Schlussurteil vom Landgericht Dortmund - 4 O 77/05
Tenor
Die Beklagten zu 1) bis 3) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 20.000,00 € (in Worten: zwanzigtausend Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2003 zu zahlen.
Die Beklagten zu 1) bis 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld von 30.000,00 € (in Worten: dreißigtausend Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2003 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 4) und 5) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen und derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der ärztlichen Behandlung am 22.08.2000 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten zu 1) bis 5) als Gesamtschuldner zu 75 % und die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu weiteren 25 %. Im Übrigen tragen die Beklagten zu 1) bis 5) ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin verfolgt gegen die Beklagten Ansprüche auf Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht für sämtliche materiellen und derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aufgrund ärztlicher Behandlung. Im Jahr 2000 wurde sie im Haus der Beklagten zu 1) zunächst durch die Beklagten zu 2) und 3) behandelt. Der Beklagte zu 4) betreibt eine orthopädische Praxis, in der der Beklagte zu 5) die Klägerin behandelte.
3Die Klägerin wirft den Behandlern mehrere Fehler vor: Die Beklagten zu 1) bis 3) werden von der Klägerin wegen einer am 09.08.2000 durchgeführten Liposuktion am Bauch in Anspruch genommen. Operateur war der Beklagte zu 3) unter der Assistenz des Beklagten zu 2). Der Beklagte zu 5) untersuchte die Klägerin einmalig aufgrund einer konsiliarisch angeforderten Untersuchung durch den Beklagten zu 3) am 22.08.2000. Auch diesem werden Behandlungsfehler vorgeworfen.
4Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird zunächst Bezug genommen auf das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Dortmund vom 23.01.2008.
5Durch dieses Grund- und Teilurteil ist dem Grunde nach die Klage gegen die Beklagten zu 1) und 3) als gerechtfertigt erkannt worden. Zudem ist festgestellt worden, dass die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen materiellen und derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der ärztlichen Behandlung der Beklagten zu 1) bis 3) im Zeitraum vom 08.08.2000 bis zum 22.08.2000 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergeben.
6Die Beklagten zu 1) bis 3) haben das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Dortmund mit der Berufung angegriffen. Auf die Berufung ist das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich des Feststellungstenors insoweit abgeändert worden, dass die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen und derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der Operation (Liposuktion) vom 09.08.2000 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen. Im Übrigen ist die Feststellungsklage gegen die Beklagten zu 1) bis 3) abgewiesen. Die weitergehende Berufung der Beklagten zu 1) bis 3) ist zurückgewiesen worden.
7Gegenstand der jetzigen Entscheidung ist mithin die weitere Haftung der Beklagten zu 4) bis 5) sowie die Frage der Haftung der Beklagten zu 1) bis 5) der Höhe nach.
8Die Klägerin beantragt unter Berücksichtigung und nach Maßgabe des rechtskräftigen Grund- und Teilurteils vom 23.01.2008 des Landgerichts Dortmund,
9- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2003 zu zahlen;
- festzustellen, dass die Beklagten zu 4) und 5) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen und derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der ärztlichen Behandlung durch die Beklagten zu 4) und 5) am 22.08.2000 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.
Die Beklagten beantragen,
11die Klage abzuweisen.
12Ergänzend zu dem bisherigen Vorbringen behaupten die Beklagten zu 4) und 5) hilfsweise, entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen L sei der arterielle Verschluss bereits vor dem 21.08.2000 eingetreten.
13Die Kammer hat die Klägerin und den Beklagten zu 5) im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 21.01.2010 nochmals persönlich angehört. Zudem wurde weiter Beweis erhoben durch Einholung eines fachorthopädischen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen L vom 02.12.2008 (Bl. 854 ff. d. A.) sowie eines psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen S vom 16.12.2009, das beide Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2010 nochmals ausführlich erläutert haben. Wegen der Einzelheiten der weiteren Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das schriftliche fachorthopädische Gutachten vom 02.12.2008 (Bl. 854 bis 892 d. A.) sowie das fachpsychiatrische Sachverständigengutachten vom 16.12.2009 (Bl. 1008 bis 1053 d. A.).
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Die zulässige Klage ist gegen die Beklagten zu 1) bis 5) insgesamt begründet. Lediglich soweit die Klägerin die Feststellung begehrt hat, dass die Beklagten zu 1) bis 3) für Schäden über die Operation vom 09.08.2000 hinaus haften, ist der Feststellungsantrag unbegründet und insoweit bereits rechtskräftig abgewiesen.
16Nach Durchführung der weiteren Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass nicht nur die Behandlung im Rahmen der nicht indizierten Liposuktion im Hause der Beklagten zu 1) durch die Beklagten zu 2) und 3) grob fehlerhaft war. Die weitere Beweisaufnahme hat vielmehr zur Überzeugung der Kammer ebenso eine grob fehlerhafte Behandlung durch den Beklagten zu 5), für den der Beklagte zu 4) aufgrund der gemeinschaftlich geführten Praxis ebenfalls haftet, ergeben. Der Klägerin steht aus diesem Grunde gegen die Beklagten ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gemäß der §§ 611, 280 Abs. 1, 249, 253 BGB bzw. der §§ 823 Abs. 1, 253 BGB sowie die Feststellung der weiteren Ersatzpflicht sämtlicher materieller und derzeit nicht vorhersehbarer immaterieller Schäden zu, soweit diese jeweils auf der fehlerhaften Behandlung kausal beruhen. Soweit einerseits die Beklagten zu 1) bis 3) und andererseits die Beklagten zu 4) und 5) zusammen die Folgen verursacht haben, haften sie als Gesamtschuldner im Sinne der §§ 421 ff. BGB.
17Im Einzelnen:
18Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Behandlung durch die Beklagten zu 4) und 5) nicht den Regeln des fachärztlichen Standards entsprochen hat. Die Kammer stützt sich hierbei insbesondere auf die ausführlichen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigengutachtens von L, das der Sachverständige auch für einen Laien sehr gut nachvollziehbar und detailiert in der mündlichen Verhandlung erläutert hat.
19Hiernach ist zunächst davon auszugehen, dass bereits die Diagnose des Beklagten zu 5) bei der Untersuchung und Behandlung der Klägerin am 22.08.2000 grob fehlerhaft war. Ausweislich seiner Dokumentation hat der Beklagte zu 5) die Diagnose eines peripheren Nervenkompressionssyndroms gestellt. Diese Diagnose, die der Beklagte zu 5) im Rahmen der ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung selbst als "Verdachtsdiagnose" bezeichnet hat, war nicht vertretbar. Denn nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen und auch den eigenen Angaben des Beklagten zu 5) gab es keine objektivierbaren Befunde und Anhaltspunkte, aus denen sich die Diagnose ableiten ließ.
20Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass der Beklagte zu 5) zunächst, nachdem ihm die Überweisung aufgrund des Verdachtes eines Bandscheibenvorfalls mitgeteilt worden war, diesen zutreffend ausgeschlossen hat. Im Weiteren war er jedoch verpflichtet, die Klägerin umfassend zu untersuchen und soweit dies im Rahmen der ex ante Sicht möglich war, die richtige Diagnose zu stellen und anschließend die hieraus resultierende Therapie einzuleiten. Für die gestellte Diagnose eines peripheren Kompressionssyndroms bestanden jedoch weder aufgrund der Angaben der Klägerin in der Anamnese noch aufgrund des klinischen Befundes Hinweise, aus denen sich eine solche Diagnose herleiteten ließ. Die Klägerin gab an, dass sie seit dem vergangenen Sonntag einen stechenden Schmerz in der Wade verspürt habe und seitdem insbesondere im Vorderfuß Kälte- und Kribbelgefühle bestünden. Der Sachverständige hat dargelegt, dass dies keine Anzeichen für ein peripheres Kompressionssyndrom, sondern vielmehr für einen arteriellen Verschluss oder zumindest Teilverschluss darstellen. Zu denken sei ebenfalls an eine tiefe Beinvenenthrombose gewesen, die der Beklagte zu 5) jedoch zutreffend ausgeschlossen habe.
21Der Sachverständige hat erläutert, dass bei einem peripheren Kompressionssyndrom ein Geschehen von außen hinzutreten müsse, wodurch die Nerven geschädigt oder zumindest irritiert würden. Denn ein Kompressionssyndrom beinhalte immer einen Nervenschmerz. Ein solches Geschehen hat die Klägerin jedoch nicht geschildert. Soweit der Beklagte zu 5) als Vergleich eine solche Irritation häufig bei Sportlern angab, war die Klägerin nun unstreitig nicht in der Lage, Sport zu treiben. Ausweislich ihrer anamnestischen Angaben, die in der Dokumentation von dem Beklagten zu 5) festgehalten wurden, war ihm bekannt, dass sich die Klägerin in stationärer Behandlung befunden und sich dort letztmalig am 21.08.2000 vorgestellt hatte. Hinzu kommt, dass bei einem Kompressionssyndrom nach Angaben des Sachverständigen in der Regel mit einer Schwellung zu rechnen ist, die unstreitig am Bein der Klägerin ebenfalls nicht vorgelegen hat. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass vielmehr sämtliche Symptome, die die Klägerin zeigte, für den später auch festgestellten arteriellen Verschluss sprachen. Zumindest differenzialdiagnostisch musste dieser Verdacht bestehen, den der Beklagte zu 5) nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch gehabt, dann aber fehlerhaft verworfen hat. Letztlich wusste der Beklagte zu 5) nach eigenen Angaben selbst nicht, was Ursache der Beschwerden der Klägerin war. Die zugegebenermaßen schwierige Untersuchungssituation aufgrund des psychisch sehr auffälligen Zustandes der Klägerin hat die Diagnose zwar erschwert, die gestellte Diagnose eines peripheren Kompressionssyndroms war aber auch unter Berücksichtigung dieser Situation eindeutig falsch und in keinster Weise zu vertreten.
22Die Kammer geht aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen L auch davon aus, dass es sich um einen groben Diagnosefehler handelt, das heißt eine Diagnose die schlechterdings völlig unvertretbar war. Dies gilt insbesondere deshalb, da der Sachverständige ausführlich dargelegt hat, dass für die von dem Beklagten zu 5) gestellte Diagnose keinerlei Anhaltspunkte vorhanden waren, während tatsächlich die eindeutigen Verdachtsmomente für einen arteriellen Verschlusses sprachen. Insbesondere die angegebenen peitschenartigen Schmerzen im Bereich der Wade sowie die in der Folge entstandenen Kälte- und Kribbelsymptome im Vorderfuß hätten dem Beklagten zu 5) eindeutig Veranlassung zu dieser Diagnose geben müssen.
23Der Beklagte zu 5) kann sich auch nicht dadurch entlasten, dass die Klägerin ihm gegenüber angegeben habe, in der Klinik der Beklagten zu 1) habe man die Gefäßsituation bereits untersucht und dort den Verdacht geäußert, es komme vom Rücken. Einen Bandscheibenvorfall hatte der Beklagte zu 5) zunächst selbst zutreffend ausgeschlossen. Zudem konnte er sich den Angaben der sichtlich mitgenommenen und psychisch auffälligen Klägerin nicht ohne Weiteres vertrauen. Er hätte vielmehr zumindest im Hause der Beklagten zu 1) Rücksprache halten müssen und dann erfahren, dass die Prüfung bereits einen Tag zurücklag. Für die Diagnose der Nervenkompression sprach jedenfalls nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nichts.
24Darüber hinaus war die unzweifelhaft eingeleitete Behandlung durch den Beklagten zu 5) auch fehlerhaft und entsprach nicht dem fachärztlichen Standard. Selbst wenn man von einem peripheren Kompressionssyndrom auszugehen hätte, wäre die Behandlung nach den Angaben des Sachverständigen L nicht richtig gewesen. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass das Anlegen eines Zinkleimverbandes auch bei Vorlage eines Kompressionssyndroms nicht die richtige Behandlungsmethode gewesen wäre. In einem solchen Fall wäre vielmehr die sofortige Rücküberweisung in eine Klinik zur Durchführung einer Operation und damit gegebenenfalls zur Entlastung des Nervens notwendig gewesen. Auch soweit der Beklagte zu 5) dargelegt hat, er habe den Verdacht eines arteriellen Verschlusses gehabt, wäre die sofortige Rücküberweisung insbesondere im Hinblick auf die kurze Ischämiezeit von rund 12 Stunden absolut dringend notwendig gewesen. Der Beklagte zu 5) hat jedoch eine solche Rücküberweisung nicht vorgenommen. Er hat zwar im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt, er habe der Beklagten gesagt, sie müsse ins Krankenhaus zurückgehen. Dies widerspricht jedoch seiner eigenen Dokumentation und den bisherigen Angaben im Rahmen des Rechtsstreits. Ausweislich der Dokumentation hat der Beklagte zu 5) die Klägerin zu einem Kontrolltermin für einige Tage später einbestellt. Er hat die Klägerin auch nicht unverzüglich zur weiteren Abklärung in das Haus der Beklagten zu 1) oder in eine andere Klinik verwiesen, sondern die Klägerin ohne weiteren Hinweis auf die absolute Dringlichkeit einer weiteren Abklärung der Beschwerden mit einem Zinkleimband versorgt.
25Soweit sich der Beklagte zu 5) darauf beruft, dass er in seiner Praxis die weitere Abklärung nicht habe selbst durchführen können, da ihm ein Gerät zur Durchführung einer Dopplersonographie nicht zur Verfügung stünde, kann ihn dies ebenfalls nicht entlasten. Auch in diesem Fall gilt, dass eine sofortige Einweisung in eine Klinik, in der die notwendigen Untersuchungsmaßnahmen und die Therapie unverzüglich hätten eingeleitet und durchgeführt werden können, zwingend notwendig war. Auch insoweit geht die Kammer aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigengutachtens von einem groben Behandlungsfehler aus. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass es medizinischem Standardwissen entspreche, dass insbesondere bei den geschilderten Beschwerden eines peitschenartigen Schmerzes im Wadenbereich sowie anschließend auftretendem Kribbel- und Kältegefühl im Vorderfuß weitere Untersuchungsmaßnahmen zur Abklärung zu veranlassen seien. Stattdessen einen Zinkleimverband anzulegen, der möglicherweise nur der Beruhigung der Patientin dienen sollte, ist keinesfalls vertretbar, sondern verstößt erheblich gegen eindeutig bestehendes Standardwissen. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass bei einem zunehmenden Verschluss die Gefahr für die Extremitäten besonders groß ist und daher ein rasches Handeln zwingend notwendig ist. Diesem ist der Beklagte zu 5) in einer sicherlich aus menschlicher Sicht zu betrachtenden für ihn schwierigen Situation nicht nachgekommen.
26Die Beklagten zu 4) und 5) haften daher aufgrund mehrerer grober Fehler für die insoweit entstandenen Schäden der Klägerin, nämlich die grob fehlerhafte Diagnose eines peripheren Kompressionssyndroms und die sodann, auch bei Unterstellung der Richtigkeit der getroffenen Diagnose, sich anschließende fehlerhaften Behandlung durch Anlegen eines Zinkleimverbandes und die fehlende Rück-/Überweisung an einen anderen Behandler.
27Folge der groben Behandlungsfehler sowohl im Rahmen der Haftung der Beklagten zu 1) bis 3) als auch der Beklagten zu 4) und 5) ist, dass zugunsten der Klägerin als Patientin für die Frage der Kausalität von Primärschäden eine Beweislastumkehr gilt. Dies bedeutet, dass zugunsten der Klägerin als Patientin davon auszugehen ist, dass Primärschäden auf den Behandlungsfehler zurückzuführen sind, wenn dies sich nicht als gänzlich unwahrscheinlich darstellt. Infolge der Behandlungsfehler ist von der Ursächlichkeit der im Folgenden dargestellten Schäden der Klägerin auszugehen.
28Aufgrund der grob fehlerhaften nicht indizierten Operation hat sich die Klägerin der Liposuktion am 09.08.2000 und damit einer nicht indizierten Operation unterzogen. Die Kammer geht davon aus, dass die Klägerin aufgrund dieser Operation unter großen Schmerzen insbesondere auch im Bereich des Abdomens gelitten hat und auch heute noch unter Beschwerden leidet. Der Sachverständiger C hat bereits angegeben, dass die Angaben der Klägerin insoweit glaubhaft sind. Insbesondere leidet die Klägerin unter einer Druck- und Klopfempfindlichkeit im Bereich des Bauches. Auch soweit die Klägerin einen Substanzdefekt und eine erhebliche Narbenbildung beklagt, ist dies auf die nicht indizierte Operation am 09.08.2000 zurückzuführen. Der Bauch zeigt Dellen und Unregelmäßigkeiten, auch Falten, die neben einem ästhetisch unschönen Ergebnis auch aufgrund von bestehenden Verwachsungen erhebliche Beschwerden für die Klägerin verursachen.
29Die Kammer hat auch keine Zweifel, dass sich infolge der Operation bei der Klägerin ein MRSA-Keim manifestiert hat. Aus einer Vielzahl anderer Fälle ist der Kammer bekannt, dass die Patienten oft selbst Träger des Keimes sind und die Infektionen nicht auf einer mangelhaften Hygiene im Krankenhaus beruhen. Auch hier mag der Keim bereits auf der Haut der Klägerin gewesen sein. Ohne die Operation wäre dieser Keim aber mit Sicherheit nicht unter die Haut der Klägerin gelangt. Die eingetretene Entzündung des Fettgewebes mit dem Keim ist somit Folge gerade der Operation und der fehlerhaft gestellten Indikation. In der Folge musste die Klägerin bis zum Dezember 2000 in insolierter Behandlung im Krankenhaus verbleiben. Die Kammer glaubt der Klägerin, dass insbesondere auch die isolierte Situation zu erheblichen Beschwerden und einem erhöhten Leidensdruck geführt hat. Auch soweit die Klägerin beklagt hat, dass ihr "Bauchfell" bis Weihnachten 2000 vereitert war, geht die Kammer davon aus, dass dies Folge der nicht indizierten Operation war. Der Sachverständige C hat bereits im Rahmen seines Gutachtens festgestellt, dass zwar nicht das Bauchfell (Peritoneum) selbst, aber doch das subkutane Fettgewebe erheblich vereitert und erwärmt gewesen sei. Dass dieser Zustand bis Weihnachten fortbestanden hat, glaubt die Kammer. Der Sachverständige hat dargelegt, dass auch ausweislich der Krankenunterlagen keine objektiven Anhaltspunkte gegeben sind, um an den Angaben der Klägerin zu zweifeln.
30Folge dessen waren zahlreiche Spülungen, die Behandlung mit Antibiotika und der bereits dargelegte stationäre Aufenthalt von rund 4 Monaten, der sich infolge dieser Erkrankung angeschlossen hat. Auch insoweit haften die Beklagten zu 1) und 3) für diese Folgen.
31Die Kammer geht auch davon aus, dass es nicht gänzlich unwahrscheinlich ist, dass die Embolie und hieraus folgend die Nekrose am Fuß mit der notwendigen Notoperation und Amputation des Vorfußes Folgen der fehlerhaften Operation durch die Beklagten zu 1) und 3) waren. Bereits im Rahmen der nochmaligen ergänzenden Anhörung des Sachverständigen S2 in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Hamm hat der Sachverständige erklärt, dass die Embolie noch als typische Operationsfolge bzw. Spätfolge der Operation aufgetreten sein kann.
32Auch das Gutachten des Sachverständigen C2, das im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren eingeholt worden ist, spricht nicht dagegen. Der Sachverständige hat festgestellt, dass als Vorerkrankungen kein Herzleiden bzw. eine stärkergradig ausgeprägte Artheriosklerose als Grund für die Embolie ersichtlich seien. Auch nach einem Ablauf von 14 Tagen nach der Operation beschreibt der Sachverständige noch den Eintritt einer Fettembolie als möglich. Insoweit ist die Kammer davon überzeugt, dass es letztlich nicht auszuschließen oder gänzlich unwahrscheinlich ist, dass die Embolie infolge der fehlerhaft durchgeführten Operation aufgetreten ist. Aufgrund der zugunsten der Klägerin geltenden Beweislastumkehr haben die Beklagten zu 1) bis 3) mithin auch für diese Folge zu haften.
33Wie bereits dargelegt hat die Kammer keine Zweifel, dass die später am Fuß entstandene Nekrose mit der Folge der Notoperation vom 23.08.2000, des anschließenden stationären Aufenthaltes auf der Intensivstation sowie der bedauerlichen Amputation des Vorfußes Folge dieser Embolie und damit der fehlerhaften Operation durch die Beklagten zu 1) bis 3) sind. Auch der Sachverständige L hat dargelegt, dass bei einem Verschluss der Arteria poplitea die Notwendigkeit der Vorfußamputation bestand, nachdem es bedauerlicherweise im Rahmen der Notoperation nicht gelungen war, die Durchblutung der Arterie zu verbessern.
34Die Kammer geht des Weiteren davon aus, dass nicht auszuschließen ist, dass auch die fehlerhafte Behandlung durch die Beklagten zu 4) und 5) in der Folge die Embolie der Klägerin mit verursacht hat. Der Sachverständige L hat überzeugend ausgeführt, dass insbesondere im Hinblick auf die bestehende Ischämiezeit ein sofortiges Handeln zur Vermeidung eines kompletten Arterienverschlusses und damit des Verlustes einer Extremität geboten ist. Nachdem der Sachverständige im Gutachten zunächst noch angenommen hat, dass bereits bei Vorstellung der Klägerin am 21.08.2000 bei dem Beklagten zu 3) bzw. am 22.08.2000 bei dem Beklagten zu 5) von einem kompletten Verschluss der Arterie auszugehen sei, sind diese Angaben insbesondere im Hinblick auf die Dokumentation der Beklagten zu 3) und 5) eingeschränkt worden. Denn die Kammer geht davon aus, dass sowohl am 21.08.2000 bei der Untersuchung durch den Beklagten zu 3) als auch am Folgetag bei der Untersuchung durch den Beklagten zu 5) die Fußpulse der Klägerin überprüft wurden und diese noch tastbar waren. Anhaltspunkte, insoweit den Angaben der Beklagten keinen Glauben zu schenken, hatte die Kammer nicht. Auch die Klägerin selbst hat vorgetragen, dass der Fuß untersucht wurde. Aus diesem Grunde hat der Sachverständige dargelegt, dass lediglich von einem Teilverschluss auszugehen war. Dann ist aber erst Recht nicht auszuschließen, dass bei einer sofortigen Behandlung in einer Klinik und Einleitung der richtigen Therapie der Eintritt der Embolie zu verhindern gewesen wäre und es in der Folge nicht zur Nekrose und damit notwendigen Notoperation mit Vorfußamputation gekommen wäre.
35Die Kammer geht aus diesem Grunde davon aus, dass die Beklagten zu 1) bis 5) als Gesamtschuldner für diese Folge haften.
36Auch soweit die Klägerin behauptet hat, dass die fehlerhafte Behandlung der Beklagten zu 1) bis 5) zu einer Verschlimmerung der psychischen Situation geführt hat, geht die Kammer von einer Haftung der Beklagten als Gesamtschuldner für die Zunahme bzw. qualitativ stärker werdende Zunahme der Beschwerden aus. Der Sachverständige S hat sehr ausführlich und mit überzeugenden Argumenten dargelegt, dass die Klägerin sicherlich bereits vor Durchführung der streitgegenständlichen Behandlungen an einer Depression gelitten hat. Aufgrund der zahlreichen Krankenunterlagen, die der Sachverständige ausgewertet hat sowie der eigenen Untersuchung der Klägerin ist davon auszugehen, dass die Klägerin vor der Behandlung an einer mittelgradigen bis auch teils schweren Depression gelitten hat, die sich phasenweise besser oder schlechter auswirkte. Die Erkrankung als solche bestand und besteht nach wie vor.
37Die Kammer ist jedoch davon überzeugt, dass sich diese Depression qualitativ zeitweise nach der Behandlung verschlechtert hat. Bis zum Jahr 2004 war Ursache der stärkeren Depressionsauswirkungen die fehlerhaft durchgeführte Liposuktion, die in der Folge sich anschließende weitere Behandlung bis zur Amputation des Vorfußes und die damit verbundenen Einschränkungen der Klägerin.
38Der Sachverständige hat zudem dargelegt, dass sich insbesondere die Schübe und unterschiedlich stark aufgetretenen Symptome der Depression nach der Behandlung im August 2000 deutlich verändert haben. So hat der Sachverständige dargelegt, dass die Klägerin zwar auch zuvor unter wechselnden Gemütszuständen gelitten hat, sie jedoch zumindest noch in der Lage war, einer Arbeit nachzugehen und ihr Leben zu meistern. Zumindest für die Zeit bis etwa August 2004, in der die Klägerin dann auch keine weitere psychiatrische Hilfe durch Frau D mehr in Anspruch genommen hat, war das Leben der Klägerin in besonderem Maße davon gezeichnet, dass sie sich mit den Folgen der Operation auseinandergesetzt hat.
39Die Ausführungen des Sachverständigen sind gut nachvollziehbar. Auch wenn sich die Depressionserkrankung als solche in der Schwere nicht verändert hat, so ist doch verständlich, dass gerade bei einem psychisch kranken Mensch ein solches Krankheitserlebnis Auslöser einer neuen Depressionsphase sein kann.
40Als Folge der Operation hat der Sachverständige zudem festgestellt, dass sich seitdem die Ausprägung der Depression insoweit verändert hat, dass sich bei der Klägerin nunmehr eindeutig eine Somatisierungstendenz zeigt, die dazu führt, dass die Klägerin nun die seelische Belastung in Organerkrankungen umwandle. Dies zeige sich insbesondere dadurch, dass sie sich durch die Vorfußamputation auch körperlich stark beeinträchtigt fühle, obwohl der Sachverständige L dargelegt hat, dass aus rein körperlicher Sicht mit einem guten orthopädischen Schuhwerk bzw. einer Prothese eine Bewegungseinschränkung zwar noch bestehe, aber gut zu tolerieren sei und man mit einer solchen Behinderung dennoch gut leben könne. Die Kläger hat auch heute noch seelisch mit den Folgen der Behandlungsfehler zu kämpfen.
41Die Kammer geht des Weiteren davon aus, dass aufgrund der Fehler der Beklagten zu 1) bis 5) die Klägerin nunmehr auch in ihrer Haushaltsführung sowie in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist. Der Sachverständige L hat dargelegt, dass bei der Klägerin zumindest in Haushaltstätigkeiten, die mit einer Standfestigkeit im Gleichgewichtssinn und Tätigkeiten, zu denen man eine Leiter besteigen muss, Einschränkungen aufgrund der Vorfußamputation bestehen. Aufgrund der Schmerzen im Bereich des Bauches ist sie ebenfalls eingeschränkt und kann sich nur erschwert bücken. Auch diese Einschränkungen haben die Beklagten zu 1) bis 5) zu verantworten, was im Rahmen des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen ist.
42Schließlich geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin infolge der Behandlungsfehler früher erwerbsunfähig geworden ist. Der Sachverständige S hat ausgeführt, dass die Klägerin trotz ihrer bereits bestehenden Depression vor Durchführung der Operation und der sich anschließenden Folgen in der Lage gewesen sei, eine Arbeit als Verkäuferin auszuführen. Die Klägerin hat auch überzeugend und glaubhaft dargelegt, dass sie sich zunächst eine neue Arbeitsstelle gesucht habe, nachdem sie aus der stationären Behandlung in der W-klinik zurückgekehrt sei. Diese Arbeit habe sie jedoch infolge der Operationen und des sich anschließenden Verlaufes dann nicht mehr ausführen und halten können. Ihr sei gekündigt worden. Die Kammer verkennt nicht, dass die Klägerin mittlerweile auch aufgrund der weiteren Erkrankungen und der zwischenzeitlich erlittenen Bandscheibenvorfälle arbeitsunfähig ist. Der Sachverständige S hat jedoch nachvollziehbar dargelegt, dass die bereits nach der Operation auftretende Arbeitsunfähigkeit sicherlich auch auf die psychische Situation der Klägerin zurückzuführen sei. Es bestand insoweit bereits seit dem Jahr 2000 eine Arbeitsunfähigkeit aus psychischer Sicht. Der Sachverständige L hat nämlich ausgeführt, dass aufgrund der erfolgten Vorfußamputation von einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von nur etwa 25 % dagegen auszugehen sei.
43Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände hält die Kammer die Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 50.000,00 € für angemessen, aber auch ausreichend. Hierbei hat die Kammer berücksichtigt, dass die Klägerin insbesondere durch die Amputation des Vorfußes unter einem dauerhaft bestehenden Schaden leidet. Auch hinsichtlich der körperlichen Schäden im Bereich der Bauchdecke, wird sich die Klägerin, wenn sie ein anderes ästhetisches Bild wünscht, einer erneuten Operation unterziehen müssen. Die Kammer hat des Weiteren auch besonders berücksichtigt, dass sicherlich eine Isolationsbehandlung von einem Zeitraum von mehr als 2 bis 3 Monaten im Jahr 2000 für die Klägerin neben den übrigen Beschwerden und Schmerzen eine erhebliche Beeinträchtigung dargestellt hat. Unter Berücksichtigung der gesamtschuldnerischen Haftung geht die Kammer davon aus, dass die Beklagten zu 1) bis 5) insgesamt ein Schmerzensgeld von 30.000,00 € und die Beklagten zu 1) bis 3) aufgrund der weitergehenden Schäden zusätzlich einen weiteren Betrag von 20.000,00 €, mithin insgesamt einen Betrag von 50.000,00 € an die Klägerin zu zahlen haben.
44Darüber hinaus haften die Beklagten zu 1) bis 5) für sämtliche materiellen und derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden. Wie bereits dargelegt haften sowohl die Beklagten zu 1) bis 3) aufgrund der fehlerhaften Operation vom 09.08.2000 als auch die Beklagten zu 4) und 5) aufgrund der fehlerhaften Behandlung am 22.08.2000 für sämtliche Schäden der Klägerin.
45Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 286, 288 BGB.
46Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
47Soweit das Feststellungsbegehren der Klägerin ausweislich des Urteils des Oberlandesgerichts nicht begründet war, hat die Kammer davon abgesehen, der Klägerin Kosten aufzuerlegen. Die teilweise Klageabweisung hat sich nicht auf den Umfang der Haftung der Beklagten ausgewirkt, da die Beklagten zu 1) bis 3) bereits aufgrund der Behandlungsfehler im Rahmen der Operation am 09.08.2000 für sämtliche Folgen, die bei der Klägerin bedauerlicherweise entstanden sind, haften.
48Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
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