Urteil vom Landgericht Dortmund - 12 O 415/10
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.10.2010 zu zahlen.
Der Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger einen Erwerbsausfallschaden in Höhe von 2.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.10.2010 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und, so weit nicht vorhersehbar, immateriellen Zukunftsschaden aus Anlass des Sportunfalls des Klägers vom 18.4.2010 auf dem Gelände der Sportanlage E in M zu ersetzen, soweit ein öffentlich-rechtlicher Forderungsübergang nicht stattfindet.
Der Beklagte wird schließlich verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.071,11 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.10.2010 zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 65.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einer Sportverletzung im Rahmen eines Fußballspiels.
3Die Parteien nahmen als Feldspieler bei dem Meisterschaftsspiel der Kreisklasse A 3 E zwischen dem VfB M2, Verein des damals 32 Jahre alten Klägers, und dem VfL L, Verein des Beklagten, am 18.4.2010 auf der Sportanlage E in M teil. In der 74./75. Minute foulte der Beklagte den Kläger im Bereich des Mittelkreises mit gestrecktem Bein. Die Einzelheiten der vorausgegangenen Spielsituation und der konkrete Vorgang des Fouls sind zwischen den Parteien streitig. Der Schiedsrichter ahndete das Foul mit der gelben Karte.
4Der Kläger musste mit einem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht werden. Er erlitt durch ein komplexes Distorsionstrauma schwere Verletzungen am linken Knie. Das hintere Kreuzband wurde ruptiert; das vordere Kreuzband mit Knochen abgesprengt. Posttraumatisch bildete sich wegen einer Dissektion der linken A. poplitea eine ausgeprägte Schwellung im Bereich des linken Unterschenkels. Der Kläger wurde wegen Auftretens eines Kompartmentsyndroms mehrfach stationär behandelt und operiert. Es erfolgte u.a. eine mediale und laterale operative Spaltung der Faszien am Unterschenkel. Dabei musste eine operative Revascularisation durchgeführt werden, um den linken Unterschenkel vor einer Amputation zu retten. Das Ergebnis der Venenbypassoperation wurde mit einem Fixateur externe gesichert, um die Rekonvaleszenz sicherzustellen. Es schlossen sich mehrere chirurgische Folgeeingriffe an. Der Kläger kann bis zum heutigen Tage nicht selbständig gehen und ist auf Unterarmstützen angewiesen. Er ist vollständig arbeitsunfähig. Ihm entstand ein Erwerbsschaden in Höhe von 2.000,00 €.
5Der Kläger forderte den Beklagten mit Schreiben vom 10. und 28.09.2010 jeweils unter Fristsetzung auf, ein Schuldanerkenntnis abzugeben. Der Beklagte lehnte mit anwaltlichem Schreiben vom 11.10.2010 eine Haftung ab.
6Der Kläger trägt vor, er habe kurz vor dem Foul den Ball in einem Zweikampf mit einem Vereinskameraden des Beklagten regelgerecht erobert. Dabei sei er zu Boden gegangen und habe im Liegen den Ball weggetreten. Die Spielsituation sei beendet gewesen. Trotzdem sei der Beklagte mit gestrecktem Bein wie „Rambo“ herangesprungen und habe ihn im Wege des Revanchefouls vorsätzlich mit voller Wucht am Knie getroffen. Der Angriff habe nicht dem Wettkampf um den Ball, sondern ausschließlich der in Kauf genommenen schweren Verletzung des Beklagten gegolten. Der Beklagte habe den Umstehenden beim Abtransport mit dem Krankenwagen zynisch zugerufen „Winkt ihm mal alle zu!“. Außerdem habe er in der Kabine sinngemäß gerufen: „Den habe ich gut weggetreten, gut, dass ich noch durchgezogen habe!“ und „Ah, auch wenn wir verloren haben, hat sich das Spiel für mich gelohnt, man, den habe ich aber gut getroffen!“. Er sei durch die Verletzung lebenslang beeinträchtigt und werde nie wieder Sport treiben können. Freizeitaktivitäten wie Joggen oder Wandern seien ausgeschlossen.
7Der Kläger ist der Meinung, der Beklagte hafte aus §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2, 826 Abs. 1 BGB. Er habe vorsätzlich gegen die Fußballregeln des DFB 2010/2011 verstoßen. Das Foul sei eine Tätlichkeit, weil der Beklagte übermäßig hart und brutal in den Zweikampf eingestiegen sei. Die schweren Verletzungen habe er billigend in Kauf genommen. Das unsportliche Verhalten des Beklagten während und nach dem Spiel müsse bei Bemessung des Schmerzensgelds berücksichtigt werden. Der Feststellungsantrag rechtfertige sich, weil ein Kompartmentsyndrom bei Älterwerden des Gewebes zu Nachoperationen – sogar zur Amputation – führen könnte.
8Der Kläger beantragt,
9den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 50.000,00 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich seit dem 14.10.2010 zu zahlen,
10den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich seit dem 14.10.2010 zu zahlen,
11festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle materiellen und, soweit nicht vorhersehbar, immateriellen Zukunftsschaden aus Anlass des Sportunfalls des Klägers vom 18.04.2010 auf dem Gelände der Sportanlage E in M zu ersetzen, soweit ein öffentlich-rechtlicher Forderungsübergang nicht stattfindet,
12und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger weitere 1.071,11 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten jährlich über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.10.2010 zu zahlen.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Er behauptet, der Kläger sei bei der Eroberung des Balls nicht zu Boden gegangen, sondern sei mit dem Ball auf ihn zugelaufen. Dabei habe der Kläger die Kontrolle über den Ball verloren. Der Ball habe sich in der Mitte zwischen ihm und dem Kläger befunden. Die Wahrscheinlichkeit der Balleroberung sei für beide gleich groß gewesen. Beide hätten deshalb versucht, den Ball jeweils mit gestrecktem Bein zu erreichen. Der Kläger habe den Ball nur um Bruchteile von Sekunden früher berührt und weggeschossen. Im selben Augenblick seien beide ineinander gerutscht. Dabei habe er mit seinem Fuß die Kniekehle des Klägers ohne jede Absicht getroffen. Trotz der schweren Verletzung verbleibe keine dauerhafte Beeinträchtigung. Die ärztlichen Berichte sprechen für einen komplikationslosen Heilungsverlauf. Er habe sich weder auf dem Platz noch nach dem Spiel abfällig über den Kläger geäußert.
16Der Beklagte vertritt die Ansicht, er hafte nicht für den Sportunfall. Das Verhalten beider Parteien sei gleichwertig gewesen. Ein Verstoß gegen die Regelungen des DFB liege nicht vor. Es sei Zufall gewesen, dass die Verletzung nicht bei ihm, sondern beim Kläger eingetreten sei. Die Verletzungsfolge beruhe auf einem atypischen, nicht vorhersehbaren Verletzungsverlauf. Die Schmerzensgeldforderung sei überhöht.
17Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen N, N2, L2, I, T, Q, X, I2, X2, A und T2. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und auf die Sitzungsprotokolle vom 18.07.2011 und 19.09.2011 Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe
19Die zulässige Klage ist begründet.
20Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 € gemäß § 823 Abs. 1 BGB.
21Die Haftung eines Sportlers aus § 823 Abs. 1 BGB setzt den Nachweis voraus, dass dieser schuldhaft gegen die Regeln des sportlichen Wettkampfs verstoßen und dabei einen anderen verletzt hat (vgl. BGH, Urteil vom 5.03.1957, Az: VI ZR 199/56, und Urteil vom 27.10.2009, Az: VI ZR 296/08). Ein objektiver Regelverstoß indiziert allerdings nicht automatisch ein schuldhaftes Verhalten. Die Eigenart des Fußballspiels als Kampfspiel fordert vom einzelnen Spieler oft Entscheidungen und Handlungen, bei denen er schnell Chancen abwägen und Risiken eingehen muss, um dem Spielzweck erfolgreich Rechnung zu tragen, was im Rahmen des Schuldvorwurfes berücksichtigt werden muss (vgl. OLG München, Urteil vom 25.02.2009, Az: 20 U 3523/08). Ein Schuldvorwurf ist daher nur berechtigt, wenn die durch den Spielzweck gebotene bzw. noch gerechtfertigte Härte die Grenze zur Unfairness überschreitet. Solange sich das Verhalten des Spielers noch im Grenzbereich zwischen kampfbetonter Härte und unzulässiger Unfairness bewegt, ist ein Verschulden trotz objektiven Regelverstoßes nicht gegeben (vgl. BGH und OLG München a.a.O; OLG Hamm VersR 99, 1115).
22Der Beklagte hat den Kläger zumindest fahrlässig und in rechtswidriger Weise in der körperlichen Gesundheit verletzt. Er hat mit der Attacke gegen den Kläger den Grenzbereich der in einem Meisterschaftsspiel der Kreisklasse A gebotenen und zu billigenden Härte deutlich überschritten und den Kläger unter Verstoß gegen die Regelungen des DFB schwer verletzt. Die Beweisaufnahme hat das unfaire Verhalten des Beklagten ergeben.
23Der Zeuge N2 hat in der mündlichen Verhandlung am 19.9.2011 nachvollziehbar die Vorgänge geschildert, die zu dem Sportunfall geführt haben. Er habe den Vorfall aus einer Entfernung von ca. 2 m gut beobachten können. Der Kläger sei zunächst in einem Zweikampf mit einem anderen Mitspieler verwickelt gewesen. Dabei habe er den Ball erobert, sei aber zu Boden gegangen. Die Situation sei geklärt gewesen. Der Beklagte sei trotz einer messbaren Zeitverzögerung aus dem Lauf heraus mit gestrecktem Bein in Richtung des am Boden liegenden Klägers gesprungen, obwohl der Ball bereits weg gewesen sei. Das Foul sei nach seiner Wahrnehmung nicht mehr grenzwertig, sondern habe die gebotene Härte deutlich überschritten.
24Der Zeuge L2, der ebenfalls nur 2 m von den Parteien entfernt stand, hat die Aussage des Zeugen N2 in vollem Umfang bestätigt. Er hat insbesondere zu Protokoll gegeben, der Beklagte habe keinen Grund gehabt, in den Zweikampf einzusteigen, weil der Ball längst weg gewesen sei. Aus seiner Sicht sei das Foul eine gezielte Attacke gegen das Bein des Klägers gewesen. Der Beklagte habe absichtlich und mit deutlicher Kraft zugetreten. Überdies sei ihm aufgefallen, dass der Beklagte im Verlauf des Spieles weitere Spieler bewusst gefoult habe.
25Der Zeuge I, der ca. 10 m entfernt war, hat unterstrichen, der Kläger habe den Ball zunächst in einem Zweikampf erobert; dieser sei ihm allerdings versprungen. Der Beklagte sei, nachdem der Ball bereits ein bis zwei Sekunden weg gewesen sei, mit gestrecktem Bein in die Seite des am Boden liegenden Klägers hineingesprungen. Der Zeuge hat hervorgehoben, der Angriff sei nicht erforderlich gewesen, um an den Ball zu kommen. Dieser sei längst weg gewesen. Er habe ein solches heftiges Foul noch nie gesehen, obwohl er bereits seit 23 Jahren Fußball spiele.
26Die Aussage des Zeugen T, Schiedsrichter des Spiels, ist demgegenüber unergiebig geblieben. Er konnte sich an das Foul nicht erinnern. Er hat eingeräumt, er sei nicht sicher, ob er einen freien Blick auf die Situation gehabt habe. Er hat insbesondere nicht gewusst, ob der Beklagte mit gestreckten Beinen in den Zweikampf gegangen sei. Gleiches gilt für die Erläuterungen der Zeugin T2, die das Foulspiel nicht gesehen hat.
27Die Aussage des Zeugen Q kann die Darstellung der ersten drei Zeugen nicht widerlegen. Er hat zum Zeitpunkt des Fouls an der Außenlinie gestanden. Das Gericht hat bereits erhebliche Zweifel daran, ob der Zeuge aufgrund seiner Entfernung die Vorgänge am Mittelkreis hinreichend genau beobachten konnte. Der Zeuge hat überdies nicht gewusst, wo der Ball zum Zeitpunkt des Fouls gelegen hat. Zudem hat er ausgesagt, er sei sich ganz sicher, dass keine der Parteien mit gestreckten Beinen in den Zweikampf gegangen seien. Dies ist aber zwischen den Parteien unstreitig. Schließlich hat der Zeuge betont, aus seiner Sicht habe überhaupt kein Foul vorgelegen. Das Gericht kann diese Erkenntnis in Anbetracht aller Zeugenaussagen und unter Berücksichtigung der Verletzungsfolgen nicht nachvollziehen.
28Das Gericht schenkt der Aussage des Zeugen X2, der ca. drei bis 5 Meter von den Parteien entfernt stand, keinen Glauben. Er hat die Geschehnisse in der Weise dargestellt, dass dem Kläger der Ball versprungen und in der Mitte zwischen den Parteien zum Liegen gekommen sei. Daher hätten beide Parteien die gleiche Chance gehabt, den Ball zurückzuerobern. Das Gericht hat allerdings den Eindruck gewonnen, dass der Zeuge seine Aussage zu Gunsten des Beklagten verharmlost hat. So hat er weder ein Aufschlaggeräusch gehört, noch eine besondere Gewalt beim Zusammenprall wahrgenommen. Dies lässt sich mit der Art der Verletzungsfolgen nicht in Einklang bringen. Die Verletzungsfolgen sind, was noch ausgeführt wird, durch einen extremen Aufprall ausgelöst worden. Das Gericht bewertet die Aussage des Zeugen X2 als Schutzbehauptung zugunsten des Beklagten.
29Gleiches gilt für die Aussagen der Zeugen X, I2 und A, die der Aussage des Zeugen X im Wesentlichen entsprechen. Die Zeugen haben ebenfalls betont, keine besondere Gewaltentfaltung gesehen zu haben. Dies steht mit der Art der Verletzung, wie noch ausgeführt wird, im Widerspruch. Das Gericht kann sich überdies nicht vorstellen, dass der Zeuge X von seinem Tor aus wegen der weiten Entfernung zum Mittelkreis die Geschehnisse, die sich in wenigen Sekunden abspielten, mit der erforderlichen Präzision verfolgen konnte. Gleiches gilt für den Zeugen I2, der am Elfmeterraum stand.
30Das Gericht ist aufgrund der Aussagen der Zeugen N2, L2 und I der festen Überzeugen, dass der Beklagte den Kläger mit deutlich über das in einem Fußball dieser Klasse gebotene Maß der Härte mit gestrecktem Bein attackiert hat. Aus Sicht des Gerichts kann dahinstehen, ob der Beklagte hinreichende Möglichkeit zur Balleroberung hatte. Der Beklagte hätte den Kläger, auch bei gleichwertiger Chance den Ball um Sekundenbruchteile vor dem Kläger zu erreichen, nicht mit gestrecktem Bein aus vollem Lauf angreifen dürfen. Die streitgegenständliche Spielsituation im Bereich des Mittelkreises, also ohne unmittelbare Torgefahr, rechtfertigt keinesfalls einen Angriff „ohne Rücksicht auf Verluste“. Bei einem Tritt mit gestrecktem Bein aus vollem Lauf wird die extreme Wucht des Aufpralls direkt auf den Gegenspieler übertragen. Die hohe Wahrscheinlichkeit einer schweren Verletzung liegt auf der Hand. Dabei ist unerheblich, dass der Kläger ebenfalls mit gestrecktem Bein in den Zweikampf eingestiegen ist. Dies hätte allenfalls eine Haftung des Klägers ausgelöst, wenn er den Beklagten verletzt hätte. Dies kann aber nicht dazu führen, den Beklagten von seiner Haftung freizusprechen.
31Der Eindruck des Gerichts wird durch die Art der vom Kläger erlittenen schweren Verletzungen untermauert. Zwar kann aus der Schwere der Verletzung, die ein Fußballspieler beim Kampf um den Ball erlitten hat, grundsätzlich nicht abgeleitet werden, dass sich der Gegner regelwidrig verhalten haben muss (vgl. OLG Nürnberg, VersR 1998. 69, 70). Der vorliegende Fall liegt aber wegen der außergewöhnlichen Verletzungsfolgen anders. Der Tritt des Klägers hatte u.a. zur Folge, dass sowohl das vordere Kreuzband als auch beide hinteren Kreuzbänder abgerissen sind, wobei das vordere Kreuzband mit Knochen abgesprengt wurde. Nach Angaben des Zeugen N, Unfallchirurg und behandelnder Arzt des Klägers, den die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2011 anstelle eines Sachverständigen als sachverständigen Zeugen anerkannt haben, reiße bei einem Tritt mit gestrecktem Bein im Fußballspiel gegen das Knie des Gegenspielers normalerweise nur das vordere Kreuzband. Die Ruption der hinteren Kreuzbänder und das Absprengen des Knochens am vorderen Kreuzband deuten auf eine Kraft hin, die deutlich über das normale Maß hinaus geht. Es muss daher eine extreme Krafteinwirkung stattgefunden haben.
32Das Gericht geht in Anbetracht dieser Feststellung davon aus, dass der Beklagte „ohne Rücksicht auf Verluste“ aus dem vollen Lauf heraus mit getrecktem Bein in den Zweikampf eingestiegen ist und dabei besonders brutal zugetreten hat. Diese Vorgehensweise ist ein klarer Verstoß gegen die Regelungen des DFB – auch wenn der Kläger, was das Gericht bezweifelt, eine gleichwertige Chance gehabt haben soll, den Ball zu erreichen. Indem sich der Beklagte über das Gebot der Fairness bewusst hinweg gesetzt hat, hat er zumindest die erforderliche und für ihn auch erkennbare Sorgfalt außer Acht gelassen, die angesichts der konkreten Spielsituation geboten war. Er hat jedenfalls fahrlässig gehandelt und für die Folgen seines schuldhaften Handelns einzustehen.
33Die Verletzungsfolgen sind zwischen den Parteien im Wesentlichen unstreitig. Der Kläger hat durch ein komplexes Distorsionstrauma schwerste Verletzungen am linken Knie erlitten. Durch die Verdrehung des Kniegelenks wurden die hinteren Kreuzbänder abgerissen und das vordere Kreuzband mit Knochen abgesprengt. Der Zeuge N hat in der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2011 betont, dass durch die Wucht des Aufpralls sogar beide hinteren Kreuzbänder abgerissen seien. Posttraumatisch habe sich wegen der Zerfetzung der Arterie in der Kniekehle eine ausgeprägte Schwellung im Bereich des linken Unterschenkels gebildet. Der Kläger ist mehrfach stationär behandelt und operiert worden. Es hat wegen eines Kompartmentsyndroms u.a. eine mediale und laterale operative Spaltung der Faszien am Unterschenkel stattgefunden. Dies bedeutet, dass Arterie, Vene und Nerven eingeklemmt worden sind. Es musste eine operative Revascularisation durchgeführt werden, um den linken Unterschenkel vor einer Amputation zu retten. Das Ergebnis der Venenbypassoperation ist mit einem Fixateur externe gesichert worden, um die Rekonvaleszenz sicherzustellen. Es haben sich mehrere chirurgische Folgeeingriffe angeschlossen. Die Diagnose lautete zusammengefasst: posttraumatisches Kompartmentsyndrom des linken Unterschenkels, Rupturen des vorderen und hinteren Kreuzbandes links und posttraumatischer Verschluss der A. poplitea links. Dabei handele es sich nach Auskunft des Zeugen N um einen „Totalschaden“.
34Die Verletzungsfolgen beeinträchtigen den Kläger entgegen der Behauptung des Klägers dauerhaft. Dies hat der Zeuge N in der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2011 ohne vernünftige Zweifel dargestellt. Die derzeitige Situation lasse eine Operation der hinteren Kreuzbänder wegen der komplizierten Verletzung der Gefäße nicht zu. Eine Operation könnte den Schaden verschlimmern. Derzeit könne nur darauf geachtet werden, dass kein Druck erzeugt und die Durchblutung sichergestellt werde, um eine Amputation zu verhindern. Die vorhandene Instabilität der Kreuzbänder werde aber auch nach einer ggf. später erfolgreichen Operation verbleiben. Die Muskulatur des Klägers werde wegen der Spaltung der Faszien nie mehr so kraftvoll sein, wie vor dem Sportunfall. Der Kläger ist auf unabsehbare Zeit auf das tägliche und nächtliche Tragen einer stabilisierende Beinschiene angewiesen.
35Die Verletzungsfolgen sind adäquat kausal auf das Foul des Beklagten zurückzuführen. Es handelt sich entgegen der Ansicht des Beklagten nicht um einen atypischen Verletzungsverlauf. Dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Der Zeuge N hat nachvollziehbar aufgeklärt, dass es sich bei den Verletzungsfolgen des Klägers um typische Verletzungsfolgen bei einem Unfall im Fußballsport handele. Das Kompartmentsyndrom trete nach dem Stand der Wissenschaft im häufigsten Falle beim Verkehrsunfall, im zweithäufigsten Falle beim Fußballspiel auf. Die Verletzung der Arterie sei zwar selten, aber eine klassische Verletzungsfolge, wenn bei Verrenkung des Kniegelenks und Abriss der Kreuzbänder der Unterschenkel gegen die Gefäße gedrückt werde. Es handele sich auch unter Berücksichtigung der Prellmarke des proximalen Unterschenkels nicht um eine ungewöhnliche Verletzungsfolge.
36Der Kläger kann Ersatz seines materiellen und seines immateriellen Schadens verlangen (§§ 249, 253 Abs. 2 BGB).
37Er hat Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld. Die Schmerzensgeldhöhe muss unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgeblichen Umstände festgesetzt werden und in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzung stehen (OLG München a.a.O.). Ausmaß und Schwere der Verletzung sind ebenso zu berücksichtigen wie das Verhalten und der Verschuldungsgrad des Schädigers.
38Dabei ist das abfällige Verhalten des Beklagten nach dem Foul schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen. Der Zeuge N2 hat beobachtet, wie der Beklagte während des Spiels dem Krankenwagen hinterher gewunken habe. Der Beklagte habe andere Spieler angesprochen und zu ihnen gesagt, sie sollten aufpassen, dass sie nicht hinterherfahren. Zudem habe er gehört, wie der Beklagte an den Kabinen zynisch geäußert habe, das Spiel sei blöd gelaufen, aber es habe sich für ihn gelohnt. Der Zeuge L2 hat ebenfalls gesehen, wie der Beklagte dem Krankenwagen hinterher gewunken habe. Zudem habe der Beklagte im Kabinengang gesagt, er habe den Kläger aber gut getroffen. Dies konnte auch der Zeuge I bei seiner Vernehmung unterstreichen. Demgegenüber hat der Zeuge X ausgesagt, er sei zusammen mit dem Beklagten in die Kabine gelaufen und habe keine abwertenden Äußerungen gehört. Das Gericht wertete seine Aussage als Schutzbehauptung zu Gunsten des Beklagten.
39Das Gericht hält unter Berücksichtigung der Schwere der Verletzung des zum Unfallzeitpunkt 32 Jahre alten Klägers, der andauernden Schädigung, insbesondere der latenten Gefahr der Amputation des Beines, der äußert schwierigen Heilbehandlung, die dauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers, der Brutalität der Verletzungshandlung und dem herabwürdigenden Verhalten des Beklagten während und nach dem Spiel ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 € für angemessen.
40Neben dem Ersatz des immateriellen Schadens steht dem Kläger auch Ersatz seines materiellen Schadens zu (§ 249 BGB).
41Der Kläger hat gegen den Beklagten zunächst einen Anspruch auf Erstattung des Erwerbsschadens in Höhe von 2.000,00 €. Der Kläger hat vor dem Unfall ein Gehalt von durchschnittlich 1.696,37 € pro Monat bezogen. Die Krankenkasse zahlte nach Ablauf der sechswöchigen Arbeitgeberentgeltpflicht monatlich 1.156,96 €. Der Beklagte hat folglich in den vier Monaten bis Ende September einen Erwerbsschaden in Höhe von über 2.000,00 € erlitten. Der Kläger macht hiervon einen Teilbetrag in Höhe von 2.000,00 € geltend. Der Beklagte hat keine Einwendungen erhoben.
42Der materielle Schadensersatz umfasst auch die begehrten Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.071,11 € (vgl. BGH NJW 2006, 1065; OLG München a.a.O). Die Höhe ergibt sich aus dem Vergütungsverzeichnis zum RVG. Der in Ansatz gebrachte Geschäftswert ist mit 102.000,00 € nicht zu beanstanden.
43Die zulässige Feststellungsklage ist ebenfalls begründet.
44Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich aus der Gefahr von Spätfolgen. Deren Möglichkeit ergibt sich unter anderem aus der Aussage des Zeugen N. Der Zeuge hat aufgezeigt, dass die hinteren Kreuzbänder wegen der komplizierten Gefäßsituation derzeit nicht operiert werden könnten. Derzeit müsse weiterhin die Durchblutung des Beines gesichert werden. Es stünden mit Blick auf die Kreuzbänder weitere Operationen an. Außerdem bestehe die Möglichkeit weiterer Verletzungsfolgen; insbesondere könne wegen der Verletzung der Arterie nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einer Amputation des Beines kommen könnte. Dies begründet die Gefahr derzeit nicht bezifferte Heilbehandlungskosten und weiterer körperliche Beeinträchtigungen. Der Kläger hat gegen den Beklagten aus den dargelegten Gründen einen Anspruch auf Feststellung des materiellen und immateriellen Zukunftsschadens.
45Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
46Der Streitwert wird auf 102.000,00 € festgesetzt.
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Referenzen
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