Beschluss vom Landgericht Dortmund - 9 T 106/10
Tenor
Die Beschwerde des Treuhänders vom 02.02.2010 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 19.01.2010 wird als unbegründet zurückgewiesen.
1
G r ü n d e
2I.
3Mit Beschluss vom 21.05.2001 wurde das vereinfachte Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Treuhänder bestellt; nach Vollzug der Schlussverteilung wurde das Verfahren mit Beschluss vom 28.07.2003 aufgehoben, nachdem der Schuldnerin mit Beschluss vom 06.05.2003 die Restschuldbefreiung angekündigt worden war. Die Wohlverhaltensphase dauert 7 Jahre ab Aufhebung des Verfahrens.
4Die Schuldnerin ist bei der Fa. T GmbH in L2 beschäftigt. Nachdem sie Anfang 2009 geheiratet hatte, wechselte sie zum 24.04.2009 von der Lohnsteuerklasse I in die Lohnsteuerklasse V, während ihr Ehemann die Steuerklasse III wählte. Die gemeinsamen steuerlichen Vorwegabzüge der Eheleute betragen damit monatlich 2.401,24 € im Vergleich zu monatlich 2.642,58 € bei Wahl der Steuerklassen IV/IV; die Jahressteuerlast der Eheleute beläuft sich in beiden Fällen auf 30.558,00 €. Der monatlich pfändbare Anteil vom Lohn der Schuldnerin beträgt bei Steuerklasse V nur 1.351,02 € gegenüber 1.870,65 € bei Steuerklasse IV.
5Unter dem 25.06.2009 beantragte der Treuhänder daher festzustellen, dass die pfändbaren Anteile am Lohn der Schuldnerin auch ab dem 24.04.2009 so zu berechnen sind, als wäre der Lohnsteuerabzug nach der Lohnsteuerklasse IV durchzuführen, da die gewählte Steuerklasse V sich gläubigerbenachteiligend auswirke.
6Die Schuldnerin beantragte die Zurückweisung dieses Antrags mit der Begründung, dass ein sachlicher Grund für die Wahl der Steuerklasse V vorliege, da ihr Ehemann mehr als das Doppelte verdiene und somit bei der Wahl der Steuerklassen III und V die monatliche Besteuerung am ehesten der zu leistenden Jahressteuer entspreche.
7Mit Beschluss vom 19.01.2010 hat das Amtsgericht Dortmund den Antrag des Treuhänders mit näherer Begründung zurückgewiesen. Es ist insbesondere der Auffassung, dass die Heirat und die danach entstandene neue Einkommenssituation der Familie als sachlicher Grund für einen Wechsel der Steuerklasse zu werten seien.
8Gegen diesen Beschluss hat der Treuhänder am 02.02.2010 sofortige Beschwerde eingelegt und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er weist darauf hin, dass die jährliche gemeinsame Steuerlast der Eheleute gleich hoch bleibe und lediglich die monatlichen Vorauszahlungslasten anders verteilt wären, wobei von der Schuldnerin Lohnsteuerabzugsbeträge an das Finanzamt abgeführt würden, die in der Jahresveranlagung zur Einkommenssteuer auf Einkünfte ihres Ehegatten entfielen. Den Liquiditätsvorteilen der Schuldnerin und ihres Ehemanns stünden erhebliche, nicht hinnehmbare Verluste der Gläubiger gegenüber.
9Das Amtsgericht Dortmund hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht Dortmund zur Entscheidung vorgelegt. Die Schuldnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
10II.
11Die sofortige Beschwerde des Treuhänders ist kraft seiner Amtsstellung statthaft, da er die Entscheidung des Insolvenzgerichts für rechtlich fehlerhaft hält (vgl. Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 6 Rdnr. 12) und zulässig, insbesondere gem. § 569 ZPO form- und fristgerecht erhoben.
12Sie ist jedoch unbegründet, da die Entscheidung des Amtsgerichts Dortmund zu Recht ergangen ist. Der Antrag des Treuhänders auf Feststellung, dass die pfändbaren Anteile am Lohn der Schuldnerin auch ab dem 24.04.2009 so zu berechnen sind, als wäre der Lohnsteuerabzug nach der Lohnsteuerklasse IV und nicht nach der Lohnsteuerklasse V durchzuführen, war nicht gem. §§ 292 Abs. 1 S. 3, 36 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 InsO i.V.m. § 850 h Abs. 2 S. 1 ZPO analog begründet.
13Zwar dient § 850 h ZPO dem Gläubigerschutz und soll verhindern, dass Schuldnereinkommen durch unlautere Manipulationen dem Gläubigerzugriff entzogen wird; auch kommt eine analoge Anwendung dieser Vorschrift in Betracht, wenn der Schuldner durch die Wahl einer für ihn ungünstigen Steuerklasse sein zur Auszahlung kommendes und der Pfändung unterliegendes Nettoeinkommen verkürzt; hierin kann ein Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit liegen und ist dann in entsprechender Anwendung von § 850 h ZPO die missbräuchliche Steuerklassenwahl zu korrigieren. Doch gilt dies – auch unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm insgesamt – nur, soweit für die Wahl der Steuerklasse kein sachlicher Grund besteht und sie missbräuchlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 05.10.2005, Az. VII ZB 26/05; BGH ZVI 2009, 264; OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2000, Az. 2 W 164/99). Denn in den übrigen und vom Gesetzgeber gemeinten Fallkonstellationen des § 850 h ZPO steht stets im Raum, dass der Schuldner sein Einkommen "künstlich kleinrechnet", z.B. durch die Art seiner Anstellung im Familien- oder Ehegattenbetrieb, dass ihm aber tatsächlich, nur eben nicht greifbar, materielle Vorteile für seine Arbeit zufließen, ohne dass die Gläubiger hierauf direkt zugreifen können (vgl. Zöller/ Stöber, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 850 h Rdnr. 3 ff.; BAG NJW 2008, 2606). Bei der Wahl der Steuerklasse verhält es sich jedoch anders, da das Einkommen des Schuldners und seine gesetzliche Steuerpflicht feststehen und ein verdeckter materieller Zugewinn des Schuldners nicht ersichtlich ist, zumal wenn die jährliche Steuerlast sich nicht unterscheidet. Insoweit ist bei der analogen Anwendung der Vorschrift des § 850 h ZPO auf Fälle, in denen es nur um die Wahl der Steuerklasse geht, Zurückhaltung geboten.
14Die Rechtsprechung hat dem Rechnung getragen, indem die Wahl der Steuerklasse bei der Berechnung des pfändbaren Lohnanteils dann nicht über § 850 h Abs. 2 ZPO korrigiert wird, wenn ein sachlicher Grund für die Wahl der Steuerklasse vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 05.10.2005, Az. VII ZB 26/05; BGH ZVI 2009, 264; OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2000, Az. 2 W 164/99).
15Soweit hierzu unstreitig und von dem Treuhänder selbst dargelegt worden ist, dass die monatlichen steuerlichen Abzüge für die Schuldnerin und ihren Ehemann bei den gewählten Steuerklassen III und V insgesamt rund 250,00 € niedriger liegen als bei Wahl der Steuerklassen IV/IV, auch wenn die Jahressteuerlast sich nicht unterscheidet, so ist dies ein ausreichender sachlicher Grund für die getroffene Wahl der Steuerklassen. Denn die höhere monatliche Liquidität kann gegenüber der nur jeweils jährlich erfolgenden Steuererstattung erhebliche sachliche Vorteile haben, zumal die meisten laufenden Ausgaben (Miete, Kfz, Lebenshaltungskosten etc.) ebenfalls monatlich zu entrichten sind. Insoweit liegt der Fall anders als der vom OLG Köln entschiedene (Beschluss vom 03.01.2000, Az. 2 W 164/99), bei dem die getroffene Wahl der Steuerklassen III und V sogar dazu führte, dass an das Finanzamt insgesamt eine höhere Steuer abzuführen war, so dass die eingetretene Gläubigerbenachteiligung tatsächlich die einzige spürbare Folge war.
16Die zu der Fragestellung ergangenen Entscheidungen, ob dem Schuldner eine Stundung der Verfahrenskosten versagt werden kann, wenn er durch einen Wechsel der Lohnsteuerklasse ausreichend pfändungsfreies Einkommen erlangen kann, um diese selbst zu bestreiten (vgl. AG Kaiserslautern, Beschluss vom 12.09.2002, Az. IK 48/02; BGH, Beschluss vom 03.07.2008, Az. IX ZB 65/07), sind auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar, da ihnen andere Maßstäbe zugrunde liegen. Denn während dem Schuldner vor Gewährung der subsidiären und nur vorteilhaften Stundung durchaus zugemutet werden kann, zunächst eigene Anstrengungen zu unternehmen, um die Verfahrenskosten aufzubringen, sind demgegenüber seine Pflichten gegenüber den Gläubigerin im Insolvenzverfahren und in der Wohlverhaltensphase sämtlich gesetzlich normiert und beschränken sich darauf, dass er z.B. seiner Erwerbsobliegenheit nachkommen muss. Hiergegen verstößt er hinsichtlich der Höhe der erzielten Einkommens und insbesondere durch die Wahl der Steuerklasse – wie bereits dargelegt – nur dann, wenn ein dem Verschleiern von Arbeitseinkommen i.S.d. § 850 h ZPO vergleichbarer Fall vorliegt, weil ein sachlicher Grund für die Wahl der Steuerklasse fehlt.
17Da die Beschwerde des Treuhänders bereits in der Hauptsache unbegründet war und daher der Zurückweisung unterlag, erübrigte sich eine gesonderte Entscheidung über den mit Einlegung der Beschwerde gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
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