Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 71/09
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 11.452,93 € die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung unter Geltung der AUB 88. Sie nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Invaliditätsleistung in Anspruch, weil sie am 22.04.2008 bei dem Versuch, ein 15 bis 20 kg schweres Sieb aufzufangen, eine Gewichtsverlagerung vorgenommen hat, die nach ihrer Behauptung zu einem Bandscheibenprolaps L5/S1 geführt hat. Wegen darauf beruhender dauerhafter Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule mit Schmerzausstrahlung in die Beine behauptet sie eine unfallbedingte Invalidität von 20 % und macht die aus einer Versicherungssumme von 57.264,69 € berechnete Invaliditätsleistung nebst vorgerichtlicher Anwaltskosten geltend.
3Die Klägerin beantragt,
41. die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.452,93 € nebst Zinsen
5in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2008 zu zahlen,
62. die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche
7Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 15.12.2008 zu bezahlen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie sieht in dem vorgetragenen Geschehen keinen bedingungsgemäßen Unfall und rügt das Fehlen der formellen Anspruchsvoraussetzungen. Hilfsweise bestreitet sie eine unfallbedingte Invalidität und macht die überwiegende Mitwirkung degenerativer Veränderungen geltend.
11Das Gericht hat zu der behaupteten überwiegenden Ursächlichkeit des vorgetragenen Geschehensablaufes für den entstandenen Bandscheibenvorfall ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen L vom 06.09.2009, wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
13Die Klage ist unbegründet.
14Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsleistung aus der zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherung aus Anlass des Geschehens vom 22.04.2008 zu, weil sie einen bedingungsgemäßen Unfall nicht bewiesen hat.
15Nach § 1 Abs. 3 der vereinbarten AUB 88 liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Zusätzlich bestimmt § 2 Abs. 3 (2) für Bandscheibenschäden, dass für solche Versicherungsschutz nur besteht, wenn ein unter den Vertrag fallendes Unfallereignis die überwiegende Ursache darstellt, wofür den Versicherten die Beweislast trifft. Die Klägerin hat schon nicht bewiesen, dass sie einen versicherten Unfall erlitten hat. Dabei kann dahinstehen, ob der von der Klägerin geschilderte Geschehensablauf die Voraussetzungen eines Unfallereignisses nach § 1 Abs. 3 AUB 88 erfüllt, weil es sich bei dem Versuch, das relativ schwere Sieb aufzufangen, um ein von der Klägerin nicht beherrschbares und in Bezug auf die dadurch verursachte Gesundheitsschädigung unfreiwilliges Geschehen handelt. Diese Voraussetzungen sind auch dann gegeben, wenn eine vom Willen des Versicherten getragene und gesteuerte Eigenbewegung zu einer plötzlichen Einwirkung von außen führt, weil die anfänglich willensgesteuerte Eigenbewegung in ihrem weiteren Verlauf nicht mehr gezielt und beherrschbar gewesen ist, so dass Eigenbewegung und äußere Einwirkung zusammengetroffen sind, wobei die äußere Einwirkung ihrerseits Einfluss auf die veränderte und nicht mehr beherrschbare Eigenbewegung genommen hat (vgl. BGH VersR 2009, 492 = NJW-RR 2009, 679 = R+S 2009, 161). Jedenfalls hat der vorgetragene Geschehensablauf, selbst wenn er ein bedingungsgemäßes Unfallereignis darstellen sollte, nicht zu einer Gesundheitsschädigung geführt. Die Kausalität zwischen dem (hier unterstellten) Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung ist von der versicherten Person mit dem Beweismaß des § 286 ZPO zu beweisen. Dieser Beweis ist der Klägerin nicht gelungen. Denn der Sachverständige hat in dem vom Gericht beauftragten schriftlichen Sachverständigengutachten ausgeführt, dass nicht der Versuch, das relativ schwere Sieb aufzufangen, für den Bandscheibenvorfall verantwortlich war, sondern ein Verschleißleiden an der Wirbelsäule der Klägerin. Für das Gericht nachvollziehbar und mit der Erfahrung des Gerichts in vergleichbaren Fällen übereinstimmend hat der Sachverständige dazu ausgeführt, dass bereits zweifelhaft ist, ob die Kräfte, die beim Auffangversuch in der Drehbewegung des Körpers auf diesen eingewirkt haben, ausreichend waren, um isoliert die Etage L5/S1 zu erreichen, in denen der Bandscheibenvorfall stattgefunden hat. Zudem hat der Sachverständige in der Behandlungsdokumentation keine klassischen Begleiterscheinungen eines posttraumatischen Bandscheibenvorfalles wie Beschwerden in deutlicher Form, Lähmungen und sofort einsetzender Arbeitsunfähigkeit gefunden. So war die Klägerin nicht bereits am 22.04.2008, sondern erst ab dem 24.04.2008 arbeitsunfähig krank geschrieben. Die Zweifel des Sachverständigen hinsichtlich einer traumatischen Verursachung des Bandscheibenvorfalles sind bestärkt worden durch die degenerativen Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule der Klägerin, die durch die bildgebenden Befunde nachgewiesen worden sind. Schließlich hat sich der Bandscheibenvorfall in einer Etage ereignet, die einer der am meisten beanspruchten Bereiche der unteren Lendenwirbelsäule entspricht, welche regelmäßig von degenerativen Bandscheibenvorfällen betroffen ist.
16Mithin ist die degenerative Verursachung des beklagten Bandscheibenvorfalles die zumindest wahrscheinlichere Ursache gegenüber einer traumatischen Verursachung, so dass der Klägerin der Beweis eines durch den Unfallversicherungsvertrag gedeckten Unfalles, der – wie gesagt – eine durch ein Unfallereignis verursachte (Primär-) Schädigung voraussetzt, nicht gelungen.
17Die Klage musste somit mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abgewiesen werden.
18Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und deren Abwendung beruht auf §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
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