie hält die dortige Unfallschilderung für eindeutig.
28Die Beklagte beruft sich ferner auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung (Falschangaben zum Unfallhergang, Nichtangabe der unstreitig bei der Zeugin vorliegenden Erkrankungen arterielle Hypertonie, Hypothyreose sowie Diabetes Mellitus (insulinpflichtig)).
29Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin I. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.02.2009, Bl. 77 ff. der Akten, Bezug genommen.
30E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
31Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn vorliegend greift zu Gunsten der Beklagten die im Tatbestand zitierte Ausschlussklausel ein.
321.
33In tatsächlicher Hinsicht ist die Kammer zunächst davon überzeugt, dass die Zeugin von der Treppe stürzte, weil es ihr beim Aufhängen der Blumenampel "schwarz vor Augen" wurde. Das Gericht stützt sich dabei auf die Unfallschilderung der Zeugin in dem Unfallbericht. Den ersten Angaben eines Versicherungsnehmers oder einer versicherten Person kommt regelmäßig besondere Bedeutung zu, weil bei dieser Schilderung der Vorfall unbehelligt von rechtlichen Erwägungen so berichtet wird, wie er sich tatsächlich zugetragen hat. Gleichwohl kann der Versicherungsnehmer/Versicherte noch darlegen, dass es sich anders verhalten habe, als in der ersten Meldung berichtet. Dabei sind jedoch hohe Anforderungen an die Nachvollziehbarkeit und Widerspruchsfreiheit der neuen Behauptung zu stellen (vgl. LG Berlin, RuS 1999, 336; OLG Köln, RuS 1991, 277). Auch vorliegend gebührt der ersten Unfallschilderung aus dem Unfallbericht der Vorrang. Der Sturz wird in diesem Unfallbericht von der Zeugin plausibel und unmissverständlich geschildert. Die Schilderung ist auch nicht, wie der Kläger meint, interpretationsfähig. Der Sachverhalt wird umfassend und in der zeitlichen Abfolge dargestellt. Danach verbietet sich, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, die Zeugin habe das "schwarz vor den Augen werden"/ "schwindelig werden" nicht als Ursache des Unfalls angeben wollen. Die Zeugin hat die Beeinträchtigung in dem Formular an zwei Stellen angegeben. Indem sie zudem die Tätigkeit "Blumenampel aufhängen" als diejenige angab, die sie "bei Unfalleintritt" ausführte, kann es keinem
34Zweifel unterliegen, dass die Zeugin zum Ausdruck bringen wollte, dass es ihr bereits vor dem Anstoß an den Torpfosten schwarz vor den Augen/ schwindelig geworden war. Die Zeugin hat auch selbst nicht bekundet, dass sie mit der Schilderung des Unfallherganges in dem Unfallbericht etwas anderes habe zum Ausdruck bringen wollen, als dies bei unbefangener und ungezwungener Lektüre der Fall ist.
35Soweit die Zeugin sich in dem Schreiben vom 19.07.2007 und bei ihrer Vernehmung von den Angaben in dem Unfallbericht distanziert, ist dies nicht glaubhaft. Dieses Schreiben ist vor dem Hintergrund der auf eine Bewusstseinsstörung begründeten Leistungsablehnung der Beklagten zu sehen. Es ist von dem Bemühen getragen, eine Unfallschilderung zu konstruieren, die den Ausschlusstatbestand nicht erfüllt. Auch die Bekundungen der Zeugin I zum Unfallgeschehen waren nicht überzeugend. Sie hat keine plausible Erklärung dafür abgeben können, warum sie den Unfallbericht etwa wahrheitswidrig abgegeben haben sollte. Die Erklärung, sie habe befürchtet, dass man ihr vorwerfen würde, unvorsichtig gewesen zu sein, etwa, weil sie auf einer Leiter gestanden hätte oder ähnliches, ist nicht glaubhaft, denn die Zeugin bekundete zugleich, das Abrutschen von der Treppe nicht als Ungeschicklichkeit aufgefasst zu haben.
362.
37In rechtlicher Hinsicht sind die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes gegeben, weil die Klägerin infolge einer Bewusstseinsstörung beim Aufhängen der Blumenampel von der Treppe stürzte. Nach Ziffer 5.1.1 der AUB 2000 fallen Unfälle durch Bewusstseinsstörungen nicht unter den Versicherungsschutz. Dabei muss die gesundheitliche Beeinträchtigung so beschaffen sein, dass sie eine den Unfall vermeidende Reaktion des Versicherten nicht zulässt. Dies setzt nicht den Eintritt völliger Bewusstlosigkeit voraus. Es genügen vielmehr solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit des Versicherten, die die gebotene und erforderliche Reaktion auf die vorhandene Gefahrenlage nicht mehr zulassen (BGH NJW 2008, 3644; OLG Hamm, RuS 2009, 30). Eine solche Störung liegt mithin dann vor, wenn die dem Versicherten bei normaler Verfassung innewohnende Fähigkeit, Sinneseindrücke schnell und genau zu erfassen, sie geistig zu verarbeiten und auf sie angemessen zu reagieren, ernstlich beeinträchtigt ist. Sie muss einen Grad erreicht haben, bei dem die Gefahrenlage nicht mehr beherrscht werden kann (OLG Hamm, a.a.O., m.w.N.).
38Dabei muss die Bewusstseinsstörung nicht durch eine vorbestehende Krankheit verursacht worden sein. Vielmehr reichen auch vorübergehende Kreislaufstörungen oder Schwindelanfälle aus, wenn hierdurch die konkrete Gefahrenlage nicht mehr beherrscht werden kann (OLG Karlsruhe, Urteil v. 7.12.2000, AZ: 12 U 190/00; LG Düsseldorf, VersR 2007, 488; Mangen in Beckmann/Matusche-Beckmann, VersR-Handbuch, 2. Aufl., § 47, Rn. 42, anderer Ansicht: Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl., Ziffer 5.1.1 AUB 99, Rn. 8 m.w.N.). Soweit die Kammer in einem früheren Stadium des Prozesses den Hinweis erteilt hat, die Bewusstseinsstörung müsse krankhafter Natur und Folge einer schon vor dem Unfall vorhandenen – gefahrerhöhenden – Beeinträchtigung sein, so wird diese Auffassung - wie in der mündlichen Verhandlung bereits ausführlich erörtert – nicht aufrechterhalten. Die Kammer ist mit dem zuvor zitierten Urteil des OLG Karlsruhe und Mangen der Auffassung, dass auch kurze Schwindelanfälle oder "schwarz vor Augen werden" als gesundheitliche Beeinträchtigungen ausreichend sein können, soweit durch diese die konkrete Gefahrenlage nicht beherrschbar ist. Dies ist vorliegend der Fall. Die Zeugin befand sich beim Aufhängen der Blumenampel in einer Zwangshaltung. Dies verunmöglichte es ihr, bei Eintreten des Schwindels/schwarz vor Augen werdens angemessen zu reagieren, so dass sie von der Treppe fiel. Dass sich das "schwarz vor Augen werden" aus einer gesundheitlichen Beeinträchtigung und nicht etwa aus Änderungen von Lichtverhältnissen oder ähnlichem ergab, folgt bereits daraus, dass die Klägerin in dem Unfallbericht als weitere Unfallursache angab: "Schwindelig geworden". Auch kommen andere – außerhalb des Bereiches gesundheitlicher Beeinträchtigungen – folgende Erklärungen hier nicht in Betracht. Dass die Zeugin etwa übermüdet gewesen sei, trägt sie selbst nicht vor. Hierfür fehlt im Übrigen jeglicher Anhalt. Bei dieser Sachlage kommt es auch nicht darauf an, wie der Zustand der Zeugin aus medizinischer Sicht zu qualifizieren ist (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, a.a.O.). Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die von der Zeugin in dem Unfallfragebogen nicht angegebenen Erkrankungen bei der Bewusstseinsstörung mitgewirkt haben.
39Nach alledem war zu erkennen wie geschehen. Ergänzend weist die Kammer auf Folgendes hin: Die Bekundungen der Zeugin als zutreffend unterstellt, ist die Beklagte wegen einer Obliegenheitsverletzung leistungsfrei. Denn die Zeugin hätte sodann als versicherte Person vorsätzlich unzutreffende Angaben zum Unfallhergang gemacht.
40Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.
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