Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 432/10
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden nach einem Streitwert
in Höhe von 38.025,00 € dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung, der die AUB 2004 (Anlage B 1 zur Klageerwiderung) zugrunde liegen.
3Die Ehefrau des Klägers L (frühere Klägerin) ist versicherte Person.
4Sie verfügt über eine Couch, deren Sitzfläche sich hochklappen lässt. Darunter befindet sich ein Stauraum, den sie zum Lagern von Wäsche benutzt. Am 14.05.2007 wollte sie Wäsche aus der Couch entnehmen und klappte die Sitzfläche hoch. Üblicherweise bleibt die Sitzfläche dann in dieser Position stehen. An diesem Tage löste sich die Sitzfläche, fiel herunter und schlug auf die rechte Schulter der Klägerin. Hierdurch erlitt sie eine Schulterprellung.
5Der Kläger behauptet, seine Ehefrau habe zudem eine Partialruptur im Ansatzbereich der Supraspinatussehne erlitten.
6Die unfallbedingte Funktionsbeeinträchtigung bei ihr sei mit 30 % (von einem Armwert in Höhe von 65 % - Arm bis oberhalb des Ellenbogengelenkes - ) zu bewerten. Der Kläger errechnet daher eine Invaliditätsleistung in Höhe von 38.025,00 € (19,5 % von 195.000,00 €).
7Er beantragt daher,
8die Beklagte zu verurteilen, an ihn 38.025,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.01.2010 zu zahlen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie behauptet, Unfallverletzungen seien folgenlos ausgeheilt. Eine unfallbedingte Invalidität sei nicht verblieben. Die Schädigungen seien degenerativer Natur. Hierzu beruft sie sich auf das von ihr veranlasste Gutachten des Sachverständige I vom 06.01.2010 und 25.08.2010 (Anlagen B 7 und B 11 zur Klageerwiderung).
12Zudem lägen die formellen Voraussetzungen für eine Invaliditätsleistung nicht vor.
13Hilfsweise beruft die Beklagte sich auf die Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen, Ziffer 3 AUB 2004.
14Im Übrigen habe der Kläger die Klageforderung nicht zutreffend berechnet. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin könne allenfalls ein Anspruch in Höhe von 5.550,00 € in Betracht kommen.
15Entscheidungsgründe:
16Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte bedingungsgemäß kein Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung aus §§ 1, 179 f. VVG a. F. in Verbindung mit Ziffer 2.1 AUB 2004 zu.
17I.
18Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Invaliditätsleistung bereits deswegen nicht zu, weil es an der formellen Anspruchsvoraussetzung einer schriftlichen ärztlichen Invaliditätsfeststellung gemäß Ziff. 2.1.1.1 AUB 2004 fehlt. Bei dieser Regelung handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um eine Anspruchsvoraussetzung, die prozessual nicht verzichtbar ist und die die Parteien allenfalls unstreitig stellen können (OLG Celle, NJOZ 2004, 612; r+s 2002, 260; OLG Frankfurt, r+s 2004, 518; OLG Hamm, NVersZ 2001, 551; LG Dortmund NJOZ 2009, 2980). An die bedingungsgemäße ärztliche Invaliditätsfeststellung sind allerdings keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Sie muss sich nicht abschließend zu einem bestimmten Invaliditätsgrad äußern. Die Feststellungen der Unfallbedingtheit eines bestimmten Dauerschadens muss auch nicht richtig sein und dem Versicherer nicht innerhalb der bestimmten Frist zugehen, sofern sie nur fristgerecht getroffen worden ist. Allerdings müssen sich aus der Invaliditätsfeststellung die ärztlicherseits dafür angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen ergeben. Sie muss damit die ärztliche Aussage enthalten, dass das Unfallereignis für den Dauerschaden ursächlich ist, wobei die bloße Möglichkeit der Kausalität nicht ausreicht (OLG Hamm, r+s 2007, 74; MDR 2006, 1045; OLG Frankfurt, r+s 2003, 29). Auch muss die Feststellung eine Aussage zur Invalidität dem Grunde nach treffen (BGH, r+s 1997, 84).
19Diesen Anforderungen genügen die von den Parteien eingereichten ärztlichen Gutachten und Berichte nicht. In dem Gutachten des I wird eine unfallbedingte Invalidität verneint. Nach dem Befundbericht der radiologischen Gemeinschaftspraxis D und S vom 07.04.2010 (Anlage zur Klage) wird eine Partialruptur lediglich für möglich gehalten. Ein Bezug dieser möglichen Partialruptur zu einem Unfallereignis wird in der erforderlichen Weise nicht hergestellt. Das Schriftstück genügt daher nicht ansatzweise den Anforderungen an eine schriftliche ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität. Ähnliches gilt für das "unfallchirurgisch-orthopädische Attest" der G vom 16.06.2010 (Anlage zur Klage), nach welchem eine Partialruptur der Supraspinatussehne nicht als unfallbedingt festgestellt, sondern lediglich eine erneute Begutachtung zu dieser Frage befürwortet wird.
20II.
21Die Regelung zu den formellen Voraussetzungen der Invaliditätsleistung in Ziffer 2.1.1.1 AUB 2004 begegnet hier auch keinen Wirksamkeitsbedenken. Zwar hat das Oberlandesgericht Hamm (Versicherungsrecht 2008, 811) Bedenken gegen eine ausreichende Transparenz geltend gemacht, weil der um Kenntnis der nach einem Versicherungsfall zu treffenden Maßnahmen bemühte Versicherungsnehmer durch das vorangestellte Inhaltsverzeichnis und durch die Überschrift über Ziff. 7 AUB davon abgehalten werden könnte, auch den Anspruchsvoraussetzungen in Ziff. 2.1.1.1 AUB Beachtung zu schenken, so dass die Fristenregelung gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstoßen könnte. Diese Bedenken gegen die Transparenz der maßgeblichen Regelung bestehen jedoch im Hinblick auf das hier zur Prüfung stehende Bedingungswerk der AUB 2004 der Beklagten nicht. Denn der Versicherungsnehmer wird durch dieses hier nicht dazu verleitet, die Regelung für die Frist zur Beibringung der ärztlichen Feststellung zu übersehen. Zunächst wird die Aufmerksamkeit des Versicherungsnehmers, der Ansprüche geltend machen will, im Inhaltsverzeichnis auf die fettgedruckte Überschrift "Der Leistungsfall" gelenkt. Der folgende Gliederungsprunkt Ziff. 7 "Was ist nach einem Unfall zu beachten (Obliegenheiten)?" wird dessen Interesse finden. Liest er dort nach, stößt er auf folgende Einleitung: "Beachten Sie bitte nach einem Unfall zunächst die Voraussetzungen der vereinbarten Leistungsarten nach Ziff. 2 bzw. nach den jeweiligen vereinbarten besonderen (bzw. Zusatz-)bedingungen". Danach liegt ein klarer Verweis auf die Anspruchsvoraussetzungen der Nr. 2 AUB 2004 der Beklagten vor. Damit wird der Versicherungsnehmer veranlasst, sich auch Ziff. 2.1.1.1. der AUB 2004 durchzulesen. Ihm wird deutlich gemacht, dass Ziff. 7 keine abschließende Erläuterung dessen enthält, was von einem VN nach einem Unfall zu beachten ist (zu einer wortgleichen Verweisung LG Dortmund VersR 2010, 193, insoweit bestätigt durch Beschluss des OLG Hamm vom 02.11.2009 (Az: 20 U 151/09); zu einer ähnlichen "Rückverweisung": LG Dortmund NJOZ 2008, 4035 und OLG Celle ZfS 2009, 34).
22III.
23Der Beklagten ist die Berufung auf das Fehlen der schriftlichen ärztlichen Feststellung auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt. Da es sich – wie bereits oben dargelegt - um eine Anspruchsvoraussetzung handelt, kann deren Vorliegen nicht über die Grundsätze von Treu und Glauben fingiert werden.
24Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass auch der Anspruch zur Höhe nicht schlüssig dargelegt worden ist. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass nach dem Vortrag des Klägers allenfalls ein Anspruch in Höhe von 5.550,00 € bestehen könnte (10 Renten à 550,00 €). Dies folgt aus dem zwischen den Parteien vereinbarten Bedingungswerk, wonach bei einem Invaliditätsgrad von 10 % bis unter 20 % 10 Unfallrenten (hier à 555,00 €) zu zahlen wären.
25Nach alledem war zu erkennen wie geschehen. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.
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Referenzen
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